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H:Kracauer, Siegfried/01.10/Klebemappe 1931 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

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Bibliographic data

fullscreen: H:Kracauer, Siegfried/01.10/Klebemappe 1931 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

Manuscript

Persistent identifier:
BF00043387
Title:
H:Kracauer, Siegfried/01.10/Klebemappe 1931 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]
Shelfmark:
H:Kracauer, Siegfried/01.10/Klebemappe 1931
Document type:
Manuscript
Collection:
Holdings and special collections
Year of publication:
1931
Copyright:
Deutsches Literaturarchiv Marbach

Full text

In der Unterwelt scheint es lustiger zuzugehen als in 
der Untergrundbahn. Eine polizeiliche Razzia hat bekanntlich vor 
einigen Lagen das zehnjährige Stiftungsfest des berühmten Ring 
vereins „Jmmertreu" heimgesucht, ohne dah es ihr gelungen wäre, 
die Fröhlichkeil empfindlich zu dämpfen. Im Gegenteil: nach den 
Berichten Zu schließen, ist die offenbar erwartete Ueberraschung 
beinahe ein Punkt des Abendprogramms gewesen. Jedenfalls hat 
der eigentliche Festakt trotz des Einbruchs der Schupo pünktlich zur 
festgesetzten Stunde begonnen. Elf gold- und silbergestickte seidene 
Banner sind von Herren in Frack und Smoking feierlich durch den 
Saal getragen worden, und der Bruderverein „Heimatklänge" hat 
während dieser Prozession Mozarts Weihe des Gesangs angestimmL. 
Danach wieder Tanz, Tombola, Wein und die Damen, in großer 
Abendtoilette. Wenn der normale Bürger solche Veranstaltungen 
in Filmen sieht, hält er sie für erlogen. Die Wirklichkeit ist den 
Kolportageromanen immer um mehrere Nasenlängen voraus.. 
Die Ringvereine rekrutieren sich zum Teil aus gewissen wil 
den Jugend cliquen, mit deren Sitten und Gebräuchen sich 
die Öffentlichkeit neuerdings beschäftigt. Ueberhaupt ist das warme 
Wetter den Halbwüchsigen in die Glieder gefahren. In der Beussel- 
straße fand unlängst eine Schlacht zwischen vierhundert Jugend 
lichen statt, die mit Gummischläuchen, Stöcken, Riemen und Holz 
knüppeln ausgefochten wurde, Verkehrsstockungen hervorrief und 
zum Eingreifen des Überfallkommandos führte. Die Abschaffung 
des Krieges scheint doch nicht so einfach zu sein. Was nun die 
wilden Cliquen im besonderen betrifft, so haben sie dieser Tage 
ihr erstes Frühjahrsmeeting gehabt, bei dem es sich unter anderem 
um wichtige Fragen der Führerschaft gehandelt haben soll. Die 
Cliquen zählen, wie ich einer Zeitungsmitteilung entnehme, etwa 
4000 Mitglieder. 80 Prozent sind unpolitisch eingestellt, 5 Prozent 
rechtspolitisch und die übrigen linksradikal. Ihre Namen lauten: 
Modderkrebs, Tatarenblut, Nordpiraten, Schwarze Flagge, 
Apachen, Langes Messer usw. Abenteuerlust paart sich mit Räuber 
romantik, Jndianerwälder verschmelzen mit schnurgraden Groß 
stadtstraßen, Kneipen und Hinterhöfen. Daß die Unruhe so leicht 
ins Kriminelle umschlägt, daran sind zweifellos die allgemeinen 
Verhältnisse schuld, die eine Menge Jugendlicher freigesetzt haben« 
S- Kracauer. 
Musiker sind in einer schwierigen Lage. Statt in allen Kinos 
leibhaft angetrofsen zu werden, sieht und hört man jetzt nur noch 
einen Bruchteil von ihnen in den Tonfilmen, die alle Kinos 
durchlaufen. Der seinerzeit von mir besprochene Film: „Gassen- 
hauer^ des verstorbenen Regisseurs Lupu Pick hat bereits eine 
Methode veranschaulich, nach der sich junge Musiker heute ihren 
Unterhalt zu verdienen suchen. Dilettierende Studenten oder 
Geigenspieler ohne Stellung: sie gehen gruppenweise auf die 
Straße und produzieren sich in den Höfen. Von einem Impre 
sario entdeckt und die hochbezahlte Glanznummer eines groß 
städtischen Kabaretts zu werden, dieses dagxv enä des Films 
bleibt ihnen das Leben allerdings schuldig. Da die Kunst nach 
Brot geht, wird sich durch die Rationalisierung auf musikalischem 
Gebiet die Zahl der ausübenden Musiker zwangsläufig verklei 
nern. Das muß nicht Zum Schaden der Kunst sein. 
Trotz der Krise, aber sicher im Zusammenhang mit der Not 
wendigkeit wirtschaftlicher Zentralisation werden außer den hier 
schon erwähnten Bauten immer mehr Hochhäuser in Angriff 
genommen oder projektiert. So entsteht in der Gegend des 
Alexanderplatzes eine ganze Hochhauskolonie; darunter das Bero- 
lina-Haus und das neue Hochhaus des Karstadt-Konzerns. Die 
Arbeiterbank und die Gewerkschaft der Transportarbeiter werden 
Gebäude beziehen, die man wirklich nicht mehr Heime nennen kann. 
Am Kleistpark mag, wer will, vom 14. Stockwerk herabblicken, am 
Oranienplatz bald vom 12. Das Shell-Haus im alten Westen nähert, 
sich der Vollendung. Ein Teil dieser Riesenbauten soll nebenher 
noch Restaurationsbetriebe, Mefferäume, Autoläden usw. auf 
nehmen. Die Dachgärten sind für die Angestellten vorgesehen. Dort 
oben können sie sich erholen, Gymnastik treiben und in den Arbeits 
pausen auf die Bürowelt Herabschauen, die sie wahrend der Arbeit 
verschlingt. So.lche Entspannungsgelegenheiten gehören vielleicht 
schon zur „Bürokultur", von der man jetzt zu sprechen beginnt. 
Hoffentlich dringt sie von den Dächern durch die 14 Stockwerke bis 
zum Kellergeschoß herunter. Das der ArbeiterLank wird übrigens 
eine 140 Quadratmeter große Tresoranlage enthalten. 
* 
Dürfen die Hochhäuser nach oben schießen, so ist den Bäu 
men verwehrt, in den Himmel Zu wachsen. Die zwei Baumreihen 
in der Mitte des K u r fü rst e n d a m m s sind abgeholzt worden. 
Man wird durch ihre Beseitigung mehr Platz für den Autoverkehr 
WMmnen. So gewichtig diese technischen Erfordernisse sein mögen 
— die Liquidierung des Grüns ist ein Jammer. Per im Früh 
ling über den Kurfürstendamm ging, war schon halb in der 
Sommerfrische. Er sah nicht Wände noch Dächer, er lustwandelte 
durch eine Wipfelallee, die eher an den Strand eines Weltbades 
führte als Zur Gedächtniskirche oder nach Halenfee. Nun kommen 
auf Schritt und Tritt Monumentalportale, Balköne und Karya 
tiden hervor, und wo sie abgehauen sind, dort spürt man noch 
hinter glatten Fassaden die wilhelminische Ornamentik. Der Kur 
fürstendamm ist im Begriff, eine breite Ausfallstraße Zu werden, 
in der nicht einmal dje Geschäfte florieren. 
Mit der Niederlegung von Bäumen ist es.leider nicht immer ge 
tan. Was kann etwa gegen die Ueberfüllung der Untergrund 
bahnen in den Hauptverkehrszeiten geschehen? Ein hiesiger 
Berliner Nebeneinander. 
Berlin, Anfang Mai. 
In der letzten Zeit haben mehrere Vergnügungslokale ge 
schlossen: so das Palais am Zoo, Wien-Berlin und das Palais 
6s 6LN86. Andere Lokale, deren Inhaber ' Lei dem geringeren 
Umsatz im Sommer nicht noch wehr zulegen wollen oder können, 
wevden folgen. Daß die Krise in der Vergnügungs - 
Industrie nur eine Leilerscheinung der allgemeinen Wirt 
schaftskrise ist, duldet keinen Zweifel. Sollte die Verdoppelung 
der Biersteuer durchgehen, so vergrößert sich noch der Druck und 
wird für eine weitere Anzahl von Betrieben unerträglich werden. , 
Veränderte ökonomische Bedingungen andern die Physiognomie 
der Stadt. 
Mit den Chancen für die Zerstreuung suchende Bevölkerung 
verringern sich auch die für die Zerstreuenden. Vor allem die 
RkchtsanwalL hat sich jüngst, einer Blättermeldung zufolge, an den 
Polizeipräsidenten gewandt und ihn auf die Gefahren hingewresen, 
die aus diesen schlechten Verkehrsverhältnissen entstehen. Man hat 
ihm erwidert, daß eine weitere Verstärkung des Zugumlaufs nicht 
gerechtfertigt sei und mit dem Eintritt der wärmeren Jahreszeit der 
Verkehr auf der Untergrundbahn von selbst Zurückgehen werde Ge 
wiß; aber auf den Sommer folgt wieder die kältere Jahreszeit, 
und die Fahrt in den übervollen Wagen ist in der Tat eine Folter. 
Vor allem f - ür die geplagten erwerbstätigen Men cm sch n en, die 5 h ^ ie — r ta ^ g- 
agl-ch mehrmals M einer undeftmerbaren Mäste . zu . sammen.e- 
schweißt werden. ->e Zuge verkehren nicht allzuoft, lasten ncy 
den Stationen rerchuch Zeit, und es kann nicht jeder zu den 
Auserwählten zahlen, denen die Eroberung eines Sitzplatzes ge 
lungen ist. Wahrscheinlich kommen sie von weit her; von Pankow 
oder vom Reichskanzlerplatz.
	        

Hinweis zur Vollständigkeit

Die Blätter 89 und 90 fehlen im Original.

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