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H:Kracauer, Siegfried/01.10/Klebemappe 1931 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

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Bibliographic data

fullscreen: H:Kracauer, Siegfried/01.10/Klebemappe 1931 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

Manuscript

Persistent identifier:
BF00043387
Title:
H:Kracauer, Siegfried/01.10/Klebemappe 1931 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]
Shelfmark:
H:Kracauer, Siegfried/01.10/Klebemappe 1931
Document type:
Manuscript
Collection:
Holdings and special collections
Year of publication:
1931
Copyright:
Deutsches Literaturarchiv Marbach

Full text

Lei 
und 
für 
zeugt. Materielle Not, erzwungener Müßiggang, Sinnleere 
Unabsehbarkett eines Wandels sind gefährliche Brutstätten 
wilde Aktionen. 
zogen, das vor allem den Widersprüchen in ihren Aussagen gilt. 
SLolpe ist ein junger Arbeiter von brutalem Aussehen, der keinen 
unintelligenten Eindruck macht. Er neigt meistens den Kopf 
vornüber, und es ist, als ob ihn die Last der Tat und die 
schwere Aufgabe der Selbstverteidigung niederdrücke. Auch Lies 
chen Neumann verkriecht sich vor den vielen Blicken, die sie auf 
sich ruhen fühlt. Sie hat dichtes .^aar und mag von den Männern 
ihrer Gesellschaft als eine Schönheit angesprochen worden sein. 
Während der Vernehmung Stolpes schluchzt sie viel; wie man 
überhaupt trotz des jetzigen Abstandes zwischen den beiden die 
Enge ihrer Beziehung durchspürt. In der Mitte der Bank sitzt 
Benziger, blond, farblos und stumm. 
Am Anfang der Verhandlung beklagt sich Stolpe in offenbar 
memorierten Sätzen darüber, daß er und sein Freund kurz nach 
der Verhaftung durch die Anreden der Beamten „mißhandelt" 
worden seien. Er zitiert die betreffenden Redewendungen, die wahr 
haftig nicht so schlimm sind wie die eigene Würgtätigkeit. Eine 
psychologisch merkwürdige Empfindlichkeit, die darauf-zu schließen 
erlaubt, daß der junge Mensch noch nicht zum Bewußtsein seiner 
Tat gekommen ist und weniger unter dem Druck ihrer Schwere als 
dem der Angst vor ihren Folgen steht. Danach sucht der Gerichts 
vorsitzende dem Stolpe mit unendlicher Geduld eine Schilderung 
jener Gespräche und Ereignisse zu entreißen, aus'denen man seinen 
Schuldanteil errnessen kann. Trotz seines Zuredens macht Stolpe 
nur spärliche Aeußerungen, die seine Geliebte belasten, und verfällt 
im übrigen in ein hartnäckiges Schweigen. Es mag zum Teil 
daraus zu erklären sein, daß er sich nicht unnötig in Lügen ver 
wickeln will; zum anderen Teil ist es sicherlich eine Art von 
Starrkrampf, in den der dialektisch Ungeübte angesichts des Zwanges 
gerät, sein Verhalten geordnet und folgerichtig aufzurollen. Hinzu 
treten wird ein Rest von primitiver Scham, der ihn daran hindert, 
über verschiedene der Klarstellung bedürftige Intimitäten zu reflek 
tieren oder gar in der Qefsentlichkeit Auskünfte zu erteilen. Daß 
dem so ist, geht aus seiner Aussage hervor: er habe bei der ersten 
Konfrontation mit der Kriminalpolizei eine entsetzliche Angst ge 
habt. Für die sogenannten unteren Schichten des Volkes wird die 
Berührung mit dem formalen Denken, das über ihnen waltet und 
ihre Angelegenheiten regelt, beinahe stets zum bedrohlichen Zu 
sammenstoß. Es ist ja auch so, daß ein vorwiegend stofflich ge 
bundener Mensch wie Stolpe das Geschehene überhaupt nicht ein 
wandfrei rekonstruieren kann. Vielmehr: da er das Geschehene er 
fahren und begangen hat, ohne es gedankenmätzig Zu beherrschen, 
muß es sich in der Erinnerung verwirren, die sich seiner logisch 
bemächtigen will. Die Folge der vergeblichen Anstrengung ist eben 
das Schweigen... 
Lieschen Neumann ihrerseits steht ziemlich forsch Rede und 
Antwort. Sie ist, was man hell nennt, verrät Energie und bestreitet 
die Initiative, die Stolpe ihr zuzuschieben sucht. Es ist Zwischen 
den beiden manches vorgegangen, was nie Wort werden wird, und 
man hat das deutliche Gefühl, daß die abgegebenen Erklärungen 
aus einem unerhellten Grund aufsteigen, der im Interesse der 
Wahrhertssorschung aufgedeckt werden sollte und sich doch niemals 
bloßlegen Läßt. Im übrigen spricht aus dem Gebaren der Neumann 
Armut und Oede. Aber das ist auch eine Mitgift der Verhältnisse, 
in denen heute unzählige Menschen aufwachsen müssen. 
Es wird zur Zeit in Berlin viel gemordet, und das Bewußt 
sein von der Kostbarkeit des Lebens scheint in weiten Kreisen 
geschwunden zu sein Freilich hat man auch Zustände einreißen 
lassen, die es auszutreiben vermögen. Wohin sie führen, zeigt 
dieser Prozeß. Drei blutjunge Großstädter, die ohne rechte Leiden 
schaft sich eines Tages als Mörder wiedecbegegnM — nur schwer 
ist zu fassen, daß das Dasein so leicht wiegen kann. Sie unter 
scheiden sich bestimmt nicht auffällig von vielen Altersgenossen, 
sie sind lediglich, etwas weniger gehemmt, einen Schritt weiter 
gegangen. Insofern ihr Verbrechen symptomatisch ist, wird es 
zweifellos nicht allein durch die Not bedingt, in die sie die Arbeits 
losigkeit versetzt hat, sondern mindestens ebenso sehr durch ihren 
Mangel an einem Halt. Mag die Jugend, der Benziger, Stolpe 
und Louise Neumann angehören, politisch eingegliedert sein oder 
nicht: sie wird in einer Umwelt groß, die ihr kaum eine bündige 
Richtschnur für den Alltag gewährt. Wichtige Traditionen sind ab 
gefallen, obne daß sich neue gebildet hätten; , die Maßstäbe, an denen 
die Folge der kleinen Handlungen zu messen wäre, sind in Ver 
wirrung geraten; die Lebenshaltung der mittleren und-führenden 
Schichten ist nicht dazu geeignet, ein V zu sein. Der von den 
drei Jugendlichen verübte Mord ist auch ein Zeicben der Schwie 
rigkeiten, in denen sich die gegenwärtige Gesellschaft befindet. 
- S. Krakauer. 
Während der paar Vormittagsstunden, die ich der Sitzung 
wohne, werden die zwei Hauptschuldigen einem Verhör unter 
Urozeß Lieschen Menmann. 
Berlin, Ende Januar. 
Auch am zweiten Tag des Prozesses Lieschen Neu man n 
drängt sich das Publikum schon in den frühen Morgenstunden vor 
dem Eingang des Neuen Kriminalgerichts. Unter den Wartenden 
befinden sich offenkundig viele Arbeitslose. Sie haben allen 
Grund, sich für die Verhandlung zu interessieren, denn die drei 
jugendlichen Untäter entstammen ihren Kreisen. Der 23jährige 
Kutscher SLolpe, der etwas jüngere verführte Benziger und 
das 16jährige Mädchen: sie sind sämtlich ohne Arbeit gewesey. Ich 
meine nicht, daß aus dieser Tatsache allein der Mord am Uhr 
macher Ulbrich abzuleiten ist; aber hätten die drei Jugendlichen 
Arbeit gehabt, so wären sie wohl kaum gemeinsam ins Verbrechen 
getaumelt. In den Berliner Arbeitsnachweisen habe ich mich 
wiederholt unter die Massen der Erwerbslosen gemischt, die dort 
Lag für Lag nichts weiter tun können als herumzulungern und 
nach einer Arbeitsgelegenheit zu spähen, an deren Kommen doch 
niemand recht glaubt. Das ist ein schlimmer Zustand für junge 
Menschen, denen die Uebung des Lebens fehlt, und man sollte sich 
eigentlich darüber wundern, daß er nicht noch mehr Verbrechen er
	        

Hinweis zur Vollständigkeit

Die Blätter 89 und 90 fehlen im Original.

Hinweis zum Volltext

Die OCR-Ergebnisse sind experimentell.

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