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H:Kracauer, Siegfried/01.11/Klebemappe 1932 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

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Bibliographic data

fullscreen: H:Kracauer, Siegfried/01.11/Klebemappe 1932 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

Manuscript

Persistent identifier:
BF00043388
Title:
H:Kracauer, Siegfried/01.11/Klebemappe 1932 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]
Shelfmark:
H:Kracauer, Siegfried/01.11/Klebemappe 1932
Document type:
Manuscript
Collection:
Holdings and special collections
Year of publication:
1932
Copyright:
Deutsches Literaturarchiv Marbach

Full text

drucksformen desselben Verhaltens, das sie so notwendig bedingt, 
daß die eine ohne die andere kaum bestehen kann. In Sternes 
„Tristram Shandy" treten sie denn auch gemeinsam auf und offen 
baren ihre Zwillingsnatur. Die Andreu-Rivel drängen als 
Clowns, die sie sind, das melancholische Element begreiflicherweise 
in den Hintergrund ab und sabotieren ihr Brückenwerk auf eine 
rein komische Art. Und zwar gebärden sie sich mit Ausnahme 
des Silberclowns wie Kinder, die immerfort spielen und ab 
schweifen müssen. Die Beschäftigung, der sie obliegen, erschöpft 
sich darin, durch lauter Einfälle, die nur Kindern in den Sinn 
kommen, den Zweck ihrer Zusammenkunft zu vergessen. Zu der 
unerhörten Komik dieser beharrlichen Nichterfüllungspolitik gesellt 
sich die der Einfälle selber. Sie wirken doppelt komisch: einmal, 
weil sie den Brückenbau stets von neuem unterbrechen, und zum 
andern, weil sie das kindliche Wesen so genau und ideal wieder 
geben. Bald erschrecken sich die Clowns durch Maskeraden, bald 
verprügeln oder kitzeln sie sich usw. Die Situationen, in denen 
sich Kinder als Kinder bewähren, dürften hier vollständig inven 
tarisiert sein, und jede von ihnen ist mit akrobatischer Sicherheit 
durchgestaltet. Daher muß man auch fortwährend lachen. Und 
dieses Gelächter der Kleinen und Großen bezieht sich sowohl auf 
die Kindereien als solche wie auf die durch sie erreichte Entwer 
tung der geplanten Haupt- und Staatsaktion. Die Kleinen können 
unbefangen lustig fein, und die Großen brauchen nicht melancholisch 
zu werden. * 
Andere Clowns, so die alten Fratellini, nehmen ebenfalls ihre 
Zuflucht zum unverantwortlichen Kinderstreich. Von ihren Num 
mern unterscheidet sich aber die der Andreu-Rivel darin, daß sie 
auf eine musterhafte Weise den ganzen Vorstellungsablauf des 
Kindes reproduziert. Tatsächlich, diese drei Clowns begnügen sich 
nicht mit der Darbietung des einen oder anderen komischen kind 
lichen Zugs, sondern zeigen überdies, wie sich im Kind ein Zug 
aus dem vorigen entwickelt. Der Erwachsene hält meistens die 
Kinder für geistesabwesend und zerstreut. Sie springen ununter 
brochen vom Thema ab, handeln sprunghaft und leben scheirrbar 
völlig im Augenblick. Ist es aber in Wahrheit nicht so, daß diese 
launischen Kinderassoziationen sich durchaus zusammenhängend 
und keineswegs launisch entfalten? Daß sie sich faktisch auf Grund 
einer Gesetzmäßigkeit vollziehen, die nur darum undurHschaut bleibt, 
weil sie nicht vom wachen Bewußtsein und den hochwichtigen 
Zwecken der Erwachsenen bedingt wird? Die Andreu-Rivel unter 
streichen besonders nachdrücklich die strenge Logik, mit der die 
kindlichen Einfälle sich folgen. Wunderbar ausgebaut ist sie in 
jenem Abschnitt, in dem die beiden Clowns sich nicht um alles in 
der Welt von ihrem reifen Silberbruder dazu bewegen lassen 
Bollen, nun endlich mit dem Brückenbau zu beginnen. Jeder Ein ¬ 
spruch des Silbrigen wird ihnen nur zum Anlaß neuer Spiele. 
Wenn dieser zum Beispiel wiederholt „Genug" sagt, so bewegen 
sie sich sofort im Rhythmus des Worts, statt seiner Bedeutung ein 
gedenk zu sein, und wenn er sie anbrüllt, verfallen auch sie in ein 
Gebrüll, aus dem dann bald in unmerklichem Uebergang irgend 
eine andere Tätigkeit hervorsprießt. Einmal kitzelt etwa der eine 
zufällig seinen Gefährten: es versteht sich von selbst, daß dieser Vor 
gang gleich systematisiert wird. Kurzum, die knrdlichen Abschwei 
fungen sind keine vereinzelten Willkürakte, sondern hängen dicht 
miteinander zusammen, die Eingebungen der Zerstreutheit stehen 
unter sorgfältiger Kontrolle, und der Fluß der Arabesken hat einen 
geregelten Lauf. * 
Durch den logischen Zusammenhang aber, in den die Andreu- 
Rivel ihre Ulkereien bringen, gewinnt die Szene eine außerordent 
liche Trefe. Denn die Logik, um die es hier geht, ist nicht die 
normale, sondern am ehesten die des Märchens. Indem die Rivel 
diese Logik anwenden, heben sie nicht nur ihr seriöses, allzu seriöses 
Brückenwerk auf eine Weise aus den AngÄn, deren UM 
schon allein dem Clownwesen genügte; sie deuten vielmehr darüber 
hinaus auch noch einen Sinn in der Unsinnigkeit an. Der lustige 
Unfug ist bei ihnen mehr als ein bloßer Unfug, der die böse Ver 
schlossenheit un) den falschen Ernst sprengen soll;-er erhält außer 
dieser, jeder Clownerie zukommenden Funktion eine andere, die 
ihm selber Bedeutung verschafft. Dank der sonderbaren Logik, der 
er untersteht, ruft er die Ahnung einer Wirklichkeit hervor, 
die mit der unsrigen nicht identisch ist; einer Wirklichkeit, die sich 
zu der alltäglichen so windschief wie die der Märchen und mancher 
Träume verhält. Auf sie weist die fanatische Systematik der Kin 
dereien hin, zu ihr schlagen die Andreu-Rivel eine schwindel 
erregende Brücke, die kühner ist als die schließlich gebaute und von 
den aus der Verschlossenheit und. dem Ernst entlassenen Menschen 
Lei einiger akrobatischer Uebung unschwer beschriften werden 
*önnte. 
SVb -ü 0L 
Arbeiter, lernt arbeiten! 
Zu ein em sowj etrussisch en Tonfilm. 
Berlin, im Oktober. 
In der Berliner Botschaft der Sowjet-Union wurde vor 
einigen Tagen einem geladenen Publikum der Tonfilm: „Dinge 
und Menschen" gezeigt. Es ist der erste tönende Film, der 
aus Moskau zu uns kommt, und er beweist unter anderem, daß 
die russische Tonfilmproduktion in technischer Hinsicht die unsrige 
eingeholt hat. Geräusche und Sprechorgane stufen sich vielfältig 
ab, und die Kamera ist beweglich wie früher geblieben. Beachtung 
verdient, daß auch die meisten Tonaufnahmen nicht im Atelier, 
sondern gleich an Ort und Stelle im Freien gemacht worden sind. 
Die Bevorzugung dieses Verfahrens zeugt vom realistischen Sinn 
der heutigen Russen. 
Ich möchte die Fabel des Films andeuten, weil aus ihr 
einige interessante Folgerungen zu ziehen sind. Sie handelt von 
der Erbauung des Kraftwerks Dnjeprostroj und hat pädago 
gische Absichten. Jedenfalls ist die ganze erste Hälfte der scho 
nungslosen Kritik am russischen Arbeiter gewidmet. Man be ¬ 
obachtet die verschiedensten Typen beim Bau und muß schließlich 
feststellen, daß sie eine Fülle von Lastern haben. Sie bedienen 
sich veralteter Arbeitsmethoden, sie geben sich, wo sie nur können, 
dem Genuß des Nichtstuns hin, sie greifen zur Flasche und schä 
digen überhaupt bei jeder Gelegenheit den sozialistischen Aufbau. 
Kein Wunder, daß die Arbeit nicht vorwärts rückt. Der gerade 
eingetrosfene amerikanische Ingenieur, der die örtliche Leitung 
übernehmen soll, ist über die ganze Schlamperei äußerst mißver- 
gw""-l und saot dem russischen Vorarbeiter seine Meinung offen 
ins Gesicht. Darob Empörung des Russen. Kommt es jetzt zum 
oo^r werden die Arveiter sich bessern? Sie bessern sich. 
Und zwar nicht nur deshalb, weil sie sich vom amerikanischen 
Ingenieur verachtet fühlen, sondern auch auf Grund der Lektüre 
eines amerikanischen Zeitungsberichts, in dem das Stocken der 
Arbeiten gegeißelt wird. Bei ihrem Ehrgeiz angepackt beschließen 
sie, die Fahrt zur Baustelle fortan in einem Unterrichtswagen 
zurückzulegen, in dem man sie nun tatsächlich mit schwierigen tech- 
mschen Problemen beschäftigt sieht. Ein Sieg nach dem andern 
wird so über die faule, schlechte Natur errungen. Mit dem 
Erfolg, daß die Arbeit flutscht und das riesige Kraftwerk wie 
irgendein Märchenschloß gleichsam über Nacht aus der Erde 
schießt. Der amerikanische Ingenieur aber, der ursprünglich ein 
starkes Heimweh nach New York hatte, ist mittlerweile etwas 
skeptisch gegen die Segnungen der westlichen Zivilisation geworden 
und nimmt sich vor, noch in der Sowjet-Union zu bleiben. 
Ein Film wie dieser gibt uns mehr Aufschluß über das gegen 
wärtige Rußland als manche Reportagen, die Las Produkt eiliger 
Besuchsreisen sind. Vor allem zeigt er deutlich, was man immer 
allzu leicht vergißt: an welchem Punkt die russischen Machthaber^ 
faktisch ansetzen müssen. Sie formen nicht eine bereits Lurch den 
Kapitalismus gegangene Bevölkerung um, die mit der Technik ihre 
aktiven und passiven Begegnungen gehabt Hätte, sondern holen 
ganze Völkerschaften aus dem primitiven, vortechnischen Dasein 
herauf. Ihre Anstrengungen gelten sozusagen dem Urmaterial und 
wären daher auf europäische Verhältniße niemals unmittelbar zu 
übertragen. Denn ginge es bei uns um Eingriffe in völlig aus 
modellierte Strukturen, so handelt es sich dort noch um etwas 
anderes als um die Veränderung des Wirtschaftssystems und der 
Traditionen: nämlich um das Durchkneten von Völkermassen, die 
lüsber kaum ein ebenes NewuEein Latten. Nichts ist merkwür 
diger und wunderbarer als der vom Film veranschaulichte Zu 
sammenstoß dieser gerade erweckten Menschen mit den modernen 
Maschinen. Arbeiter, in deren Gesichter sich die unendlichen Step 
pen und Wälder tief eingezeichnet haben, werden plötzlich aus der 
Naturverbundenheit herausgerissen und technischen Ungeheuern 
gegenübergestellt, die ihrerseits Erzeugnisse eines von der Natur 
abgelösten, rein rationalen Denkens sind. So ähnlich wie den 
Arbeitern muß den germanischen Stämmen zumute gewesen sein, 
als sie mit den Herrlichkeiten Roms Bekanntschaft schloffen. Der 
Film zeigt aber nicht nur das Mißverhältnis zwischen Dingen 
und Menschen, er versucht auch zu demonstrieren, wie sich diese 
der fremden Apparatur bemächtigen. Sie lernen wie brave Schüler, 
sie sind rührend beflissen. Der westliche Zuschauer sollte sich indessen 
klar darüber sein, daß hier das unbekannte Wissen nicht einfach 
übernommen wird. Indem die Russen von der Technik Besitz er 
greifen, verwandeln sie diese Zugleich und verleiden sie ihrer neuen 
Lebensordnung ein. Es läßt sich beinahe aus dem Film ab lesen, 
wie sehr die Technik drüben ihre Funktionen ändert. Die Maschinen 
scheinen ihren Hochmut und ihre Bedrohlichkeit abgestreift zu 
haben, und wenn am Schluß der amerikanische Ingenieur einen 
Blick aufs fertige Kraftwerk wirft, so verrät seine Gemütsbewe 
gung, daß ihn nicht nur die technische Zweckmäßigkeit des Gebildes 
berührt. 
Wenn ich diesem Film ein Paar Aufklärungen über Sowjet 
rußland entnehme, habe ich damit seine Bedeutung, für uns nahezu 
erschöpft. Er ist nicht wie die großen Revolutionsfilme Eisensteins 
und. Pudowkins einem internationalen Publikum zugekehrt, sondern
	        

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