Gasprers und Mittelstand. Die' Gäsgesellschaft, die bereits z
fniher einen namhaften Betrag zur Ermäßigung des Gaspreises für!
Minderbemittelte aufgebracht hat, soll jetzt, dem Beschluß der Stadt-
verordneten-Versammlung zufolge, diesen Betrag auf eine Million
Mark erhöhen und ihn aus Gründen der Zweckmäßigkeit dem Wohl
fahrtsamt zur Verteilung überweisen. Nicht nur in den Kreisen der
Arbeiter, sondern mehr vielleicht noch in den notleidenden
Schichten des Mittelstandes wird sich, so schreibt man
uns, die Erhöhung des Gaspreises sehr fühlbar machen. Gerade
bei diesen Schichten aber, also bei Altpensionären, erwerbsunfähi
gen Wirwen, Kleinrentnern usw. stellen stch vielfach innere Hem
mungen gegen die M des Wohlfahrtsamts ein, Hem ¬
mungen, die zumeist einem Schamgefühl entspringen, das heute
sicherlich nicht mehr am Platz ist. Solche seelischen Widerstände
sind zu überw'mden. Wer nachweislich mit der Teuerung nicht
Schritt halten kann, möge stch ebenfalls durch solche Bedenken nicht
davon aLhalren lassen, bei dem für jedermann zugänglichen Wohl
fahrtsamt um die in Aussicht gestellte Rückvergütung einzu-
kommen. .
Zu der Vorlage über die Verbesserung des Srraffcnbahn *
Verkehrs äußerte Stadtv. Landgrebe (lib.) verschiedene
Wünsche, vor allem die Durchführung der Linie 20 nach RödeLheim
fordernd. Stadtv. Ulrich (Soz.) begründete zwei Anträge,
deren einer die Durchführung her Linie 18 nach der Niederwald
Kolonie verlangt. In der weiteren Debatte wurde besonders über
den Mechten Vorortverkehr, zumal nach Nödelheim geklagt. Stadt
rat Dr Schmude wies darauf hin, daß bei der Verbesserung des
Vorortverkehrs gebührende Rücksicht auf die Wirtschaftlichkeit des
Betriebs genommen werden müsse. Die Linie 20 solle versuchsweise
durchgeführt werden. Die Anträge Ulrich gingen an den Haupt-
und Tiefbauausschuß.
Die ablehnende Antwort des Magistrats auf dm Beschluß der
Stadtverordneten - Versammlung, die weibliche Abteilung der
städtischen Rechtsauskunftsstelle der männlichen Abtei
lung glerchzustellen, wurde von den Stadtv. Schütz (Dem.) und
Frau Fürth (Soz.) angegriffen, während Stadtv. Landgrebe
(lib.) für die Magistratsmaßnähme eintrat. Bei der Abstimmung
entschied man stch für die Annahme des Antrages Schütz, der die
Erneuerung des früheren Beschlusses fordert.
Von den Berichten des Hochbauausschusses verdient ein Antrag
Erwähnung, der die Errichtung von Laden bauten an der
Katharinenkirche empfiehlt, wobei dem kirchlichen Charakter
Rechnung zu tragen sei. Der Antrag wurde genehmigt, desgleichen
die Anträge des Sozialpolitischen Ausschusses auf Winterbeihilfe
an Bedürftige.
Stadtv. Higler (Soz.) beantragte für den Wirtschaftspok-
Lischen Ausschuß eine Abänderung des Vertrags zwischen
Stadt und Gasgesellschast,
die bewirkt, daß vor jeder Erhöhung des Gaspreises die Stadt-
mrordneten-Versamm ung zu hör^n ist^ Auch forderte er namens
des Ausschusses von der GasgesellschafMie Ueberweisung von einer
Million Mark jährlich an das WohlfahMamt zur Verbilligung des
Gaspreises sür Minderbenrittelte. Stadtv. Ulrich (Soz.) trat
jür eine Staffelung der Gaspreise ein, während Stadtv. Lang
(Komm.) eins Erhöhung der Rücklage aus zwei Millionen bean-
tragie. Nach Ausführungen des Stadtrats Pros. Bleicher, der,
den Standpunkt der Gasgesellschast vertretend, die Anträge noch
nicht für spruchreif crk arte und die Erhöhung des Gaspreises durch
den Hmweis auf die neuerliche Verteuerung der Kohlen rechtfer
tigte, erhob Swdtv. VouvereL (Dem.) (Einspruch dagegen, daß
die Gasgesellschast ihren Aufzabenkreis zu weit ausdehne, und da
durch das Handwerk schädige, und beantragte, daß in den abg^
änderten Vertrag eine Bestimmung zum Schutze des Handwerks
ausgenommen werde. Im Verlaufe der Debatte, in der u. a-
Stad v. Henä (Dem.) um Annahme der Anträge und Stadtv.
Dr. Goldsch midt (Dem.) sich gegen die von Stadtv. Hene
beantragte Erhöhung der Konzessionsgebühr wandle, sowie den
Antrag auf das Mtbsstimmungsrecht der StadwerordMen-Ver-
sammlung als Bürokratisierung ablehnte, verteidigte Baurat
Tillmetz die Haltung der Gasgesellschast. Die Abstnnmung er
gab die Annahme der Ausschußanträge. Die Anträge Lang und
Hene wurden abgclehnt, der Antrag Bouveret, bei dem 37:37
Stimmen standen, durch Stichentscheid des Vorsitzenden Dr. Hertz
angenommen.
* Zu vorg rückter Stunde regte noch Stadv. Wagner (Mittelst.)
in einer Anfrage die Prüfung der Hausbeschädigungen an, die
durch Bodensenkungen hervorgcrufen werden. Sein An
trag wurde dem Hochöauausschuß überwirsen.
Rudolf Steiners ÄmhrspssoptzLe. In einer von der Arbeits
gemeinschaft der Neuen freireligiösen Gemeinde und vom Monisten-
öund Einberufenen Versammlung sMch Pros. Drews (Karlsruhe)
über Steiners Änthroposophie. Der Redner legte zunächst einige der
Ergebnisse dar, zu denen Steiner kraft Hellsehens im Bereich des
Übersinnlichen gekommen sein will — so seine Lehre vom
Astralleib und Aetherleiö, seine Lehre von der Wiederverkörperung,
vom Karma, von der Fortdauer der individuellen Existenz über den
Tod hinaus — und zeigte dann in eingehender erkenntniskritischer
Untersuchung, daß entgegen der Behauptung Steiners unserem er-
kenEden Bewußtsein die unmittelbare Erschließung der
übersinnlichenWelt prinzipiell versagt bleibt. Gesetzt aber
den Fall selbst, der Hellseher nehme etliche der von Steiner angeb
lich erschauten übersinnlichen Tatbestände wahr, so wäre doch damit,
wie der Redner ausführte, noch nicht das mindeste über die Objek
tivität dieser Tatbestände ausgemacht, ebenso gut könnte es sich
vielmehr bei ihnen um Hallu z i n a t i o n en und ein subjektiv
bedingtes Spiel der Einbildungskraft handln. Die Erkenntnisse
Steiners charakterisierte der Vortragende als Resultate eines Den
kens, das teilweise einen bereits überwundenen grobschlächtigen Ma
terialismus in das Gebiet der übersinnlichen Welt verpflanzt und
teilweise sich an der neuplatonischen Mythologie und der anglo-
indischen Thessophie emporrankt. Auch gegen die von den Anhängern
Steiners behaupteten moralischen Auswirkungen der anthroposophi-
schen Lehren brächte er gewichtige Argumente vor. Die Blütenlese von
Beispielen, die er aus der anthroposophischen GeheimwissenfchafL
zum besten gab, rechtfertigte hinreichend das von ihm zitierte Wort
Gundolfs, bemzirfolge diese Geheimwissenschaft im wesentlichen
em „Hintertreppenklalsch aus der GeisterwelN ist. Zum Schluß er
klärte der Redner die von ihm beklagte Hinwendung eines Teiles der
studierenden Jugend zur Änthroposophie aus dem lange unterdrück
ten und nun gewaltsam herzbrechenden m e t a p h y s i s ch e n B e -
o ü r r n i s, das an dem heute auf den Universitäten gepflogenen
Wlssenschaftsbetrieb keine Genüge finde, und kennzeichnete die anthro-
poftpyrsche Bewegung als eine jener Epidemien, die stch nun einmal
aussen müssen. Die zu Beginn der Aussprache zu Worte kommen
den Anhänger der Änthroposophie vermochten die grundsätzlichen
rm Emwände des Vortragenden gegen die Lehren Steiners
Jahre „Deutsche Kunst und DekoraLiott".I Mit
einem hervorragend aus gestatteten Doppelheft eröffnet in
schwerer Zeit die Darmstädter Kunstzeitschrist „Deutsche Kunst und
Dekoration" ihren Jubiläumsjahrgang. Der Herausgeber, Hoftat
Alexander Koch, schildert in einem zusammenfaffenden Vorwort
dm von ihm beschrittenen Weg. Die Kunst immer mehr in Fühlung
mit dem praktischen Leben zu bringen: das war der Kerngedanke,
der ihn bei allen seinen Unternehmungen leitete und dem auch seine
führende deutsche Kunstzeitschrist entwuchs. Diese ist ihrer Mission
stets treu geblieben und hat darum selber eine wichtige Rolle in der
Entwicklung des deutschen Kunstlebens gespielt. Durch Vorführung
guter Beispiele aus den Gebieten der freien und der angewandten
Kunst hat ste, ohne sich je allzu ängstlich und schulmeisterlich auf
einen bestimmten Stil, eine bestimmte Richtung festzulegen, nicht nur
die Künstler gefördert, sondern auch für die geschmackliche Durch
bildung des Volkes gesorgt und derart in einem hohen Sinne er-
I zieherisch gewirkt. Der Herausgeber darf wahrlich mit einem Ge
fühl der Genugtuung auf seine segensreiche Tätigkeit in dem ver
flossenen Vierteljahrhundert zurückblicken. Das Jubiläumsheft selber
enthält eine Fülle wertvoller Abbildungen und Trxtbeiträge. Max
Osborn folgt dem Werdegang der Zeitschrift und würdigt mit
klugen Worten ihre Bedeutung für die deutsche Kunst der letzten
Jahrzehnte, Besonders ausführlich wird der Erweiterung des
StädelschenMuseumszu Frankfurt gedacht, über die Benno
Reifenbergin einem gehaltvollen Aufsatz berichtet. Eine An
zahl der nun in dem Erweiterungsbau untergebrachten Gemälde sind
abgebildet, und auch die programmatische Eröffnungsansprache des
Galerieleiters Pros. S w arz e n s k i hat Aufnahme gefunden. Da
zwischen eingestreut ist eine feinsinnige Betrachtung Wilhelm
Michels (Darmstadt) über den Zusammenhang der Kunst mit
der gegenwärtigen Geisteslage, in der zur ASstandnahme von
Schlagworten und zu schweigender innerer Bereitschaft für eine
kommende Verfestigung der Welt ermähnt wird. Zahlreiche Ab
bildungen von Wohnhäusern, deren Entwürfe von Pros. Schultze
(Naumburg) und Pros. Bruno Vaul stammen, bieten Gelegenheit
zum Studium gediegener Wohnkultur. Aus dem Gebiete der Klein
brüst begegnet man u a. Stickereien und Puppen von Lilli und
Ewald Vetter und Arbeiten der ältesten Volkstedter^
Porzellanfabrik (zum Teil nach bizarren rokokoartigen Entwürfen
Peof. Poelzigs). Besondere Erwähnung verdienen noch die
trefflichen Bühnenbilder des am Hessischen Landestheater zu
.Darmstadt wirkenden Bildhauers T. C. Pilartz, die der Bühnen-
kunst neue Wege zu weisen geeignet sind. Im Anhang beigegebeue*
Zuschriften führender Künstler und Kunstkenner an den Herausgeber
spiegeln die Bedeutung der Zeitschrift für das deutsche Kunstleben
im Urteil der Berufenen wider. Xr.