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Full text: H:Kracauer, Siegfried/01.03/Klebemappe 1923 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

As VÄttgfMk EWfl NßgWI 
Im Ausstellungsraum des Antiquariats Vaer u. Co. ist 
Freitag und SanEtag die Bibliothek Ernst Aca g nu s zu öestch- 
Ligen, die ick Montag 14. ds. zur V erste igerung gelangt. Ihr 
Besitzer, der 1910 verstorbene, NegierungsraL Magnus, hat diese 
herrliche Sannnlung von Werken deutscher Literatur des 
18. und 19. Jahrhunderts mit Unterstützung seines Freun 
des Erich Schmidt und auf Grmrd eigener gediegener Lllermur- 
kenntnis rm Lcmfe vieler Jahr: sorgsam ZusEENgetragen. Das 
abgerundete Bild, das sie bietet, bezeugt hinreichend, daß sie nicht 
unsachlichem Eifer und blinden Zufällen, sondern genauem Wissen 
um das Wesentliche und weitausgreisender systematischer Sammler 
tätigkeit ihre Entstehung verdankt. 
Den Grundstock der Bibliothek bildet die sehr umfangreiche 
! mit einem solchen Zukunsts^istentum von eigenen Gnaden, 
schließlich sein verhüllter Hinweis auf rmue, noch ungeahnte 
Möglichkeiten des NaMrerkenneus gemeint find natürlich 
die Naturschaüungen seines Meistens Steiner, die ihrerseits 
wiederum Verzerrungen Goeth^scher Natuiverkenränis dar 
stellen —: das alles ist im Kern anthroposophisches Gedanken 
gut, durchsetzt mir mystischen Einschlägen und getragen von einer 
ab^lMeten, beinahe bis zur Unkenntlichkeit getrübten Reli 
giosität, die weder für den Einzelnen, noch gar für die Welt 
Erlösung bedeutet. So sehr befindet sich RiLtelmeher im Banne 
jener unheilvollen synkretischen Gnosis, die sich Anthroposophie 
nennt, daß für ihn Äe echten religiösen Kategorien wie „Glaube" 
und „Gnade" kaum -eine Rolle noch spielen, daß er vielmehr, 
eingefangen von pseudo-religiösen Lehren, Anschauungen ver 
tritt, die eigentlich nur mehr dem Namen nach christlich heißen 
dürfen. Hatte er im Laufs des Vobtrags seines Jünger-Ver 
hältnisses zu Steiner ausdrücklich gedacht, es wäre der Met 
zähl der Hörer Wohl Leichter gewesen, sich ein richtiges Urteil 
über sein besonderes Christentum zu bilden. So mag nur noch 
in Ergänzung seiner Darlegungen erwähnt werden, daß die 
unter Rittelmeyevs Führung gegründete Christengememschaft 
von der Stuttgarter Anthroposophen-Z entrale ausgeht und zu 
meist Anthroposophen zu ihren M-tgln-edern zählt, und daß die 
sog. „LebensfLi-ern" sich in kultischen Formen vollziehen, die 
tells -von der römischen Messe übernommen, teils von Steiner 
„geschaut" sind Lw. ! 
Welk-EMsmg. 
Der frühere Pfarrer Dr. Fr. Ritt sture her, ernst 
Anhänger Johannes Müllers, jetzt eingeschwoven auf Rudolf 
Stet wer und die anthPoposophische Bewegung, trat MoMag 
abend in Frankfurt auf, um Jünger für seine neue christliche 
VerkündiMrtg M werben. Ein sonderbares Evangelium war 
es, das er vertrug Um erlöst zu werden, so lehrte er, müssen 
wir nur das „Christuswesen" in uns lebendig werden lassen. 
uns- mit janam „königlichem Gsistwillen der Liebe" beseelen, 
den Christus selber dufth sein Leben bezeugt hat. Nnch RitteR 
meyers Meinung hat das Christentum bisher in dieser Hinsicht 
versagt. ^M'der üblichen christlichen GoAesseÄen seien darum 
Lebensfei ern einMsühren, bei denen die Menschen un- 
mAtÄbar das Christus-Ich in sich ausnehmen — wie diese 
Lebensseiern zu denken sind, darüber siel kein Wort —, auch 
gelte es, das Christentum von jenem EgOisnnrs zu besioeien, 
der nur nach Erlösung des Einzelnen strebt und statt dessen 
ein Ehristenchum aufzürichtem das die Erlösung der ganzen 
Welt zum Ziele hat. Erne besondere Aufgabe inner^lb 
dieses ZuIunstschristentums fällt nach> MttelmeyLL den Ger 
-narren zu. Sie, die gleicherweise zum Geist emporstveben,! 
wie zur Natur hi-nstveben, werden im Zeichen des neuen RM-Äl- 
meyerschen ChnistenÄums das zu vollbringen haben, was bis 
her leider weder Goethe noch Hegel! gelungen ist: die Geist-' 
-L _ <.— --- 
Geistes. In diesem Zusammenhang wies der Redner auch 
auf das Elend der modernen Natnrwissenschast hin, und deutete 
an, daß bck rechter Fragestellung einK andere, aufschlutzreichere 
Art der NaLnverkenntnis als die henke gewohnte sehr Wohl mög 
lich sei. 
Abgesehen von der Verworrenheit dieser Erlösnngsbolschaft 
war am meisten M bedauern, dass Rittelmeyer in seinem gan 
zen Werbevortrag seine innigen Beziehungen Zur Steiner 
scheu Anthroposophie und so manches andere noch 
geradezu ängstlich verschwieg. Geschah es wirklich nicht am 
^DiplomaNe", daß er nirgends klär und offen sein astthropo- 
sophisch Lurchffejuchtes Christentum bei dem rechten Namen 
nannte? Viel eher hatte man das Gefühl, d<ch er durch solches 
Verschweigen nicht von vornherein empfängliche Gemüter zu 
rückschrecken wollte, die etwa an der Herkunft seiner Lehre aus 
der inzwischen glücklicherweise etwas weniger geräuschvoll auf- 
trsteNd'Ln „«Mthroposophisch mÄEniiertSN Gsisteswiffenschasi" 
hätten Anstoß WechEn können. Dabei waren die Verbindungs- 
fädM Zur AnLHropos^Me siür den Eingeweihten recht deutlich 
zu erkennen. Rittelmehem Auffassung vom „Christuswesen", 
Mne sehr gWWM gefärbte Lehre von der Vereinigung der 
Menschen^ mit dem „ Christenwesen", seine irrige Meinung, de 
Sammlung von Werken Goethes. Man findet w a. die unge 
wöhnlich seltene erste Ausgabe der Werke Goethes vor, die 1775 in 
Biel in der Heilmannischen Buchhandlung erschienen ist und den 
„Werther", den „GZtz* und den „Clavigo^ umfaßt; ferner die 
achtMrdige Gsschensche Ausgabe von 1787 bis 1790, die erste, recht 
mäßige Sammlung seiner Werke; weiterhin die sieben Bände 
„Neue Schriften" bei Unger (1792 bis 13)0). ein vollständiges 
Exemplar der Eottaschen Ausgabe letzter Hand (1827 bis 1842) und 
ein 139 Bände zählendes Exemplar der Sophien-Ausgabe in großem 
Format und in OriginalemLändem Daneben ist eine Reihe seltenster 
Einzeldrucke vorhanden: so der Mrief des Pastors^ (1773), die 
erste Ausgabe von „Elaudine von Villa Vella^ (1776), zu der wie 
bekannt die Handschriften fehlen, eine äußerst rare Sonderausgabe 
der ^Gesänge" zu „Claudius von Villa Bella", die erste Ausgabe 
von „Egmom" usw. Auch der „Fauste (einschließlich einer reich 
haltigen ^FausL^-Literatur), ist in den verschiedensten Drucken, Be- 
arüeitungeu und Uebersetzungen vertreten. Genannt seien außer 
dem noch der Erstdruck der Satire „Götter. Helden und Meland" 
<1774), oie erste Auflage des „Götz" von Goethe und Merck 1773 im 
Selbstverlag herausgegsben, sowie die zu Frankfurt in der Eichsn- 
Lsrgschen Buchhandlung verlegte zweite Auflage und die dritte Auf 
lage, die sog. „AechLe Ausgabe", bei Göschen im Jahre 1787 er 
schienen; dann die beiden ersten Werthsr-Drucke, die erste Ausgabe 
des „Römischen Carneval", der ^Stelle", des ^West-Oestlichen D'i- 
vaw' und manche anders Seltenheiten- Dem weitgespannten Nah 
men fügt sich eins Sammlung von Goetheschen Einblatt-Drucken, 
PrivaL-Drucken W festlichen Gelegenheiten und Publikationen seines 
Kreises zu den Geburtstagen und Jubiläen ein. Daß die Brief 
wechsel nicht fehlen, versteht sich leicht. 
DlL Schiller- Literatur reiht sich wKrdig an. Von unschätz- 
Harem Werts ist hier Zumal die fast vollständige Sammlung aller 
MZubsr^-Msgaben, ^ginnend mit der erstem; Ausgabe von 1781 
Mranffurt und LsipZig), die bi^ 2m: seltensten Bücher der deut 
schen Literatur ist. Eine Reihe von kostbaren Erstausgaben ferner ' 
Schriften schließt sich an, darunter der „VenuZwagen" (1781), 
der „Versuch über den Zusammenhang der tierischen Natur des 
NLmschen mit seiner geistigen". ^Wallenstein", ^FieZco^ ^Wilhelm! 
Tell" usw. Auch liegt ein komplettes Exemplar der Zeitschrift 
„Thalia? rmt ihrer Fortsetzung Thalia, sowie Wem Vor ¬ 
läufer ^Rheinische Lhalio/ vor. 
VvA Stürmern und Drän gern sind Kling er, H C. 
Wagner, Lenz und Bürger mit Erstausgaben gut vertreten. 
Sehr reichhaltig ist 'die Sammlung der N o m ant i? e r. So 
tritt Arnim auf mit einem schönen Exemplar der Romantiker-! 
Zeitschrift „TröstLinsamkeit" (1808) und der ersten Ausgabe 
von „Des LknaLen Munderhsrn^ (1806—08); Brentano mit 
der seltenen Geschichte von ^Bogs dem Uhrmacher" (1807), die 
in Gemeinschaft mit Görres herausgegeben wurde, und mit „Gockel, 
Hinkel und Gackeleia^ (1838, Erstausgabe). Von Hölderlin 
sieht man den Erstdruck des „Hyperion" (1797—1799), der auch in 
der Zweiten Auflage von 1822 vorhanden ist, und die ^Trauerspiele 
des Sophokles^ (in Frankfurt 1804 erschiene) — beide Werke 
große Seltenheiten der Romantiker-Literatur. Kleist als aus 
erwählter Liebling Erich Schmidts ist besonders gut vertreten. 
Da stößt man auf eine Rarität wie die Erstausgabe der „Familie 
Schroffenstein* (in Bern und Zürich erschienen), ferner findet sich 
die erste Ausgabe des „KäthHen von Hsilbronn^ (Berlin, 1810), 
der ^Penthefilea (1808), des „Zerbrochenen Krugs-" usw., nicht! 
Zuletzt ein Exemplar der mit Adam Müller heraus gegebenen Zeit 
schrift ^Phobus^ (1808) G T. A. H offmann erscheint mit 
einem hübschen Exemplar der „Gesammelten Werke" mit dm 
Hosemannschm Bildern in Halbfranzbänden der Zeit. Vorhanoen 
ist auch die erste Sammlung seiner Werke aus den Jahren 1827 
bis 1839, sowie eine Anzahl von Erstausgaben, darunter das sehr 
gesuchte Bündchen „Kindermärchen", das er im Verein mit Csn- 
Lessa und M la Mstte-FouquS mit Bildern nach eigenen Zeich- 
nungsrr herauZgegeben hat. 
Von LessLng ist vor allem die erste SeseArrtEsgaLe feiner 
Schriften zu nennen (17ö3 bis 1753) und die große Reihe der Erst 
drucke, die Perlen wie die erste AusgaLs des und des 
str Herrn S. G. Lange" enthält. Außerdem begeg 
net man einer ansehnlichen. Literatur über LeMg. 
Für Heine gilt das Gleiche, auch er ist mit Einzelausgaben 
mrd gesa-melten Werken reichlich vertreten. 
ALgefehsn von den Klassikern umfaßt die Bibliothek noch die 
Dichter des 19. Jahrhunderts in weviDrÄen Einzeldrucken und Ge- 
'mntEZgaöen; hmgewiesen fei nur auf Fontäne, HebLel, 
Stifter, Stsrm usw., von denen zum größten Teil auch die 
Erstausgaben vorliegend Vervollständigt wird die Sammlung durch 
die frühen, schr seltenen Jahrgänge der ^Fredm Bühne" (der ietzi- 
gen „Neuen Rundschau^) und eine Anzahl moderner Zeitschriften. 
Der gründliche Katalog der über 2106 Nummern mrHählt, 
ist mit einem übersichtlichen Vorwort von Privatdozent Dr. Karl 
ViLtor versehen. Erwähnt mag noch werden, daß gleichzeitig 
mit der Bibliothek eine Handzeichnung von Goethe aus 
dem Besitz Bettina w Armin, später Joseph Joachims, versteigert 
wird. - ___ ^r-.
	        
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