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Full text: H:Kracauer, Siegfried/01.03/Klebemappe 1923 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

f^ceLr^ 
g^gen der Parole l^r^ pour llart, dem üb ergreifenden Gesamt 
leben angehöre, aus dem es hervargegangen sei. Von dem Kunst 
werk unterscheidet sich im übrigen nach Simmel Las gelebte Leben 
vor allein darin, daß es immer wieder, alle Harmonien auflösend, 
seine selbstgesetzten Grenzen überschreitet; und es ist nur, so zeigt 
er in einem weiteren, zu Vergleichen mit Bergsons Schrift: „Le 
rire" herausfordernden Essay, die besonders Aufgabe einer eM- 
nen Kunstgattung, nämlich der Karikatur, durch einseitige Ueber 
treibungen und Verzerrungen den Menschen als solchen metaphysi 
schen Grenzverletzer nachdrücklich zu kennzeichnen. 
Eine kritische Erörterung der Lebensanschauung Simmels hier 
anzuknüpftn, wäre gewiß verlockend. Indessen mag in diesem Zu 
sammenhang ein kurzer Hinweis auf den eigentlichen Grund ge 
nügen, der ihn zu seinem steten Hinübergleiten in die ästhetische 
Sphäre drangt. Da er das Jdeenhafte, trotzdem er ihm einen hohen 
Selbständigkeitsgrad zubilligt, am Ende doch zu einer Funktion 
des plan hinfließenden, eindimensionalen Lebens macht, bleibt ihm 
der Zugang zu dem Ewigen — oder wie sonst man das heißen 
will, was dem Leben schlechthin übergeordnet ist — notwendig der- 
wehrt. Nun sucht er aber einen Einklang zwischen Leben und 
Form. In dem nur so gelebten Leben kann er ihn begreiflicher 
weise nicht finden, und zu dem auf das Ewige ausgerichteten Leben 
der Wirklichkeit, in dem er eigentlich Zu suchen, wenn auch viel 
leicht nur zu suchen wäre, fehlt ihm der Zugang. Daher muß er 
sich schon aus dem gelebten Leben heraus in das Gebiet des Aesthe- 
tilchen begeben. u« jener nicht auf Begriffe gegründeten, son 
dern wesentlich irrationalen Einheit habhaft zu werden. Einzig 
das Kunstwerk bietet ihm diese ersehnte Einheit der metaphysischen 
Gegensätze dar, seine Scheinwirklichkeit wird ihm zum Ersatz für' 
die echte Dirklichkeit des Lebens, die, wenn sie überhaupt in seinen 
Blickkreis getreten wäre, ihn wohl Zu anderen Fragen und anderen! 
Mtworten MSW Wk Dr. S. KrscMek. I 
-- MlLine Mitteilungen^ Dr. S. Friedländer, der 
Verfasser vsrichredener philosophischer Werke und einer Reihe unter 
dem Pseudonym Mynona erschienener Grotesken hat letzt den Ent 
wurf eines Katechismus: „Kant für Kinde r" an gefertigt, 
i^r dM Grundlage für die ethische Unterweisung in der 
AN* soll. E der Einführung Mes solchen an Kants 
MW anknupfMdei^ obligatonM-m M o r'alu n t err i ch t s der 
neben dem RelMnsunterricht gepflegt werden mag, verspricht sich 
v.r ^erf^cr ^ftame-erz-ieherLsche Wirkungen. Der Entwurf liegt' 
-uranuskript dem Reichsminstterimn des Innern zur 
S!sNservrd«elen-Ler!ammIiing. 
Sitzung vom 5. Juli 1823. 
Zu Beginn der vom Vorsitzenden Hopf geleiteten Sitzung 
wurden verschiedene Vorlagen des Magistrats ohne Diskussion 
erledigt. 
Erw eröslosenfürsorge. 
Stadtv. Cräme^ (Ssz.) begründete als Berichterstatter 
folgenden Antrag das Sozialpolitischen Ausschusses: 
„Der SozialPolNsch-L Ausschuß beantragt, die Stadtveror^- 
not en - Vers a mmlun g wolle beschließen, den Magistrat W Er 
suchen, erstens bet oer Rei chs re gieruK g vorstellig zu wer 
den mit dem Anträge 1. auf sofortige Erhöhung der Erwerbs- 
losen-Unterstützungssätze, da diese trotz der am 26. Juni d. Js. 
erfolgten Erhöhung nicht ausreichend sind; 2. die Erwerbslosem 
Unterstützungssätze laufend der Geldentwertung anzupassen; 
zweitens "das Wohlfahrtsamt zu ermächtigen und ihm 
entsprechende Anweisung zu geben, den ledigen und verheirate 
ten Erwerbslosen zu den Reichssätzen nach individueller Prü 
fung in Fällen der Bedürftigkeit Zusatzunterstützungen in bar 
oder Sachbezügen zu gewähren; ferner das städtische Gas 
werk und die Frankfurter Gasgesellschaft zu ersuchen, 
ihre Bezugsscheine auf Kubikmeter und Geldbetrag auszustellen; 
sowie zu prüfen, in welcher Form den Erwerbslosen wie auch 
anderen Bedürftigen der Eintritt in die städtischen Museen 
unentgeltlich ermöglicht werden kann; 
drittens die vom 27. Juni 1923 datierte, am 8. Juli 1923 
eingegangene Eingabe der Erwerbslosen im übrigen 
für erledigt zu erklären." Diese Eingabe lautet wie folgt: 
„1 . In Anbetracht der schwierigen Lage der Erwerbslosen 
wird der Antrag gestellt, für Verheiratete 500 000 Mk., für 
Ledige 400090 Mk. W irt schaft s b eihil f e zu zahlen. 
2. Es muß alle acht Tage eine Versammlung stattfinden, um 
zu jeder Frage sofort Stellung zu nehmen., 
3. An dem Tage, an dem eine Erwerbslosen - Ver 
sammlung stattfindet, ist" die Abstempelung der Karten 
rm Versammlungslokal vorzunehmen. 
4. Es ist in Zukunft bei Sonderunterstützung kein 
Unterschied zwischen Ledigen oder Geschlecht zu machen. 
5. Die Gas sch eine sollen nur die Kubikmeterzahl ent 
halten, um bei Gaspreissteigerung die Uwstempelung zu er 
sparen und unnütze Streitereien mit dem Erheber Zu vermeiden. 
5 a) Den Erwerbslosen ist der Zutritt zu där Museen 
sowie Gärten kostenlos zu gestatten. 
6. Den Erwerbslosen ist in Anbetracht der teuren Schuh 
preise auf der Straßenbahn gegen Vorzeigung der Erwerbs 
losenkarte ein Fahrschein zum niedrigsten jeweiligen Tarif 
auszuhändigen, gültig für alle Strecken. 
7. Solange die Erwerbslosenunterstützung nicht die Höhe 
erreicht hat, die dem Lohne eines ständigen städt. Arbeiters 
Georg Simmel: „Zur her Kunst.- 
Eine Reihe von Aufsätzen Georg Simmels, die sich zumeist 
auf das Gebiet der Kunst erstrecken, aber auch vereinzelt philo 
sophische Gegenstände unmittelbar abhandeln, werden von Frau 
Gertrud Simmel in einem Sammelbande (erschienen Lei Gustav 
Kiepenheuer, Potsdam, 1922) vorgelegt. Die Arbeiten, die der 
Zeit von 1895 bis 1918 entstammen und in den anderen Werken 
keine Aufnahme gefunden haben, sind aus einem doppelten Grunde 
sehr lehrreich: einmal spiegeln sie die denkerische Entwicklung 
Simmels von seinen stark am biologischen Pragmatisnms 
orientierten Anfängen an (vergl. hierzu die in dem Band ent 
haltene Studie: „Ueber eine Beziehung der Selektionslehre zur 
Erkenntnistheorie", 1895) bis zur vollen Entfaltung seiner LeLens- 
! Philosophie getreulich wieder, zum andern dienen sie als Zeugnis 
für das stete Streben Simmels, mit Hilfe seiner philosophischen 
Grundeinfichten den Stoff der Welt zu durchdringen und so der 
Erscheinungsoberfläche einen tieferen Sinn abzugewinnen. 
Ein Verständnis der Aufsätze läßt sich am ehesten von Simmels 
Auffassung des „Lebens" her erzielen, die, wenn sie auch eigentlich 
erst in seinem letzten Werk „Lebensanschauung" zur philosophischen 
Reife gedieh, doch schon von jeher in ihm angelegt war und im 
Laufe der Zeit in mancherlei Hüllen und trmrm VMi 
neuem nach abschlußhaftem Ausdruck gesucht hatte. Der Begriff des 
„Lebens" scheint dem Denker das zu geben, was die formalen 
Systeme des Transzendentalidealismus nimmermehr zu geben ver 
mögen: die ganze konkrete Wirklichkeit scheint ihm in diesen Begriff 
einzugehen. Sein Wissen um das Unvermögen der Rati, mit ihren 
selbsterzeugten Begriffsabstrakta sich der Wirklichkeit zu bemächtigen, 
führt ihn, ähnlich wie vor ihm schon Nietzsche, zum Irrationalis 
mus der Lebensphilosophie, d. h. er identifiziert die Wirklichkeit 
nicht mit einem aus der Immanenz des Denkens heruorgegangenen 
Vernunftprinzip, sondern mit dem in keinerlei Begriffe einzwäng- 
baren „Leben" selber, dem sämtliche Gebilde durchströmenden und 
stets auf seine Steigerung, auf „Mehr-Leben" bedachten Leben, 
das alle Begriffe, auch die scheinbar so selbstherrlichen Vsrnunft- 
prinzipien, erst aus sich heraus erzeuge. Aus einem dem Buche ein- 
verleibten Aufsatz über Henri Bergson (1914) geht deutlich 
hervor, bis zu welchem Grade er mit der Lebensmetaphysik des 
französischen Denkers übereinstimmt, wie er gleich ihm alles Fest 
gewordene, und so nicht zuletzt die Tätigkeit des Denkens, Begriffe 
und Ideen, als ein Produkt des Lebens, als etwas Sekundäres 
demnach, begreift. Freilich zieht er in eben diesem Aufsatz auch 
den entscheidenden Trennungsstrich zwischen sich und Bergson. — 
weist er doch andeutend auf die Paradoxie hin, daß das Leben sich 
nicht nur, wie Bergson meint, in dem Fließen und Strömen er 
schöpfe, sondern sich auch in jenen festen Begriffen und Ideen 
manifestiere, die es aus sich entläßt und von denen es dann für 
kürzere oder längere Zeit umgrenzt, überhöht und sinnvoll gemacht 
wird, daß es, mit andern Worten, nicht „Leben" allein vielmehr gleich 
sehr „Mehr-als-Leben", d. h. Form und Festigkeit sein müsse. 
Die Kluft zwischen sinnleerem Leben und sinngebender Form: 
das ist das dauernde, immer neu variierte Thema Simmels, und 
seine Lebensphilosophie in ihrer letzten Phase ist nur der ver 
zweifelte, weil von vornherein Zum Scheitern verurteilte Versuch, 
diese Urdualität durch einen paradoxen Begriff des Lebens theo 
retisch doch noch zu überwinden. Die ganze Welt wird ihm Zu einer 
Abwandlung des einen Themas, alle konkreten Erscheinungen und 
Vorgänge sind ihm Gleichnisse für die mannigfachen Stadien, dkr 
das Verhältnis zwischen Leben und Gebilde, angefangen von dem 
Hervorbrechen des Gebildes aus dem Leben bis zu seiner Ver- 
selbständigung, Erstarrung und Wiederauflösung in das Leben, 
durchlaufen kann. Der rechtmäßige Einklang von Form und Leben 
aber scheint ihm nur in der ästhetischen Sphäre erreicht: 
daher der besondere Symbolwert, den für Simmel das Kunstwerk 
und das in seiner Totalität angeschaute, als Kunstwerk sich dar 
bietende Individuum erlangt. 
Die kunstphilosophischen Aufsätze gelten durchweg dem Ausweis 
verschiedenartiger Erfüllungsmöglichkeiten der Beziehung zwischen 
dem Leben und der Form. Da wird z. B. der Bild rahmen einer 
subtilen, allzu subtilen Deutung unterzogen; er versinnlicht nach 
Simmel die innere Einheit des von ihm umfangenen Gemäldes, 
grenzt das die Gegensätze harmonisch zusammenbindende ästhetische 
Gebilde ab von der realen Welt mit ihrer untilgbaren Spannung. 
Das Kunstwerk selber mag nun mancherlei Arten von Einheit ver 
wirklichen. In dem „Abendmahl" Lionardos etwa findet Simmel 
die organische Einheit individuell, verschiedener, gleichberechtigter 
Persönlichkeiten dargestellt, begegnet hier also der ästhetischen Lösung 
eines Problems, dessen existentielle Bewältigung immer wieder nur 
l anK-strebt Mrdm Lamr. Auch die frühe Lyrik Georges ist ihm 
Symbol einer Harmonie zwischen weit gespannten Gegensätzen, sie 
beugt nach ihm das Leben ganz unter die Formgesetze der Kunst 
und drückt doch ganz das persönliche Leben aus. Umgekehrt liegt 
der Fall, wie Simmel in seiner Studie über das Porträt nach- 
weist, bei Rembrandt, in dessen Bildern nicht die Form das Leben 
bestimmt, sondern das zur vollkommenen SeelenhastiM gesammelte 
Leben ordnendes Gesetz der Geflchtszüge wird. Sehr schön und 
geistreich sind die Aufsätze über einige italienische Städte, 
die Simmel als Sinnbilder eigentümlicher ästhetischer Einheiten be 
greift und ebenfalls gleichnishast ausdeutet. Florenz tritt ihm als 
Einheit von Natur und Geist entgegen, Rom bietet sich ihm als 
Inbegriff polar auseinander getretener Stile, Zeiten und Persön 
lichkeiten dar, die hier Zur geschlossenen Einheit verwoben und ganz 
Gegenwart geworden sind, und Venedig, für das er überraschend 
glückliche Wendungen findet, nennt er eine lügenhafte Schönheit 
der Maske, eine künstliche Stadt, deren längst entwichene Lebens 
substanz nur noch scheinhaft an der Oberfläche sich spiegele. Die 
Frage, wie sich das ästhetische Gebilde, das in allen diesen Studien 
mögliche Gleichungen und Ungleichungen zwischen den meta 
physischen Grundprinzipien des Lebens und der Form symbolisiert, 
Nun zu dem gelobten Leben selber verhalte, wird in einem Aufsatz 
pour llart" ganz im Sinne der Simmelsch^n Lebensphilo 
sophie dahin beantwortet, daß das KunMuerk, obwohl es ein 
durchaus sMtgenügsameZ Ganze darstelle^ doch auch stets ent-
	        
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