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Full text: H:Kracauer, Siegfried/01.03/Klebemappe 1923 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

--- In den Olympia-Lichtspielen geht „Othello", ein Film 
der. Worner-Gesellschaft, über die Szene. Ausstattung, Regie 
und schauspielerische Leistungen beeindrucken stark und entschädigen 
dafür, daß es sich auch bei diesem Film wieder wie bei so vielen 
der letzten Zeit um die „Bearbeitung" eines Dichtwerke^ handelt, 
das sich nur sehr unzureichend in die Filmsprache übersetzen laßt, 
^annings spielt den Othello dumpf-befangen und schwerbeweglich, 
beinahe als Tier, das einsam in seinen Instinkten lebt, kaum 
Een Zugang zur Außenwelt hat und nur jäb auffährt, wenn 
es aus seiner Bahn gestoßen wird. Ein Meisterstück der Charak 
teristik ist der Jago van Werner Kraust: das Lachen unsagbar 
frech, die Fratze leer und schlau, Gesten und Gang intrigantenhast, 
die ganze Gestalt eine Verkörperung der Gemeinheit. Auch die 
anderen Darsteller halten sich auf der Höhe. — Fattps um- 
glaubwürdige Körperfülle tanzen zu sehen, ist ein reiner Genuß. 
In einem zweiaktigen Lustspiel produziert er sich wieder auf die 
bekannte Weiss, allen Gesetzen der Statik zum Hohn. Ein Glück, 
daß seine Korpulenz stets moralischen Zwecken dienstbar gemacht 
wird, sie könnte sonst unsere sowieso schon fragwi'rrdige Weltord 
nung vollendG Zerstören. Als Retter in höchster Not befreit das 
Ungetüm das geliebte Mädchen aus einer mit Recht übelbelem 
mundsten Kneipe «nd führt die Braut, in Ehren heim. r^.— 
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" LürgerUche Literatur."! ES ist auf jeden Fall 
M Zeichen fortschreitender Klaffend ersöhnung, daß die Buchhand 
lung einer bekannteren soziMemokMischen Zeitung in ihrem ^n- 
seratenM jüngst „Parteiliteratur aller Art sowie gute bürgerlrche 
Literatur" empfohlen hat. Nur freilich bleibt zu erraten, was 
ünter solcher Literatur zu verstehen sei. Mancherlei Kombinationen 
sind denkbar. Zunächst möchte man annehmen, daß jene Kategorie 
Mrarische Erzeugnisse meine, die im Gegensatz zur sozialistischen 
-Parteiliteratur aller Art" unmittelbarer Ausdruck spezifisch bür 
gerlicher Gesinnung sind. Da es aber allzu unwahrscheinlich ist, daß 
em GsnMe — uM^chÄnRe WeitherziMit sMsi 
l zu dem Schluß gedrängt, die inserierende Buchhandlung osaLsich- 
tige, als „gute bürgerliche Literatur" einfach Goethe, Schiller und 
andere Klassiker zu Verkaufes Auch dies muß indessE ein Fehl 
schluß sein. Denn wie sollte man wohl voraussetzen dürfen, 
daß ein noch so radikaler LiLeraturverstandiger die Werke der gro 
ßen Dichter, ihrer Menschheitsbedeutung uneingedenk. schnöde und 
! schlechthin in das Gefach „bürgerliche Literatur" einsteM So 
fleht alles danach aus, als sei die aufregend-geheimnisvolle Kate 
gorie in genauer Analogie zu dem Begriff „gute bürgerliche Kost" 
gebildet. Geholfen wäre freilich mit dem Ausweis dieser gewiß 
einleuchtenden Parallele nur, wenn man zugleich in Erfahrung 
bringen könnte, welche Art. von literarifcher Nahrung nun eigentlich 
den kulinarischen Genüssen der bürgerlichen Küche entsprechen soll. 
Wird das Gewicht mehr auf den Nährwert oder auf «eine geschmack 
lich gute Zubereitung gelegt? Doch gleichviel! Wenn die von der 
Buchhandlung angewiesene „gute bürgerlrche Literatur" sich nur. 
auf der Höhe der früheren bürgerlichen Küche hält, darf man 
schon Zufrieden fein.
	        
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