Sie NsSiage des ArchüekleWmSes.
Mehr als irgend ein anderer der freien geistigen Berufe
hat der deutsche Architektenstand unter den Folgen
des Kriegs zu leiden. Die Wohnungsbautätigkeit liegt aus
sattsam bekannten Gründen D gut wie ganz darnieder, und
die Erweiterung oder Neuerrichtung industrieller Anlagen
wird jetzt nicht nur sehr eingeschränkt, sondern überdies in
steigendem Maße den eigens zu ihrer Durchführung geschaffe
nen Baubüros der industriellen Werke selber übertragen- Am
besten ergeht es den Privatarchitekten noch verhältnismäßig
iw besetzten Gebiet, wo sie an den Aufträgen für die
zahlreichen, durch die Besatzungsarmee angeforderten Bauten
beteiligt werden. Freilich bleiben auch hier manche berechtigte
Wünsch unerfüllt, da die von dem Reichsschatzminister befür
wortete Hinzuziehung von Privatarchitekten häufig genug an
dem Widerstand der unteren Baubehörden (der früheren Mili-
Lärbauämter usw.) scheitert, die sich beeinträchtigt füllen.
Die selbstverständliche Folge dieser trostlosen Zustände, die
nachgerade sich mehr und mehr Zu verfestigen scheinen, ist das
Eingehen einer Unmenge von Architektur-ateliers- Aber auch
die Lage der wenigen Büros, die sich noch halten können, wird
immer schwieriger. Sie sind ihrer Natur nach (ebenso wie die
Mchtsanwaltsbüw z. B ) selbständige Kleinbe
triebe, deren finanzielle Leistungskraft ganz von der Art
und Zahl der durch sie zu erledigenden Aufträge abhängt und,
zumal heute, den größten Schwankungen unterliegt Ihre hier
durch bewirkte wirtschaftliche Schwächung setzt sie aber in
einer Mehrzahl von Fällen außerstande, dem Bedangen nach
tarifarischer Entlohnung ihrer Angestellten auf die
Dauer zu entsprechen. Nicht äs ob ein solches Verlangen an
sich unbillig wäre; es paßt sich nur der besonderen Art von
Betrieben, die rein auf Qualitätsarbeit beruhen und in der
Regel ganz wenige Angestellte beschäftigen, schlecht an, bedroh:
sie mit einer ihnen unzuträglichen Mechanisierung und kann
jedenfalls von ihnen in so labilen Zeiten wie den unsrigen
kaum befriedigt werden Sucht man ihm doch nachzukom-
men, so geschieht das oft notgedrungen auf Kosten des künst- -
lerischen Wertes der Arbeit, da man, um die Gehälter aufzu-
Lringen, naturgemäß nach möglichst praktischer und intensiver
Ausnutzung der Arbeitszeit trachten nmß. Der Architekt sieht
sich so wider Willen gezwungen, statt des künstlerischen Stand
punkts den kaufmännischen ins Vordertreffen zu rücken, weil
anders er überhaupt nicht mehr zu existieren vermöchte. Mei-
ben Her, wie jetzt nahezu, überall, die großen Aufträge ganz
aus. dann hört das Büro sofort auf, sich zu rentieren und
kommt zur Entlastung der Angestellten, die früher wohl auch
in den mageren Jahren miternährt werden können, Die heute
dem Architekten etwa zufließende Kleinarbeit ist ja gewöhn
lich ohne fremde Unterstützung zu bewältigen, und wo man
ihrer doch bedarf, da hilft man sich eben gegenseitig aus.
Kündigungen der Angestellten sind jetzt an der Tagesord
nung, sie werden aus Kassel, Dresden und einer Reihe anderer
deutscher Städte gemeldet. Besonders schlimm hat sich die
Lage der Architekten in Frankfurt gestaltet. Von 54 dem
B. D. A. („Bund deut'cher Architekten") angeschlossemn
Architekten sind hier höchstens acht bis zehn regulär beschäftigt,
und wer weiß, auf wie lange noch.
Diese Situation hat begreiflicherweise vielfach zum Be
rufswechsel gezwungen. Wenn nur die minder tüchtigen
Kräfte ihn vornähmen, so wäre das im Interesse des Standes
gewiß k<ün Schaden, Nun trifft aber beim Architekten bau
künstlerische Begabung ziemlich selten mit jenen Qualitäten
zusammen, die zur Selbstbehauptung im wirtschaftlichen Exi
stenzkampf befähigen, und es sind darum nicht immer die
Schlechtesten, die heute die Waffen strecken müssen Manches
geschieht ja wohl, um ihnen den Berufsübergang zu erleichtern
Die badische Regierung z. B. hat, dem Vernehmen nach. die
Behörden angewiesen, erwerbslose Architekten gleich den not
leidenden Angehörigen anderer freier geistiger Berufe in^die
Verwaltung zu übernehmen, und auch in Preußen werden ähn
liche Maßnahmen erwogen. Zahlreiche Architekten haben sich
der Industrie zugewandt und betätigen sich etwa als Vertreter
industrieller Flynen. Wieder andere, besonders die zumeist
noch jüngeren Angestellten, sind kurz entschlossen Bankbeamte
geworden oder versuchen, in irgend einem kaufmännischen Be ¬
rufe Fuß zu fassen.
Eine unmittelbare Auswirkung der materiellen Zwangs
lage, in der sich die Architektenschaft heute befindet, ist nicht
zuletzt der Mangel an geeignetem Nachwuchs. Die Architek
tur-Abteilungen der Technischen Hochschulen, die vor dem Krieg
sich in München, Dresden, Darmstadt usw. eines äußerst regen
Zuspruchs erfreuten, sind schon seit Jahren schlecht besucht,
ganz im Gegensatz zu allen anderen Abteilungen, deren Be-
ftrcherzahl beträchtlich zugenommen Hat. Man muß sich eben
nach den Umständen richten und wählt, selbst bei vorhandener
Begabung, nickt leicht einen Beruf, der so wenig Aussichten^
für die Zukunft bietet. Dieses allmähliche Äussterben des Nach
wuchses ist aber ganz dazu angetan, nachdenklich' zu stimmen.
Denn kommt einmal über Nacht die Zeit zunehmender Bau
tätigkeit — und sie kann schließlich nicht für immer ausbleiben
— so fehlt es allenthalben an Kräften, und man wird an
Pfuscher Arbeiten vergeben müssen, die nur wirklich gediegenen
Künstlern anvertraut werden sollten. Im Bauhandwer? ist es,
nebenbei bemerkt, nickt besser bestellt. Viele Maurer z. B. sind f
s längst in andere Berufe abgewandert und mit dem Nachwuchs'
steht es auch hier kümmerlich aus.
So ungefähr ist die Situation heute beschaffen, mÄ die
Frage steigt auf, was Zu ihrem Wandel geschehen kann. Vor
allem erscheint es notwendig, die allgemeine Aufmerksamkeit
mehr Äs bis-her auf die Besonderheiten eines Standes zu
lenken, der in freier Tätigkeit Werke um Werke hinstellt, die
nicht wie andere Schöpfungen mit dem Tage vergehen, sondern
der ganzen Zeit ihren Stempel aufzudrücken vermögen. Es ist
zum mindesten merkwürdig, daß in der Öffentlichkeit, die sich
ja überhaupt mit Fragen der Baukunst wenig befaßt, kein scharf
umrifsenes Bild vom Architekten lebt, daß man sich über
die Eigentümlichkeiten und spezifischen Bedürfnisse des
Architekt enberufes im allgemeinen kaum Gedanken
zu niachen pflegt. Vielleicht sind die Architekten selber nicht so
unschuldig an dieser ihrer Vernachlässigung durch das öffentliche
Bewußtsein. Sie reden nur ungern von sich und ihrer Tätig
keit, verstehen sich schlecht darauf, Reklame zu wachen und ihre
Kunst anzupreisen und fühlen sich entschieden am wohlsten,
wenn sie am Zeichentisch sitzen, oder unmittelbar von der Sache
zeugen können, die sie ganz erfüllt. Sie sind nicht Ho sehr, wie
der Kaufmann etwa, Vermittler zwischen den Dingen, sondern
denken in den Dingen selber und mühen sich um deren Gestal
tung, ihre Tätigkeit stiftet nicht unmittelbar Beziehungen Zwi
schen den Menschen, sondern erstreckt sich auf die Schöpfung der
Räume, in denen die Menschen leben, und stellt die Beziehun
gen her, die zwischen Raum und Raum sich als notwendig er-
j weisen. Aus diesem ihrem Befangensein in der räumlichen §
Anschauung erklärt es sich wohl am ehesten, daß sie im allge
meinen so stumm über sich und ihr Wirken sind, und als Stand
sich so wenig Beachtung zu schaffen verstehen. Wer weiß denn
etwas von dem inneren Wesensge etz des Architekten, wie viele
haben sich Rechenschaft abgelegt darüber, welche Fülle von
Eigenschaften Zusammentreffen und zur Einheit verwachsen
muß, damit ein tüchtiger Baukünstler erstehe? Es ist ja nicht
allein die Fähigkeit, auf dem Papier schöne Projekte zu er
sinnen, die den Architekten zuw Architekten macht. Hinzukom
men muß die Gabe der Einfühlung in die jeweiligen praktischen
Erfordernisse eines Bauwerkes, die dem Bauherrn selber oft
nur recht rmffar vorschweben, und die Kraft, das praktisch
Geforderte w zu verarbeitendes künstlerisch so ganz Zu durch
dringen, daß das an einem bestimmten Ort und für einen be
stimmten Zweck geschaffene Werk zuletzt in seiner Notwendigkeit
unbedingt überzeugt. Zur Erreichung solchen Ziels gehört aber i
auch die Beherrschung des Tecknischen, Organisationstalent,
das viele Menschen und Interessen in den Dienst eines über
ragenden Gedankens zu stellen vermag, genaue Kenntnis der
einschlägigen juristischen Fragen, Sicherheit im Verkehr mit
den verschisdenartiM Menschengattungen und Berufszwei
gen usw. Daß schließlich umfassende Bildung und fein ent
wickelter Geschmack unentbehrliche Voraussetzungen für den
Architektenberuf sind, versteht sich wohl ohne weiteres Es sind,
wie man sieht, sebr heterogene Eigenschaften, die in der Person
des Architekten Zusammenströmsn müssen, und man mag üch
leicht vorstsllen, welch langer, mühseliger Prozeß Zu durchlaufen
ist, um sie alle Zu erwecken und in Einklang miteinander zu
bringen.
Zeiten unfreiwilliger Muße sind immer auch Zeiten der
Vorbereitung und der Sammlung. Die ArchitektemM als
freier Beruf zum großen Teil auf Selbsthilfe angewiesen,
wird heute vor allem nach Klärung ihres Berufsideals und
nach Sicherung der 'ozislen Geltung ihres Standes zu
trachten haben. Manches ist nach dieser Richtung hin im
Gang Der B. D. A. als stärkste Organisation der Privai-
architektmschaft, setzt sich u. a. schon lange für eine zeitgemäße
Reform des Architekturstudiums an den Technischen Hoch-
chicken ein und erstrebt die Schaffung von Architekten
kammern, die, hierin den Kammern der Aerzte und Rechts
anwälte verwandt, dem Architekten bestimmte, öffentlich an
erkannte Befugnisse zusrteilen, seinen Titel schützen und seine
Funktionen ab grenzen sollen von den Funktionen der Nachbar
berufs, mit denen sie heute noch, meistens zum Schaden der
Architekten, vielfach vermengt werden. Das ist eine Politik
auf weite Sicht, aber die jetzige Wartezeit ist vielleicht' be
sonders geeignet dazu, alle Kräfte auf sie zu konzentrieren.
Schwerer, ja beinahe unmöglich wird es für die Architekten-
fchaft sein, von sich aus Mittel zu finden, die ihr das materielle
Durchhalten gestatten. Es ließe sich allenfalls daran denken,
daß der B. D, A. sich immer wehr zu einer Notgsmein-,
fchaft ausbaute, die in den Grundzügen der vom Reichskunst-
wart Dr. Re dslob im vorigen Jahr ins Leben gerufenen