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Metadata: H:Kracauer, Siegfried/01.03/Klebemappe 1923 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

Sie NsSiage des ArchüekleWmSes. 
Mehr als irgend ein anderer der freien geistigen Berufe 
hat der deutsche Architektenstand unter den Folgen 
des Kriegs zu leiden. Die Wohnungsbautätigkeit liegt aus 
sattsam bekannten Gründen D gut wie ganz darnieder, und 
die Erweiterung oder Neuerrichtung industrieller Anlagen 
wird jetzt nicht nur sehr eingeschränkt, sondern überdies in 
steigendem Maße den eigens zu ihrer Durchführung geschaffe 
nen Baubüros der industriellen Werke selber übertragen- Am 
besten ergeht es den Privatarchitekten noch verhältnismäßig 
iw besetzten Gebiet, wo sie an den Aufträgen für die 
zahlreichen, durch die Besatzungsarmee angeforderten Bauten 
beteiligt werden. Freilich bleiben auch hier manche berechtigte 
Wünsch unerfüllt, da die von dem Reichsschatzminister befür 
wortete Hinzuziehung von Privatarchitekten häufig genug an 
dem Widerstand der unteren Baubehörden (der früheren Mili- 
Lärbauämter usw.) scheitert, die sich beeinträchtigt füllen. 
Die selbstverständliche Folge dieser trostlosen Zustände, die 
nachgerade sich mehr und mehr Zu verfestigen scheinen, ist das 
Eingehen einer Unmenge von Architektur-ateliers- Aber auch 
die Lage der wenigen Büros, die sich noch halten können, wird 
immer schwieriger. Sie sind ihrer Natur nach (ebenso wie die 
Mchtsanwaltsbüw z. B ) selbständige Kleinbe 
triebe, deren finanzielle Leistungskraft ganz von der Art 
und Zahl der durch sie zu erledigenden Aufträge abhängt und, 
zumal heute, den größten Schwankungen unterliegt Ihre hier 
durch bewirkte wirtschaftliche Schwächung setzt sie aber in 
einer Mehrzahl von Fällen außerstande, dem Bedangen nach 
tarifarischer Entlohnung ihrer Angestellten auf die 
Dauer zu entsprechen. Nicht äs ob ein solches Verlangen an 
sich unbillig wäre; es paßt sich nur der besonderen Art von 
Betrieben, die rein auf Qualitätsarbeit beruhen und in der 
Regel ganz wenige Angestellte beschäftigen, schlecht an, bedroh: 
sie mit einer ihnen unzuträglichen Mechanisierung und kann 
jedenfalls von ihnen in so labilen Zeiten wie den unsrigen 
kaum befriedigt werden Sucht man ihm doch nachzukom- 
men, so geschieht das oft notgedrungen auf Kosten des künst- - 
lerischen Wertes der Arbeit, da man, um die Gehälter aufzu- 
Lringen, naturgemäß nach möglichst praktischer und intensiver 
Ausnutzung der Arbeitszeit trachten nmß. Der Architekt sieht 
sich so wider Willen gezwungen, statt des künstlerischen Stand 
punkts den kaufmännischen ins Vordertreffen zu rücken, weil 
anders er überhaupt nicht mehr zu existieren vermöchte. Mei- 
ben Her, wie jetzt nahezu, überall, die großen Aufträge ganz 
aus. dann hört das Büro sofort auf, sich zu rentieren und 
kommt zur Entlastung der Angestellten, die früher wohl auch 
in den mageren Jahren miternährt werden können, Die heute 
dem Architekten etwa zufließende Kleinarbeit ist ja gewöhn 
lich ohne fremde Unterstützung zu bewältigen, und wo man 
ihrer doch bedarf, da hilft man sich eben gegenseitig aus. 
Kündigungen der Angestellten sind jetzt an der Tagesord 
nung, sie werden aus Kassel, Dresden und einer Reihe anderer 
deutscher Städte gemeldet. Besonders schlimm hat sich die 
Lage der Architekten in Frankfurt gestaltet. Von 54 dem 
B. D. A. („Bund deut'cher Architekten") angeschlossemn 
Architekten sind hier höchstens acht bis zehn regulär beschäftigt, 
und wer weiß, auf wie lange noch. 
Diese Situation hat begreiflicherweise vielfach zum Be 
rufswechsel gezwungen. Wenn nur die minder tüchtigen 
Kräfte ihn vornähmen, so wäre das im Interesse des Standes 
gewiß k<ün Schaden, Nun trifft aber beim Architekten bau 
künstlerische Begabung ziemlich selten mit jenen Qualitäten 
zusammen, die zur Selbstbehauptung im wirtschaftlichen Exi 
stenzkampf befähigen, und es sind darum nicht immer die 
Schlechtesten, die heute die Waffen strecken müssen Manches 
geschieht ja wohl, um ihnen den Berufsübergang zu erleichtern 
Die badische Regierung z. B. hat, dem Vernehmen nach. die 
Behörden angewiesen, erwerbslose Architekten gleich den not 
leidenden Angehörigen anderer freier geistiger Berufe in^die 
Verwaltung zu übernehmen, und auch in Preußen werden ähn 
liche Maßnahmen erwogen. Zahlreiche Architekten haben sich 
der Industrie zugewandt und betätigen sich etwa als Vertreter 
industrieller Flynen. Wieder andere, besonders die zumeist 
noch jüngeren Angestellten, sind kurz entschlossen Bankbeamte 
geworden oder versuchen, in irgend einem kaufmännischen Be ¬ 
rufe Fuß zu fassen. 
Eine unmittelbare Auswirkung der materiellen Zwangs 
lage, in der sich die Architektenschaft heute befindet, ist nicht 
zuletzt der Mangel an geeignetem Nachwuchs. Die Architek 
tur-Abteilungen der Technischen Hochschulen, die vor dem Krieg 
sich in München, Dresden, Darmstadt usw. eines äußerst regen 
Zuspruchs erfreuten, sind schon seit Jahren schlecht besucht, 
ganz im Gegensatz zu allen anderen Abteilungen, deren Be- 
ftrcherzahl beträchtlich zugenommen Hat. Man muß sich eben 
nach den Umständen richten und wählt, selbst bei vorhandener 
Begabung, nickt leicht einen Beruf, der so wenig Aussichten^ 
für die Zukunft bietet. Dieses allmähliche Äussterben des Nach 
wuchses ist aber ganz dazu angetan, nachdenklich' zu stimmen. 
Denn kommt einmal über Nacht die Zeit zunehmender Bau 
tätigkeit — und sie kann schließlich nicht für immer ausbleiben 
— so fehlt es allenthalben an Kräften, und man wird an 
Pfuscher Arbeiten vergeben müssen, die nur wirklich gediegenen 
Künstlern anvertraut werden sollten. Im Bauhandwer? ist es, 
nebenbei bemerkt, nickt besser bestellt. Viele Maurer z. B. sind f 
s längst in andere Berufe abgewandert und mit dem Nachwuchs' 
steht es auch hier kümmerlich aus. 
So ungefähr ist die Situation heute beschaffen, mÄ die 
Frage steigt auf, was Zu ihrem Wandel geschehen kann. Vor 
allem erscheint es notwendig, die allgemeine Aufmerksamkeit 
mehr Äs bis-her auf die Besonderheiten eines Standes zu 
lenken, der in freier Tätigkeit Werke um Werke hinstellt, die 
nicht wie andere Schöpfungen mit dem Tage vergehen, sondern 
der ganzen Zeit ihren Stempel aufzudrücken vermögen. Es ist 
zum mindesten merkwürdig, daß in der Öffentlichkeit, die sich 
ja überhaupt mit Fragen der Baukunst wenig befaßt, kein scharf 
umrifsenes Bild vom Architekten lebt, daß man sich über 
die Eigentümlichkeiten und spezifischen Bedürfnisse des 
Architekt enberufes im allgemeinen kaum Gedanken 
zu niachen pflegt. Vielleicht sind die Architekten selber nicht so 
unschuldig an dieser ihrer Vernachlässigung durch das öffentliche 
Bewußtsein. Sie reden nur ungern von sich und ihrer Tätig 
keit, verstehen sich schlecht darauf, Reklame zu wachen und ihre 
Kunst anzupreisen und fühlen sich entschieden am wohlsten, 
wenn sie am Zeichentisch sitzen, oder unmittelbar von der Sache 
zeugen können, die sie ganz erfüllt. Sie sind nicht Ho sehr, wie 
der Kaufmann etwa, Vermittler zwischen den Dingen, sondern 
denken in den Dingen selber und mühen sich um deren Gestal 
tung, ihre Tätigkeit stiftet nicht unmittelbar Beziehungen Zwi 
schen den Menschen, sondern erstreckt sich auf die Schöpfung der 
Räume, in denen die Menschen leben, und stellt die Beziehun 
gen her, die zwischen Raum und Raum sich als notwendig er- 
j weisen. Aus diesem ihrem Befangensein in der räumlichen § 
Anschauung erklärt es sich wohl am ehesten, daß sie im allge 
meinen so stumm über sich und ihr Wirken sind, und als Stand 
sich so wenig Beachtung zu schaffen verstehen. Wer weiß denn 
etwas von dem inneren Wesensge etz des Architekten, wie viele 
haben sich Rechenschaft abgelegt darüber, welche Fülle von 
Eigenschaften Zusammentreffen und zur Einheit verwachsen 
muß, damit ein tüchtiger Baukünstler erstehe? Es ist ja nicht 
allein die Fähigkeit, auf dem Papier schöne Projekte zu er 
sinnen, die den Architekten zuw Architekten macht. Hinzukom 
men muß die Gabe der Einfühlung in die jeweiligen praktischen 
Erfordernisse eines Bauwerkes, die dem Bauherrn selber oft 
nur recht rmffar vorschweben, und die Kraft, das praktisch 
Geforderte w zu verarbeitendes künstlerisch so ganz Zu durch 
dringen, daß das an einem bestimmten Ort und für einen be 
stimmten Zweck geschaffene Werk zuletzt in seiner Notwendigkeit 
unbedingt überzeugt. Zur Erreichung solchen Ziels gehört aber i 
auch die Beherrschung des Tecknischen, Organisationstalent, 
das viele Menschen und Interessen in den Dienst eines über 
ragenden Gedankens zu stellen vermag, genaue Kenntnis der 
einschlägigen juristischen Fragen, Sicherheit im Verkehr mit 
den verschisdenartiM Menschengattungen und Berufszwei 
gen usw. Daß schließlich umfassende Bildung und fein ent 
wickelter Geschmack unentbehrliche Voraussetzungen für den 
Architektenberuf sind, versteht sich wohl ohne weiteres Es sind, 
wie man sieht, sebr heterogene Eigenschaften, die in der Person 
des Architekten Zusammenströmsn müssen, und man mag üch 
leicht vorstsllen, welch langer, mühseliger Prozeß Zu durchlaufen 
ist, um sie alle Zu erwecken und in Einklang miteinander zu 
bringen. 
Zeiten unfreiwilliger Muße sind immer auch Zeiten der 
Vorbereitung und der Sammlung. Die ArchitektemM als 
freier Beruf zum großen Teil auf Selbsthilfe angewiesen, 
wird heute vor allem nach Klärung ihres Berufsideals und 
nach Sicherung der 'ozislen Geltung ihres Standes zu 
trachten haben. Manches ist nach dieser Richtung hin im 
Gang Der B. D. A. als stärkste Organisation der Privai- 
architektmschaft, setzt sich u. a. schon lange für eine zeitgemäße 
Reform des Architekturstudiums an den Technischen Hoch- 
chicken ein und erstrebt die Schaffung von Architekten 
kammern, die, hierin den Kammern der Aerzte und Rechts 
anwälte verwandt, dem Architekten bestimmte, öffentlich an 
erkannte Befugnisse zusrteilen, seinen Titel schützen und seine 
Funktionen ab grenzen sollen von den Funktionen der Nachbar 
berufs, mit denen sie heute noch, meistens zum Schaden der 
Architekten, vielfach vermengt werden. Das ist eine Politik 
auf weite Sicht, aber die jetzige Wartezeit ist vielleicht' be 
sonders geeignet dazu, alle Kräfte auf sie zu konzentrieren. 
Schwerer, ja beinahe unmöglich wird es für die Architekten- 
fchaft sein, von sich aus Mittel zu finden, die ihr das materielle 
Durchhalten gestatten. Es ließe sich allenfalls daran denken, 
daß der B. D, A. sich immer wehr zu einer Notgsmein-, 
fchaft ausbaute, die in den Grundzügen der vom Reichskunst- 
wart Dr. Re dslob im vorigen Jahr ins Leben gerufenen
	        
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