S. Krakauer.
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Paradieses Niemand darf allerdings passieren und niemand hätte
auch die Zeit dazu, denn schon produziert sich an einer einsamen
Stange im Himmel, hoch dort oben, wo die Flugzeuge und Adler
horsten, ein von weißen Lichtkegeln ins Kreuzfeuer genommener
Artist mit italienischem . Namett. Die Stange schwankt, und der
Artist schaukelt auf ihr so winzig, daß man seine Existenz ohne
Fernstecher nur ahnungsweise verfolgen kann. Wer es liegt auch
nichts daran, daß er deutlich erscheint, die Gefahr an sich ist es,
die das Publikum reizt. Kaum ist sie voM rollt eine Kugel
ganz von selber eine Spirale hinan, eine riesige Kugel, der am
Ende eine Frau entsteigt, bie der duftige Kern des PerMtuum
mobile war. Das Glücksgefühl, das diese aus der Kugel geborene
Venus hervorruft, wird durch die Schlußapothe^
deren Verlauf sich der ungreifbare Schimmer einer Wasserkunst M
der Stimme eines OperetLenLenors vermahlt, die ebenfalls
bengalisch beleuchtet ist. Die Poesie hat sich aus den Trümmern der
alten Oper in den Lunapark gerettet.
Nachdem das offizielle Vergnügungsprogramm abgewickelt ist,
zerstreut sich die Menge in dem der PrivaLinitiatitze eingeräumten
Teil des Geländes. Hier gehen Wunschträume prompt in Erfüllung.
Ein besonders dringlicher ist offenbar der. Besitz eines eigenen
Wagens, denn die Autos auf der hölzernen Rundbahn kommen
niemals zur Ruhe. Meistens Haussieren Mädchen, arme junge
Dinger, die geradewegs aus den vielen Filmen stammen, in denen
Verkäuferinnen als Millionärsgattiynen enden. Sie Haussieren zum
Schein und nähren sich vorn Schein. Unter Gekreisch fahren sie
mit ihren Freunden über Berg und Tal, ja> es lohnt sich zu
leben, wenn man nur hinabstürzt, um dann zu zweit in die Höhe
zu sausen. Den Hintergrund der Berg- und Talbahn bildet nicht
mehr wie im vorigen Jahr eine Wolkenkratzerstadt, sondern eine
mächtige Alpenlandschaft, deren Gipfel jeder
Panoramen sind überhaupt beliebt, sie ragen auch in einer Boxer
koje am Horizont und sind die Staffage des RoulettetiM — stnm.
fälliges Zeichen der oberen Regionen, die man aus den sozialen
Niederungen nur selten erreicht. Zahllose Glücksbuden helfen dar
über für ein paar S^ hinweg Man schießt, man schleM
man stößt, man wirft für teures Geld Ringe über Damenfüße und
erntet einen Gewinn, der beflügelt, der wie ein schwaches Kerzen
licht das nächste Stück Weg beleuchtet. Lauter winzige Glücksritter
scharen sich um die glänzenden Zellen, in denen lauter kleine
Verheißungen stecken.
Um 11 Uhr ist Feierabend. Dann kehrt die Menge geordnet
aus der LuWLtte zurück, die sie geordnet durchzogen hat. Sie U
für kurze Zeit aus dem organisierten Alltag ausgebrochen, mitten
hinein ins Glück, das für sie nach rationellen Plänen organiste-
worden ist. Die Illusion ist
Organisiertes Glück.
Zur Wiedereröffnung des Lunaparks.
Berlin, Anfang Mai
Auch das Vergnügen ist bei uns organisiert. Die Samstag
Abend-Menge, die durch die frisch gestrichene Eingangshalle strömt,
deren Buntheit und Säulenpracht an die Zaubergemächer in
Weihnachtsstücken erinnert, wird auf dem großen Festplatz des
Lunaparks sofort von Scheinwerfern und einem Lautsprecher erfaßt.
Die Scheinwerfer leuchten die Rummelfläche und den ganzen
Himmel ab; zum Glück richten sie sich nicht auf feindliche Aero-'
Plane, sondern nur auf die jeweiligen Attraktionen. Und die
Stimme, die aus dem in der Platzmitte aufgestellten Kasten schallt,
gibt dazwischen immer wieder wertvolle Direktiven. Man kann gar
nicht fehl gehen, man braucht überhaupt kaum zu gehen. Die
unsichtbare Organisation sorgt dafür, daß sich das Vergnügen in
vorgeschriebener Reihenfolge an die Massen herandrängt. Vielleicht
wollen es die Leute so haben, sie werden ja auch tagsüber Lurch
Lichtsignale, Parteiprogramme und Verbände geleitet. Auf den
Pariser Moires ist der Taumel jedenfalls ungeregelter. Dort wird
jeder zum Abenteurer und genießt nicht nur den wilden Jahr
marktstanz, sondern auch die Freude, Schaubude um Schaubude'
selbsttätig zu entdecken. Aber hierzulande regiert nun einmal das
laufende Band.
Immerhin, Pläsier bleibt Pläsier, und wer vermochte dem
Feuerwerk zu widerstehen, das sich mit genau bedachter Steigerung
in den nächtlichen Raum ergießt? Einzig der Mond,, ein braver,
alter Viertelsmond, hält ungerührt still, während lauter funkel
nagelneue Sternbilder in seiner unmittelbaren Nachbarschaft auf-
rauschem Sternbilder, die bunt wie Speiseeis sind und mit der
Gewalt von Brauselimonaden emporzischen und versprühen. Sie
schwinden hin, um einem speienden Feuerdrachen Platz zu machen,
Wer den ein Goldregen niederträufelt. Die lichtvollen Verwand-'
lungen werden immerfort von militärischer Musik begleitet, deren
Marschrhythmen das Publikum auch innerlich illuminieren. Zuletzt
knallt und kracht es, eine blendende Helle entsteht, und ist, als
schaute man für einen Augenblick durch die geöffneten Pforten des
Sonntagsausflug.
Berlin, Anfang Mai.
Der Mai ist gekommen, die Bäume schlagen aus, und alle Ber
liner schlagen sich zur Natur durch. Ein Heißhunger nach dem
Grünen hat sie erfaßt. In den Warenhäusern locken Zelte zum
Kampieren, und auf dem Dachgarten eines bekannten Verkaufs
etablissements sind über Nacht Wochenendhäuschen erblüht, kleine
strahlende Dinger, die man bequem in die Tasche stecken kann.
Draußen liegt man dann selber.in ihnen wie in der Hosentasche
eines Knaben, in die immer noch mehr hineingeht.
Als sei eine Panik ausgebrochen, so hastig wird am Sonntag
morgen die Stadt geräumt. Stadtbahnzüge, Trambahnen, Omni
busse und AutoS befördern die Schwärme hinaus, die gern im
Freien schwärmen möchten, dort, wo statt der Büros die schönen
Wälder und Seen eingerichtet sind, statt des roten Signals die
Sonne glüht, statt der Vorgesetzte» höchstens die Mücken Plagen und
der Dienst am Kunden zum Dienst an der eigenen Volksgesundheit
wird. Irgendein Dienst muß es bei uns immer sein. Sie paddeln,
schwimmen, wandern, lagern. Die ganze Stadt zieht aufs Land,
um sich von der Stadt zu erholen.
Da Berlin die Natur überschwemmt, flüchtet sich die Natur nach
Berlin und entfaltet hier in aller Heimlichkeit ihre Reize. Wer ihr
ungestört begegnen will, braucht daher Sonntags nur zu Hause zu
bleiben. Das ist wohl auch die Meinung Meister Slevogts gewesen,
als er mir einmal auf die Frage, welches Ausflugsziel in der Mark
er besonders schätze, die Antwort erteilte: „Das romanische Cafe".
Slevogt sieht aus wie der liebe Gott m den Kinderbüchern der vor
marxistischen Zeit. Es muß nicht das Romanische sein; die Stadt
viertel im Umkreis tun es auch.
Der Kurfürstendamm in der Sonntagsfrühe: eine fürstliche Kur
promenade, deren Fassadenpracht die unmittelbare Nähe des Mittel
meers vortäuscht. Rauschen die Wipfel oder die Wogen? Niemand
weiß es genau, dieselben Lokal-und Schaufensterarrangements, die
selben Karosserien, dieselben vereinzelten Gents gleißen hier und
an der Riviera. Sanft schleicht der Landwehrkanal unter den Laub
kronen dahin, es ist, als flösse er durch die lieblichen Täler
Thüringens, in denen allenfalls die Schafe blöken, und Fricke, der
Hirte, behütet sie. An den Häusern, die den Kanal begleiten, hat
sich noch keine Streikwelle gebrochen, und den Frieden des Reichs
wehrministeriums trübt nicht der leiseste Hauch. Die Straßen des
alten Westens sind unentdsckte Landschaften, die kaum je der Fuß
des Forschers betritt. Verirrte sich einer d-rthin, so könnte, er, hinter
den Glasscheiben der Wintergärten seltene tropische Gewächse be-
obacb^en, und die herrlichsten leerstehenden Elfzimmerwohnungen-
nschlchfen sich ihm. Und welcher Ort der weiteren und engeren Um-i
i gebung käme an Abgeschiedenheit dem Tiergarten gleich? Er ist
i still wie die Vergangenheit, und seine locker aneinandergereihten
Baumstämme, seine Blumenbeete, seine BoskeLLZ und Teiche sind
mit der bürgerlichen Kultur, die sie schuf, lautlos wie alte Paläste
aus dem Leben zurückgetreten. Jetzt muß er sich nicht mehr an-
strengen, um mit der Entwicklung Schritt zu halten, jetzt hat er
seine Ruhe, jetzt stört ihn niemand so leicht auf. Sorglos spielen
die Kinder in ihm, zwei ältere junge Mädchen, die schon im OrLA-
nal ein photographiertes Gruppenbild sind, lassen sich zum Ueber-
fluß noch einmal photographieren, Kriegsinvaliden und Beamtem
familien durchmessen die Wege.. Aus einem großväterlichen Stahl
stich sprengt manchmal eine stolze Kavalkade herbei, kreuzt die
Straße und verschwindet gravitätisch, wie sie gekommen. So war es
einst in verblichenen Sommerfrischen, Erinnerung und Gegenwart
sind hier eins. Und nicht anders wie die Vögel sind auch die zahl ¬
losen Denkmäler ein rechtmäßiger Bestandteil dieses Parks, der
selber längst zum Denkmal geworden ist und darum endlich ganz
Natur sein darf. Der steinerne Wagner ist ein einziges Siegfrieds
idyll, und in der Siegesallee die marmornen Sieger haben ein- für
allemal auf ihre militaristischen Pläne verzichtet. Hinter dem Tier
garten folgt dann der Potsdamer Platz mit seinem Verkehrsturm,
der am ausgestorbenen Sonntag eine technische Ruine ist, eine Aus
sichtswarte auf einer Ansichtskarte. Gelangweilt gähnend hilft
sich die Potsdamer Straße über die tempolose, die schreckliche Feier
zeit hinweg.
Bis am Abend Berlin wieder nach Berlin strömt, bis die Lichter
rings um die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche irrsinnig strahlen
und alle Welt sich in den Vergnügungslokalen von der vielen Natur
erholt.