Vrokestaulismus und moderner Geist.
Ein Vortrag Gogartens.
Vor kurzem sprach Pfarrer Friedrich Gogarten in Frank
furt über das Wesen des Protestantismus. Der nahezu
zweistündige Vortrag brächte vorwiegend eine Auseinandersetzung
mit dem „modernen Geiste", das heißt mit dem nachkantischen
idealistischen Denken, dessen Bestimmungen Gogarten in
scharfer Zuspitzung die Bestimmungen des echten, des r e formn-
tori scheu Protestantismus entgegensetzte- Von der Dialektik des
in der Denksphäre — oder doch an ihrer Grenze — sich absprelendsn
Kampfes Mit der idealistischen PHilosophie scheint Gogarten so ganz
ergriffen, daß auch sein? ins Positive weisenden Aus-agen noch die
Spuren dieses Kamvfes tragen; wider die idealistische These wird
hart die Antithese des Protestantismus auffgerichtet, und ein
prinzipieller Gegensatz — prinzipiell und unversöhnlich, wie Gegen
sätze lediglich im Bereich des Denkens sind — tut sich zwischen
beiden Positionen auf. Ob solche konstruktive Entwicklung der pro
testantischen Position schon auf dem -eigenen Grunde dieser Position
erfolgt oder nicht am Ende sich noch innerhalb der Sphäre des
Idealismus selber vollzieht, sei hier nur als Frage aufgeworftn,
da eine kritische Erörterung der Haltung Gogartens anderer
Zurüstung bedürfte. Der folgende Bericht beschränkt sich bewußt
auf eine sachliche Wiedergabe des Vortrags, insoweit er gegen den
Idealismus sich wandte; die prägnanten Formulierungen uns
Gegenüberstellungen Gogartens sollen hierbei nach Möglichkeit ge
treu in das Referat einbezogen werden.
Der Protestantismus hat auf zwei Arten seinen Frieden mit
der modernen Welt geschlossen: entweder er zieht sich mit schlechtem
Gewissen von ihr zurück oder er aeht mit autem Gewissen^ nahezu
der Idealismus die Wirklichkeit zu gewinnen, wenn er
das Ich aus der Sphäre der Bedingtheit loslöst und
in die Sphäre der öindungslosen Freiheil erhebt. Es
gehört die ganze Blindheit des modernen Geistes dazu, um nicht
- zu sehen, daß von diesem Persönlichkeitsgedanken nicht die Spur
bei den Reformatoren zu finden ist. Das Ich nämlich, das sie
meinen, ist gerade keine Idee, sondern wird wirklich nur dann,
wenn es auf seine Verabsoluti-erung verzichtet und sich in die
Bindung durch das Objekt hineinbegibt. Im Gegensatz
zu dem schlechthin schöpferischen Ich des modernen Individualis
mus weiß ihr Ich sich von derselben Macht geschaffen, die auch
das Du geschaffen hat, und die Gegebenheit des Ich und des Du
wie ihre Unterschiedlichkeit wird von ihnen Gleicherweise anerkannt
Der „Anspruch des idealistischen Ichs, allein Wirklichkeit zu sein,
enthüllt sich von hier aus als widergöttliche Üeberheb-
lichkeit, die sich an Gottes Stelle selber setzen möchte/
In seinen folgenden Ausführungen ging Gogarten noch auf
das die Wirklichkeit konstituierende Jch-Du-Verhältnis näher ein.
Er wies hierbei in „sehr zugespitzten Prägungen die Auffassung
ab, daß dieses Verhältnis durch die sittliche Tat bezeichnet
und begründet werde. Für die sittliche Tat, so führte er aus, die
ihr Gesetz in sich selber trägt, ist das Ich das erste Wort, und ste
kennt das Du lediglich als gleichgerichtetes Ich. Damit entschwindet
ihr das Du unter den Händen, und ein Ich Reibt zurück, das
feinen Gott nur. in sich hat, das also selber auch entschwindet.
Wirklich aber wird der Mensch nicht, wenn er l sich auf seinen
innersten Grund zurückzieht, sondern wenn er dem Du begegnet.
Diese Scheidung, diese Grenz.? aushalten, statt sie aufheben, heißt
in der Wirklichkeit stehen, die immer Zweiheit, Ich und Du ch
Nur wer die Grenze gewahrt und wahrt, kann den Ngmsn Lieb
für die Wirklichkeit nennen. Mit dieser Liebe ist nicht der Eros
gemeint, von dem nach Gogarten das Gleiche gilt wie von der
Mlicken Tat: daß er das Du nicht anerkennt. Zwar w- 'ü er irn
völlig in ihr auf. Das Dogma von der Identität des Protestantis
mus mit dem modernen Geist wird heute vielfach verkündet. Man
läßt mit der Reformation die Neuzeit beginnen oder schiebt, wie
Troeltsch es tut, den Altprotestantismus dem Mittelalter zu, um
dafür den Neu protestantismus umso entschiedener mit der
modernen individualistischen Kultur in Einklang Zu bringen.
Gogarten verwirft diese These. Oder vielmehr: er stellt fest,
daß nicht der Protestantismus der Reformatoren, sondern allem
der Protestantismus der Täufer, Spiritualisten und
Humani st e n kontinuierlich fortwirke. Die Bedeutung des eigent
lichen Protestantismus für die moderne Welt ist dagegen nach ihm
eine lediglich negative; er hat nur die Hemmungen beseitigt,
die der Katholizismus dem modernen Denken noch entgegensetzte.
Der Versuch Troeltschs, zwischen dem Protestantismus und dem
modernen Geist Frieden zu stiften, ist darum in Wahrheit auf Kosten
des Protestantismus erfolgt.
Obwohl der protestantische Mensch genau so wie der katholische
durch den neuzeitlichen Individualismus vergewaltigt wird, darf
man sich doch der bitteren Erkenntnis nicht verschließen, daß der
Protestantismus bei dem Aufbau der modernen Welt mittel
bar stark beteiligt ist. Die Reformatoren haben der Einheit des
Katholizismus, wie brüchig sie auch schon vorher gewesen sein mag,
den entscheidenden Stoß versetzt und haben das mit vollem
Bewußtsein getan, da sie die sakrale Gültigkeit der katho
lischen Formen und Bindungen als menschliche Willkür empfan
den. Aber freilich, sie haben die Freiheit nicht um der Freiheit
an sich willen gesucht, sondern unrechtmäßige Bindungen um der
rechtmäßigen willen zerreißen wollen. Wenn sie auch den Anspruch
der mittelalterlichen Kirche, das bürgerliche Leben mit Gewissens
autorität zu. umgreifen, zurückweisen mußten, so erhielt doch dieses
bürgerliche Leben durch sie seine wahrlich nicht geringe Bindung
von der Erkenntnis des Geschaffenseins und der Sündhaftigkeit
her. Sie überantworteten es dem Diesseits, aber das Diesseits
hatte für sie eine Grenze, es war ihnen noch Wirklichkeit. Auf
dem Grunde der reformatorischen Tat erwuchsen in der Folgezeit
neue kirchliche Kulturen und ihre Mehrheit, die dem Ge
danken von der Universalität widerspricht, hat Zuletzt dem
neuprotestantischen Ideal der „Jnnerweltlichkeit" völlig zum
Sieg verholfen. So ist der Protestantismus allerdings an her Bil
dung der modernen Welt beteiligt, denn die Entkirchlichung
der Kultur und- die Entfesselung der Kräfte ist
durchaus auf ihn zurückzuführen. Nur sind jene Kräfte bis auf den
heutigen Tag fessellos geblieben, während der echte Protestantis
mus seinem tiefsten Wesen nach gerade Bindung verlangt. Diese
Bindung an die Wirklichkeit ist der Protestantismus
der Welt noch schuldig geblieben.
Inwiefern ist nun die protestantische Lehre, die Lehre der
Reformatoren. Wirklichkeit? Sie ist es gar nicht selbst md
an und für sich, sondern sie weist nur hin auf die Wirklichkeit,
und lediglich insofern sie auf diese hinweist, ist ste Wahrheit.
Der reformatorischen Lehre ist es ergangen wie allen Lehren: man
nahm ste selber für Wirklichkeit, und schon unter den Augen der
Reformatoren (in der Konkordienformel) begann ihre Erstar
rung. Ist es demgegenüber nicht ein Verdienst des idealistischen
Geistes, wenn er jene Erstarrung auflöst, indem er ste historisch
begreift? Wenn er die protestantische Lehre dadurch in Mythos
und Symbol verwandelt, daß er sie Zu einer allgemeinen Ver-
nunstwahrheit umprägt (Troelts-ch) und die „Einigung mit Gott*
aus Ende seht? Ein wichtiges Element des Protestantismus, dies
nämlich, daß es in Wahrheit nur die persönliche Entschei
dung gibt, scheint damit gerettet.
Indessen die Rettung ist scheinbar, denn tatsächlich weist dich
idealistische Uebersetzuna der protestantischen Lehre nickt mehr anst
das Objekt hin, sondern kennt allein das autonome Subjekt. Sie !
wäre in ihrer Vollendung Ausdruck des absoluten Subjekts., näm- -
lich Gottes selber. Während Wirklichkeit der unlösliche Wider
streit von Ich und Du, von Subjekt und Objekt ist, glaubt
Dsr MaU M seise ßunststStteu.
f' Ausstellung der Frankfurter Kunst m-esse.
Wer, oder vielmehr junger Tradition getreu, hat das Frank-
surter Meßamt auch dieses Mal in den historischen Römer
sälen eine Ausstellung veranstaltet, die ein Stück vergangenen
deutschen Kulturlebens der Gegenwart nahezubringen sucht. Dies
gerade, daß ste der Messe zeitlich und räumlich angsgliedert ist;
verleiht ihr eine gewisse erzieherische Bedeutung; zeigt* sie doch
Gegenstände in Fülle, die einer kulturell gesättigteren Situation
als" der uusrigen entstammen und darum einen tauglichen Maß
stab zur Beurteilung des heutigen Kunstschaffens hergeben mögen.
Er. Lübbecke, der Organisator der Ausstellung, hat sich, wer
früher schon, ein Legrentes Thema gewählt. Er führt den M a i n
und seine Kunststätten in Werken und Bildern
vor, und die dargereichtm Kostproben genügen immerhin,
um jenen gemeinsamen Grund ahnen zu lassen, aus dem in man
chen Perioden unserer Geschichte Kirche und Haus, Gemälde und
Werktags ding erwachsen sind. KulmÜach, Bamberg, Würzburg
Weckheim, Aschaffenburg, Hanau haben bereitwillig ihre Gaben
entsandt: Bilder des MiLLelalters und späterer Zeiten, Skulpturen,
Schöpfungen der Kleinkunst und Stücke von mehr lokaler Eigenart.
Unbe^nntere Einzelleistungen gesellen sich zu typischen Erzeug
nissen, und gewiß nicht allen Werken kommt ein gleicher Kunstwerk
z.u Wer jedes hat irgend eine charakteristische Beziehung zu dem
Orte, dem es zugehört, und ist eingetan in die Heimatsatmosphüre,
die das ganze Kunterbunt umwebt. Um die Mannigfaltigkeit fühl-
Zbar zu machen, seien auf gut Glück einige Namen und Sachen ge
nannt. Dicht Lei Hans Süß aus Kulmbach, der mit einer klei
nen Bildfolge austritt, prunkt herrlich der Kulmbacher Gold- und
Silberschatz, ein Ueberbleibsel aus dem dreißigjährigen Krieg; zu
der illustren Gesellschaft der Lukas Cranach, Liepolo und
Michael'Wohlgemut findet sich -etwa Januarius Zick oder
der Nokokobildhauer Peter W agner, dessen Sohn die Samm
lung antiker Vasen in Würzburg angelegt hat, die eben
falls mit anten Eremvlaren vertreten ist: neben Dam -
wer-Porzellan (aus der Sammlung des Komme rzienrats
Sckmidt-Prhm zu Aschaffenburg) entfaltet sich Hanauer Majolika,
und viele Gefäße aus Fayence, Zinn und Glas, die so gar nicht
kunstgewerblich "anmuten, bezeugen die Handwerkstüchtigkeit und
achtbare Kunstgeflunung . der fränkischen Bevölkerung. Die
Städte selber, organische Gebilde, die sich dem Main anschmie
gen und ganz mit der Landschaft verschmelzen, werden durch
seltene Stiche und Radierungen veranschaulicht. Treffliche pho
tographische Aufnahmen vermitteln einen Eindruck von Schlossern,
Jnnsnraumen, Plätzanlagen und architektonischen Details. Stets
fügt sich das Einzelne Zum Ganzen, und auch die großarugen
BauscNpfungen der Schönborns stehen nicht rein für sich.
Handschrift und Denkweise der bedeutendsten fränkischen Bau
Meister, ss Neumanns, Dietz enhofers, Küch els, lernt
Mim aus Originales kennen, deren Studium einen Lesow
I deren Genuß gewährt. Die Reichhaltigkeit des Materials ist außer j
den Städten und Museen dem Entgegenkommen der Privatsammler !
zu danken; vor allem die Sammlung Winterhelt in Milten-
berg, die sich auf das gesamte fränkische Kunstschaffen erstreckt,
hat einen großen Teil Her Leihgaben beigesteuert. Unerfindlich
bleibt, warum etliche mindere Oelgemälde neueren Datums ein
bezogen worden sind, die sich vergeblich um den Stimmungsgehalt
der Mainlandschaft bemühen. Hier wären die Bilder Berufener,
etwa Fried Sterns- am Platz geweftn, die den eigenen Reiz
des Flusses und seiner Ufer wirklich erschöpfen. Lr.