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Full text: H:Kracauer, Siegfried/01.04/Klebemappe 1924 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

/5ü! M/V- 
Ole Zukunft des Frankfurter Lunftfchulwesens. 
In der gestrigen Sitzung des Rates für künstlerische An* 
gelegenheiten entwickelte Direktor Pros. Wichert das Pro» 
gramm des zukünftigen Frankfurter Kunstschul 
wesens, zu dessen Neugestaltung er seinerzeit nach Frankfurt 
berufen wurde. Seine Darlegungen ließen erkennen, daß das 
große Projekt bereits ois ins Einzelne durchdacht worden ist. Jnij 
Einklang mit den Richtlinien des Kultusministeriums soll eine 
Allgemeine Kunstschule erstehen, für deren einen Teil 
de^ Charakter einer Hochschule zu erstreben sein wird. Sie 
wird sich in fünf Abteilungen gliedern: die Meisterateliers, vre 
Entwurfs- und Fachklassen, die Werkstätten, die allgemeine Ab 
teilung und die Nebenfächer Wie diese Abteilungen auszubauen 
seipr. wie sie in eine organische Verbindung sich bringen lassen 
und wie schließlich die Schule als Ganzes dem kulturellen 
Leben Frankfurts sich einzufügen hat: hierüber machte Pros 
Wichert ausführliche Mitteilungen, die von der Reife des Planes 
und dem starken Verantwortungsbewußtsein der gestellten Auf 
gabe gegenüber zeugten. Zu hoffen bleibt nur, daß auch die 
Schwierigkeit der Raum frage zu überwinden sein wird. — 
Die zahlreich vertretene Künstlerschaft Frankfurts nahm mit voller 
Zustimmung von dem Gesamtprofit Kenntnis.. Lr. 
r-b - /V 1^5/ - 
-- sChinssisch-s aus Frankfurt.? An Äer Fra n k u r k e r 
Universität hält im Wintersemester der bekannte China 
forscher Dr. Richard Wilhelm eine Reihe von Vorlesungen 
über sein Fachgebiet. Er behandelt die ch i n e s i s che P h i o- 
sophie von ihrem Beginn bis zu der klassischen Epoche des 
Laotse, Kungtss und Moti, würdigt die bildenden K.unpe 
in ihrem Zusammenhang mit der chinesischen Kultur und unter 
sucht weiterhin mit seinen Schülern die chmesWen Quellen des 
Lehrgebäudes von Kungt'e. Schließlich führt er in emem veson- 
deren Kursus an die Anfangsgründe der chinesischen Sprache 
ein. Die Weisheit des Ostens wird durch seine Lehrtätigkeit ihre 
in Frankfurt erhalten. 
sDas Frankfurter Kunstschulwesen»j> Die Neugestal 
tung des Frankfurter Kunstschulwesens scheint nun endlich vor der 
Verwirklichung zu stehem Pros. Wichert, der Direkior der 
Frankfurter Kunstgewerbeschule, der von der Stadt seinerzeit zur 
Durchführung der Reformen nach Frank, urt berufen worden ist, 
entwickelte gestern vor der Frankfurter Künstlerschaft das Pro 
gramm der zrckünftigrn Organisation, das eine Allgemeine 
Kunstschule Vorsicht, deren einer Teil den Charakter einer 
Hochschule tragen soll. Seine Darlegungen bezeugten, daß 
das große Projekt bis inS einzelne durchdacht ist, und verrieten 
ein starkes Verantwortungsbewußtsein der gestellten Aufgabe 
gegenüber. Auch gewann man den Eindruck, daß bei dem vor 
handenen guten Willen die Schwierigkeiten mit der Städelschulc 
zu besiegen sind und die Raum frage kein unüberwindbares 
Hindernis bildet. Die Künstlerschaft gab zu erkennen, daß sie 
das Projekt in seiner Geschlossenheit gutheißt und der umsichtigen 
Tatkraft Pros. Wicherts wl- bisher so auch in Zukunft Vertrauen 
entgegenbringt. Wir werden zu seiner Zeit genauere Mitteilungen 
über die Plane machen. Lr. 
Wahlversammlung der Deutschen Volksxarkei. 
Vorlrag von Minister Booütz. 
— Frankfurt, 27 Novbr. In einer Wahlversammlung 
der.Dru schen VolkspaNei verbreitete sich heute abend Kultus 
minister Dr. Boelitz üb^r die preußische Kulturpoli - 
Lik der letzten drei Jahre. Im Anschluß an die volksparteiliche 
Wahlparole: Schwächung des extremen linken und des e^ remcn 
rechten Flügels, die den vergangenen Reichstag aktionsunfähig 
gemacht haben, Fortsetzung der Politik nach außen und nach in .en, 
wie sie von dem Kabinett" S t r e s e m a n n inauguriert worden 
ist, und die von der Volkspartei stets geforderte Hinzuziehung 
der Deutschnationalen Volkspartei zur Regierung kam er auf sein 
eigentliches Thema zu sprechen. Durchführung der in der Reicbs- 
verfassung geforderlen, schon von Fichte ersehnten Einheits 
schule: das sei der Gedanke gewesen, der ihn während sei-er 
Amtstätigkeit immer beseelt habe. Nach einem längeren historischen 
Rückblick auf die Entwicklung des Gedankens der Einheitsschule, 
dessen Verwirklichung zumal durch das Kriegserlebnis und den 
Zusammenbruch gefördert worden sei betonte er, daß die Ein 
heitsschule ein Doppeltes darstelle: Organisationsprin 
zip und Kulturprinzip. Insofern sie jenes ist, waren noch 
manche tote Stränge zu beseitigen, um sie organisatorisch ans'u- 
banen. So sei es am 7- Oktober <rst zum Glück gelungen, für die 
Lehrer urid Lehrerinnen das Matnrum wurMusehen, auch habe 
man für die Frauen (durch die Mädchenschulreform des v rgan- 
genen Jahres) das gleiche Recht aus Bildung erwirkt wie Mr die 
Männer, und schließlich gewähre man hochbegabten Volksschulen 
durch die Aufbauschulen, die bereis die besten Ergebnisse 
gezeitigt H8 ten, die Möglichk it eines ltebergangs von de^- R^s- 
schule zur höheren Schule W^s nun die Einheitsschule K"l- 
turprimip betreffe, so erwachse aus diesem Prinnv gebieterisch 
die Forderung der deutschen Ratio nalerziehung, eine 
Forderung, die gleich ühr gelte für Volksschule, höhere Schale, 
Universität. Der Minister ging hierauf aus die neugeschalsene 
deutsche Oberschule ?in die d^n Schüler mit d-'m gesam 
ten deutschen Kulturgut Lu einem Ausmaß vertraut machen s^lle. 
wie es das humanistische Gymnasium nun einmal nicht vermöge, j 
und eine der besten Bürgschaften unserer Zukunft seü Weiterhin 
wies er auf die Notwendigkeit des religiösen Unterrichts 
hin. Wo die SimulLanschule gewachsen sei, möge sie unangetastet 
erhalten bleiben Wer ebensowenig dürfe an die ksnfessio« 
nelle Schule gerührt werden,, wo sie von alters her bestehe. 
Schließlich verweilte der Redner noch kurz bei dex Notwendigkeit 
künstlerischer Erziehung und der Pflege der Körperkultur und 
erklärte mit Nachdruck, daß zuletzt alles ankomme auf die freu 
dige Bejahung des Staates, auch wenn man seine 
Dokumentationen nicht überall anerksnn-sn könne. — In der Dis 
kussion hob Dr. Edinger hervor, man könne als Demokrgt der 
Rede in so vielen Punkten zustimmen, daß man zu fragen versucht 
sei, warum Minister Boelitz nicht weiter links stehe. Ein ssM- 
dsmokratischer Redner bedauerte, ohne an den Ausführungen 
selber Kritik zu üben, daß der Redner die soziale Frage nicht an- 
aeschnitten'haLe. Direktor Bieber forderte weitergehende D i f- 
ferenzierung der Einheitsschule und begrüßte die deutsche 
Oberschule. Pfarrer Lücken betonte, daß auf das Dogma der 
vlermhrigen Grundschule im Interesse der schwer ringenden 
Elternschaft verzichtet werden müsse. 
Niddy Jmpeksverr im Mm« Der jetzt m der Neuen 
LichLbühne gezeigte Deulig-Mm: „Armes kleines 
Mädchen" ist eines der wenigen Werke, die dem Wesen des 
Films ganz gemäß sind und nur als WmkomposUwnen überhaupt 
bestehen können- Das Andersen-Märchen gibt die einfache Fabel 
hex von der armen Familie, die der Großstadt ausgeliefert ist: Die 
Mutter (Lotte Wagner) sucht vergeblich Brot für ihre kleinen 
Würmer. Der Vater (Fritz Kortner), ein Straßenhändler. 
Zuckt zum Schmierensteher herab, und die älteste Tochter bietet 
abends Streichholzschachteln auf der WLnterstraße an sie LrN mit 
ihren nackten Beinen durch den Schnee^ sie gleitet an einem Tür 
posten nieder und was sollte nun anderes geschehen, als daß sie 
erfriert? Das ist alles: eine rührende Geschichte und ein Märchen 
gar, denn das Sterben ist nur ein Uebergang zum Himmelreich, 
und das Leiden hier wird gekrönt. Diese Handlung wird vom 
Film ganz in Bewegung übersetzt, in eine Folge von Licht und 
Schatten, einen Reigen der Gestalten im Schnee, ein stummes 
Huschen und Jagen auf Treppen und an Brückengeländern, eine 
rhythmische Verdichtung aller Sichtbarkeiten, die ohne die Beglei 
tung dex Worte zu sprechen beginnen. Niddy Jmpekoven, das 
arme kleine Mädchen, wirkt wie eine unendliche Melodie der Ge 
bärden in diesem Tonwer? aus Hell und Dunkel. Verschüchtert 
hockt sie in der Dachkammer, kahl an Geste wie die abgebröckelte 
Mauer, sie wandelt dann, ein frierendes, lebendiges Chaos, durch 
das drohende Berlin, fleht, wie ein Lichtreslex im Nebel, den 
KastanienverkLufer und den Autogast um eine Gabe an, ihre Blicke 
irren hilflos, Zurückgedrängt von den Hauswänden und der Leere 
zwischen den Menschen, hingekauert entzündet sie ein Schwefel 
hölzchen ums andere, und siehe, aus dieser WirÜichkeit der kalten 
Abendstraße ersteht sichtbar und unmeMch die andere Wirklich- ! 
keit °- ein Wcihnachtsbaum erstrahlt, Lebkuchenmänner umtanzen 
eine gebratene Gans, die sich selber tranchiert, und Zuletzt tut eine i 
wunderbare Treppe sich auf, die wächst und schwillt und gradwegs 
in den Himmel führt, und dic kleine Niddy tanzt, wie sie nm 
tanzen kann, die Stufen hinan, die Kleiderfetzen fallen ab und 
schwebend wallt sie hinüber Der arme Körper aber versinkt im 
Schn«7^Da» schwrdtsch, Lustspiel: .Die Insel der Er. 
füllung' mit Gunnar LolnaeS in der Hauptrolle ist ein« 
Art Zähmung der Widerspenstigen. Ein« schlechthin entzückende 
iunge Frau — reizend zumal im SeemannSkostüm — find«! au 
einem jungen Dichter Freude« der schlechte Verse macht, aber thr 
höheren Geistes scheint als ihr Mann. Wie dieser, em zweiter 
Petrucchio, ste bändigt und wieder für sich gewinnt, wi« er den 
schwärmerischen Poeten mehr oder minder roh lächerlich macht, 
das wird in sechs harmlos vergnüglichen Akten sehr lustig demon« 
siliert, und Tolnaez erhält die erwünschte Gelegenheit, sich als 
Segler« Jäger und überlegener Ehegatte beim Publikum in ein 
Lustiges Licht zu setzen. - Ein Vogel film, der sehr aus 
führliche Biographien aller erdenklichen Vögel der nördliche» 
Zone gibt, vervollständigt das Programm. rao.
	        
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