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Metadata: H:Kracauer, Siegfried/01.05/Klebemappe 1926 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

und ließen sich über die Ge- 
-- lHLlfe, ich bin Millionärs Frankfurt wird von den 
Filmgewaltrgen in Berlin nicht eben wohlwollend behandelt. Sie 
enthalten ihm etwa Chaplins: „Goldrausch" immer noch vor für 
den Darmstadt selbst reif befunden ward. Umso angenehmer emp 
findet man es, wenn sich in die provinzielle Abgeschiedenheit ein 
mal ein Film von Welt verirrt. Die in der Frankfurter Neuen 
Lichtbühne jetzt vorgeführte Komödie: „Hilfe, ich bin 
ein Millionär!" ist echtbürtiges Kino. Sie spielt in Paris 
und Nizza; die Darsteller sind zumeist Franzosen. Ein Millionär 
der sich langweilt — Millionäre langweilen sich immer auf der 
Leinwand — schließt mit einem lustigen Teufel von Eisenbahn 
arbeiter die Wette ab, daß ihn unverhoffter Reichtum nicht glück 
licher machen werde. Der Eisenbahner empfängt von ihm eine 
runde Million mit der Verpflichtung, sie binnen Jahresfrist aus- 
zugeben und dann seinen Soelenzustand zu beichten. Das Thema 
der Wette ist darum filmgemäß, weil es das Gewicht auf die mehr 
oder weniger willkürliche Verkettung äußerer Begebenheiten 
legt. Ihnen ist der Film seinem Wesen nach zugeordnet. Nicht 
darf in ihm die äußere Welt nur der Ausdruck einer in sich ge 
schlossenen Handlung seine aus den freien Assoziationen sichtbarer 
Vordergründe unseres bewegten Daseins. Daß das Publikum ihn 
als amüsant empfindet, ward durch den Beifall des vollbesetzten 
Hauses bewiesen. 
die Umstände zu ermessen, unter denen man dergleichen sich holt. 
Nun sind sie auf Vorrat belehrt, und zu hoffen ist nur, daß sie 
oas Gehörte zur rechten Zek nicht vergessen. Aus das menschliche 
Gedächtnis ist wenig Verlaß. 
Inzwischen hat diese öffentliche Erörterung des Geschlechts 
lebens ihren revolutionären Klang verloren. V.eleS, was Brieur 
durch seinen Arzt damals fordern ließ, ist heut- verwirklicht 
worden. Die Schranken sind gefallen, die noch die sor ge G nc- 
raüon um das Gebiet des Sexuellen zog, die Jugend verläßt 
inch! mehr unvorbereitet das Elternhaus. Wort und Schrift kommen 
an sie heran, der Film .Falsche Scham" zeigt ihr abschreckend- 
Bilder m methodischer Fülle. 
Trotz der Aufgeklärtheit ringsum kann das Stück auch heute" 
noch rm Dienst der Gesundheit seme Wirkung tun. Die Sensatsonen 
sind von ihm abgefallen, die nützlichen TendmKM treten in 
drastischen Situationen nicht allzu kraß hervor. Zwar, der drama 
tische Hauptknoten hat sich mittlerweile, dank der Fortschritts der 
Wissenschaft, von selber gelöst. Die Familie Dupont benötigte 
heute keine Amme mehr, um ihr Dreimonatskind gesund zu er- 
?EN. Diese also müßte nicht hinauSschreien, daß im Haus die 
Syphilis herrsche, und die weiteren Verwicklungen blieben unge 
schehen. Dies zur Aufklärung, wenn schon aufgeklärt wird. 
„ Die Aufführung des Frankfurter Kün stiert heoters 
für Rhein und Main (Leitung: Direkter Hans Meißner) ward 
Zum Teil mit den Kräften d«S Schauspielhauses bcstritlen. Leopold 
Bibertis humaner Arzt, ein früher Apostel der Rcichsgesund- 
heitswoche, prägte mit warmer Stimme die Aeber-eugungen, um 
derentwillen das Stück geschrieben wurde. Herr Th Deren gab 
den negativen Helden als netten Jungen, dem sich bei aller 
^yphslis bre Sympathie nicht versagen ließ. Ein kleines Kabinett 
stuck die Amme von Lotte Mebius — das nächste Mal spielt 
Lene Obermeyer di« Rolle —, ausgezeichnet in ihrem bourgeoiscn 
Egoismus Thcssa Klinkhammer als Mutier. Herr Ner- 
fiM^der die Spiellcimng übernommen hatte, stellte in charak 
teristischer MaSke den französischen Deputierten auf die Beine 
Die Darsteller der Nebenrollen: Hanf, Meißner, Walter 
Grießmann, Margarete Wolf und Gustel Sieger fügten 
sich dem Ensemble gut ein. Die Aufführung wird amDonners- 
stag und Sanmstag wiederholt. 
»Die Schiffbrüchigen.* 
Aufführung im VoUsbildungshcim. 
Revue Lonfekti. 
--- Ins S ch rr man n - Theater ist das Münchener Deutsche 
Theater mit seiner Revue eingezogen. Sie geleitet eine Art von 
Faust durch etliche gleißende Wunder unserer Hivilisation zwischen 
München und Berlin. Der gute Mann wird mit Unterstützung von 
Rudolf Nelsons schmissiger Musik gehörig verführt. Vor allem 
durch die Vi ölet-Girls, die in immer neuen Kostümen ihre 
schönen Beine geometrisch entfalten. Weniger abstrakt gebärdet sich 
eine andere Mädchenreihe, die ersichtlich aus München stammt. Wo 
man nur hinblickt: überall Girls. Gleich zu Anfang im Kabarett 
machen sie von ihrem Hausrecht ausgiebig Gebrauch. Tänzerisches 
strömt in Massen hernieder. Man freut sich hier und später einer 
weiblichen Grotesktänzerin; auch A.fred Jackson kommt exzen 
trisch daher. In einer anderen Szene wird zeitgemäß Sport be 
trieben. Weibliche Turnerriegen suchen Wege zu Kraft und Schön 
heit; sie üben mit Eifer vor gemalten antiken Statuen und einem 
Gobelin, der auf Verlangen durchsichtig wird. Der ^o begrenzte 
Vorgänge muß vielmehr wie nebenher eine Art von Zusammen 
hang sich ergeben. Nicolai Kolins Eisenbahner, eine physiog- 
nomisch erschöpfende Leistung, wird durch die Wette in eine Reihe 
großstädtischer Situationen hineingetrieben, die der blanke Zufall 
herbeiführt. Dies: daß sie unberechenbar einander folgen, verleiht 
ihnen Wirkung im Film. Ihre Komik besteht in dem Zusammen- 
prall des armen Kerls mit einer ihm nicht zugedachten Welt. Von 
Kind und Kegel begleitet, zieht er zu ihrer Eroberung aus- 
Kleidet sich lächerlich, verschenkt im Restaurant die Tausender, 
während der zu seiner UeLerwachung bestellte Sekretär an den 
schlechten Eßmanieren der Familie leidet, und brüskiert das wohl 
erzogene Publikum der Großen Oper. Die Szenen revolutionieren 
und möchten doch Zeigen, daß jeder in seinem Kreis bleiben solle. 
Ins Groteske gesteigert wird die Komik durch die Unfähigkeit 
des Emporkömmlings wider Willen, sich das Geldes vorschrifts 
mäßig zu entledigen. Seiner Eigengesetzlichkeit gehorchend, kehrt 
es immer wieder Zu ihm zurück. Man bestiehlt ihn: die Polizei 
stellt den Dieb; er spielt, in Monteoarlo; die Scheine kleben an 
ihm. Solche Szenen zwingen das Aachen herauf, das die Grillen 
und Widerhäk-chsn der äußeren Umstände dankend quittiert. Die 
Regie hat die meisten Situationen auch formal einwandfrei be 
wältigt. Eine Vorstadthochzeit etwa ist in ungewohnten Ver 
kürzungen aufgenommen, die das inhaltlich Gemeinte zur optischen 
Gestalt erheben. Bedauerlich, wenn auch leicht Zu erklären, ist die 
bourgeoise Moral. Sie entfacht in dem Helden die Sehnsucht nach 
dem stillen Herd, damit die richtigen Millionäre sich ungestört 
weiter langweilen können. Am Ende wird ihm ein kleines Bauern 
gut-Idyll beschert, in dem er, gesegnet von dem Genius kleinbürger 
licher Zufriedenheit, harmlos sein Pfeifchen raucht. raca. 
Man verließ ein wenig zweifelnd daS Haus. Aufklärung ist in 
Ordnung die fugend soll wissen, wieviel Dornen am Wege 
stehen. Wer herßt es nicht, aus dem einen Extrem in§ andere 
fallen, wenn man heute blank bespricht, was man gestern gar zu 
beflissen verschwieg? Kann die schonungslose Vorweisung des Tat- 
sachemnarertals in den PubertätSjahren nicht Hemmungen und 
Aengste erzeugen, deren Wirkungen kaum minder unerfreulich sind 
wie d,e bekämpften? Da wem schon, gewiß mit RM einem 
jugendlichen Hörerkreis die Vorgänge des Geschlechtslebens ent. 
' die neue Sachlichkeit nicht etwas mit Zartheit 
umkleiden? Las Radikale ist nicht immer am radikalsten. 
Vielleicht sind di« Besorgnisse nur bei sensiblen Naturen ange- 
Wenigstens hörte man nach Schluß der Vorstellung ei« 
robustes^ ExeM^r zukünftiger Männlichkeit dem anderen »er. 
,l^)ern, das Stuck habe denn doch Eindruck auf ihn gemach!. Auch 
m s""« Genugtuung darüber aus, daß die Obszönitäten 
fehlten. Nun also! 
Raum H zugleich der SoSmeLS geweiht. Eine strenge Dame leitet 
ihn: vorne ist sie bis an den Hals schwarz bekleidet, den Rücken 
jedoch hält sie sich frei. Mir Stresemann", bemerkt Faust aliLL 
Willi SchaefferS, der in die Schaugerichte unentwegt das Salz 
seines Witzes jsseffert. Es ist mehr berlinisch als attisch» Er läßt 
sich drollig massieren und unterhält als Stütze des Ganzen einen 
lebhaften Verkehr mit dem Publikum. Sein Partner ist Leo P e u- 
kert, der Regisseur, der sich kaum minder als Lebenskünstler er 
weist. Me beiden wandern von Bild zu Bild, es ist köstlich, sie 
immer wieder zu finden. Zaubert diese? als Fakir, so ist jener 
gewiß sein Impresario; verwandelt sich der eine in einen Salon 
tiroler, so singt auch der andere seine Schnadahüpferln. Ein Duett, 
das durch Christr Mardayn ergänzt wird, die gar liebreich 
Gesangeshöhen erklimmt, sei es als moderne Frau oder duftig als 
eine Vision. Mit ihr vereint sich zuweilen Oscar Sachs, dessen 
Oberbayerisch sich graunzend ergeht und viel Zu schollenhast ist, um 
aus Wien zu sein. Zwischen den Couplets produziert sich wieder 
holt das Tanzpaar Karins?« und Dolinoff; dieser, der 
athletisch geraten ist, schwingt seine Partnerin Zu schönen Stellun 
gen rhythmisch empor. In einer originellen Szene: „Zeitlupe" 
scheint sie einsam durch die Lust zu schweben, wie es sonst nur 
auf der Leinwand geschieht. Dann wieder begibt sich das Paar 
in die Wüste; er verdurste mit ausdrucksvollen Gebärden, sie um- 
tanzt ihn als UorMim. Andere Szenen geben dem ganzen 
Ensemble Gelegenheit zu bunter Prachtentwicklung. Man beliebt 
etwa quicklebendiges Badetreiben am heimischen Starnberger 
Strand, oder verunstaltet eine Schau erlesener Diamanten. 
Schmücken diese sonst Hälse und Hände, so ziert hier rosiges Fleisch 
im Ausschnitt die glitzernde Fülle. Auf die Ausschnitte über 
haupt kommt es an, wie sie frei gelassen sind, wie sie sich zeigen. 
Dtan bringt die bewahrten Mischungen, die Kostüme selber wechseln 
kaleidoskopartig im üblichen Revuestil. Die Girls in Jacken und 
Hosen sind von netter Linienhaftigkeit, wenn sie sich schräg aneinander 
schmiegen. Als Zigaretten-Allegorien machen sie einen Dunst vor, 
der nicht nur blau ist. Grünlich winden sie sich in den brenne rr- 
den Wald herein — eine lebendige Schlange, deren Auf- und 
Aögleiten zu den besten Tanzmustern gehört. Das Bild selber, 
das, wie es heißt, zum ersten Male in Deutschland aufgeführt wird, 
ist von einer optischen Wildheit, die durch wer weiß welche 
Maschinerien hier eingefangen ist. Tannenbäume, innerlich rot 
glühend, purzeln zu Boden und begraben mehrere Leichen. Da 
zwischen lodern niedliche Feuersbrünste, der Horizont auch ist illu 
miniert. Lauter visuelle Ausschweifungen, die gewöhnlich in Apo 
theosen endigen. Als Ruhepunkte sind einigt Wortszenen eingestreut. 
Ein Sketsch etwa, dessen Sprachfügungen dem Publikum an 
heimgestellt sind. Dieses kann einen beliebigen Buchstaben Vor 
schlägen, mit dem nun alle Worte beginnen müssen. Die alt ein 
gebürgerte Improvisation glückt stets. Es bewegt sich vielerlei zu 
Walzer- und Jazzmusik, die Hintergründe sind zahlreich wie die 
Beine, und man hat wieder einmal einen Querschnitt durch die 
---Im Rahmen der R eichS gesu ndheitSwoch e wurde 
Dienstag abend das bereits historisch gewordene AuMrungsstuck 
von Brl« ux vor der Jugend gespW. Knaben und Mädchen 
saßen rn dichten Scharen beisammen und ließen sich über die Ge 
fahren der Syphilis belehren. Viele «och halb Linder, unfähig.
	        
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