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Full text: H:Kracauer, Siegfried/01.05/Klebemappe 1926 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

eins dritte Ukro, der Nokdsmus, ^roüo Vor- 
dreiiuLF. 8io knüpft an U 0 - tL an, der von doni 
Verka83er als „kuinaniiärer Politiker" und uti-, 
iitaristisoftor Denker xekenn^eiotinet wird. Von 
;!nn lind etwa auek dein laoismus deoinklrM 
sind die unter dem tarnen der 8opftiston 
Lusamnwngsfakton Dftilosopfton der Aleieken 
2eit, die mit den griZeftiscften Denkern ilirer 
UiofttunF niekt nur den IdanZ Lur 8kspsis, sondern 
aued das ^Votil^etallen an paradoxen und Dara- 
lo^ismen teilen. Denker verv/eitt bei der von 
itmen aus^ebildeten Do§ik, deren Dormsn er 
klärt und entfaltet. Von ldnen sendet er sieli den 
späteren Xonku^eanern 2u; dem KI en § - tse (372 
bis 289 v. OIm.) vor allem, der naoft idm „kür die 
Zukunft des Lonku2eanlsmu8 eine DedeutunZ fte- 
kam, wie sie etv/a Paulus kür das jnnZe Oftristen- 
tum erüielt". Der naeü iüm loerüümteste Konkn- 
xeaner ist DIsün-tse (305 bis 235 v. Oür.), der 
„Dobdes der eüinesiseüen Autokratie"; seine 
Dsüren werden Lur 8tütL6 des Kaisers 8üi 
DuanF-ti, des DeZründers der Dan-D^nastie, 
der dem üiskeriZen Deliensstaat dureü die 8eüak- 
kun^ .eines Lentralistiseüen Dinfteitsstaates ein 
Dnde maeüt. Rit iüm beginnt eine neue §e- 
sedielrtlielie ^era. 
Ikre besondere aktuelle Dedentun^ gewinnt 
die Darstellung durcb die 8orgkalt, mit der sie die 
socialen (rrundmotive der eftinesisoften Dftilo- 
sopbie naebrieielmst. Dn^weideutig erbebt aus 
ibr, daü von Hefter der Dürst nur darum als der 
8obn des Dimmels gilt, weil der Dimmel aueb 
über dem Volk sieb wölbt. Im 8bu-king beikt 
es: „Verläkt der Kaiser den ^Veg des Himmels, 
dann Liebt der Himmel seinen ^uktrag Lurüek . 
und weiter: „Der blimmel bört und siebt. Dureb 
unser Volk b^'rt und siebt er. Der Himmel ist 
allwissend und kurebtbar. Dureb unser Volk weiü 
und raebt er alles. Ks ist ein innerster Zusammen- 
baug Lwiseben (dem Dimmtzl) oben und (dem 
j Volke) unten..Ueng-tse bat diese Erkenntnis 
der Dolgereit vermaebt. Denker nennt ibn einen 
„ausgesproebensn Demokraten", der entseblosss r 
gewesen sei, aus seiner auk das 8bmking sieb 
stütLenden pbeoris die äußersten praktiseben 
Dolgerungen Lu Lieben, und beriebtet von ibm das 
gewaltige V^ort: „Das Volk... ist das Kostbarste 
und Kbrwürdigste, die ZebutLgeister der 8aatsn 
kommen erst an Zweiter 8tells, und die Dürsten 
sind das Geringste." Uan verstebt das beutige 
revolutionäre Obina besser, wenn man die Quellen , 
kennt, aus denen es seböpken kann. 
7^. 
Ire JeMMche. 
Eine neue W i s se n s ch a f Ls l eh r e. 
Me WiffenschaftsklassifikaL^ der neueren Zeit umfassen nichr 
wie die „Summen" des MiLtelalters den Besitz an Seiendem als 
eine theologisch gebundene Ordnung; sie entspringen vielmehr einem 
im Bereich der menschlichen Vernunft selber gelegenen Einteilungs 
prinzip, das mehr und mehr von dem Seienden sich abgetrennl hat. 
In "den letzten Jahrzehnten hat sich die Scheidung der Wissen 
schaften nach Natur-, und Geisteswifsenschaften eingebürgert. Der 
Grund für diese Unterscheidung ist entweder wie bei Windelband 
und Rickert als ein methodischer dem Subjekt zugeschoben oder als 
ein gegenständlicher vorwiegend aus der Beschaffenheit der Objekte 
abgeleitet worden (Becher). Keiner der beiden Klassifikationstypen 
hat noch die Verbindung mit dem Seienden durchaus gelöst; sie 
beziehen sich asf einen als wahr erkannten Sachgehalt, wie ab- 
geölaßt immer er sich zeige. 
Das Werk Paul Oppenheims: „Die natürliche 
Ordnung der Wissenschaften Grundgesetze der ver 
gleichenden Wissenschaftslehre" (Gustav Fischer, Jena) streift die 
schwachen Klammern vollends ab, die jene schon sehr formalen 
Aufteilungen an einen absoluten Wahrheitsgehalt heften. Der Ver- 
fasser ist ein Outsider; man wird ihm das logische Genie nicht aL- 
sprechen dürfen. Mit der Radikalität der Relativitätstheorie bringt 
sein Buch den Prozeß der Funktionalisierung auf 
dem Gebiet der Wissenschaftsklassifikation zum vorläufigen Ende. 
Das Ziel wird erreicht durch die Eingliederung der Wissen 
schaften unter die Bestimmungen, die ihnen logische Struktur ver 
leihen. Oppenheim ordnet sie, der Totalität wegen, zu Paaren an: 
typisch — individuell; abstrakt — konkret. Ihre Gruppierung in einer 
symbolischen graphischen Darstellung ist sein eigenstes Verdienst. 
An den Lypisierungspol verlegt er die Mathematik, an den 
Jndividualisierungspol die Geschichte. Auf der wagrechten Ver 
bindungslinie (Abszissenachse) zwischen den Leiden Polen haben 
die übrigen Wissenschaften, von zweien abgesehen, ihren Ort; je 
nachdem sie mehr typisieren oder individualisieren. Zugleich aber 
erstrecken sie sich nach oben und unten ins Abstrakte und Konkrete. 
Eine auf der Wagrechten senkrecht stehende Mittelachse (Ordinate) 
führt auf der einen Seite Zum Abstraktionspol, dem die Metaphysik 
zugewiesen ist, auf der anderen zum Konkretisierungspol, an dem 
die Geographie als die das Einzelne schlechthin verzeichnende 
Wissenschaft sich findet. Verbindet man die vier Polpunkte, so er 
hält man ein Viereck, das eine Fläche einschließt. Sie heißt die 
Denkfläche und drückt bildmäßig aus, daß die logische Ord 
nung zweidimensional ist; nicht linear. 
Den Wissenschaften, die auf der Denkfläche zu lokalisieren sind, 
wird nicht ein umgrenztes logisches Verhalten zugeschrieben, son 
dern die eine und die andere logische Tendenz. So hat etwa 
die Rechtswissenschaft verschieden starke Tendenzen zu den Polen 
hin. Das heißt aber, daß die Wissenschaften auf der Denkfläche, 
statt diskret von einander abgehoben zu sein, in ein logisches 
Kontinuum eingebettet sind. Nicht den einzelnen Disziplinen gilt 
die Denkfläcke, wenn sie von ihnen aus auch gewonnen wird. Sie 
ist die Verbildlichung des stetigen, infinitesimalen Ueber- 
gangs der logischen Tendenzen ineinander und enthält darum die 
Strukturen aller möglichen Wissenschaften überhaupt, der bekannten 
sowohl wie der noch unbekannten, für die sie annähernd das gleiche 
bedeutet wie das periodische System Mendelejeffs für die chemischen 
Elemente. 
Zur Ergänzung der logischen Totalität führt Ovpenheim als 
weitere korrespondierende Bestimmungen einer Wisftnschasts- 
einheit ihre Tendenz zum System oder zur Summe ein; ferner 
ihre Fähigkeit, den Stoff sinnhaft zu erklären oder unter Gesetze 
Zu fassen. Zusammen Lestreichen also vier Paare logischer Ten 
denzen das Feld., Die so geistreiche wie elegante Deutung des 
Flächenbildes bedient sich mit Vorliebe der mathematischen, Sym 
bolsprache. Linien desselben Abstraktionsniveaus, Systemati- 
sierungs Gesetzmäßigkeitsgrades usw. weisen die Beziehungen 
zwischen den hier und dort gelagerten Wissenschaften auf, ver 
anschaulichen die Begegnungen und das Auseinand-erweichen der 
Strukturen. Das ausgefüllte Feld stellt sich als ein geschlossenes 
1 Ganze, dar, dessen logische Wesenhaftigkeit. dadurch bestätigt wird, 
Abfolge der Wissenschaften auf der Fläche zugleich eine 
! Abfolge der in ihnen verwandter^ Begriffe und Begriffsmerckmale i 
ist. Oppenheim darf sein (ideales) System zwar nicht eine 
„natürliche" Ordnung, Wohl aber mit gutem Recht eine „ratio 
nale Enzyklopädie der Wissenschaften" nennen. 
Ihre Grenzen, die in der hier vollendeten Funknonalisierung 
des Seienden begründet sind, erhellen aus der Erörterung der 
Prinzipienstreite innerhalb der Wissenschaften» Da Tendenzen 
die Denkfläche beherrschen, sind die Wissenschaften logisch nicht 
abschlußhaft Zu determinieren, sondern von ebenso vielen Span 
nungen durchwaltet, als Tendenzen sie angreifen. Je nach dem 
FlächenorL einer Wissenschaft überwiegt bald die eine TendenK- 
gruppe, bald die andere. Oppenheim erledigt nun die wissen 
schaftlichen Methodenzwiste in der Regel durch ihre Kennzeich 
nung als fälschliche Verabsolutierungen von Tendenzen. Ob das 
Recht a prioi-i oder a posteriori sei, ob eine Metaphysik sich in 
einem mehr oder weniger abstrakten Medium entfalte, ist nach ihm 
eine Standpunktsfrage, hängt am Ende von den Interessen 
des Forschers ab. Aus seinem System gewinnt er einen erkennt- 
nistheoretisch verankerten Toleranzbegriff, der sich dannstets 
realisiert, wenn jene einseitigen Absolutsetzungen in die Span 
nungen aufgelöst werden, die auf die Fläche ausstrahlen. 
Das Zergehen der wissenschaftlichen Prinzipien in dem Spiel 
der logischen Tendenzen bezeugt indessen nur die Abgelöstheit des 
Systems von den eigentlichen Sachgehalten. Es ist eine auf die 
absolute Antwort ausgerichtete Frage, ob der Sinn des Rechts sich 
in seiner jeweiligen Pofltivitäi erschöpfe oder nicht. Kein Methoden 
streit ist damit geschlichtet und beseitigt, daß man die gegnerischen 
Erkenntnisse aus den perspektivischen Ansichten begreift, die sich 
von verschiedenen, an sich gleichberechtigten Standpunkten bieten; 
dann zumal nicht, wenn man für die Wahl der Standpunkte die 
Psychologie der Forscher verantwortlich macht. Verhielte sich dem 
so, die Wahrheit, eine jede Wahrheit wäre annulliert, und es ver 
bliebe eine beliebige Summe von Bezugssystemen, deren Anteil an 
der Wahrheit sich grundsätzlich nicht bestimmen ließe. Wahr allein 
wäre die Erkenntnis von den aus der Denkfläche abzulesenden 
Spannungen zwischen diesen Systemen. 
Eben die Folgerichtigkeit verleiht dem Werk die Bedeutung. 
Indem es die Summe der Wissenschaften in einem bisher nicht 
erreichten Grade zur logischen Totalität umwandelt, gibt es der 
Zeit, wozu sie reif ist: die Darstellung einer aus allen Seins 
beständen abgeschiedenen Ganzheit, die in ihrer Formalität unan 
tastbar zu ruhen scheint. Sie ist eine äußerste Entleerung des 
Seienden, aber genau diese Entleerung ist aktuell gefordert, da 
ein Umschlag in die Fülle des Seienden sich nicht eher vollziehen 
kann als das Kehrbild der Fülle hervortritt. Es wird in dem 
System Oppenheims Zug um Zug Wirklichkeit. In der Denk- 
fläche finden sich die Sphären des Seienden wieder, die keine 
lineare Logik noch einzusammeln vermochte. Auch die Entgegen 
setzung der Metaphysik und der Geographie erhärtet die Reinheit 
und Treue des Bildes. Wenn die Metaphysik mit der Geographie 
zusammenfiele, so wäre sie als himmlische Topographie bei sich 
selber angelangt. Dr. S. Krakauer.
	        
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