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lich, die Figur setzte immer neue Aeste an." , .
Renz galt öfter als großer Sparmeister. Dennoch verstand
er, mit vollen Händen zu spenden, wo es am Platze war, wo
nicht, knauserte er allerdings. Auf die „Freiberger" — jene Leute,
die. ohne zu zahlen, der Vorstellung anwohnen möchten — war ec
schlecht zu sprechen. Konnte er einmal solch erneu Patron wcht
loswerden, ging er mit ihm zur Kasse, erlegte für ihn das Geld aus
eigener Tasche und überreichte dem nicht wenig Beschämten feierlich
sein Billett."
— Glücksritter An der Neuen Li ch t b ühn e werden zur
Zeit zwei Filme gezeigt, die trotz ihrer Bejahrtheit noch sehensswert
sind. In dem einen „Der RiLtumsGlück" spielt Douglas
Fairbanks die Hauptrolle. Er ist schnurrbartlos, ein gehobener
Tom Mix. Geschäfte führen ihn, der als Cowboy in allen Sätteln
und ohne sie gerecht ist, nach New Dork, wo er im Smoking aufzu-
Lreten gezwungen ist und sich nach den Abenteuern der Pamvas
sehnt. Sie werden ihm bereitet. Man erwirbt sich seine Dankbar
keit dadurch, daß man ihn eine schöne junge Frau aus Räuberhän
den befreien läßt, Kellerverließe für ihn herrichtet und dergleichen
mehr. Die Pointe ist, daß die von ihm ernstgemeinten Szenen
Schauspielerei sind. Indessen entführt er oarum doch mit Ernst die
Braut. -- In dem Film „Millionenkompagnle" wird ein
schwieriger Kriminalfall entfaltet. Ein junger Juwelier, der die
Tochter seines Chefs heiraten soll, gerät in den Verdacht, einen
Raubangriff auf sich selber inszeniert zu haben. Es ist nicht ge
schehen, ebensowenig sind die künstlichen Diamanten künstlich, die ein
Chemiker hergestellt zu haben behauptet. Kenner von Detektivromanen
werden erraten, daß diese Retortenprodukte in Wahrheit die ge
stohlenen Steine sind. Aber für den Chemiker spricht, daß er diese
Sache nur fingierte, um eine andere Erfindung durchzusetzen und
vor allem: um die Verschwendungssüchte der großen Weltdame
Olga Tschechowa zu befriedigen. Man läßt ihn laufen wenn
er nach Amerika auswandert, und ein jeder Lebenskenner wird es
für wahrscheinlich halten, daß die Weltdame aus Liebe zu ihm sich
drüben in die einfachsten Verhältnisse schicken will.
Die Schöpfung des Dummen August wird Tom Bel -
mng zugeschrieben. Der Verfasser berichtet darüber:
„Belling war Ende der sechziger Jahre bei Renz als Komiker
(die Bezeichnung Clown war dazumal in Deutschland noch nicht
Das Mach vom Zirkus.
Das im Verlag Ed. Lintz A.-G. (Düsseldorf) erschienene:
„Buch vorn Zirkus" von Joseph Halperson will nicht
mehr sein als eine Skizzensammlung aus dem Reich der Wander-
künstler. Es kann nicht mehr sein, denn der Historiker des Zirkus
hat sich noch nicht gefunden. Vorarbeiten bleiben zu leisten, man
ist auf mündliche Quellen angewiesen. Halpersons Buch macht
einen ernsthaften Beginn mit der Inventarisierung des Stoffes.
Es ist liebenswürdig geschrieben und stellt die Tatsachen zu
sammen, ohne an der Deutung der Phänomene sich zu verheben;
eine Leistung, deren Wert nicht zuletzt in ihrer Selbstbescheidung zu
suchen ist.
Der Zeitpunkt, in dem sie den Zirkus der unausbleiblichen
historischen Betrachtung erobert, ist glücklich gewählt. Mit dem
Niedergang der alten sozialen Ordnung fallen die durch die klassi
sche Aesthetik gesetzten Grenzen, die von der hohen Kunst die der
Manege ängstlich sondern; diese kann ihren Sinn unverstellter nun
zeigen. Zudem hat die naive Entwicklung des Zirkuswesens, so
scheint es, ihren Abschluß gefunden. In den letzten Jahren vor
dem Krieg war die Zahl der Unternehmungen auf dem Kontinent
von 200 (zu Anfang des Jahrhunderts) auf annähernd 70 herab
gesunken. Mr Betrieb hat sich aus wirtschaftlichen Gründen
amerikanisiert. Die Späße der Clowns bedürfen der Auffrischung.
Die Direktoren suchen Reiterfamilien.
Halperson berichtet nach einem flüchtigen Blick auf die Antike
und das Mittelalter über die Heraufkunft des Zirkus in den
verschiedenen Ländern. Einen Ehrenplatz nimmt England ein,
das Mutterland der equestrischen Künste; als einer der ersten
Kunstreiter wird ein gewisser Price um 1760 genannt. Die erste
Manege ist 1767 in P a r i s gegründet worden. Der Chronikeur
verzeichnet Programme aus jener Frühzeit und sammelt die Pro
minenten der Pferde- und Reiterwelt. Die Kollektion ist inter
national. Von der amerikanischen Wanderschau erstreckt sie sich
zum Wiener Oiraus von Buffalo Bill zu Clara
Schumann. Da ein Stamm von Familien das Zirkusleben
durchwächst, wird dynastische Geschichte getrieben. Der Glanz
der Höfe ist dahin, die Enkel großer Prinzipale herrschen un
vermindert über Stall und Manege- Der alte Renz, Wilhelm
Carre, Gotthold Schumann, Kommissionsrat Paul Busch, Pierre
Althoff: alle die Gewaltigen erstehen in Mimaturen. Auch
die neueren Sterne wie Hagenbeck, Sarrasani, Krone sind regi
striert. Es fehlen nicht Erinnerungen an bedeutende Artisten
jedes Zweigs, die Clowns' werden nach Typen geschieden. Das
Gebiet ist ansehnlich: es umfaßt die hohe Schule, den Luft
schwung, Löwenauftritte und die Purzelei. Immer neu wirken
diese Künste. Sie verwandeln das natürliche Leben in die
abstrakte Bewegung, verräumlichen den Instinkt zur mathemati
schen Figur.
Viele Stiche und Photographien schmücken das Buch.
Zylinder und Jockeimütze, Flitterkleid und Clownskostüm sind die
entscheidenden Attribute. Die Schnurrbärte der Direktoren para
dieren in Wichs, aus dem eng geschnürten Mieder der Schulreiterin-
nen quillt es schön und prächtig hervor. Mit den Menschen ver
schmelzen die Pferde. Man steht sie in Ruhe und in kunstreichem
Trab, alle Tugenden vereinen sich in ihrer Gestalt. Der Ablauf
der Zeit selber stellt in diesen Photographien sich dar; sie zeigen
das immer Gegenwärtige und das restlos Vergangene. Während
die Haltung der Reiter und Reiterinnen und das mit der Haltung
Gemeinte bleibende Gültigkeit hat, sind die Trachten und Gesichter,
ist die ganze individuelle Körperlichkeit ein für allemal geschwun
den. Der Sir-, der menschlichen Erscheinungen ist hier nicht die
Persönlichkeit, irgend eine imaginäre dauernde Einheit des Leibes
und der Seele, sondern eine zuchtvolle Bewegung, eine ungewohnte
Gebärde, eine zum Linienzug gereinigte Materie. Umso erloschener
«wirkt das Bild des Stofflichen, das als einmalige Individualität
üblich), Springer und Szenen-, speziell r>L§-äe-äeux-Reiter enga
giert. Als Komiker ragte er übrigens nicht sonderlich heraus, und
es gab unter den Fachleuten auch späterhin noch 'manche, die be
merkenswert genug, Belling eigentliche „vio cornicL" absprachen.
Um so eigenartiger, daß es gerade ihm gelungen war, der popu
lärste Zirkuskomiker aller Zeiten Zu werden. Belling, Zu aben
teuerlichen Streichen stets aufgelegt, soll nun einst vom gestrengen
Direktor Zu Garderobenarrest verdonnert worden sein. Da habe
er sich aus Langeweile, Ulk, Verzweiflung oder in weinstiger!
Stimmung eines Abends als ruppiger Stallmeister heraus-!
staffiert und sei unversehens dem „Alten" in die Quere gekommen,
der, die Wirkungsfähigkeit dieser kuriosen Aufmachung allsogleich
witternd, den nicht wenig erschrockenen Flüchtling anwies, so,
wie er dastand, sich in der Manege zu zeigen, wobei der alte Herr
ein wenig mit dem Krückstock nachgeholfen habe.
Die andere Lesart der Geburt des „August" hat eine kleine
Vorgeschichte, die aus glaubwürdiger Quelle stammt. Da sei ge
legentlich eines Gastspiels Renzens in Petersburg anfangs der
siebziger Jahre der Oberrequisiteur des Zirkus, ein krummbeiniger,
sein Haar in langen Locken tragender Mann, namens Mach-
heine, eines Abends in rasch improvisierter Stellvertretung
eines nicht anwesenden Stallmeisters in seinem ramponierten
Arbeitsfrack, der von den schmucken Uniformen der Stallmeister
erheblich abstach, in der Manege erschienen, um die Reifen zu
halten, und hier auf Anstiften der Clowns mitten in die vorberei
teten Seidenpapierballons geplumpst, was vom Publikum mit um
so größerer Heiterkeit ausgenommen wurde, als der ergrimmte
Requisiteur die Clowns bis in die Sitzreihen hinauf verfolgte, ge
willt, sie ordentlich Zu verhauen. Der durch ein paar Taler rasch
wieder Besänftigte sei von Renz veranlaßt worden, diese Szene noch
ein paarmal zum besten zu geben. — Die Episode war bald wieder
vergessen, und Machheine hatte inzwischen das Zeitliche gesegnet,
als Renz, sich gelegentlich jener Szene erinnernd, Belling anwies,
in ähnlicher Art wie Machheine als komischer Stallmeister aufzu-
Lreten. Sei dem nun wie immer: Eines Abends des Jahres 1873
präsentierte sich Belling in seltsamer Verkleidung, mit struppiger
Perücke, rötlich blinkender Nase in der dummpfiffigen Visage mit
den verwundert blickenden Augen und schlecht passendem Uniform- j
srack. Noch unschlüssig, wie die Sache eigentlich am besten anzu-
stellsn, sei er, über die Manegebrüstung stolpernd und hierbei zu
Fall gekommen, von einem vorwitzigen Berliner Jungen auf der
Galerie mit „Aujust" apostrophiert worden und habe, nicht etwa
im Spaß, vielmehr im vollsten Ernst einen wütenden Blick auf die
Galerie geschleudert, was die Spaßhaftigkeit der Situation natür
lich nur erhöhte. Die anderen Nuancen fanden sich dann allmäh-
sich gibt. Die Züge der Therese Renz in ihrer . Besonderheit rufen
das Totenreich herauf, die Ringellöckchen der Ellen Kremzow
kehren nicht wieder. An Reiterszenen, die wie stets so auch heute
vorgeführt werden, haben diese Menschen sich hingegeben,
als sie noch ritten. Ihr Porträt spiegelt das schon zu ihren Leb
zeiten Vergangene, die Zeit in ihrer Schrecklichkeit ersteht in ihm.
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Einiges Anekdotische aus dem Buch sei mitgeteilt. Zunächst
ein paar Geschichten vom alten Renz. ,Ms er- sich einmal," so
heißt es, „herbeigelassen, das Opernhaus zu besuchen, und den
Klängen der Ouvertüre lauschte, da klopfte er mit eNem Male er
regt mit dem Krückstock und brach knurrend in die denkwürdigen
Worte aus:„Jetzt haben mir die Kerls richtig meine beste Schul-
musik gestohlen!"
Ferner erzählt Halperson: „Für Künstlerlaunenwar Renz nicht
zu haben. Da war um die Mitte der siebziger Jahre der berühmte
amerikanische ReiM Fr sh bei ihm engagiert und gefiel sehr.
Fish prahlte Kameraden gegenüber, die attraction" sei er.
Und das Publikum käme hauptsächlich seinetwegen in den Zirkus.
Renz, der davon erfahren hatte, setzte am nächsten Abend Fish als
„Nummer eins" aufs Programm, nicht ohne auf den Plakaten ver
merken zu lassen: „Die Vorstellung eröffnet der amerikanische Reit-
künstler C. W. Fish in seinen außerordentlichen Leistungen". Aber
das Publikum hatte sich gewohnheitsmäßig zu Beginn der Vor
stellung noch nicht sehr zahlreich eingefunden, und auch der Peifall
war demgemäß nicht allzu warm. Dies wiederholte sich an den zwei
folgenden Abenden. Als Fish daraufhin bei Renz Beschwerde führte,
daß ihm die „undankbare" Nummer eins im Programm zugewiesen
sei meinte dieser: „Ich dachte, Mr. Fish, das Publikum käme
ihretwegen in den Zirkus, da sollte es doch zu Nummer eins auch
schon da sein, zumal es ja verständigt wurde!" Und nun spielte der
„Alte^ seinen Haupttrumpf aus. Zu seiner peinlichen Ueberraschung
fand Fish am Tag darauf seinen Namen nicht aufs'Programm gesetzt
und ebensowenig an den folgenden beiden Abenden. Und siehe da:
der Zirkus war stets dicht gefüllt. „Sie sehen," mernte Renz zu dem
verdutzten Reitersmann, „Sie brauchen gar nicht zu reiten, und das
Publikum kommt doch!" So kurierte der alte Herr Künstlereigen
dünkel.