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Die Natur, wie sie leibt und lebt, ist auf das Altenteil
gesetzt. Ihre Landschaften werden von den frei entworfenen
übertroffen, deren malerische Reize dem Zufall enthoben sind.
Auch ihre Sonnen lassen zu wünschen übrig; da sie nicht sa
verläßlich wie die Jupiterlampen funktionieren, sperrt man
sie in den neuesten amerikanischen Filmateliers aus. Mögen
sie streiken.
Immerhin sind Restbestände des Natürlichen anhangs
weise einmagaziniert. Ueberseeische Fauna, das Neben
produkt einiger Filmexpeditionen, gedeiht mit den Vertretern
der einheimischen Tierwelt in einer Grenzprovinz des Ge
ländes. Ein Teil des in Brasilien Erbeuteten ist dem Zoo
logischen Garten überwiesen worden, wo es Selbstzweck sein
darf und die Wissenschaft bereichert. Das Zurückbehaltene
wirkt als Spezialitäten-Truppe, die mit ihrem Impresario
reist. Jede Tierart hat ihre Nummer im Programm. Die
Gold- und Silbersasane mögen in einem Zierpark den Luxus
amerikanischer Milliardäre illustrieren, der seltene Schwarz,
kappenreiher weckt die Schauer des Exotischen, Katzen in
Großaufnahme Wesen in den Salons. Aus Bergers schönem
Aschenbrödel-Film die Tauben fliegen noch immer empor. Zu
den Prominenten zählt der Wildeber, der in Jagdfilmen
startet, und ein Rudel lebendiger Krokodile. Sie spielen
in dem von Lothar Mendes geleiteten Film: „Die drei
Kukuksuhren" eine bedeutende Rolle. Das Krokodiljunge
ist eine Attrappe, in die Hand zu nehmen; aber die voll
jährigen Ausgeburten selbst sind nicht so gefährlich wie ihre
leblosen Ebenbilder, vor denen die Affen sich fürchten. Ge
wächshäuser ergänzen die Sammlung; ihre Vegetation ist der
passende Hintergrund für Eifersuchtsszenen in den Tropen.
Die Insassen des Naturschutzgebiets werden von dem
Expeditionszyologen mit Liebe betreut. Er nennt sie bei
Namen, Pflegt sie und bildet sie künstlerisch aus. Trotz der Un-
vollkommenheit, die ihnen als Naturgeschöpfen eignet, sind st?
die verwöhntesten Gegenstände des Betriebs. Daß sie'springen
oder fliegen, ohne von einem Mechanismus bewegt zu sein,
versetzt in Entzücken; daß sie sich fortpstanzen, ohne eines
sichtbaren Tricks zu bedürfen, erscheint wunderbar. Man hätte
es hinter diesen primitiven Gebilden nicht vermutet, fast sind
sie Filmillusionen.
Die Weltelemente werden in umfänglichen Laboratorien an
Ort und Stelle gezeugt. Das Verfahren ist prompt. Mun rick-
messen. Die Gesetze der Metamorphosen sind unerforschlich.
Was aber auch mit den Dingen geschehe: zuletzt erglänzen sie
gipsern und werden verramscht.
Das Willkürregiment beschränkt sich nicht auf die Welt, die
es gibt. Sie ist eine der vielen Möglichkeiten, die hin und her
bewegt werden können, und das Spiel bliebe unvollkommen,
nähme man sie als Fertigfabrikat hin. Darum werden ihre
Objekte gestreckt und verkürzt, erdichtete Gegenstände unter die
vorhandenen gestreut, Wundererscheinungen ohne Bedenken
verwirklicht. Die überlieferten Akte der Zauberei sind ein zages
Vorspiel des Filmtricks gewesen. Er verfährt mit der
Natur summarisch, der Kosmos ist ihm ein Schlcuderbällchen.
Mitunter verleihen sich die auf die Leinwand geworfenen
Dinge ein so alltägliches Aussehen, als stünden sie aus der
Straße. Ihre Heraufkunft ist indessen von abnormen Umständen
begleitet. Lichtmasten, deren Eisenbeton-Existenz man zu tasten
meint, sind aus Holz und in der Mitte abgebrochen; für den
Bildausschnitt genügt das Fragment. Ein achtbarer Wolken
kratzer türmt sich längst nicht so schwindelhaft, wie er dann auf
tritt. Nur die untere Hälfte ist errichtet, die obere wird durch
ein Spiegelverfahren aus dem kleinen Modell gewonnen. Die
Kolosse sind damit widerlegt; mögen ihre Füße tönern sein,
die höheren Partien sind unsubstantieller.Schein des Scheines,
der aufgestülpt wird.
Die beschwörenden Kräfte des Tricks entfalten sich zumal
in dem Bereich der Uebernatur. Der kommende Riesenfilm
„Faust", dessen Aufnahmen W. Mu-rnau leitet, benutzt sie
umfassend. In einer Halle, die früher-Korsaren zur Ausfüh
rung ihres Räuberlebens diente, weitet sich der Erdenkreis
«Q rniniAturs. Faust wird den Aether durchstiegen, von
Prospekt zu Prospekt. Eine hölzerne Gleitbahn, die in Kurven
sich talwärts zieht, bezeichnet seinen Luftweg. Der Apparat
rodelt auf ihr hinab und sprüht untr kundiger Führung
Ansichten von der Reise hervor. Nebel aus Wasserdampf, von
einer Lokomobile bereitet, umhüllen der Berge schicklich model
lierte Gipfelriesen, denen Faust entfährt. Zum grausen Sturz
des Schaums der Flut wird etwas Wasser durch eine Seiten-
schlucht gespritzt. Die wilden Triebe entschlafen, wenn inst
Propellerwind Getreide ersäuselt, das unter den schroffen
Fichtenhöhen Feld und Auen bedeckt. Nach Osten strebt Wolke
um Wolke, eine Masse gesponnenen Glases, mit geballtem Zug.
Bei der Landung werden vermutlich grünumgebene Hütten in
vielkerziger Abendsonneglut schimmern. Auch in dem Tem-
velhofer Ufa-Betrieb, w» Karl G r une die „Brüder Schellen-
berg" inszeniert, geht es faustisch /zust Die apokalyptischen
Reiter fegen dort in halber Höhe des Glasateliers umher, ihre
.Rosse hängen an Drähten. Darunter droht ein schwarzes
Riesenflügelpaar, in dem Jannings als Groß teufet Schat
ten auf Städte wirft; das weiße wird von dem Erzengel
Michael verwandt.
Die Herrscher dieser Welt beweisen einen erfreulichen
Mangel an historischem Sinn, ihre Pietätloflgkeit scheut vor
Eingriffen nirgends zurück. Sie bauen Kulturen auf und
zerstören sie wieder nach Bedarf. Ueber ganzen Städten sitzen
sie zu Gericht und lassen Pech und Schwefel auf sie nieder
regnen, wenn der Film es verlangt. Nichts hat vor ihnen
Bestand, die stolzeste Schöpfung ist auf Abbruch errichtet.
Manche Stücke ereilt die Vernichtung, kaum daß sie prang
ten. Umgestürzt ist eine Renntribüne, vor der Sportsensationrn
sich begaben, hingerasft der Wiener Wald, der im „Walzer
traum" rauscht. Anderes wandelt sich verquert. In eine ält
liche Gasse sind die Ueberreste moderner Häuser hineinge
arbeitet worden, niemand stößt sich am Anachronismus. Poli
tische Interessen verfolgen die Umschichtungen nicht, wie ge
walttätig immer sie seien. Aus einem bolschewistischen Wach
lokal ist ein friedlicher Bahnhof in Schweden hervorgegangen,
der-sich zu einem Tatterfall verändert hat, in dem heute
Lampen ausbewahrt werden. Noch, ist das Ende nicht zu er
g
Die Ufa-Stadt zu Neubabelsberg.
Don Dr. S. Krakauer.
Mitten im Grunewald liegt ein abgeschlossener Bezirk, den
man nur nach mancherlei Prüfungen betreten darf. Er ist eine
Wüste in der Oase. Die Natürlichkeiten draußen — Bäume
aus Holz, Seen mit Wasser, Villen, die bewohnbar sind —
haben innerhalb seiner Grenzen ihr Recht verloren. Zwar, die
Welt kehrt wieder in ihm, ja, der ganze Makrokosmos scheint
in dieser neuen Arche Noah eingesammelt: aber die Dinge, die
sich hier ein Stelldichein geben, gehören nicht der Wirklichkeit
an. Sie sind Abbilder und Fratzen, die man aus der Zeit ge
rissen und durcheinander gemischt hat. Unbewegt harren sie,
vorne voller Bedeutung, hinten das blanke Nichts. Ein böser
Traum von den Gegenständen, der in das Körperreich ge
zwungen worden ist.
Man befindet sich in der Filmstadt der Ufa zu Ne u-
babelsberg. Sie enthält auf einer Fläche von 350000
Quadratmetern die Welt aus Papiermache. Alles garantiert
Unnatur, alles genau wie die Natur.
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Damit die Welt im Film vorüberziehen kann, wird sie zu
vor in der Filmstadt zerstückt. Ihre Zusammenhänge gelten
für aufgehoben, ihre Dimensionen verändern sich beliebig, ihre
mythologischen Gewalten werden zum Spaß. Sie gleicht einem
Kinderspielzeug, das man in die Pappschachtel steckt. Der Ab
bau der Weltgehalte ist radikal, und erfolgt er auch nur zum
Schein, so ist doch der Schein keineswegs nichtig. Die Helden
der Antike sind bereits in die Schullesebücher gewandert.
„ Trümmer des Universums lagern in den Requisiten-
h ä u s e r n, Belegexemplare sämtlicher Zeiten, Völker und
Stile. Nahe bei japanischen Kirschbäumen, die durch dunkle
Kulissengänge leuchten, wölbt sich der Monstredrache aus den
„Nibelungen", seiner diluvialen Schrecken bar, die er auf der
Leinwand entfaltet. Neben dem Modell eines Geschäftsgebäu
des, das nur gekurbelt werden muß, um jedes Hochhaus zu
.schlagen, schichten sich Särge, die selber gestorben sind, weil sie
keine Toten bergen. Empire-Möbel tauchen dazwischen in
natürlicher Größe auf, man glaubt ihnen ihre Echtheit nicht.
Altes und Neues, Kopien und Originale sind zu einem kon
fusen Gemenge angestapelt wie die Knochen in Katakomben.
Nur der Requisitenmeister kennt die Regel.
Auf den Wiesen und Hügeln vereinigt sich das Inventar
zu Gebilden Architekturen ragen in die Höhe, als seien
sie zu bewohnen. Aber sie stellen nur das Aeußere ihrer Vorbilder
dar, wie die Sprache Wortfassaden bewahrt, deren ursprüng
licher Sinn gewichen ist. Eine friesische Dorfkirche, die von
weiiem zu schlichter.Frömmigkeit einlädt, ist in der Nähe
eine Bude auf angestrichener Böschung. Auch die ein
paar hundert Meter entfernte Kathedrale faßt keine Kirchen-
chöre, steht doch ihr Dach mit den Wasserspeiern für Auf-
nahmezweSe gesondert Leiseite. Nebst den Fronten einer
Vergnügungsstätte und eines Milliardärklubs gehört sie in
den Film „Metropolit, den Fritz Lang dreht. Zwi
schen den geistlichen und weltlichen Imitationen hat sich zu
Zeiten elegante Statisterie nächtlich ausgelebt. Die Unter
stadt mit ihren Höhlen und Stollen, in denen die Filmfabel
taufende Arbeiter Hausen läßt, ist bereits dahin: gesprengt,
verlofsen. Das Wasser stand nicht so hoch, vie es auf den
Bildstreifen erscheint, aber die brennenden Auszüge sind in
Originalgröße niedergeknallt. Von dem Elementarereignis
zeugen noch sorgfältig ausgefeilte Risse in den Kaminen.
In der Nachbarschaft des Katastrophenherdes dehnt sich Ge
mäuer: eine Burg mit Kemenaten, Wällen und Gräben. Sie
gibt in dem bekannten Film: „Die Chronik von GrieshuuZ"
den Archäologen zu raten. Als im Mittelalter, vor kurzem,
Reisige sie besetzten, hatte der Regisseur sich quakende Frösche
verschrieben, Frösche aus Teichen, um die Truppen in Stim
mung zu halten. Das Gemüt schätzt die Echtheit, wenn es ge
täuscht werden will. Die Burg zerstiebt mittlerweilen, ihre
Baumaterialien blicken hervor. Zur Ruine kann sie nicht
verfallen, Ruinen müssen eigens angefertigi werden. Alle
Objekte sind hier nur das, was sie gerade vorstellen sollen;
eine Entwicklung in der Zeit kennen sie nicht.