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Full text: H:Kracauer, Siegfried/01.05/Klebemappe 1926 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

/.) 
Die Natur, wie sie leibt und lebt, ist auf das Altenteil 
gesetzt. Ihre Landschaften werden von den frei entworfenen 
übertroffen, deren malerische Reize dem Zufall enthoben sind. 
Auch ihre Sonnen lassen zu wünschen übrig; da sie nicht sa 
verläßlich wie die Jupiterlampen funktionieren, sperrt man 
sie in den neuesten amerikanischen Filmateliers aus. Mögen 
sie streiken. 
Immerhin sind Restbestände des Natürlichen anhangs 
weise einmagaziniert. Ueberseeische Fauna, das Neben 
produkt einiger Filmexpeditionen, gedeiht mit den Vertretern 
der einheimischen Tierwelt in einer Grenzprovinz des Ge 
ländes. Ein Teil des in Brasilien Erbeuteten ist dem Zoo 
logischen Garten überwiesen worden, wo es Selbstzweck sein 
darf und die Wissenschaft bereichert. Das Zurückbehaltene 
wirkt als Spezialitäten-Truppe, die mit ihrem Impresario 
reist. Jede Tierart hat ihre Nummer im Programm. Die 
Gold- und Silbersasane mögen in einem Zierpark den Luxus 
amerikanischer Milliardäre illustrieren, der seltene Schwarz, 
kappenreiher weckt die Schauer des Exotischen, Katzen in 
Großaufnahme Wesen in den Salons. Aus Bergers schönem 
Aschenbrödel-Film die Tauben fliegen noch immer empor. Zu 
den Prominenten zählt der Wildeber, der in Jagdfilmen 
startet, und ein Rudel lebendiger Krokodile. Sie spielen 
in dem von Lothar Mendes geleiteten Film: „Die drei 
Kukuksuhren" eine bedeutende Rolle. Das Krokodiljunge 
ist eine Attrappe, in die Hand zu nehmen; aber die voll 
jährigen Ausgeburten selbst sind nicht so gefährlich wie ihre 
leblosen Ebenbilder, vor denen die Affen sich fürchten. Ge 
wächshäuser ergänzen die Sammlung; ihre Vegetation ist der 
passende Hintergrund für Eifersuchtsszenen in den Tropen. 
Die Insassen des Naturschutzgebiets werden von dem 
Expeditionszyologen mit Liebe betreut. Er nennt sie bei 
Namen, Pflegt sie und bildet sie künstlerisch aus. Trotz der Un- 
vollkommenheit, die ihnen als Naturgeschöpfen eignet, sind st? 
die verwöhntesten Gegenstände des Betriebs. Daß sie'springen 
oder fliegen, ohne von einem Mechanismus bewegt zu sein, 
versetzt in Entzücken; daß sie sich fortpstanzen, ohne eines 
sichtbaren Tricks zu bedürfen, erscheint wunderbar. Man hätte 
es hinter diesen primitiven Gebilden nicht vermutet, fast sind 
sie Filmillusionen. 
Die Weltelemente werden in umfänglichen Laboratorien an 
Ort und Stelle gezeugt. Das Verfahren ist prompt. Mun rick- 
messen. Die Gesetze der Metamorphosen sind unerforschlich. 
Was aber auch mit den Dingen geschehe: zuletzt erglänzen sie 
gipsern und werden verramscht. 
Das Willkürregiment beschränkt sich nicht auf die Welt, die 
es gibt. Sie ist eine der vielen Möglichkeiten, die hin und her 
bewegt werden können, und das Spiel bliebe unvollkommen, 
nähme man sie als Fertigfabrikat hin. Darum werden ihre 
Objekte gestreckt und verkürzt, erdichtete Gegenstände unter die 
vorhandenen gestreut, Wundererscheinungen ohne Bedenken 
verwirklicht. Die überlieferten Akte der Zauberei sind ein zages 
Vorspiel des Filmtricks gewesen. Er verfährt mit der 
Natur summarisch, der Kosmos ist ihm ein Schlcuderbällchen. 
Mitunter verleihen sich die auf die Leinwand geworfenen 
Dinge ein so alltägliches Aussehen, als stünden sie aus der 
Straße. Ihre Heraufkunft ist indessen von abnormen Umständen 
begleitet. Lichtmasten, deren Eisenbeton-Existenz man zu tasten 
meint, sind aus Holz und in der Mitte abgebrochen; für den 
Bildausschnitt genügt das Fragment. Ein achtbarer Wolken 
kratzer türmt sich längst nicht so schwindelhaft, wie er dann auf 
tritt. Nur die untere Hälfte ist errichtet, die obere wird durch 
ein Spiegelverfahren aus dem kleinen Modell gewonnen. Die 
Kolosse sind damit widerlegt; mögen ihre Füße tönern sein, 
die höheren Partien sind unsubstantieller.Schein des Scheines, 
der aufgestülpt wird. 
Die beschwörenden Kräfte des Tricks entfalten sich zumal 
in dem Bereich der Uebernatur. Der kommende Riesenfilm 
„Faust", dessen Aufnahmen W. Mu-rnau leitet, benutzt sie 
umfassend. In einer Halle, die früher-Korsaren zur Ausfüh 
rung ihres Räuberlebens diente, weitet sich der Erdenkreis 
«Q rniniAturs. Faust wird den Aether durchstiegen, von 
Prospekt zu Prospekt. Eine hölzerne Gleitbahn, die in Kurven 
sich talwärts zieht, bezeichnet seinen Luftweg. Der Apparat 
rodelt auf ihr hinab und sprüht untr kundiger Führung 
Ansichten von der Reise hervor. Nebel aus Wasserdampf, von 
einer Lokomobile bereitet, umhüllen der Berge schicklich model 
lierte Gipfelriesen, denen Faust entfährt. Zum grausen Sturz 
des Schaums der Flut wird etwas Wasser durch eine Seiten- 
schlucht gespritzt. Die wilden Triebe entschlafen, wenn inst 
Propellerwind Getreide ersäuselt, das unter den schroffen 
Fichtenhöhen Feld und Auen bedeckt. Nach Osten strebt Wolke 
um Wolke, eine Masse gesponnenen Glases, mit geballtem Zug. 
Bei der Landung werden vermutlich grünumgebene Hütten in 
vielkerziger Abendsonneglut schimmern. Auch in dem Tem- 
velhofer Ufa-Betrieb, w» Karl G r une die „Brüder Schellen- 
berg" inszeniert, geht es faustisch /zust Die apokalyptischen 
Reiter fegen dort in halber Höhe des Glasateliers umher, ihre 
.Rosse hängen an Drähten. Darunter droht ein schwarzes 
Riesenflügelpaar, in dem Jannings als Groß teufet Schat 
ten auf Städte wirft; das weiße wird von dem Erzengel 
Michael verwandt. 
Die Herrscher dieser Welt beweisen einen erfreulichen 
Mangel an historischem Sinn, ihre Pietätloflgkeit scheut vor 
Eingriffen nirgends zurück. Sie bauen Kulturen auf und 
zerstören sie wieder nach Bedarf. Ueber ganzen Städten sitzen 
sie zu Gericht und lassen Pech und Schwefel auf sie nieder 
regnen, wenn der Film es verlangt. Nichts hat vor ihnen 
Bestand, die stolzeste Schöpfung ist auf Abbruch errichtet. 
Manche Stücke ereilt die Vernichtung, kaum daß sie prang 
ten. Umgestürzt ist eine Renntribüne, vor der Sportsensationrn 
sich begaben, hingerasft der Wiener Wald, der im „Walzer 
traum" rauscht. Anderes wandelt sich verquert. In eine ält 
liche Gasse sind die Ueberreste moderner Häuser hineinge 
arbeitet worden, niemand stößt sich am Anachronismus. Poli 
tische Interessen verfolgen die Umschichtungen nicht, wie ge 
walttätig immer sie seien. Aus einem bolschewistischen Wach 
lokal ist ein friedlicher Bahnhof in Schweden hervorgegangen, 
der-sich zu einem Tatterfall verändert hat, in dem heute 
Lampen ausbewahrt werden. Noch, ist das Ende nicht zu er 
g 
Die Ufa-Stadt zu Neubabelsberg. 
Don Dr. S. Krakauer. 
Mitten im Grunewald liegt ein abgeschlossener Bezirk, den 
man nur nach mancherlei Prüfungen betreten darf. Er ist eine 
Wüste in der Oase. Die Natürlichkeiten draußen — Bäume 
aus Holz, Seen mit Wasser, Villen, die bewohnbar sind — 
haben innerhalb seiner Grenzen ihr Recht verloren. Zwar, die 
Welt kehrt wieder in ihm, ja, der ganze Makrokosmos scheint 
in dieser neuen Arche Noah eingesammelt: aber die Dinge, die 
sich hier ein Stelldichein geben, gehören nicht der Wirklichkeit 
an. Sie sind Abbilder und Fratzen, die man aus der Zeit ge 
rissen und durcheinander gemischt hat. Unbewegt harren sie, 
vorne voller Bedeutung, hinten das blanke Nichts. Ein böser 
Traum von den Gegenständen, der in das Körperreich ge 
zwungen worden ist. 
Man befindet sich in der Filmstadt der Ufa zu Ne u- 
babelsberg. Sie enthält auf einer Fläche von 350000 
Quadratmetern die Welt aus Papiermache. Alles garantiert 
Unnatur, alles genau wie die Natur. 
s 
Damit die Welt im Film vorüberziehen kann, wird sie zu 
vor in der Filmstadt zerstückt. Ihre Zusammenhänge gelten 
für aufgehoben, ihre Dimensionen verändern sich beliebig, ihre 
mythologischen Gewalten werden zum Spaß. Sie gleicht einem 
Kinderspielzeug, das man in die Pappschachtel steckt. Der Ab 
bau der Weltgehalte ist radikal, und erfolgt er auch nur zum 
Schein, so ist doch der Schein keineswegs nichtig. Die Helden 
der Antike sind bereits in die Schullesebücher gewandert. 
„ Trümmer des Universums lagern in den Requisiten- 
h ä u s e r n, Belegexemplare sämtlicher Zeiten, Völker und 
Stile. Nahe bei japanischen Kirschbäumen, die durch dunkle 
Kulissengänge leuchten, wölbt sich der Monstredrache aus den 
„Nibelungen", seiner diluvialen Schrecken bar, die er auf der 
Leinwand entfaltet. Neben dem Modell eines Geschäftsgebäu 
des, das nur gekurbelt werden muß, um jedes Hochhaus zu 
.schlagen, schichten sich Särge, die selber gestorben sind, weil sie 
keine Toten bergen. Empire-Möbel tauchen dazwischen in 
natürlicher Größe auf, man glaubt ihnen ihre Echtheit nicht. 
Altes und Neues, Kopien und Originale sind zu einem kon 
fusen Gemenge angestapelt wie die Knochen in Katakomben. 
Nur der Requisitenmeister kennt die Regel. 
Auf den Wiesen und Hügeln vereinigt sich das Inventar 
zu Gebilden Architekturen ragen in die Höhe, als seien 
sie zu bewohnen. Aber sie stellen nur das Aeußere ihrer Vorbilder 
dar, wie die Sprache Wortfassaden bewahrt, deren ursprüng 
licher Sinn gewichen ist. Eine friesische Dorfkirche, die von 
weiiem zu schlichter.Frömmigkeit einlädt, ist in der Nähe 
eine Bude auf angestrichener Böschung. Auch die ein 
paar hundert Meter entfernte Kathedrale faßt keine Kirchen- 
chöre, steht doch ihr Dach mit den Wasserspeiern für Auf- 
nahmezweSe gesondert Leiseite. Nebst den Fronten einer 
Vergnügungsstätte und eines Milliardärklubs gehört sie in 
den Film „Metropolit, den Fritz Lang dreht. Zwi 
schen den geistlichen und weltlichen Imitationen hat sich zu 
Zeiten elegante Statisterie nächtlich ausgelebt. Die Unter 
stadt mit ihren Höhlen und Stollen, in denen die Filmfabel 
taufende Arbeiter Hausen läßt, ist bereits dahin: gesprengt, 
verlofsen. Das Wasser stand nicht so hoch, vie es auf den 
Bildstreifen erscheint, aber die brennenden Auszüge sind in 
Originalgröße niedergeknallt. Von dem Elementarereignis 
zeugen noch sorgfältig ausgefeilte Risse in den Kaminen. 
In der Nachbarschaft des Katastrophenherdes dehnt sich Ge 
mäuer: eine Burg mit Kemenaten, Wällen und Gräben. Sie 
gibt in dem bekannten Film: „Die Chronik von GrieshuuZ" 
den Archäologen zu raten. Als im Mittelalter, vor kurzem, 
Reisige sie besetzten, hatte der Regisseur sich quakende Frösche 
verschrieben, Frösche aus Teichen, um die Truppen in Stim 
mung zu halten. Das Gemüt schätzt die Echtheit, wenn es ge 
täuscht werden will. Die Burg zerstiebt mittlerweilen, ihre 
Baumaterialien blicken hervor. Zur Ruine kann sie nicht 
verfallen, Ruinen müssen eigens angefertigi werden. Alle 
Objekte sind hier nur das, was sie gerade vorstellen sollen; 
eine Entwicklung in der Zeit kennen sie nicht.
	        
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