Wert der Städte bestimmt sich nach der Zahl der Orte, die in
ihnen der Improvisation eingeräumt sind.
StePars im Süden.
Von Raca.
Die nordischen Städte scheinen zu träumen, die des Mittelmeers
haben etwas vom Traum. Ihm eigen ist, daß er die Bilder nach
Regeln aneinanderreiht, die der Oberfläche fremd sind. Zwar kehrt
das am Tag gelebte Leben in ihm wieder, doch es ist das geordnete
Leben nicht mehr. Sein Zusammenhang wird in dem Traumbild
streifen zerstört, der lückenhaft ist. Aus den Hohlräumen mögen die
sonst verdeckten Gehalte aufsteigen.
Die Mittelmeersonne Lrennt Löcher in das Gewebe der Städte.
Gewiß sind diese zweckmäßig eingerichtet mit Schienen, Autos,
Banken und Kathedralen. In den Organismus aber greifen un
sichtbar gespreizte Finger, die das Zusammengehörige trennen. Das
Ganze ist zerstückelt, und ein Verdacht richtet sich wider seine Ein
heit. Nirgends sind die ALLruchstellen so häufig wie in den südlichen
Städten. In ihrer glatten Politur erzeugen die eingesprenkelten
Stehbars unzählige Sprünge.
K -
InNizza gibt es eine Stehbar, die das Muster ihrer Gattung
ist. An dem Portal, aus dem sie hemusbricht, findet ein Inven
turausverkauf von Architekturstilen statt: eine Barockkartusche
legt sich über den Spitzbogen, Renaissanceprofile ums-chnüren den
Kämpfer. Von der Fassade her dringt ein Holzgerüst in die Oeff-
nung ein, das aus Reparaturgründen errichtet ist. Vermutlich steht
das Gerüst immer, wenn nicht an dieser Stelle, so an einer andern,
es fehlt nicht an Dingen, die abgureißen wären. In der Auslage
erhebt sich der rote Riesentempel einer Kaffeemaschine, die das
Getränk wieder in seine Bestandteile zurückzerlegt. Was als Brühe
heruntergeschluckt wird, löst sich nachträglich in die schwarzen
Moleküle der Kaffeebohnen auf. Handgemalte Schilder, auf denen
die Güte der Essenzen angepriesen wird, wehen als Fahnen über
der Straße; die flüchtigen Schriftzüge beanspruchen Dauer. Wie
jede Bar ist auch diese ein Spiegelkabinett. Die Spiegel, die sich
-um die Vervielfältigung jeder geringen Glühbirne bemühen, weiten
die Bar zur öffentlichen Schatzhöhle. Sie quillt von Reflexen über,
in denen die anwesenden Dinge durcheinandergeschüttelt und ge-
vierteilt werden. Ihre selbstgefällige Wirklichkeit erweist sich als
Trug, wenn auch die Spiegel nichts durchlassen, was wirkliche
wäre. Ueber die Einfassung der Glasscheiben träufeln vergoldete
Ranken als Schmuckbeigabe herab. Auf dem Schankblech funkeln
die Flaschen, Sodawässer vermitteln zwischen grünem Anis und
dem Rotbraun des Vermouth. Die Flüssigkeiten, die rasch auf
der Zunge vergehen, bleiben als unberührtere Farbeffekte lange
den Augen erhalten. Billige Zigaretten Pakete sind Zu Triumph
säulen angeschichtet, zu deren Füßen ein Lager von Streichholz
schachteln sich dehnt. Der Genuß allein, den sie für Augenblicke
gewähren, verbindet die Rauchutensilien mit den leuchtenden
Aperitivs. Auch die übrigen Sachen sind für kurze Frist. Stühlen
und Tischen mangelt die Seßhaftigkeit, die ihnen in Wohnräumen
aufgezwungen wird. Ihre Bedeutung wird von den Besuchern
verkannt, die sie ständig verrücken. Sie streifen, kaum daß sie ein
getreten sind, die Zeichen sozialer Würde ab und verwandeln sich
in unstete Nomaden. Wie die Worte eines Kreuzworträtsels stehen
sie gleich und beziehungslos nebeneinander.
Als winzige Häfen, aus denen man abführen kann, sind die
Stehbars in das Festland der südlichen Städte vorgeschoben. Die
Elemente des gesicherten Daseins werden in ihnen ohne Rücksicht
auf ihren Rang verstaut, dem auflockernden Widerschein in den
Spiegeln halten die Palastgefüge nicht stand. So verliert der aus
dem Hafen Scheidende den Sinn für die Maße des Lebens, das
. hinter ihm liegt. Es zerfällt ihm in lauter einzelne Teile, aus denen
* er die Bruchstücke eines anderen Lebens improvisieren mag. Der
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St. Naphael (Valescure). Dieser entzückende, zwischen
Toulon und Cannes gelegene Badeort strebt seit einigen Jahren
mit Schnelligkeit in die Hohe. Er liegt an einer großen, sanft ge
weiteten Bucht, über der in den Morgenstunden die Wasserflug
zeuge der nahe gelegenen Militärstalion kreisen. Ein langgestreckter
Sandstrand bietet ausgiebige Gelegenheit zum Baden und Ruhen.
Die Meerpromenade mit ihren Palmen prunkt im Glanz der
Riviera. Auf ihr entfaltet sich bis in die späte Nacht hinein das
gesellschaftliche Leben, Autos, kleine und große, befahren sie un
ablässig. Für Natzrrattraktionen in der näheren und weiteren Um
gegend ist zum Ueberfluß gesorgt, auch sind die großen Rivieraorte
von St. Naphael aus, das Schnellzugsstation ist, leicht zu er
reichen. Wer Weltstädtisches in St. Naphael selber sucht, findet es
im «euen Kasino, in dessen vornehm ausgestatteten Räumen man
nachmittags und allabendlich auf illuminierten Glasplatten tanzt
und der Roulette und dem Baccarat frönt. Neben den Hotels ersten
gibt es kleinere Pensionen, in denen man gut und billig
lebt. Dank seinem gleichmäßigen Klima, das selbst an den heißesten
Tagen durch eine frische Brise belebt wird, eignet sich der Ort
trefflich für Erholungsbedürftige. -
Leutnants und Liebe. Weil es heute den flotten Leutnant
in der unüberwindlichen Uniform nicht mehr Abt, darum wird
er im Film aus der Schublade geholt. Weil wir heute eine Re
publik haben, darum muß das Kino wenigstens die Zeit der
, Fürstenthrone wieder erwecken. Weil das öffentliche Leben heute,
das Dasein in den Großstädten, die Auseinandersetzung der so
zialen Schichten Stoffe in Ueberfülle bietet, darum macht der
Film bei dem verschollenen Gustav Maser eine Anleihe, zieht die
Posse „De r Veilchenfresser" hervor, staubt sie <ch, drapiert
sie neu. Harry Liedtke Macht den schneidigen Leutnant nach
den uns keiner nachmachte, Lil Da g o v e r ist die schöne, schwarze,
elegante Frau, die der Leutnant berückt. Lohnt es sich, das In-
trigennest auszuheben? Ist es der Mühe wert, der vielen Harm
losigkeiten aus der Epoche der dummen Offiziersburschen zu ge
denken, die, ach so treu waren? Sogar die Einjahrig-Freiwilligen
marschieren auf, und ein jugendlicher Liebhaber ist schüchtern.
Die Regie hat die Situationen so hübsch und komisch gestaltet,
wie es nur irgend ging. Ein MakarL-Bukett, auf modern deko
riert, mit allen den kleinen technischen Mittelchen, die man heute
beherrscht. Aber selbst den kessen Mldtiteln ist eS nicht gelungen,
einen Bubikopf vorzutauschen; zu üppig baumeln die Zöpfe her
unter. Das Publikum scheint sich ihrer zu freuen, es lacht über
den alten Humor, als seien die letzten zehn Fahre nicht gewesen,
als lebten die netten Leutnants noch. Damit wäre der Film
! pi e?e n läuft in den Alemanuia. LLcht-