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Full text: H:Kracauer, Siegfried/01.05/Klebemappe 1926 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

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gedenke. Ls wäre 8ebLd6 darum. Denn dieser 
Uoobstapler Lu^> kassion bat ^aten be^aNSen, 
die äen KLuptmann von Lopeniek vor Lebam 
Die große Vergangenheit ist längst dahin. An die Stelle 
der Hosenträger ist heute der Sportgürtel getreten — 
die Wortverbindung besagt schon genug. Wo immer man hin- 
blickt, überall Gürtel. Sie haben eine blanke Schnalle vorne, 
die sie unbedenklich entblößen. Wenn die Gegenwart mit 
gutem Grund den Untergang der Persönlichkeit beklagt: die 
wagrechte Lage der Gürtel hat ihn verschuldet, ihr ist der Zer 
fall zuzuschreiben, in dem die Welt sich befindet. Ihn zu ver 
meiden, hatten die Gürtel sich von unten nach oben erstrecken 
müssen. Statt jedoch die Hosen zu dem eigentlichen Geistes 
leben heranzuziehen, lassen sie ihnen nach Gefallen freien Lauf. 
Umschnürten sie wenigstens nicht die Hosen selber, sondern 
die Schultern! Ueber ihr Niveau hinauszustreben, verspüren 
sie indessen nicht den mindesten Hang. 
Für das Denken der sportbeflissenen Horizontalen ist die 
folgende mähre Geschichte bezeichnend. Jü einer Gesellschaft 
stritt man sich jüngst grundsätzlich über die Art, in der die 
Hosen zu behandeln seien. Von Seiten eines würdigen 
Trägers wurde betont, daß man vor allem auf die moralische 
Hebung seiner Schützlinge zu achten habe. Dem widersetzte 
sich ein kaum flügge gewordener Gürtel. Wichtig sei allein, daß 
die.Hosen um die Hüften schlenkerten und sich als Hosen voll 
erröten lassen mükten 
Das ^.mt des Loobstaplers ist deute eines 6er 
wioliti^sten auk klräen. bliebt umsonst bat b>ank 
Heller seinen Uerrn Oolbn erkunden, dem in F6- 
rinderen literarisoben Lpbüren sein ^eniLliLcn^r 
kra^ösiseber Kollege ^.rseno bupin 2ur Leite 
stebt. Trakt seines Obarisma klärt der derukerne 
blöobstapler unsere Oesellsobakt darüber auk, 
dak das Oebaude ibrer ^Veltoränun§ Uisse 
bat. Indem er mit den besten planieren Damen 
und Herren der Oesellsebakt 6üpie-t. rwuMt 
er sie ru der Tinsiebt, daü sie die Uanieren 
kür den Uenseben nebmen. ü.ueb ^aenteue in- 
stitutionev verraten den Dünkt, an dem sie 
sterbliob sind, ^venn er sieb ibrer bedient. Din 
besoldeter ^loralpredi^er könnte niebt besser die 
Lebwaeben unseres socialen L^stems erkennen 
als er; aber jener paktiert mit dem Lastern, wab- 
rend äer Üoobstapler sein unbesteeblieber Kriti 
ker ist Dak er sieb die bebren, die er bedeuten 
den Nitbür^ern erteilt, reieblieb bonorieren läüt, 
wird man ibm niebt verübeln dürken. Leine Un 
kosten müssen ^edeekt werden, und äas Uisiko 
ist groü. krwiscbt ibn die Oesellsebakt, so sperrt 
sie ibn ein; sie ist ru bumorlos, um sieb von 
ibm beraten ru lassen Nur die' berübmten De 
tektive in den Kolportage-Romanen wissen das 
moralisebe Drin^ip ru würdigen, in dessen Huk- 
tra^ der Uoebstapler bandest und kraternisieren 
niebt selten mit ibm. 
Dleiebviei. ob die s^mpatbisebe Dersonliebkeit. 
könnten. Wohin diese Auffassung führt, beweist die 
Tatsache, daß sich fortschrittliche Hosen, amerikanische nament 
lich, in ihrer Sucht nach Unabhängigkeit neuerdings auch von 
den Gürteln noch loszusagen beginnen. Der allgemeinen Halt 
losigkeit ist eine Grenze nicht mehr gesetzt. 
Nur eine geringe Schar von Hosenträgern hat sich durch 
die Wrrren gerettet. Einem, der die politische Laufbahn 
^eingeschlL-en hat, ist es Lanr seiner Dehnbarkeit sogar ge ¬ 
lungen, zu stattlicher Größe anzuwachsen. Er verfügt über 
die Kunst, sich an keiner Seite anzuknöpfen, und doch den 
Anschein zu erwecken, als ob er die Hosen zöge. In Wirk 
lichkeit hat er sie mit einem Gürtel verkuppelt. Von solchen 
Ausnahmen abgesehen, ist die Lage der überlebenden Träger 
schlecht. Sie vegetieren in ihrer Mehrzahl auf kleinen Be 
amten. Um in der veränderten Zeit die alten Traditionen 
aufrecht zu erhalten, haben sie sich zu einer Theatergemeinde 
zusammengefunden. 
Von Dr 8. LLr 
„leb war Hoobstapler aus Dassion", bekennt 
rZnats LtraLnokk in seinen Memoiren: ,ü o b 
der Hoobstspler Ixnatr Ltraüvokk" 
(Verlag Die Lobmiede, Berlin). Dr bat, will man 
der LinIeitunF banias Bauden, äas Lutodio^ra- 
plnsobe ^Verk im 6ek3.n^ni8 ^esebrisden und de- 
seblieLt es mit der erdLulieben Versiebsruna, 
äs-ü er in Zukunkt 8Mb als redlieber k^boto^rapn 
in einer kleinen Ti^dt durebs beben 2u seblLZen 
die unter dem blamen LtraLnokk auktritt, leibbakt 
existiert oder niebt: jedenkalls ist sie un^ari- 
seben Deblüts und amtiert rwisobeu ^ram und 
"sVien. Lin leiebter Dunst von Daprika sebwän- 
gert die ^.tmospbäre, und 30 xrok die ^Velt ist, in 
die sieb der Held aus seinem kleinbür^erlieben 
Damilienmilieu emporsebwin^t, sie ist niebt 
, ei^entlieb weltstadtiseb, sondern von dem 6eist 
!,der ebemali^en Doppelmonarebie erküllt, mit 
l ibren kulturellen ^wrsebensebiebten, ibren 
! keseben Lebnurrbärten und ibrem ,6rüü dieb 
' OotD bis 2U den UrrberröZen binauk. Dort oben 
in dem Ulan? bewehr sieb der Kavalier, der eebt- 
bürti^er ist als die geborenen. 
Lein HauptabsatLgebiet ist die bobe 0 eis t- 
liebkeit. ^1s Dusarenunikorm übertölpelt er 
den kürstprimas von ^Vien, der dem berrbeben 
kleidnn^sstüek auk z^ut Olauben aus einer imagi 
nären Deldverlegenbeit bilkt. ^.ueb ru dem ^la- 
Znaten-Kasino erbalt die Kontur Zutritt, Oraken 
ersterben vor ibr und bleeben. Das dankbarste 
^.usbeutunFsobjekt ist der Diener l^unAus, der, 
immer dem Oewäbrsmann 2ukol<;e, jungen Damen 
die Deicbte 'm Leblakrimmer abnimmt. Da 
Ltraünokks Kreundin sieb dieser religiösen Üand- 
lung bäuki^ unterbliebt kommt er selber in eine 
gesellsebaktbebe Deriebung rum k^unrius, die sieb 
auk stets neue ^.rten verlobnt. Dureb die In- 
kormationen nämlieb, die das Deiebtkind ibm LU ¬ 
V klieüen aueb'aus den Wnisterien — 
nnrd ibm ermöglicbr, die Drovinrgeistliobkeit als 
eigens vvp ^Vien entsandter ^linisterialrat beim- 
^usuoben und rum Danir kür die ibr erökkneten 
Die Koseniräger. 
Eine historische Studie. 
Von Raea. 
Die Entwicklung der Persönlichkeit im Sinne unserer 
K/affiker war von jeher an das Dasein von Hosenträgern ge 
knüpft. Sie allein erzeugten jene Harmonie von Geist und 
Körper, Ideal und Leben, die das Zeichen der höchsten Voll 
kommenheit ist. Waren sie angeknöpft, so erhielt das Natürliche 
sein Recht, ohne daß die Seele das ihre verlor. Die Hosen 
wurden nach oben getrieben, die Ideen wahrten den Zusam 
menhang mit dem Fußboden. 
Ihrem aufreibenden Berufe gingen die Träger mit Hin 
gebung nach. Weder bedrückten sie die Schultern je> noch will 
fahrten sie den Gelüsten der Unaussprechlichen, die sie in die 
Tiefe zu zerren suchten. Nannten sie auch einen dauerhaften 
Charakter ihr eigen, so paßten sie sich doch den wechselnden 
Umständen durch Verlängerung oder Verkürzung an. Eine 
entscheidende Bedeutung maßen sie der Innerlichkeit der durch 
sie gestifteten Beziehung bei. Darum verbargen sie sich vor 
den Augen der Welt und wirkten in mystischer Abgeschiedenheit 
unterhalb der Westen. Aus dem Glauben heraus, daß es bei 
der Bildung von Persönlichkeiten vor allem auf den eigenen 
Einsatz ankomme, gelangten sie zu der Ueberzeugung, es sei 
der Zug, den sie ausübten, wesentlicher als das Gezogene. Sie 
hätten im Leeren schweben mögen und ziehen. Daß sie aus 
Stoff erschaffen waren, bereitete ihnen Kummer; die seidenen 
selbst grämten sich darüber, wie fein gesponnen immer sie 
waren. Am liebsten wären sie durchsichtig gewesen, wie aus 
Glas. 
Trotz der Strenge ihrer Gesinnung überspannten sich die 
Hosenträger nicht. Da sie die Dringlichkeit der niederen Be 
dürfnisse kannten, legte sie sich mitunter ab. Im Liebesfalle 
ließen sie sich zur Erde sinken, um ihre Gefühle besser entfalten 
zu können. Bei solchen Gelegenheiten pflegten sie sich ganz 
zusammenzurollen. Besonders hochstehende Exemplare freilich 
hielten darauf, auch die Empfindungen der Liebe in ange- 
-ogenem Zustande zu erleben. 
Ermüdet von dem täglichen Angestrafftsein begaben sich die 
Träger abends zur Ruhe. Sie erfreuten sich zahlreicher 
Träume. Einer der ihren mußte einmal ein riesiges Hosen- 
paar über eine Alpenwiese bergaufwärts schleppen. Während 
er noch hinankeuchte, wandelte das Bild sich mit einem Schlag. 
Zu seinem Entzücken lag er nun selber auf der Wiese, und 
die Hosen zogen ihn mit sich fort auf den Gipfel. Einem an 
deren Träum-er glückte es, ohne fremden Beistand sich aufzu- 
richten und ungekrümmt von bannen zu eilen. Er pries die 
Weisheit der Natuh, die ihn und seinesgleichen gegabelt ein 
gerichtet hatte« 
Die Geschichte meldet von vielen zugkräftigen Trägern. 
So wird von einem berichtet, der durch seine Lebensführung 
zum leuchtenden Vorbild ward. Er hing einem Philosophen 
an, dessen System die geschlossene sittliche Persönlichkeit in den 
Mittelpunkt rückte. Den Träger durchdrang die Lehre des 
Denkers so tief, daß er die von ihr geforderte Einheit des 
Wesens niemals preisgab; obwohl er im Dienste des Philo 
sophen, der, das Haupt gen Himmel gewandt, in seinem 
Havelock alltäglich ^stundenlang inmitten der Universitäts 
Kleinstadt spazieren ging, die schwersten Strapazen zu erdulden 
hatte. Der Stoff, aus dem der Träger bestand, zerschliß: der 
Träger hielt. Hielt an den verantwortungsbewußten Gummi 
fäden allein; bis zuletzt. Sie sind im Nationalmuseum zu 
Tilsit zu sehen. . , 
Um der Wahrheit willen darf nicht verschwiegen werden, daß 
es auch manche entartete Träger gegeben hat. Sie zeigten sich 
ohne Rock und Weste in den öffentlichen Anlagen und waren 
überdies mit blumigen Stickereien besetzt, deren Vorhandensein 
auf einen empfindlichen Mangel an Ernst zu schließen erlaubte. 
Man trifft sie vereinzelt bei Aelplerfesten noch an.
	        
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