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Full text: H:Kracauer, Siegfried/01.06/Klebemappe 1927 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

mus die Ausfütterung des persönlichen Wesens eine bedächtig 
umwälzende Bedeutung haben. 
Verständigung. 
Verständigung^ Sie reicht kaum je durch alle Schichten. 
Bei der Schilderung der deutschen Zustände erklärt der Fran 
zose höflich: „HIaLs, es v'est pas xossidle?", und der 
Deutsche seinerseits muß sämtliche geliebten Kategorien in die 
Ecke stellen, wenn er etwas Französisches fassen will; er darf mit 
„konservativ" nicht „reaktionär" assoziieren, mit Sozialismus 
nicht Marx, mit Katholizismus nicht Politik. Immerhin bleibt 
es unbenommen, die erwünschte politische Verständigung 
in Cercles und Revuen durch die Bekundung des guten Willens 
angenehm zu überhöhen. Die Sprache bietet Parolen an, die 
den Balken einer Notbrücke gleich über Zwischenräume ver 
helfen. Balken freilich stürzen von Zeit zu Zeit ein. Ob die 
sprachlichen Hilfskonstruktionen einmal wirklich auf das gleiche 
hindeuten werden, hängt durchaus von der geschichtlichen Ent 
wicklung ab. Es besteht heute, nach den Jahren einer Anarchie, 
die etliche Möglichkeiten in sich trug, die Wahrscheinlichkeit, 
daß in Deutschland eine Gesellschaft mit Manieren heranwächst 
und eine Kultur sich bildet, die behaupten wird, sie sei eine 
Kultur. Die Wirtschaft hat sich konsolidiert, die schreckliche 
Röte am Horizont ist wieder angeschwärzt worden, und die 
Sprößlinge des Bürgerblocks, die den Krieg nicht einmal als 
Kinder mehr gesehen haben, können sich von neuem mit höheren 
Dingen pfleglich befassen. So vielleicht käme man Frankreich 
äußerlich näher, aber der Zauber wäre faul, da er schlimme 
Zustände konservierte. Lieber schon die Barbarei, oder rvas 
in Frankreich so heißt; sie verstellt wenigstens die Zugänge 
nicht. Frankreich selber hat gut nicht barbarisch sein, es lebt 
mit einer wohlgesinnten Natur im Bund, seine Fundamente 
halten noch stand. Aber Zollgrenzen schützen nicht vor dem 
Wind, der bei uns durch die Löcher pfeift. Die Natur ist 
zweideutig, und es läßt sich denken, daß der Fortschritt der 
Weltwirtschaft eines Tages jenes Gleichgewicht ins Wanken 
bringt, dessen Frankreich sich vorerst rühmen darf; ja, die 
Gerechtigkeit, die das Beruhen auf natürlichen Vorzügen nicht 
anerkannt, verlangt es beinahe so. Der Deutsche kann nicht in 
die durchwärmte Wohnung einziehen, als die ihm Frankreich 
heute erscheint; doch vielleicht wird Frankreich einmal obdach 
los sein wie Deutschland. Dann, wenn die Situationen sich 
angeglichen haben, aber auch dann erst, wird man sich wirklich 
verstehen und mehr austauschen als die Parolen. Dann auch 
mag die glückliche Natur Frankreichs ihre Kraft erweisen und 
die französische Humanität sich auf einer gediegeneren Grund 
lage als der bloß natürlichen über die Grenzen verbreiten. Das 
Voll m Paris gibt mehr Hoffnung als die Gesellschaft« 
ALLIM, Koman. VoK Kursks 
6 erst. ZUnstr'isrt ron Kudcdk Ler- 
Urr. Kelten, üeö. 
Vsr AoNmo soislt Q3,eb äor AsvoIMov, in äs?. 
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die in der nsillsn Bildnis Oeriobt kalten und das j 
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lernen 8t okkeo erprobten. 8cklickters IlluLtralienen 
;,sind kalt. kein. prÄsis. Lr. 
schende Oberklasse zu Ende psychologiert, so daß die einzelnen 
Brocken jetzt ohne Zusammenhang im Leeren schwimmen: die 
KulLur, die ihrer Grundlosigkeit wegen sich zuletzt von innen 
her auflöst. Er liebt sie, die Jungen lieben sie nicht. Sie 
haben es auf die Familie abgesehen, auf die Konventionen, 
die nach dem Krieg doppelt verlogen erscheinen. Zu einem nicht 
unbedeutenden Teil wird die Privatfehde auf dem Kampfplatz 
der Erotik ausgetragen, man setzt eine andere Erotik als 
die tradierte, die Homosexualität etwa steigert sich zum 
(sozialen) Protest. So bei Gide, dessen 
einer der aufbaugläubigen Intellektuellen mir gegenüber als 
„Z«58trueti0v" bezeichnete, nicht ohne den großen Einfluß 
des Romans auf die Jugend zu bedauern. Die Freundschaft 
des Mannes mit dem Knaben richtet sich gegen die Familien 
väter und Beamten - Unseelen, sie leuchtet als einziges 
Glanzsignal in dem Sumpf, mag sie selber auch falsch- 
rnünzerisch sein. So bei dem jungen Ren6 Crevel, der in 
seinem neuen Roman „ltza Nort älkkiells" einen ebenfalls 
noch recht jungen Herrn aus dem verrotteten Milieu der 
Alten zu dem unglücklich geliebten Freunde fliehen läßt. Die 
Ideale setzen sich auseinander, nicht die Klassen; die persön 
lichen Lebensziele, nicht die politischen Richtungen. Ein Be 
weis, daß nicht gegen die Gesellschaft und den Inbegriff der 
bestehenden Verhältnisse protestiert wird, sondern innerhalb der 
Gesellschaft und auf einem Lebensgrund, den die Jungen mit 
den Alten noch teilen. Die Wendung ins Religiöse wird durch 
das jüngst in der „Frankfurter Zeitung" besprochene Buch: 
„Kons Itz 8o1M äs Katan" von Bernanos exemplarisch 
belegt. Seinem Kreis gehören Konvertiten an, die sich um 
die JnwendigkeLL bekümmern und zugleich als Literaten 
führend sind. Starke Kräfte formieren sich wider die vollendete 
Laisterung. Ich berichtete einem Sachwalter dieser Fraktion, 
daß während der ersten Nachkriegsjahre in Deutschland eine 
ansehnliche Strömung in der gleichen Richtung vorwärtstrug. 
Man wollte in ein Gehäuse, mit den zahlreichen Konversionen 
schien das kirchlich-religiöse Leben sich aufzulockern. Was in 
Deutschland vorüber ist, wenn auch der Franzose den Grund 
der Ernüchterung nicht versteht, schwillt in Frankreich eher 
noch an. Wir als die Entzauberten begreifen vielleicht besser 
den Grund dieser Bewegung, der es nach dem Krieg um den 
individuellen Einsatz und um Entscheidungen vor dem höchsten 
Forum geht. Man will als Person richtig werden, indem 
man sich füllt, indem man den ironischen Rationalismus von 
Anatole France verwirft. Bei uns ward diese Auffüllung des 
individuellen Reservoirs in manchen Fällen als Flucht er 
kannt. Drüben sind die Wirtschaftskrisen nicht so dringend, 
und fo mag neben dem ökonomischen und politischen Sozialis« 
Die Pestalo^r-Gedenkfeier m Frarrks«rt. 
Der Festvortrag Wilhelm Schäfers» 
Irr Lem drchtgefüllten großen Saale des Saalbarrs fanb heute 
vormittag die Frankfurter Pestalozzi-G edenkfeier 
statt. Ein zahlreiches geladenes Publikum war zugegen. Für den 
stimmungsvollen Verlauf der Feier trugen nicht zuletzt die Ge- 
sangsvorträge des L e h rervereins bei. Stadtrat Ias - ert, 
der im Namen des Arbeitsausschusses für die Pestalozzi - Feier 
sprach, begrüßte die Vertreter der Behörden und die Gäste und 
drückte seine Genugtuung darüber aus, daß der anwesende 
Oberbürgermeister Dr^ Land mann den Vorsitz im Ausschuß 
übernommen habe. Der Ausschuß, der sich aus allen an der Volks 
bildung und Fürsorge interessierten Kreisen zusammensetze, solle 
erhalten bleiben, um im Sinne Pestalozzis fortzuwirken. Man 
beabsichtigt, wie der Redner MittMe, die gegenwärtige PestalozZi- 
AuZstellung dem Schulmuseum anzugliedern, und zieht ferner die 
. Schaffung einer Pestalozzi - S t i ftung in Betracht, die 
den Anstieg' begabter Kinder erleichtern soll. 
Den Festvortrag hielt Wilhelm Schäfer. Keinen 
Würdigeren als ihn, den Verfasser des PestaloM-Buches: «Der 
LebenLtag eines Menschenfreundes", hätte man wählen können, 
um in dieser Feierstunde von dem Wirken Pestalozzis zu zeugen. 
Was ist uns Vorbildhast an Pestalozzi, so fragte er zu Beginn, was 
nötigt uns heute noch, ihn als gegenwärtig zu empfinden? Es ist 
nicht eigentlich der Pädagoge nur, der uns alle angeht, auch der 
Dichter nicht, dem «Lisnhard und Gertrud" Mittel zum Zwecke 
war, und ebensowenig der Denker, der seine praktischen Versttchr 
zum Aufbau einer neuen Menschengemeinschaft theoretisch zu de* 
gründen trachtete. Vielmehr: der Mensche nbruder Pestalozzi 
rührt an uns, der das Wort ausgesprochen hat: „Himmel und 
Erde sind schön; aber die Menschenseele, die sich über den Staub 
emporheüt, ist schöner als Himmel und Erde!" 
Von Geburt an scheint, Pestalozzi dazu bestimmt, ein Bruder 
der Menschen zu werden. Er ist in jeder Hinsicht ein GrenZ- 
fall, sein Anderssein schon gibt ihn den Entwurzelten und Ver 
wahrlosten zur Seite. Als Knabe heißt er der'schwarze Pestaluz; 
so sehen bodenständige Schweizer nicht aus. Das Schicksal stellt 
seine Jugend zwischen Reichtum und Armut, die angeborene Un 
rast treibt ihn von einem Studium ins andere. Stets bewegt er 
sich an der Grenze, den Bürgerlichen gilt er als ein Entgleister. 
Daß die durch seine Natur, Verarmung und gelehrte Halbbildung 
gegebene Kampfstellung so stark und wirksam wurde, kam freilich 
Ein Ossi OswÄda-Film. In dem Film: -Gräfin 
P l ä i tmam s e ll", den die Neue Licht-Bühne zeigt, kann 
sich Oist Oswald« als Berliner Range tummeln Sie hat etwas 
Jugendhaftes, das sie leider ein wenig zu grob unterstreicht. Nur 
die flüchtigen Blicke, die irgendeine AnÄglickkeit in Parenthese 
bemerken, geraten hinreichend leicht. Beschriftung und Fabel sind 
Berliner Mache dick aufgetragen und gewaltsam laut. Die 
Oswald« als Plättmädchen hat den Auftrieb nach oben und kann 
sich auch in der Tat eine Zeitlang einbilden, eine Komtesse zu sein, 
weil ihre Mutter sich einnml mit einem Grafen verging, der frei 
lich, wie sich zuletzt herausstellt, kein eigentlicher Graf war, sondern 
eben nur Graf hieß AdaDert Graf. Die Aufklärung dieser V«r- 
wechflung führt dre Sfsudo-Komtesse wieder auf die Erde und in 
die Arme ihres gelobten Modezeichners zurück. Curt Bois 
spielt ihn mit einer durch östliches Blut gedämpften Schnödigkeit, 
amourös und von kitschigem Schick. Ein« ausgezeichnete Leistung, 
die sehenswert ist. Auch die übrigen Rollen sind gut besetzt, Elf- 
Lehmann wirkt mit Im übrig«» einen sich Gemüt und Keßheit 
r« einer moralisch undurchdringlichen Weise auf dem Asphalt. — 
Ew recht amüsantes amerikanisches Lustspiel: „Die zerflösse, 
nen Mlllronärgäbe Anlaß zu soziologischen Studien. Das 
Beiprogramm wird durch einen interessanten Naturfilm ergänzt, 
der Szenen aus dem Fischleben bringt. ran.
	        
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