Skip to main content

Full text: H:Kracauer, Siegfried/01.06/Klebemappe 1927 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

-- - Alensch unter Menscher. Teil II. 
Der Zweite Teil 
französischen GroßfilmZ: 
ÜLL misärLbleL", den wiederum 
des 
hie 
der 
B i e b e r b a u - L i ch t s pi c l e Zeigen, hält nicht ganz, was 
erste versprach. Der Grund ist sowohl die Fabel wie ihre Verfil 
Matrosen-Regiment Nr. 17. 
Die Wirkung dicfts mir rulstjchcn Darstellern gedrehten Re 
volutionssUms wcro von vornherein vaburcy beeinrrä^Ligt, dag er 
osjenvar von der Zensur verkümmert worden ist. Gtei^ die An- 
jangs^zenen, die den beginn der ruMMn Revomtion jchitd-.rn 
.oucn, emwiaeut sich lo .iprungyLjL, dag die Vermutung nayUiegt, 
cZ seien hier größere Stellen, und gewiß die rmLMchen, heraus-- 
g e j th n l. r e n worden. Dieser -rncHgerarvett zLyeint Znzu- 
juMioen zu rein, daß die ProporUon zwischen der Darstellung der 
üngemeinen Zustände und der in sie eingefweytenen Hanmung 
mn-'t rm-Ug gcrro.sen ist. Die der CPijode gcwidmUen streifen 
verkrümeln pcy ein wenig in den BUchmg-en, die der Umwelt gLftm; 
ledenfasts enlsteyt ein änhetilch bedruckendes Gefügt der Uchicher- 
gelt über die Aus.eimng der Akzente. Aber dieser Eindruck muh 
Ua)-t unbedingt dem ReMeur Leo Schaffe r Zur Last gelegt 
werden. 
Die Epijode selber erinnert, stark an RevoluUonschUderungen 
Zungen rUjst,L,en Liurmur. Ein Alatroje mit Führerbegabung 
(Nikolai Saltykow) wird in den RevolutionZlagen R^gimentsLom- 
..:urwanl mw ZwgL mn den L-r^ppm naa- w-pm 
unterwegs aus marodierende ötozaken, die sie gefangen nelMen-. 
^yr Amuhrer: ein Mädchen, das im Programm mrl Recht als i 
Kosakell-Weibsteusel bezeichnet wird, Oxana Pod.eZ- 
uaia, ist schön und wUd, und wenn pe amor-mich den Mund Ver 
zieht, versteyt man wohl, daß der Ma.rost ihr hörig wird. Sie 
gibt siR ohne Umschweife ihm hin, und er nimmt sie trotz der War 
nungen seiner Kameraden mit. Mit den West- und osUuropMichen 
^oriräls von Revolutioushyünen stimmt sie auch darin überein, 
daß sie, eine Zigarette im Mund, Weißgardisten niederknall.. Auf 
einem Gut, in Mm die Truppe rastet, packt sie die alte Lust zum 
Plündern an Bei dieser Gelegenheit erschießt sie den Genossen der 
Matrosen, der ihr nacyge^chüchen war. Konjükt in der Matrosen- 
vrust: soll er sich von dem Satan losreißen? ist er ihm sür immer 
verschrieben? Der Niatrofe besmm sich auf sein besseres Ich und 
auf die Sache der Revolution. Er ordnet die Exekution des Mäd 
chens an. Die Truppe zieht weder 
Die Handlung ist im Kern revolutionär. Sie trsifl jene 
Verfassung, Ln der das erotische Leben dem Kampf für die neue 
Gesellschaftsordnung untergeordnet wird. In dem revolutionären 
Rußland ist die Liebe als bürgerliche Erfindung verpönt, als eine 
Einrichtung, die das Gehirn benebelt und die Menschen von dem 
Umsturz der alten Gesellschaft abzulenken sucht. Wenn das Schick 
- sal des Weibsteufels sich besiegelt, so ist damit bündig ausge- 
zprochen, daß das Privatmenschliche um der uwolu.ionoären Aklion 
willen -getilgt werden muß. Indessen tritt diese Meinung nur un 
deutlich hervor. Das normale Kinopublikum fände zu wenig Ge 
schmack an ihr und so hat man die Szenen Zwischen dem Ma 
trosen und seiner Geliebten besonders ausführlich godrehl. ^Sic, 
gnd sich fast zum Selbstzweck geworden, und auch die seelischen i 
Spannungen erscheinen nicht fremd. Durch eine solche Betonung 
des Erotischen ist erreich:, daß die Einstellung Zur Liebe, die von 
der russischen Revolution emporgetragen worden ist (und frei.ich 
in dem heutigen Rußland bereits starker Kritik begegnet), ab 
gedrängt wird. 
Eine schwankende Haltung, die genügte, um den Vergleich mit 
dem Potemkin-Film Zu verbieten. Auch die Regieführung ist der 
Eisensteins niM ebenbür ig. Ihr fchlt die letzte Sicherheit im 
Wechsel des Einzel- und Ensemblespiels; die optischen Assozia 
Rionen sind mitunter nicht durchgcfühlt; die einheitliche Perspektive 
wird nicht innegehalten. Manche Bildmotive erinnern an den „Po- 
temkin", ohne ihn doch zu erreichen. 
Dennoch: der Film überrragt weit die bei uns gezeigte Durch- 
schnittsproduktiom Er enthält Details, die in sich vollkommen sind. 
Die Rauchfahne eines Panzerkreuzers wirft einen endlosen Schatten 
' auf das Meer. Das Wintervalais tritt großar ig in die^Hanbluno 
KM. Der m den Al emammTG - Lichtspiie 7 en ge 
zeigte Film „K iLr" spielt in dem Paris- von dem die Amerikaner 
glauben, daß eZ Paris sei Eine kleine- entzückende Aeitungs- 
verkäuferm ist die Heldin, eins SoZZS, die sv gerne in dem Revue 
theater auftreten möchte, vor dem sie „I/Labo cke verkauft. 
Solcher Glücksfälls ereignen sich häufig in der Zeitung, und warum 
sollte sie selber nicht aus einem Lokalbericht stammend Je mehr 
die Welt sich nach den Lokalberichten modelt, um so- passender ist 
sie für die besseren Stande eingerichtet. Das Mädchen stellt sich dem 
Revuedirektor vor und wird als Choristin angenommen. Die übliche 
Losung wäre, daß fis reüssierte und auf der Bühne wie im — 
Leben den Star auZstäche, der die Geliebte des Direktors ist. Den 
Vorzug erhält eine schlauere Lösung. Die neue Choristin näm 
lich muß sich -als ungeschicktes Geschöpf erweisen, das sich überall 
schlecht benimmt. Sie wird entlassen und auch der Direktor persön 
lich entledigte sich ihrer, wenn sie nicht über einen angeborenen 
Charme verfügte, der ihn unter der dick aufgelegten Hülle der Un 
bildung immer wieder besticht. Er nmKnt sie in die Wohnung mit 
sie selber hat natürlich kein Zuhause wo sie sich sestsstzt, 
ohne ihm das Letzte Zu gewähren. Der Konkurrenzkampf Zwischen 
dem Star und ihr wird Zu ihren Gunsten entschieden und auch das 
Letzte ergibt sich Zuletzt. Diese Lösung ist aus guten Gründen er 
wünscht. Auch ein Amerikaner wird wissen, daß ein Pariser 
Mädchen, und wenn sie aus der sogenannten Gosse stammt, 
Manieren und Sprachtalente hat, die sie ohne Verzug Zum Verkehr 
mit höheren Kreisen befähigen. Weder ist sie so täppisch, um nicht 
sofort den dort gebräuchlichen Jargon sich anZueignen, noch steht 
der Jargon so hoch über der Gosse. Wer er wird in seinem Wert 
freilich beträchtlich gesteigert, wenn eine ZeiLungsverkäuferin 
immer wieder gegen seine Regeln verstößt. Man lacht über ihre 
Fehler und fühlt sich als Klasse. Auch das Publikum lacht mit, 
das gleiche Publikum, das den Komment selber nicht beherrscht; 
sein Lachen soll den Anschein erwecken, als ob. Ihm schmeichelt 
überdies, daß ein unverdorbenes Mädchen aus seinen Klein 
wohnungen in die Paläste des Revue-direktors dringt. Die Groß 
bourgeoisie weiß, warum sie solche Kompliments so verschwende 
risch austeilt, warum sie den routinierten Star hinter dem 
Straßengeschopfchen zurücktreten läßt. Es ist zu ihrem Vorteil, 
wenn ein anständiges Mädchen sich von unten nach oben sehnt und 
gewiß später ebenfalls Zum Star gedeiht. -- Der Film ist vor 
züglich aufgemacht. Norma Talmadgehat sich in ihre Mary 
Pickford-Rolle reizend eingelebt, sie ist ein Gaffenmädchen, dem 
man anmerkt, daß es zu den Künsten der Weltdame mühelos sich 
durchfinden wird. Da Ronald Colman den Direktor gibt, hat 
ihre Liebe volle Legitimität. UaeL. 
Mrimäres rmd sekundäres Morke.1 Unser Freund 
und Mitarbeiter rtd. hat in seinem gestrigen Abendblatt-Artikel: j 
„Diktatur der Konfektion", in dem er an der Veranstaltung des? 
Frankfurter Schönheitswettbewerbes legitimen Anstoß nimmt, die 
Unterscheidung Zwischen primärem und sekundärem „Knorke" ge 
troffen. Jenes ursprüngliche Knorke büligt er den Berlinern zu, 
die das Wort erfunden haben und es zum mindesten rein darstellen; 
während er das Benehmen der Provinz hei Vorgängen, die eigent 
lich nur in Berlin naturgetreu nach dem amerikanischen Muster 
übertragen werden können, knorke im abgeleiteten Sinne nennt. 
In unserem Falle hätten sich also die Frankfurter die Wahl einer 
„Königin" aufhalsen lassen, ohne den Akt so knyrke Zu vollziehen, 
wie er an sich schon ist. Was dabei herausgekommen ist, hat Herr mk. 
drastisch geschildert.' Ein schlechtes Plagiat, knorker als knorke, ohne 
> Zweifel, unser Mitarbeiter ist im Recht Nicht um fein Urteil zu 
berichtigen, nur um es zu ergänzen, sei aber angefügt: daß die 
I Häßlichkeit des provinziellen Knorketums beinahe so etwas wie 
Rührung erwecken könnte Sie ist von der Art jener Abscheulich- 
keiten, die ein Lm Grunde feiner Mensch leicht begeht, wenn er in 
eine, nun sagen wir, knorke Umwelt verschlagen wird, zu deren Ge-, 
brauchen ihm die Beziehung fehlt. Er ahmt sie nach, um sich in ihr - 
zu behaupten, und übertrumpft bald ein Gebaren, auf das er sich 
nicht versteht. Die Läppischkeiten der Provinz auf dem Gebiet des 
Knorketums lassen sich am Enoe auch aus ihrer besseren Herkunft 
erklären. Freilich wird die Provinz erst recht zur Provinz, wenn 
sie von dem Eh geiz nach weitstädtischen Allüren besessen ist, die sie 
ln den Schein der Lächerlichkeit kleiden. Womit dem Beharren auf 
provinziellen „Eigenarten" nicht das Wort geredet sein soll. Aber 
es ^ibt eine gute vermittelnde Haltung, die weder so größenwahn 
sinnig ist, primär knorke sein- Zu wollen, noch in dummer Eigen 
brötelei sich gefällt, sondern weltmännische Urbanität mit dem Be 
wußtsein des in Wirklichkeit eingenommenen Orts Zu verbinden 
nmß. 
mung. Gegen das Ende hin wird die Zeitbedingtheit der Roman 
komposition störend offenbar. Die historisch gewordenen Stilprin 
Zipien Victor Hugos fordern, daß der Polizei-Inspektor Javert 
sich in der Seine ertränkt, weil er einmal Gnade vor Recht hat 
walten lassen; daß sich die Hauptpersonen auf eine Weise begegnen, 
die den Zufall allzu kategorisch ausschließt; daß die kleine Co^ 
die einen reichen jungen Mann heiratet, ihren Pflegevater über all 
dem Glanz vergißt, worauf ihr früher oft bewährtes Herz nicht 
Zu schließen erlaubte. Eine MkrW Analyse der von Hugo ver 
unstalten Kombinationen wäre gewiß lehrreich; indessen der Film 
ist nicht um ihretwillen geschaffen. Ihn, der eine Wirklichkeit dar- 
zustellen hat, belastet die Anpassung an eine Handlung, deren 
ästhetische Wirklichkeit dahin ist. Hinzu kommt, daß rein filmisch 
der Schlußteil weniger überzeugt als der Beginn. Woher sein teil- - 
weises Versagen rührt, ist schwer auszumachen. Vielleicht, daß der 
ersten Hälfte einige moderne Glücke eingefügt worden sind, wah 
rend die Zweite in der alten Fassung stehen geblieben ist. Hierauf» 
könnte die Tatsache hin weisen, daß die beiden Teile verschiedene 
deutsche Bearbeiter gefunden haben. Aber gleichviel: jedenfalls 
enthält der Abschluß nur vereinzelt starke Partien, Zm ganzen 
wirkt er etwas altmodisch; die Staffagen sind hie und da zu fühlbar 
komponiert, die UebergÜnge entsprechen häufig nicht so sehr den 
optischen Anforderungen als dem Zwang der Buchfabel, der die 
Illustrationen in Sprüngen nachjagen, und auch das Ensemble 
spiel ist nicht immer von jener Feinheit, die den ersten Teil durch 
gängig bestimmte. Diese Schwächen fallen um so mehr ins. Ge 
wicht, als der Film im allgemeinen ein hohes Niveau bewahrt 
und streckenweise gar fasciniert. Der Gassenjunge Gavroche ist ein 
echier Pariser KosZe, frech, sympatisch und von alt ererbtem ero- 
I tischen Charme. Einige Häuserreihen blenden, und die Wanderung' 
' durch die Kanäle erlangt im Bild schlagende Kraft. '
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.