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Full text: H:Kracauer, Siegfried/01.06/Klebemappe 1927 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

lAV. 
einem Verstoß zu ertappen. Hatte ich in einer schwachen Minute 
den Anschein der Gleichgültigkeit erweckt? Durch verdoppeltes 
Sorgfglt suchte ich das Maschinchen wieder auszusöhnen. Ich 
zwang mich in seiner Gegenwart zur Fröhlichkeit und ersann 
neue Spiele auf der Tastatur, die das lahme Stangchen viel 
leicht zerstreuten. Indessen, sein Zustand veränderte stch nicht. 
Es drang ein fremder Mann in mein Zimmer. Während 
der letzten Tage hatte die Unruhe mich aus dem Haus ge 
trieben. Wenn ich auch meinen Kummer ängstlich verbarg, so 
konnte er doch von einem LaMaus-Bekan^ worden 
sein. Am Ende hatte er mir den Mann geschickt; nur so jeden 
falls ließ sich seine Anwesenheit ungezwungen erklären. Die 
Züge des Mannes waren grob, ohne einer Art von populärer 
Gutmütigkeit zu entraten; er trug eine große schwarze Tasche 
unter dem Arm. Der Mann verlangte das Maschinchen zu 
sehen, das verwaist auf dem Bette stand. Im Bewußtsein 
meiner Machtlosigkeit begnügte ich mich damit, ihn scharf zu 
beobachten. Wie er durch das Zimmer schritt, Zertrat er un 
achtsam mehrere Papierbögen, die aus Platzmangel auf dem 
Boden lagen. Den Kasten öffnete er mit einem Griff. 
Um den Mann von seinem Vorhaben abzulenken, sprach 
ich in einem fort. „Ist es nicht ein wunderbares Maschinchen," 
sagte ich hastig, „die eine Taste freilich fühlt sich im Augenblick 
etwas unwohl, ich weiß es, aber ich benötigte sie garnicht, sie 
ist so empfindlich, müssen Sie wissen, man sollte sie nur schonen 
und gut zu ihr sein, ich weiß genau, daß sie sich von selber 
wieder ermuntern wird, wenn bestimmte Vorbedingungen er 
füllt sind, die in Bälde eintreten werden, rnüffen Sie wissen." 
— Der Mann antwortete mir nicht. Er legte die Tasche auf 
den Stuhl, hob das Maschinchen in die Höhe und betrachtete 
es mit Kennerblicken von unten. Mein Schamgefühl war ver 
letzt. Nie noch hatte ich, der ich doch mit dem Maschinchen zu 
sammen lebte, das Untere mit solchen Blicken geinustert wie er. 
Jetzt redete er mich an; vielleicht war es auch nur ein Mono 
log. Ich müsse Zu M auf die Taste gedrückt oder das Gestänge 
zerknittert haben. Verwirrt schaute ich zu Boden. Der Schelm 
sprach gegen mich. 
. Bedächtig entfaltete der Mann seine Tasche. Ein Glanz! 
drang aus ihr, der mich quälte. Er ging von riesigen * 
Schraubenziehern aus und von Zangen, die Geburtszangen 
glichen. Ich wollte nicht Hinsehen und war doch von den ge 
walttätigen Stahlkurven gebannt. Der Mann streifte die 
Aermel -empor; er erinnerte mich an meinen Hausarzt, der 
mich als Kind einmal operierte. Mit seinen plumpen Fingern 
nahm er das verletzte Flamingobeinchen und richtete es auf. 
Furchtsam verharrte es in der ihm angewiesenen Lage. Auch 
die Nachbarstangen teilten sein Schicksal. Nach etlichen 
weiteren Handgriffen rief mich der Mann Hechel «d hieß 
Das SchreiömaHinchen 
Von Raea. 
Seit kurzem nenne ich eine Schreibmaschine mein eigen. 
Ich bin jetzt über dreißig Jahre alt und habe zuvor noch "nie 
eine Maschine besessen. Es wäre mir auch unerfindlich ge 
wesen, wie ich in ihren Besitz hätte gelangen sollen. Gewiß, die 
meisten Menschen machen es sich damit leicht. Sie betreten ein 
fachmännisch gebildetes Geschäft, prüfen die Fabrikate und wäh 
len ein passendes aus. Aber der Gedanke, eine Maschine wie 
einen Schlips zu kaufen, sie sozusagen auf öffentlichem Wege 
zu erwerben, war mir niemals gekommen; ich hielt ihn für 
vermessen und billigte ihn nicht. Nur durch eine Verkettung 
sonderbarer Umstände, die aufzurollen das einfache mensch 
liche Taktgefühl verbietet, geriet die Maschine in meine Hand. 
Wie ein herrenloses Hündchen lief sie mir zu. Ihm die Auf 
nahme zu verweigern, wäre Unrecht gewesen. 
Von dem ersten Augenblick an liebte ich die Maschine ihrer 
Vollkommenheit wegen. Sie ist graziös gebaut, federleicht und 
blitzt im Dunkeln. Das Gestänge, das die Typen trägt, hat 
die Schlankheit von Flamingobeinen, Wenn ich, was oft ge 
schah, in ihre Betrachtung versank, gewann ich stets den Ein- ! 
druck, daß man ihr nichts hinzufügen oder wegnehmen könne; 
so wie sie war, mußte sie sein. Mitunter kroch ich nach dem 
Schlafengehen noch einmal aus den Federn, öffnete den Kasten 
und stellte die Maschine neben mich auf den Stuhl. Dann erst 
schlummerte ich ein. Während einiger Nächte verfolgte mich 
ein böser Traum. Ich träumte, daß ich bei der Ankunft in 
einer fremden Stadt — sie lag im Süden, ich entsinne mich 
ihrer deutlich — die Maschine als Handgepäck aufgegeben 
hätte, ganz so, als sei sie ein Koffer. Leichtsinn ist mir nicht 
ckngeboren, eher bin ich pedantisch. Der Gang durch die Stadt 
war eine einzige Folter. 
Lange Zeit hindurch wagte ich nicht, die Maschine zu be 
nutzen. In ihrer Vollendung erschien sie mir als ein höheres 
Wesen, das durch Mißbrauch nicht geschändet werden durfte. 
Nur verlegen liebkoste ich -— damals, in den Anfängen unse 
rer Beziehung — ihre kühlen Teile. Die leichte Berüh 
rung schon machte mich glücklich. Oder ich ließ die Walze 
laufen und verstellte die Spulen. Wenn die Menschen, die 
mich besuchten, das Maschinchen nicht bewunderten, haßte 
ich sie. 
Allmählich gewöhnte ich mich an das Maschinchen. Der 
Umgang mit ihm veredelte mich. Hatte ich früher mit dem 
Geschriebenen etwas mrsdrücken wollen, so lernte ich- nun be 
greifen, daß allein die Tätigkeit des Schreibens selber erstre 
benswert sei. Auf große Papierbögen von untadeliger Weiße 
setzte ich Zahlenkolonnen und Buchstabenbilder, die nicht die 
geringste Andeutung eines Sinnes enthielten. Zum Lohn für 
das zwecklose Tun, das in zartsinniger Weise der Vollkom 
menheit des Waschinchens huldigte, war es immer zu meinem 
Empfang bereit Es galt mir bald mehr als eine Frau oder 
die Freunde. Wir schnellten von dem linken Bogenrand ins 
Unbekannte vor und fuhren wieder zurück; jeder Fleck des 
Papiers wurde mit Chiffren bedeckt. Wochen verstrichen uns 
so. Selige Stunden verbrachten wir in der Dämmerung, wenn 
ich die Tasten nicht mehr recht sah. Ich phantasierte dann, 
wie die Empfindung mich trieb, und herrliche Gebilde aus 
Zeichen sprangen hervor. Festfahnen gleich flatterten sie über 
den Hellen Gründen. Immer seltener suchten die Menschen 
uns auf. Sie verstanden die Schriftfiguren nicht und schüttel 
ten bedenklich die Köpfe. Zuletzt blieben sie aus. Ich bedurfte 
ihrer nicht; vor mich hinzuklimpern, war mir genug. Oft 
gingen die Tasten von selber weiter, so unzertrennlich ver 
bunden war das Maschinchen mit mir. Die beschriebenen 
Papierbögen häuften sich in meinem Zimmer. 
Eines Tages trat ein unvorhergesehenes Ereignis ein: das 
Maschinchen wurde krank. Eigentlich nicht das Maschinchen, 
und auch krank wäre zuviel gesagt. Nur eine geringe Taste oer- 
fagte, ganz am Rand ein Tästchen. Sie schwang sich zwar in 
die Höhe, blieb aber, noch ehe sie ihr Ziel erreichte, ermattet 
stehen. Das Maschinchen besitzt viele Tasten, und man hätte auf 
die Bewegung der einen Taste gewiß verzichten können. Sie 
enthält den ueeent Aruvs, den uaaairt olreonklGXS und die 
eEIIe ohne a. Rein auf den Inhalt hin angesehen, handelte 
es stch also um eine Taste von lächerlicher Nichtigkeit, die von 
jedem anderen kaum bemerkt worden wäre. Doch für mich war 
gerade diese Taste unentbehrlich, da ich mit ihr besondere 
Kombinationen durKZuführen vermochte. Ich schlug etwa die 
eEIIs in langer Kette an und stellte darüber den aeeent 
olreonklexs. Nun saß er wie ein Dach auf dem Leeren, aus 
dem ein Schwänzchen schlüpfte. Setzte ich ein 6 dazwischen, so 
war die überflüssig, und das e hatte unter dem Dach 
nichts verloren. Die Beschäftigung mit diesen Problemen, 
deren Feinheit mich wieder und wieder entzückte, wurde 
durch die Lähmung der Taste verhindert. An eine ernsthafte 
Krankheit glaubte ich nicht. Die Maschine ist verstimmt, so er 
wog ich im Stillen, gewissermaßen eine vorübergehende Indis 
position. Bei ihrer Vollendung mochten auch Gedankensünden, 
! uneingestandene Schwankungen des Gemüts einen Einfluß auf 
sie gewinnen. Vergeblich rief ich mir die Tage und Nächte 
unseres Zusammenseins ins Gedächtnis zurück, um wich auf 
mich in das Innere sehen. Bisher hatte ich immer nur mit 
einem Bürstchen die Außenteile blank geputzt. Nun breitete 
sich ein Wunderwerk vor mir aus, lauter" Spirälchen und 
Schrauben, die Welt im Waffertropfen. Ich war gerührt und 
schämte mich nicht. 
Die schrecklichen Instrumente begannen jetzt in den Ein 
geweiden zu wühlen. Ich hatte mich abgewandt, der Anblick 
war unerträglich. Von ferne hörte ich, wie die Stahlzangen 
knackten, und mir schien, als sei ein leises Stöhnen das Echo. 
Wut faßte mich an; nur war ich zu feig, sie zu äußern. Sie 
verdichtete sich zu dem einzigen Wunsche, daß das Maschinchen 
zerstört werden möge. Es ist mein Maschinchen, dachte ich 
mir, und ein fremder Mann, der es rein mechanisch auffaßt, 
hhat es in seiner Gewalt. Wenn es aber mein Maschinchen ist, 
- wein zartes Maschinchen, mit dem ich einst in den Dämmer 
stunden improvisierte, so kann es diesen Eingriff nicht 
überdauern. Der fremde Mann soll es Zu Grunde richten, ich 
wünsche, daß er es in Stücke zerschlägt. Dann werde ich die 
Trümmer sammeln, ich werde reine Papierbögen um sie wickeln 
und das Paket in meiner Schublade verwahren 
Es mußte wenigstens eine halbe Stunde vergangen sein. 
Der Mann hatte die Instrumente zusammengelegt und spannte 
gerade in das Maschinchen, dem äußerlich nichts anzumerken 
war, einen meiner Bögen ein. Er tippte, wie die Leute zu sagen 
Pflegen. Ohne eigentlich hinzublicken, sah ich: die Taste 
ging. Auf dem Bogen stand geschrieben: Wts, NiultrS, 
mu eders. Durch private Fortbildung, erklärt der Mann,- 
habe er sich alle französischen Vokabeln angeeignet, die für 
sachgemäße Reparaturen erforderlich feien. Er teilte mir die 
Unterschiede der Fabrikate mit, und daß er ein jedes kenne. 
Man muß mit Maschinen umgehen können. Es empfiehlt sich, 
nicht zu fest auf die Tasten zu schlagen. 
Das Maschinchen war in Ordnung; die Maschine war 
repariert. Ein fremder Mann kam ihr brutal, und sogleich 
war sie ihm Zu Gefallen. Daß ich mit der Aufbietung meiner 
Kräfte mich um sie gesorgt hatte, bedeutete ihr nichts. Meine 
Liebe zu der Schreibmaschine erlosch. Sie war nur eine von 
vielen, die alle künstlich hergestellt wurden und nach Mdarf 
ausgebeffert werden mochten. War die eine erledigt, lo konnte 
man eine andere kaufen. Ihr nachzutrauern verlohnte sich 
nicht. Es gibt Fabriken und Läden, in- und ausländische 
Marken stehen zur Wahl. 
Ich gehe wieder unter Menschen und suche bescheidene 
Freuden im Verkehr mit den Frauen. Die Maschine gebrauche 
ich wie ein Ding. Das Geschriebene besteht aus Korrespon 
denzen, Rechnungen und Betrachtungen gefälliger Art. Meine 
Freunde sind zufrieden mit mir, weil sie die Schriftstücke ver 
stehen und das Zimmer stets aufgMhrt M
	        
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