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Full text: H:Kracauer, Siegfried/01.07/Klebemappe 1928 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

Anmerkungen zum Mm: Aas Ende von St. Wetersöurg 
(Zur Aufführung des Films in den Frankfurter Ale- 
kaca. 
mannia-Lichtspielen.) 
worden wäre. 
UacL. 
Nicht durchweg freilich hält sich der Film auf der Höhe seiner 
Hauptpartien. Ist auch die Kontinuität der Zeit im allgemeinen ge 
wahrt, so sind doch etliche Ereignisse, offenbar der Vollständigkeit 
halber, zu sehr im Eiltempo genommen. Vielleicht ist der Film ver 
stümmelt worden. Die Andeutung der Schlachten wäre überflüssig 
gewesen, die Parallele zwischen den Transaktionen an der Front 
und an der Börse liegt an der Oberfläche. Hier und dort schlägt 
eben doch bloße Tendenz durch, die unkräftiger wirkt als jene Teile, 
in denen die Tendenz als Haltung zugrunde liegt. (Gerade diese 
Stellen sind es, an die sich Piscator als an fein Vorbild in 
seinen Begleitfilmen hauptsächlich gehalten zu haben scheint). Daß 
das Reiterstandbild während der Kriegsbegeisterung zu weinen be 
ginnt, ist witzig, aber auch etwas billig. 
Figur ist wirklich, scheint nicht zu spielen, sondern zu sein. Die Dar 
stellung ist umso gewaltiger, als auf die leichte Wirkung verzichtet 
wird, die Männer der Gegenseite — den Fabrikanten, einen Offi 
zier und Bürger , zu eindimensionalen Karikaturen herabzuwür- 
digen. Georg Grosz hat-es sich seinerzeit bequemer gemacht als 
die Russen, die unter allen Umständen realistisch bleiben. Freilich 
sind die Zarenanhänger vom Haß gezeichnet, der etwa die Aehn- 
lichkeit zwischen dem Fabrikanten und dem Reiterstandbild entdeckt. 
Führende Gestalten des Volkes: ein dumpfer Landmann, der nach 
Petersburg gekommen ist, um Arbeit zu suchen, und eine Arbeiter 
frau, deren Härte erst zuletzt schmilzt. Die Kunst, mit der ste durch 
das Stück gehen, sucht ihresgleichen. Auch ste beruht auf dem Er 
griffensein vom revolutionären Geschehen. Der menschliche Grund 
ist mitbeteiligt. 
--- Opfer. So heißt der Großfilm der Ca p it o l-L ichtH 
spiele, der sich in einem galizischen Grenzort während des 
Kriegs entwickelt. Das bewährte Milieu von „Hotel Stadt Lem- 
berg" erscheint hier in zweiter Auflage, die aber leider nicht ver 
bessert worden ist, obwohl Iwan Mosjukin und Mary Phil 
tz in die Helden sind. Diese spielt eine Jüdin, jener eine russische 
kaiserliche Hoheit. Da sich beide trotz der Verschiedenheit der Rasse 
und Kriegsziele lieben, mag man sich denken, zu welchen Opfern 
es kommt. Die Philtzin ist bildschön und Mosjukin von apathischer 
Eleganz. Als Hintergrund ein ausgedehntes ostjüdisches Ensemble 
und die Uniformen der kriegführenden Nationen. Der Film hätte 
- entschieden gewonnen, wenn er nicht durch Poesie zu lang gedehnt 
Für den großen P u d o w kin - Film M, was für die 
paar anderen in Deutschland gezeigten Russenfilme gilt, die er 
mit Ausnahme des Potemkin übertrifft: sein Kunstwert ist an die 
Voraussetzung einer bestimmten Haltung geknüpft. Die Revolution 
wird in dem Film verherrlicht, und die ganze Darstellung ist ge 
tragen von dem Denken, das zur Revolution hinleitet und sie bejaht. 
Es gibt ein Gut und ein Böse in dem Film, und jedes Ding hat 
seinen bestimmten Charakter. Statt daß die gemeinte Gesinnung 
die reine künstlerische Gestaltung zur Illustration einer Tendenz 
entstelle, macht sie vielmehr die künstlerische Leistung erst möglich. 
Denn um, wie das Kunstwerk es tut, die Gegenstände mit Bedeu- 
! Lung zu sättigen, muß die Bedeutung erkannt sein. Die Gegenstände 
mögen vielerlei Bedeutung haben, und auch die Fridericus Rex- 
Filme wissen, was sie wollen. Aber es gibt richtige und falsche 
EAenntnisse, und sind die Gestaltungskräfte überhaupt vorhanden, 
so wird das von der richtigen Erkenntnis erfüllte Kunstgebilde sich 
behaupten, während das ahnungslose Machwerk versinkt. 
Aus der revolutionären Haltung heraus empfängt alles, was 
im Film erscheint, seine Bestimmung. Wie ist wieder die Hohlheit 
der Prunkgebäude durchschaut, die den Machthabern dienen! Ein 
antiker Giebel braucht nur aufzutauchen, um sofort gerichtet zu 
sein. Als Hauptsymbol der Oberklasse dient das große Reiterstand 
bild, das immer wieder von oben und unten, von rechts und von 
links erscheint. Es triumphiert und es glänzt, und zu seinen Füßen 
spielt das Elend sich ab. Auch die Hinterhöfe und die Mietskasernen 
reden unmittelbar. Durch die Perspektive, durch die Belichtung und 
den Bildausschnitt sind sämtliche menschlichen Manifestationen bis 
ins Mark hinein getroffen. 
Wie die Gebäude, so stehen sich die Bevölkerung und die Ver 
treter der Herrenschicht einander gegenüber. Ueber die unerhörte 
Auswahl dsrTypen ist kein Wort wehr zu verlieren- Jede 
Die künstlerische Phantasie, mit der dieser Film gedreht 
wurde, ist jeder Bewunderung wert. Ausgebildet ist vor allem 
die assoziative Technik. Inmitten der rasch wechselnden Im 
pressionen, die der Gleichzeitigkeit des Geschehens Ausdruck ver 
leihen, werden gewisse Motive wiederholt: außer dem Reiterstand 
bild das große Schwungrad und die Fanfarenbläser. Diese Leit 
motive vennüpfen das Gewebe und weisen die Richtung. Eines der 
hervorragendsten Ausdrucksmittel ist der Raum. Wir hatten schon 
einmal bei Gelegenheit eines Russenfilms die Beherrschung des 
Raums in diesen Filmen gerühmt. Er ist hier in unvergleichlicher 
Weise gemeistert. Die Magie des Winterpalais, die Schrecklichst 
einer Straße, die Verlassenheit eines Häuserblocks sind noch kaum 
je erblickt worden. Durch geringfügige Veränderungen wird häufig 
der Sinn der Vorgänge drastisch entschleiert. Musterhaft die paar 
Szenen, in denen der Krieg beschlossen wird: man sieht gold 
strotzende Uniformen, schwärze Cuts und gestikulierende Hände, 
aber niemals die dazugehörigen Kopfe. 
iv- 2 r/l/-
	        
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