lr,UMäs^ Unter der Leitung von Henri Barbusse
beginnt zu erscheinen, eine Pariser Halbmonatsschrift
internationalen Charakters, zu deren Stab Manne? wie Einstein,
Gorki, Upton Sinclair, Umrmuno gehören. Bewußt will „Uonäe"
ein Kampfblatt sein. Die Ziele der Zeitschrift: die Entschleierung
der in der Gegenwart herrschenden Ideologien und Haupttrieb
kräfte; die möglichste Annäherung der Kopfarbeiter an die Hand
arbeiter, zu der die genaue Kenntnis der heutigen Gesellschafts
schichtung Paletten soll; die Förderung und Sammlung aller Be
strebungen, die auf eine auch den Massen zugängliche KunstüLung
gerichtet sind. Da vielseitige Aufklärung als ein wesentliches Mittel
zur Erreichung dieser Ziele erachtet wird, hat sich „Uonäe" einen
auZgebreiteten Informationsdienst geschaffen, den namhafte Mit
arbeiter der verschiedenen Länder versehen. Die erste Nummer, die
uns jetzt voEegt, hat äußerlich jenen Zeitungscharakter, den wir
auch manchen unserer Zeitschriften empfehlen könnten. Durch die
Einfachheit und das beinahe Improvisierte der Aufmachung wendet
sie sich nicht nur von vornherein an eine breite Leserschaft, sondern
vermeidet auch die Geschlossenheit, die sich vor den Inhalten doch
nicht behaupten kann. Barbusse entwickelt in dem Heft seine Auf
fassung von der kommenden Kunst; Piscator eröffnet mit einem
Artikel über das politische Theater eine Diskussion, an der sich
such hervorragende Regisseure anderer Länder beteiligen werden;
Manuel Ngarte berichtet über die Auseinandersetzung zwischen den
Vereinigten Staaten und den Ländern des lateinischen Amerika;
Raum gegönnt ist nicht zuletzt der Belletristik, den Problemen
des Rundfunks und des Films. Wichtig die groß? Rubrik:
„Panorama", in der sich Notizen und kritische Müssen über alle
möglichen Vorgänge finden. Daß, der Bestimmung von „Noncke"
entsprechend, stets auf die Zusammenhänge zwischen den sozialen
und geistigen Ereignissen geachtet wird, versteht sich von selbst.
Der Herr der Nacht. Dieses Kriminalgesellschaftsstück, das
die Hansa-Lichtspiele Zeigen, ist nach einem Roman von
Rosenhayn verfilmt. Lüstspielmotive älteren Stils mischen sich in
ihm mit den Schauern des Mondänen, das in dem „Herrn der
Nacht" sich därM Klein-Rogge, der so pathetisch
Ängeredete, ist ein mächtiger Lheaterdirektor, der sich in Vor
stadtvarietes seine künftigen Stars aufliest und mit Napoleons
allüren den Revuebetrieb leitet. Sein Gegner: ein Verein zum
Schutze der GrößstMjugend. In ihm finden sich außer alten
Possenschachteln ein sympathischer Banrdirektor (B r e n k e n d o r f),
der aber heimlich eine Revueschönheit aushält; seine jungfräuliche
Tochter- deren Ahnungslosigkeit Aud Egede Nissen mit viel
Ahnung spielt; ihr Verlobter, ein gemeiner Erpresser, dem Erich
Kaissr-Tietz einen Scheitel und das süßliche Lächeln leiht.
Aus der Aufstellung deZ Personeninventars geht schon zur Ge
nüge hervor,- daß hie Bankierstochter den Herrn der Nacht
heiratet. Damit das möglich wird, muß übrigens Theodor Loos
in all seiner Blondheit als eifersüchtiger Chemiker einen Theater
brand entfachen. Einige gute Nachtaufnahmen und Ueberblendun-
gen schmücken den Film. Was ihm nichts schadet. KucL.
aus der Jacke,, während er gestikuliert - ein höchst bedeutender
Anblick. Erschütternd und sonderbar auch, daß gerade dieses spiri
tuelle und hergewehte Gesicht sich im Umkreis der Volksgestalten
findet, mit denen es sich wundervoll eint.
ch
Besonders großartig sind die wenigen Szenen, in denen die
Improvisation verherrlicht wird. In den Augenblicken der
entscheidenden Kampfhandlung zeigt sich die Tür Zum Zimmer
des Exekutivkomitees. Mein ihr unterer Teil tritt ins Bild.
Ununterbrochen geht der Türflügel auf und Zu, Beinpaare eilen
heraus und herein. Werden in »den übrigen Teilen des Films ab
gelebte Raumerscheinungen gekennzeichnet, so ist mit dieser Tür
auf das Element eines neuen Lebens hingewiesen. Sie ist der
Bestandteil einer Gesellschaftswelt, in der die Improvisation
mehr besagt als die Institution. Ihr Bild hält den der Erstarrung
anhermgesallenen Szenen des Films die Wage.
*
Der Film — die scheußlichen Musik-geräusche Weisels beglei
ten ihn °— wurde von der Frankfurter Ortsgruppe des
Volks Verbandes für Filmkunst im Gloria
Palast vorgeführt. Alfons Paquet sprach die schonen ein
leitenden Worte. Kack.
Natur und Liebe.
Dieser von der Kulturabteilung der Ufa hergchellte Wm
— er wird in den Ufa-Lichtspielen gezeigt — ist eine
Art von populärer Leitfaden durch die Schöpfungsgeschichte. Bei
dem Unternehmen haben eins Reihe von Professoren Pate gestan
den, so daß man wenigstens die Gewißheit haben darf, die Welt
sei so entstanden, wie sie hier vorgeführt wird. Zwar, bei dem
Urnebsl wird auch kein Professor zugegen gewesen sein, er sieht
überhaupt mehr nach einem Filmatelier aus — aber die meisten
naturwissenschaftlichen Bilder sind doch geeicht und authentisch.
Von den Einzellern an über die Affen zum Menschen steht man
eine Reihe von Aufnahmen, die das Leben der Geschöpfe, chre
Nahrungsbefriedigung und ihre Fortpflanzung vergegenwärtigen.
Das wird viele interessieren. Häufig wird mit riesigen Ver
größerungen gearbeitet und auch geschickte Trickbilder sind oft
herangezogen; lehrreich zum Beispiel die Darstellung der Ent
wicklung des menschlichen Embryos. Die Titel, die diesen Längs
schnitt durch das Erdenleben erläutern, sind leider nicht frei von
Schwulst. Außerdem werden dem großen Publikum Konzessionen
gemacht, für die es sich bedanken sollte. So muß es prähistorische
Stzenen über sich ergehen lassen, die entsetzlich gestellt sind, und
muß am Schluß einen kunstvoll aufgebauten Anstieg halbnackter
Statisten Zu neuen Menschheitsgipfeln genießen, dessen Anblick
den Wunsch nach einem sofortigen HSllensturz aufleimen läßt.
Von solchen und anderen groben Geschmacklosigkeiten abgesehen,
enthält aber der Film immerhin für die breiteren Schichten man
ches Instruktive. K.LLL.
«- Das Spielzeug von Paris. Der Film ist vor über Zwei
Jähren zum ersten Male gezeigt worden. Es ist.ganz interessant,
ihm in den Al em an n i a- L i ch t sp ie l e n wieder zu be
gegnen. Er spielt in der Lebewelt, Niggerjazzbands und glänzende
Revuedekors sind sein Hintergrund. Damals herrschte in Paris
noch die Inflation, und ein Kabarett strahlte auf der Rue Pigalle
zu immer teureren Preisen neben dem andern. Man merkt an dem
Film: die Kabarett- und Tanzindustrie hat bereits einen leichten
Hautgout, die Jazzwut beginnt historisch zu werden, der Lebe-
taumel ergreift nicht mehr wie früher die Massen. Stabilisierung
auch hier. Die schöne Lily Damita als großer Revuestar hat
einige gute Momente. K.LcL.
Casanovas Erbe. Dieser Film mit dem schlecht gewählten
Titel — die Bieberhau-Lichtspiele führen ihn vor —
ist ein sehr guter Hochstaplersilm. Sein Held ist, genauer gesagt,
ein Heiratsschwindler. Harry Hardt spielt ihn doof und schön,
mit einem symmetrischen Schnurrbärtchen und angestrengt aristo^
kratischen Allüren. Das Glück kommt Zu ihm in eine Hafenkneipe,
wo er als Geiger amtiert. Durch einen handlungsmätzig geschickt
arrangierten Zufall gewinnt er Geld und einen Paß, mit dessen
Hilfe er sich fortan als Freiherrn ausgeben kann. Sein nächstes
Ziel ist das große Hotel. Dort wird er von einer Gräfin, die sich
als HoLelratte entpuppt, über seine eigentlichen Fähigkeiten auf-
gcklän. Nacheinander nimmt er dann, ach, durch seine Gestalt für
sich ein; seine plötzlich zu Reichtum gelangte Wirtin (die von
Maly Delschaft blond und innig verkörpert wird), eine Zofe
und eine echt- Gräfin, der er wie der Wirtin alles abnehmen
möchte. Andröe la FayetLe leiht ihr die reife GesellschsstZ-
erscheinung. Gerade in dem Augenblick, in dem sie ihren Gästen die
Verlobung mit dem Schwindle? verkünden will, wird der ver
haftet. Kum Glück hat sie einen wirklich aristokratischen Freund
kJohn Lob er), der sie vor dem Skandal bewahrt. Manfred Nss
bat dieses unterhaltende Sujet, von einigen Längen abgesehen,
ihnen heben sich die Gesichter dex gestürzten Oberklasse als von
einer reinen Folie ab. Niemals zuvor sind verschiedene gesell
schaftliche Zustände durch die bloße Konfrontation der von ihnen
abhängigen Typen so drastisch veranschaulicht worden. Noch ein
dritter Typus kommt in diesem Film hinzu: der des intel
lektuellen Revolutionärs. Antaroff, ein dünner,
schwarzer, bärtiger Mann, entwirft den Aufmarschplan, führt die
Truppen zum Sturm aufs Winterpalais. Sein Röllchen fliegt
sauber, schlagkräftig und hie und da witzig gedreht. DaS klein- j
bürgerliche Milieu und das des gräflichen Schlosses sind exakt
getroffen, und die Art, in der sich der Held den verschiedenen
Umwelten anpaßt, bezeichnet diese nicht minder wie ibn. Auch
sind die Uebergange gemeistert (ein Blumenstrauß, den der Held
mehreren Damen anbietet, bindet die betreffenden Szenen (zusam-^
men. Schließlich sei der originellen Aufnahmen deZ KabarettädsndZ
im Hotel gedacht, bei welcher Gelegenheit übrigens ausgezeich
nete Artisten ihre Künste zeigen. Es wirken noch mit: ein be
gabter Junge., Kurt Gerron mit einem ausgeschlagenen Auge
als Hafenwirt und der immer gute Louis Ralph als vertuschte
Mstenz. RucL