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das seine echte Gepalt allein in der dreidimensionalen Fülle hat.
gung zur künstlichen Einheit montiert ist. Besser, viel besser Wie aber der Ruttmann-Film beweist, liegen die Möglichkeiten
hätte Ruttmann daran getan, das Verschiedenartige übergangslos des Tonbildfilms viel eher in der Darstellung und Formung der
nebeneinander bestehen zu lassen, statt es, wie schon tm Film
„Berlin", einer Lildfremden literarischen Idee unterzuordnen, die
iw optischen Medium doch nicht die nötige Bindekraft besitzt. Lei
der ist auch akustisch zu viel und noch schlechter komponiert wor
den: nämlich von Edmund Meisel, deten Musik den Film auf
lange Strecken hin begleitet. Sie gemahnt in irgend einer Hin
sicht an das laufende Band und scheint kilometerweise fabriziert
zu werden. Ihre Dreingabe verdrießt vor allem, weil sie gerade
bei einem Tonbildfilm schlechterdings überflüssig ist; denn wenn
etwa ein Wasserfall auf der Leinwand erscheint, will gewiß nie
mand eine andere Musik hören als die des rauschenden Falls.
Unter Abzug dieser Verfehlungen bleiben kurze Stücke, die
wie ein Märchen mit Staunen erfüllen. In ihnen sind auch
Märchenträume verwirklicht. Ein Hafen mit Schiffen, und die
Sirenen, beginnen zu brüllen; man fleht und hört es zugleich.
Im Bahnhof: ein Zug braust an, eine alte Frau ruft »Auf Wie
dersehen". Die Menschen sprechen, während sich ihre Lippen be
wegen, die Maschinen knirschen, die Seelöwen prusten und fauchen.
Das Leben wiederholt sich in Bild und Ton, was war, kommt!
wieder und wieder herauf.
Der zweite Film: „Ein Tag Film" ist ein Sketsch mit
Paul Graetz in der Hauptrolle. Er enthält ein paar Szenen von
gemäßigter Lustigkeit, die in einem Filmatelier spielen. Obwohl
die Tonwiedergaben noch vielfach mangelhaft find, bestätigt der
Einakter doch die Durchführbarkeit des neuen Prinzips. In
ästhetischer Hinsicht freilich ist er fragwürdiger als das Mosaik des
ersten Films, weil er zum Unterschied von diesem nicht vorwiegend
unwillkürliche Geräusche Nachbilder, sondern Figuren, die auch
stumm agieren könnten, zum Sprechen zwingt.
Eine Zusatzleistung, deren Problematik darin besteht, daß sie
die Filmhandlung zur notwendig mangelhaften Kopie eines
Theaterstücks erweitert. Sie möchte die Illusion der Körperlich
keit erwecken-und bringt es höchstens zum scheinlebendigen Wachs
figurenkabinett. Sie sucht ein Geschehen zü vergegenwärtigen,
durch keine früheren Mittel noch vernommenen Wirklichkeit, jener
Wirklichkeit, die aus der Bühn? bisher nicht mitgesprochen hat.
Das unbeabsichtigte Getöse der Straße zum Eingreifen in unsere
Welt zu erlösen, ist dem neuen technischen Verfahren genau so
Vorbehalten, wie es der seitherigen Filmtochnik vorbehalten ge
wesen war, das Leben der Lichter und Schatten unserem Bewußt
sein zugänglich zu machen. Es wäre eine müßige Spielerei, das
ästhetisch bereits bewältigte Dasein einfach zu repetieren; zu seinem
eigentlichen Sinn wird der Tonbildfilm erst gelangen, wenn er
dcG vor ihm nicht gekannte Dasein erschließt, das Tönen und
Lärmen um uns, das mit den Bildeindrücken noch, niemals kom
munizierte und stets den Sinnen entging. z
In Klsmmernr !
Der Lonvildfilm ist einstweilen Las letzte Glied in der Reihe
jener gewaltigen Erfindungen, die mit blinder Sicherheit und wie
von einem geheimen Willen geleitet auf die vollständige Abbildung
der menschlichen Realität hindrängen. Durch ihn wäre es im
Prinzip möglich, das Leben in seiner Totalität der Vergänglichkeit
zu entreißen und der Ewigkeit des Bildes zu überliefern. Freilich
nicht das Leben schlechthin, sondern nur die Seite des Lebens,
die sich im Raum darstellt. Sie ist der meßbaren, der chronologi
schen Zeit zugeordnet, die Bergson abtrennt von der nicht meß
baren und nicht räumlich zu veranschaulichenden Zeit, in die,
banal gesprochen, unsere Erlebnisse fallen. Ihre Gehalte, und nur
sie, will Proust heraufbeschwören, wenn er sich auf die Suche nach
der verlorenen Zeit Legibt.
Die im Tonfilm aufbewahrte menschliche Realität entspricht der
von Proust gemeinten so wenig, daß beide eher sich ausschließen
als einander ergänzen. Nicht eines der zur ErlebnisZeit gehö
renden Ereignisse läßt sich verfilmen, und kein Film vermöchte ein
solches Ereignis in die Ordnung der Erlebniszeit einzureihen. Fast
hat es den Anschein, als oL die Menschen ihres nicht zu verbild
lichenden intensiven Lebens in dem Maße verlustig gingen, in dem
sie das extensive räumliche Leben zu bannen vermögen. Wäre es
so, dann hätte die Technik über den Menschen gesiegt, und der drei
dimensionale Mensch sich dem Menschen auf der Leinwand vollends
angeglichen» Herr über die Technik wird der Mensch nur sein,
wenn er sich das Leben erhält, das nicht der Linse des Aufnahme
apparats, sondern allein dem Gedächtnis erscheint.
S. Kraesuer.
Frankfurt, 12. Oktober.
Die Aufführung zweier sprechender Filme, die gestern zum
ersten Mal in Frankfurt stattfand, rief die Anfangszeiten der
Kinematographie ins Gedächtnis zurück. Als man damals komische
Bewegungsposen und unzusammenhängende Fragmente wiedergege-
Len sah, ahnte man nicht, welcher Entwicklung die Filmkunst der
einst fähig sei. So geht es auch heute. Niemand vermag nach den
dargebotenen Proben auch nur annähernd zu ermessen, was uns
der Tonbildfilm später noch einmal bedeuten wird, wenn die Er
findung erst technisch vervollkommnet und ästhetisch durchdrungen ist.
Ueber das Tri-Ergon-Verfahren sind schon manche
Mitteilungen in die Oeffentlichkeit gelangt. Den Laien mutet es
wie höhere Zauberei an. Er muß sich darauf beschränken, mit dem
Kopf zu nicken, wenn ihm der neben dem Filmstreifen herlaufende
Tonstreifen gezeigt wird, der wie ein Spektrum aus lauter einzel
nen Strichen besteht. Der schmale Streifen ist nach dem Urteil der
Fachleute eine Photographie der Schallwellen, in die er wieder
Zurückverwandelt wird- Zur gesamten Metamorphose ist, wie es
heißt, eine elfmalige Transformation erforderlich Die Einge
weihten werden genau Bescheid wissen. Jedenfalls übertrumpft die
Esoterik der Technik heute bereits die der eleusinischen Mysterien.
Es wäre unrecht, den von WalterRuttmann geschaffe
nen Tonbildfilm des Systems Tri-Ergon: „D eutscher Rund
funk" als eine künstlerische Gestaltung zu bewerten. Er ist ein
interessantes, vielversprechendes Experiment, und kann bei dem
heutigen Stand des Verfahrens kaum mehr sein. Immerhin muß
gegen ihn eingewandt werden, daß er seine Aufgabe, möglichst
! viele Geräusche zu reproduzieren, auf ziemlich sinnlose Weise be
wältigt. Ruttman gibt Einblicke in die großen deutschen Sende-
stationen, veranschaulicht einige ihrer Leistungen, und sucht zu
gleich die hervorstechenden Eigentümlichkeiten der zuthnen ge
hörigen Landschastsgebiete einzubeziehen. Eine Kollektion, , die
sich zum Teil aus tönenden Ansichtskarten zusammensetzt, in ihrer
bildungstüchtigen Buntheit an die Rundfunkprogramme erinnert
und trotz des Widerstrebens der Einzelstücke gegen ihre Vereini-
Der Präsident. Ejn in den V L e o e r b a u - L ich t s p i e -
l e n laufender Film, der amüsante Teilstücke enthält, wenn er sich
auch zu Unrecht satirisch nennt. Satire ist er höchstens insofern,
als er einen Mann aus dem Volk darstellt, der es dank der Gäbe,
unverstandene Zeitungsphrasen vor der Menge flnnt)s durch-
einanderzuschütteln, zum Parteiagitator bringt. Aber dann hört es
auch mit der Satire auf. Denn daß der Münn dank einer rheto
rischen Eingebung Staatspräsident wird, und zwar ein so guter
wie Abraham Lincoln, daß er sich ferner zugleich mit der Würde
eine stolze Frau erobert, das ist höchstens Romantik. Ivan
Mosjukin spielt den unwahrscheinlichen Helden mit der ge
botenen Verve. So verschmutzt und latschig er als Bauer an
fangs daherkommt, so hell blitzen später feine Augen, wenn er
die Parade abnimmt und die Herren Minister anfährt. Voilr
un Komrns Seine Partnerin Suzv Vernon hat nicht mehr
zu tun, als ihn mit einer Verachtung zu behandeln, aus der die
Liebe spricht; was sie nach besten Kräften besorgt. Die hoch
politische Aktion ist ins Spanische verlegt, wodurch eine südliche
Gebirgslandschaft die Gelegenheit erhalt, mehrmals als Hinter
grund zu erscheinen. Anzuerkennen ist die geschickte Regie.
kLea.
Tonöikdstlm.
Kur Vorführung im Frankfurter Gloria-Palast.