Zeit hat schließlich die Kriegs montags eine feste Fonn
angenommen, deren Widerwärtigkeit n^ht zu überbieten ist.
Wann immer der Krieg auch nur den bejHeidenen Hintergrund
eines wichtigeren Filmereigniffes bildet, werden in kleinen
Dosen marschierende Kolonnen, Stacheldrahte und Granats
emschläge verabreicht. Aus den Schlachten drehen sie Villen,
DeryeuligeMlmund seinUuölikum
Von S. Sracauer.
(Schluß.)»)
Es fehlt nicht an Filmen, die von besserer Art als der
Durchschnitt zu sein behaupten. Sie stellen bewußt künst
lerische Ansprüche und werden häufig mit besonderen Auf
wendungen gedreht. Wenn die in sie gesteckte Summe groß ist
und eine noch größere aus ihnen herausgeholt werden soll,
heißen sie Großfilme.
Zum überwiegenden Teil sind diese Eliteerzeugnisse genau
ss hoffnungslos erstarrt wie die Produktion, der sie aufgestockt
sind. Man kann sie unter dem Oberbegriff: „Gehobene
Spielfilme" zusammenfassen. Mit den üblichen Spiel
filmen ist ihnen der Grundmangel gemein, daß ste die Wirk
lichkeit nicht treffen; ein Versagen, das Lei ihnen doppelt ent
täuscht, weil ste der Wirklichkeit doppelt verpflichtet sind. Vor
dem Durchschnitt Zeichnen sie sich noch durch einige Verfeh
lungen aus, die daher rühren, daß auf dem höheren Niveau
neue wesentliche Gehalte in den Gesichtskreis treten, gegen die
nun auch gesündigt werden kann.
In der Regel glauben die Produzenten dem künstlerischen
Bedürfnis schon Genüge getan zu haben, wenn sie einfach die
Kolportage zur Spitzenleistung emporschrauben. Als ob
die Kolportage gerettet werden müßte wie ein gefallenes Mäd
chen! Aber eben das ist die Meinung der Filmgesellschaften/
deren Hebungsversuche wie so oft im Jeden den Wert des
angeblich Gehobenen nur herabmindern. Die Kolportage ist die
Projektion großer Gegenstände auf die Ebene der Trivialität.
Der Widerstreit zwischen Gut und Böse, das Wunderbare, dis
Versöhnung — viele bedeutende Motive werden von ihr wie
verzerrt immer dargestellt. Darum haben die hie und da aus
gezeichnet gemachten Sensationsfilme Harry Piels ihr gutes
Recht, und gegen nette Hochstaplerstücke wie „Casanovas Erbe"
wird gewiß nichts einzuwenden sein. Leider erscheinen sie viel
Zu selten. In dem Drang nach Höherem nämlich bauscht man
Fabeln dieser Art solange auf, bis sie zu Prunkfilmw wer
den, die den mit ihnen gesetzten Ansprüchen nicht gewachsen
sind. Es entstehen kunstvolle SchauergebildL wie der Spione
Film Längs oder „Die Jacht dsr sieben Sünden". Die Sen-1
Ä/E nn1)L h in Masten, M/o eru nur unzu
lässigem Raffinement ausgebaut;" alberne psychologische Be
gründungen schleichen sich zwischen Begebenheit^ ein, die blank
nebeneinander gesetzt zu werden verlangen; der -Schein der
Improvisation wird durch eine Ausstattung aufgehoben, die
für Galaopern zu pompös und dauerhaft wäre. ES kenn
zeichnet dis Jnstinktlostgkeit der Filmfabrikanten, daß ste
gerade das seinem Wesen nach qualitätsfremde Sujet der
Kolportage in eins Qualitätsware verwandeln wollen. Was
in Broschürenform atmen kann, wird im Satineinband
erstickt. (Das stimmt wörtlich; denn bei Gelegenheit
der Erstaufführung des Films: „Spione" wurde der Kritik
ein Werk überreicht, das ein Wunder der Buchbindekunst war
und nichts anderes enthielt als Thea v. Harbous Roman.) Die
gleiche Schande eines hochherrschaftlichen Arrangements wird
übrigens auch Stoffep zuteil, die noch nicht einmal Kolportage
sind, und ebenso Texten, die ursprünglich mehr sind, aber
offenbar in der Absicht, ste filmreif zu machen, erst zum Nichts
zerstäubt werden (vergl. den Film: „Die Liebe der Jeanne
Neh").
Da in den oberen Kunstregionen die Tragik beheimatet
ist, mehren sich die Filme mit schlechtem Ausgang; glauben ,
doch die Produzenten tragisch daher zu kommen, wenn sie auf!
das übliche stupM enä verzichten. Was ist in ihrem Jargonl
tragM'? Ein beliebiges Unglück. Sie beschaffen es und machen!
so mit Kunst ihr Geschäft. In dem Hennh Porten-Film: „Zu
flucht" findet ein junger Mann, der während der Revolutions- j
zeit seiner Familie davongelaufen war, schließlich wieder zu -
ihr zurück und muß ausgerechnet in dem Augenblick sterben, in
dem alles gut werden könnte. Nichts drangt auf seinen Tod
hin, die arme Braut war sogar schon von der Familie in
Gnaden ausgenommen. Wer der Fabrikant bleibt unerbittlich:
das Publikum verlangt nach Kunst, und gestorben muß sein.
Dr man das Malheur zugleich als eine Strafe für die revolu-
! Lionäre Gesinnung des Jünglings auffaffen kann, werden
überdies zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. — Um ein
hohes Niveau Zu erzielen, greifen die Hersteller auch mitunter
Werke auf, deren Gehalt so in der Sprache beschlossen ist,
daß sie sich gar nicht verfilmen lassen. Nach einer Novelle von
Leonhard Frank ist jüngst ein Film: „Heimkehr" gedreht wor
den, dessen Hauptszene die Schranken durchbricht, die dem
Film gezogen sind. Ein aus dem Krieg heimgekehrtsr Mann
findet bei der jungen Frau seines Freundes Obdach. Er und
die FrM.LAeW sich, der Freund ist einstweilen noch ab
wesend. AusW wird gezeigt, wie sich die Frau in ihrem
Bett wälzt, und der nur durÄ eine Wand von ihr getrennte
Mann auf seinem Lager so geKlagt . Beide können
vor Erregung nicht schlafen. Es geschieht nichts. Wasaver ge
schieht, ist in der stummen Sprache des Films von einer '
i Schamlosigkeit ohnegleichen. Wein das Wort vermag solche i
Witte zu beschwören —8 es ausdrüÄ, was in der furcht-
noch das zum Zierat herabtzesnnkene Detä'^ mit
... Sorgfalt behandelt! Doch «S bleibt in der ReM so
rüeivaltrgt wie die außerfilmisch« Sisalrtät. Man schlaIN? t.
Man richtet Straßen her, denen anzwnerlen ist, daß fie nicht
wEfuhren Man gibt sich damit zufrieden, daß Teilauf-
w-d GeiamEstcht irgend eines Objekts sich nur ober.
stachllch entsprechen; daß also etwa eine zuerst in ihrer ganzen
Ausdehnung gongte bauliche Anlage nicht im geringsten mit
dem im Atelier errichteten Bruchstück dieser Anlage Merem-
^r eigentlichen Handlung als Staffage dienen
Wo- Bilder von Mod^llaoHitEuren und psn wirklichem
Häusern-einander ablösen, stehen sie gewöhnlich so fremd gegen-
emander, daß das Modell sofort als Modell kenntlich wird. Die
Hintergründe undMilieus sind nur allzu oft ungenau. Besonders
schwindelhaft pflegt im Innern vornehmer Hotels verfahren
Zu werden; entweder weil man, vielleicht nicht mit Unrecht,
annimmt, daß dem Publikum diese Interieurs fremd sind,
oder weih man sie selbst nicht kennt. Kaum der Erwähnung be
darf dis Liederlichkeit, mit der die Einzelheiten gesellschaft
licher Arrangements hingesetzt sind. Nicht einmal die Eisen
bahnabteile dritter Klasse, über die doch jeder Mensch Bescheid
weiß, werden immer richtig wtede^gegeben. Der Mangel an
Beobachtungstreue macht sich um so empfindlicher bemerkbar,
als die PhsLographie im allgemeinen auf 'der Höhe ist.
Fast scheint es, als verflüchtige sich mit wachsender Vollendung
der photographischen Technik mehr ruck mehr der Gegenstand,
den sie anzugreifen hätte.
Ist das Bildmaterial schlecht und hat sich, schlimmer noch,
die Filmkomposttion nach einer unfilmischen Handlung Zu rich-
M, so kann dieMontage im besten Fall eine bloße Fertig
keit sein. Die Regisseure haben gelernt, wie die Apparate zu
bergen sind, sie wechseln leidlich geschickt zwischen Großauf-
naMe, Premierplan und Totale, sie wenden Überblendungen
an uud suchen optisch zwischen den verschiedenen Szenen Zu
ve^rntteln. Diese Künste, die den Sinn der Fabel ausdrücken
und sich mit ihm jeweils wandeln müßten, sind indessen faktisch
zum äußeren Beiwerk erstarrt. Einige Konfigurationen der
Montage haben sich im Lauf der Zeit verselbständigt und wer
den, ob sie nun Passen oder nicht, fühllos sämtlichen Filmen
aufgezwungen. Wenn es sich um eine Tanzbar handelt, mengen
sich regelmäßig Srxophonstücke und torkelnde Mustkerrümpfe
unter die aufgelösten Paare — eine meist plump geschnittene
stabilisierte Bildsormel für den Pseudorausch des Amüsements.
Einer hat es einmal so erfahren, und jetzt fahren die anderen
nach. Auch die Träume Betrunkener oder Sehnsüchtiger sind
völlig mechanisiert. Neuerdings hat sich eine bestimmte
Methode des Usbergangs eingebürgert, die bei jeder Geleaen-
Hl wwoerlehrr. Zar er sich folgende Auftritte, zwischen denen
keine unmittelbare Beziehung besteht, sollen miteinander ver
schmolzen werden. In dem ersten möge ein eleganter Herr
erscheinen, im zweiten eins Zerlumpte Frau. Wie werden die
^ZLNen verkoppelt? Der Blick wird von der Gesamtstgur des
Herrn Zu senen HalüschuhLN gelenkt, die sich unmeälich in
grM Stiefel verwandeln, dsmn die Frau entsteigt.
Weichen könMn in bestimmten Fallen ihren tzutsn Sinn hüben.
Wenn sie aber sachlich nichts ausdrücken, sind ste em Wetischer
Betrug, da sie dann einen ZusammemMtg vortäuschen, der
nicht Vorhand^ ist. Es kommt auf die Verknüpfung der Ge^
halte im optischen Medium an, nicht auf die rein formale
optiM Verbindung unverknüpfter Moffteik. Seit längerer