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Full text: H:Kracauer, Siegfried/01.08/Klebemappe 1929 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

LichLspielen gezeigt 
Raca. 
(Adalbert Schuktz Verlag, 
au 
verweigert. Die ganze Bitterkeit ihres Verlorenseins ist aus 
geschöpft, und daß sie sich zu allerletzt doch noch umarmen dürfen, 
ist nur der Abglanz eines schöneren Lebens. 
* 
Fritz Lang dreht Zur Zeit bei der Ufa einen Film: „Die Frau 
im Monde", der in der Aera des Raumluftschiffs und in astrono 
mischen Fernen spielt. Auch die übrigen deutschen Filmerzeug 
nisse, die GesellsHaftsfilme vor allem, spielen auf dem Mond. 
Wann wird man endlich bei uns auf die Erde niedersteigen? 
Es gibt in Deutschland so gut wie in Amerika Millionen von 
Arbeitern und Angestellten, und ihr Dasein unter die Lupe Zu 
nehmen, wuoe wichtiger, als durch das Fernrohr in unwirkliche 
Weiten zu blicken. Freilich bedürfte es hierzu des Gewissens. 
S, jkracauek 
*7* lZeitschrLften-Schau.1 In der neuen Nummer der Zeit 
schrift „Der Morgen" (Pyilo Verlag, Berlin) befindet sich ein 
wertvoller Aufsatz von Margarete Susman über Franz Kafka. 
Die Größe des Dichters steht, wie so oft bei uns, in umgekehrtem 
In dem letzten Heft der „N - uen Rundschau" (S. Fischer 
Verlag) findet sich eine Betrachtung: „Europäische Perspektiven"« 
von ArckrL SuarLS. HanS Kelsen, der bekannt« RechtSphilo 
soph, äußert sich zur Frage der Souveränität. Von den belletri 
stischen Beiträgen sei eine Novelle von Hermann Kesten erwähnt. 
Die katholische Zeitschrift „Hochland" (Jos. Köselsche Buch-! 
Handlung, München und Kempten) bringt u. a. einen instruktiven 
Aufsatz von Pros. Gonzague de Reynold über die Rückkehr zum 
ThomismuS in den Ländern französischer Sprache. 
Als ein Kuriosum werde verbucht, daß die Zeitschrift: «Die 
Astrologie" (Astrologischer Verlag von Wilhelm Becker, Ber 
lin) die Horoskope von Alfred Löwenstein und der beiden Llohd- 
dampfer «Europa" und «Bremen" enthält. 
AräuZem Elfe. 
SHnitzlers bedeutende Novelle „Fräulein Elfe" hat die 
Unterlage für diesen Film abgegeben Freilich, Paul Ez inner 
hat nur Motive der Dichtung benutzt. Hätte er sich doch genauer 
an den Text gehalten, statt die Handlung mehr oder weniger frei 
zu übernehmen! Die Novelle nämlich ist ein einziger innerer 
Monolog, und die Gestaltung des inneren Monologs wäre 
auch im Film von größter Wirkung gewesen. Alles erscheint bei 
Schnitzler von Fräulein Else aus gesehen: Vater, Mutter, die 
Freunde, das Hotel und der Mann, um dessentwillen sie sich ver 
giftet. In den Schleier ihrer einsamen Assoziationen sind die 
Figuren gewirkt, vergrößern sich ihr, bringen Gefahr. Weder 
Menschen noch Gegenstände treten in der Novelle aus, wie sie sind, 
sondern ragen nur stückweise in die Erzählung hinein, so stück 
weise, wie sie dem Geist des Mädchens sich bieten. Die Psycho 
logie wird hier von Schnitzler zu Ende gebracht; sie Löst die Dinge 
auf und führt sich derart selbst aä adsuräum... 
Czinner hat die Möglichkeit nicht gesehen oder nichl sehen 
wollen, die sich aus der Vorlage für den Film ergab. Statt die' 
Handlung aus der Perspektive Frgulein Elses aufzubauen, hat 
er einen normalen Gesellschaftssilm gedreht, in dem auch Fräulein 
Elfe vorkommt. Damit verliert aber das Geschehen seinen Sinn, 
und es bleibt eine ziemlich schale Verkettung von Ereignissen 
übrig, die eines großen Aufwands nicht bedurft hätte. Zudem hat 
Czinner alles getan, um die Bedingungen vergessen zu machen, 
unter denen Fräulein Else bei Schnitzler steht und aus denen 
allein ihr Handeln begreiflich wird. Er Zeigt sie nicht etwa als 
ein Mädchen, dem das Gemisch von Unschuld und Reflexion zu- 
Zutrauen wäre, sondern fetzt sie mitten in die sportfrohe Nach- 
kriegswelt hinein. Kein heute in St. Moritz betriebener Sport 
wird uns unterschlagen, und Fräulein Else ist Werall mit einer! 
unbedenklichen Jugendlichkeit dabei, die Zu ihrem Urbild so wenig 
wie zu ihrem späteren Verhalten paßt. - 
Aus der verkehrten Regie-Einstellung schreiben sich die übrigen 
Fehler CZinners her. Da er die Assoziationen Fräulein Elses un- - 
benutzt läßt, gerät ihm die Handlung Zu mager. Was tut er also? ! 
Er füllt sie einfach mechanisch auf. Wir sind die unfreiwilligen 
Zeugen der ganzen Bahnfahrt von Wien nach St Moritz und 
werden mit wenig erwünschter Ausführlichkeit in das Leben und 
Treiben im Luxushotel verwickelt. Das alles ist überflüssig, wenn 
es auch routiniert gemacht ist. Zudem besteht es völlig aus sich, 
während es doch nur von dem Mädchen aus Leben haben sollte. 
Elisabeth Bergner hat es bei dieser Regie schwer, das 
Fräulein Else faßlich zu machen. Wie immer bringt sie ihre 
wesenhafte Erscheinung mit, die etwas besagt, ehe sie sich noch 
ausdrückt Das eigentliche Spiel dagegen ist nur an einigen 
Stellen stark So, wenn sie, erschreckt über die an sie gerichtete 
Zumutung, den Kopf gegen das Spiegelglas drückt. Und vor 
allem ganz am Schluß, wenn sie im Pelz durch die Hotelhalle 
wandelt — Scham und Todesangst Zeichnen Gesicht und Figur. 
Aber auf lange Strecken hin bleibt doch die Mimik leer. In der 
schwierigen Unterredung mit ihrem Peiniger weiß sie nichts 
anderes Zu tun, M in einem fort das T^chentuch zu zerknüllen, 
und als Signale der Heiterkeit verwendet sie hauptsächlich die 
herabhängende Haartolle und ein aufgeregtes Benehmen. Von 
innen kommt ihr nur wenig, wie auch die aufgesetzten Tränen 
deutlich beweisen. , 
Ihre Partner sind: Albert Bassermann, dessen Können 
stets bewundernswert ist; Adele Sand rock, die eine Chargen- 
rolle mit der bei ihr gewohnten Dichtigkeit ausfüllt; der anstellige 
Jack Trevor; schließlich der Lote Albert Sterdrück, der auf 
der Leinwand mit mehr Macht und Wirklichkeit dahinwandelt als 
die meisten Ueberlebenden. Dieses außerordentlichen Ensembles 
wegen lohnt es sich unter allen Umständen, den Film Zu sehen. 
Er wird im Gloria-Palast und in den Bieberbau- 
Der Patriot. 
--- Da der Film nach dem bekannten Theaterstück Alfred N e w 
manns gedreht worden ist, darf Hm die verlogene Psychologie 
nachgesehen Herden. Neumann hat die Aktion zwischen dem mahn» 
sinnigen Zaren Paul und seinem Gegenspieler, dem seelisch kom 
plizierten Patrioten Graf Pahlen, so reichlich auskonstruiert, z 
daß die Personen, ob sie wollen oder nicht, ihren letzten Bühnen- 
effekt hergeben müssen. Je mehr es nach dem Schluß zu geht, desto 
ausgetiftelLer werden die Konstellationen. Man nennt das 
Spannung, aber die Spannung ist unsauber, weil sie von einem 
Kalkül herrührt, dessen Raffinement kein Ersatz für die verfälschte 
Wirklichkeit ist. 
Läßt man beiseite, was auf NeumannS Schuldkonto zu setzen 
ist, so bleibt ein glänzend gemachter Film, der anzu'sehen sich lohnt. 
Der MeisterreMeur Ernst Lubitsch arbeitet zwar in altem 
Stil, doch er beherrscht souverän alle Mittel, von den zarten 
KammerKieltünen an bis zum barocken Pomp. Das Zarenschloß, 
das er (mit leider etwas zu symbolisch geratenen Ornamenten) 
hingestellt hat, verbreitet Furcht und Schrecken. Vorhänge rauschen 
urrd die Tür am Ende der langen Galerie birgt ein schlimmes 
Geheimnis. Wie gut ist der Wechsel der Szenen berechnet, wie ge 
schickt wird die Katastrophe vorbereitet!' Unabwendbar wie ein 
Verhängnis rückt sie näher und näher. Dazwischen finden sich 
artistisch bezaubernde Passagen, die kleine Ruhepunkte sind. So das 
von Pahlen arrangierte Abendessen, bei dem er seine Geliebte dem 
Zaren anbietet. Mit verstohlenen Blicken wird Florett gefochten, 
und wie in einem feinen Schachspiel erfolgt Zug auf Zug. 
Emil Iannings hat die Zarenrolle virtuos und erfindungs 
reich aufgebaut. Aus einem Mosaik von tausend wohldurchdachten 
mimischen Handlungen setzt er den Wahnsinn zusammen, der nur 
darum in Grausamkeit ausartet, weil sein Grund, die Angst ist. 
Wenn er durch Gänge und Zimmerfluchten rennt, so glaubt man 
ihm die Besessenheit. Packend ist sein Gesichtsausdruck vor allem 
in den wenigen Augenblicken, in denen jeweils Pahlen zugegen ist, 
dann scheint es, als dränge Licht aus der Hellen Außenwelt in sein 
Dunkel. Eine große schauspielerische Leistung, die bis Zu dem 
Grad lebenswahr ist, in dem das Stück Leben zuläßt. Die schöne 
Florenee Vidor und Lewis Stone sind die ausgezeichneten 
Partner von Jannings. 
Das gute musikalische Wompagnement stammt von Heinz 
MeleLLa, der bei der Premiere in den Ufa-Lichtspielen 
als Gastdirigent mitwirkte. Uaea. 
m /-Neue Bücherschau. (Adalbert Schuktz Verlag, 
Berlin) schließt in der Aprilnummer ihre Rundfrage „Hätten wir 
das Kmo!" ab und bringt außerdem aktuelle Beiträge von Gerhart 
Pohl und anderen. 
wertvoller Aufsatz von Margarete Susman über Franz Kafka. 
Die Größe des Dichters steht, wie so oft bei uns, in umgekehrtem 
Verhältnis zu seinem Publikumserfolg, und jeder Hinweis auf ihn 
ist darum doppelt wichtig. 
Die ausgezeichnete „Neue Schweizer Rundschau" 
(Dr. H. Girsberger u. Co., Zürich) bringt in ihrem neuen Heft 
außer Beiträgen von Bertrand Russell und Rudolf Kaßner ge- 
Wiffene kleine Betrachtungen Walter Benjamins über das große 
Thema Marseille und eine Großstadtnovelle Nathan AschS. Man 
lese auch die Glosse „Renn oder Remarque?" von Max Rychner. 
Hans Zehrer zieht im Aprilheft der „T a L" (Eugen DiederichS, 
Jena) in einem Aufsatz Achtung, junge Front! Draußenbleiben!" 
ernen Querschnitt durch unsere politische Situation. Seine be 
achtenswerten Aeußerungen, die das Schwergewicht auf die stetig 
anwachsende Wirtschaftest legen, kommen zu dem Ergebnis, daß 
heute den besten Kräften aus allen Lagern eine abwartende Haltung 
anzuempfehlen ist, damit sie in der Stunde der Entscheidung zur 
Stelle sind. 
rs- Die weißen Rosen von Ravensburg. Ein Roman der 
Adlersfeld-Ballestrem ist als Unterlage für diesen Film der 
Luna-Lichtspiele benutzt worden. Der Name verrät schon, 
Paß es sich um ein Gemisch aus altmodischen Romanmotiven und 
überreichlich dosierter Sentimentalität handeln muß. Die Haupt 
figuren find ein Graf, eine unschuldig wegen Gattenmords ver 
urteilte Gräfin, eine Tochter, die das Schicksal ihrer Mutter erst 
am Ende erfährt, ein Hochstapler und ein junger Trottel. Dank 
her Verwirrungen, die Zwischen diesen Personen angerichtet 
werden, können die Szenen abwechselnd im Zuchthaus, in einem 
stattlichen Schloß und in Monte Carlo spielen. Der Regisseur 
Rudolf MeinerL hat aus seiner Kenntnis des Publikums-- 
geschmacks heraus die Stimmung offenbar der des populären 
Filmschlagers: „Die Heilige und ihr Narr" ungleichen wollen. 
Wenigstens hat er alles getan, um das, was gemeinhin unter 
Gemüt verstanden wird, nicht Zu kurz kommen W lassen. Unter 
den Mitwirkend-en seien Diana Karen ne M bleiche Gräfin- 
und der komische Willy Forst erwähnt. Auch Jack Trevor 
ist von der Partie. R. a c L. 
' Der Adjutant des Zaren. .Man beklagt sich über die Pro 
paganda der Sowjetfilme, schweigt sich aber über die Propaganda 
aus, die in den Filmen der Emigranten ausgeübt wird. Sie ist 
durchaus reaktionär. In dem Film: „Der Adjutant des 
Zaren", den die AL emannia -Lichtspi e le zeigen, liegt 
das ganze Schwergewicht auf glänzenden Uniformen und privater 
Liebe. Iwan Mosjukin als strahlender Flügeladjutant des 
Zaren geht auf etwas mysteriöse Weise eine Ehe mit Carmen 
Boni ein, die trotz ihres südländischen Aussehens kleinbürgerlich 
mimt. Das Mysterium rührt daher, daß die Frau eine Revolutio 
närin ist und den FlügeladjutantLn nur darum heiratet, um den 
Zaren besser ermorden zu können. Was hindert sie daran, es zu 
tun. was entzweit sie mit ihren revolutionären Freunden? Die 
Liebe zum Flügeladjutanten. Einzig diese weiße Liebe ist von den 
Jupiterlampen belichtet, während das Treiben der Revolutionäre
	        
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