Daplin als Prediger
LLr Frankfurt, den W. Dezember.
Der nun endlich auch bei uns gezeigte altere Film „Nie
steht am Uebergang von den Grotesken zu den großen
Werken. Schon weicht in ihm die bloße Situationskomik vor den
bedeutenden Motiven zurück, von denen die spateren Filme be
stimmt find. Zwar, es bleibt noch das unerhellte Nebeneinander
komischer Typen und mancher drastische Effekt, der allein aus der
Vitalität stammt — aber die eigentliche Ehaplin-Figur des heimat
losen Vagabunden setzt sich doch nahezu völlig durchs
Sie trift ihre mit den alten Watschelschritten im
Predigerrock an. Chaplin als Prediger — ein Widerspruch in
Person. Der Mann ohne Stückchen und schlotternde Hosen...
Aber ihm ist nichts anderes übrig geblieben, hat er doch als ent
flohener Sträfling keine Wahl unter den Anzügen gehabt. Nun
laust er durch einen jener Zufälle, die ihm so treu sind wie dem
Bettler sein Hund, einem frommen Gemeindeklüngel in den Weg,
der ihn für den gerade erwarteten Geistlichen hält. Charlie muß
die Hände falten und sich würdig benehmen.. Es entwickeln sich
Szenen, in denen die Entdeckung des unfromwen VetmgZ immer
nur um ein Haar vermieden wird. Wie tief ist die Abfertigung des
-sektiererischen Wesens! Statt einfach als Heuchelei gegeißelt zu
werden, wird es von dem kleinen Vagabunden äußerlich imitiert
und derart in Frage gestellt.
Den Chauvinisten ergeht es wie den zufriedenen Frommen. Am
Schluß, der mit unvergleichlichem Geist gebaut ist, transportiert
der Sheriff den mittlerweile durchschauten Chaplin wiÄnr ins Ge
fängnis zurück. Die beiden ziehen der Landesgrenze entlang: hier
U. S. A., dort Mexiko. Der Sheriff in seiner unergründlichen
Güte gibt Chaplin einen Tritt, der ihn in die Freiheit Mexikos
befördern soll. Nach und nach errät Chaplin die guten Absichten
der Gerichtsperson und jubelt über die neu erlangte Sicherheit.
Kaum hupst er wie ein Böckchen auf den mexikanischen Gefilden
umber, so tauchen Banditen in Landestracht auf, die Zu schießen
beginnen. Zuletzt entschreitet er; mit dem einen Fuß in U. S. A.,
mit dem andern in Mexiko. Die Religion ist so wenig, eine Heimat
wie irgendein Vaterland.
Auch die Menschen bieten kein rechtes Zuhause. E w steht wie
ein Kinderfresser aus, ein anderer wie ein Gnom mit lang wal
lendem Bart. Man muß sich vor ihnen fürchten und sie überlisten
wie Dinge. Chaplin hebt auch in diesem Film nicht die Gegen-!
stände aus der Unmenge feindlicher Wesen heraus, organischsNMd!
anorganische Natur sind für ihn eins. Zu seinen Hauptwidersschsrn
gehört eine hölzerne Teigrolle. Allmählich kommt er dahinter. Aäß'
eine Rolle aus angeborenem Hang zu rollen Pflegt, hemmt ^Men;
triebhaften Lauf durch eine Milchflasche, und spielt danmMit M
als sei sie ein bezwungener Gegner, von dem nicht die geringsten
Gefahren mehr drohen. Sein Uebermut wird natürlich bestMst,
und die Rolle fällt ihm schließlich doch wieder auf den Kopf. Von
der ganzen beseelten unf- unbeseelten Gesellschaft ist allein ein
Mädchen ihm hold. Aber er müßte nicht Chaplin sein, wenn er sich
mit dem süßen Schemen /näher einlassen dürfte.
So entfaltet er sich mimisch wie stets in einem einzigen
Monolog. Nur allzu begreiflich daß er am stummen Film fest
halten möchte, denn ex vermag in der Tat die einsame Mion
vollkommen in den optischen Räum zu bannen. Daß sie
nirgends über die Sichtbarkeit hinaus weist, wird durch die blitz
schneller Folge der winzigen Handlungseinheiten erreicht. Wie der
rasend hin- und herschwingende Degen des legendären Fechters
den niederströmenden Regen auffängt, so lassen sie keinen Zwilchen-
räum frei, durch den die raumlosen Ereignisse eindringen könnten.
Mitunter Verdichter sie sich zu glänzenden Solonummern. Der ckn!
sich plumpere Ck mit demHüt etwa ist eine Vorahnung
der Stiefelmahlzeit in „Goldrausch" Chaplin verwechselt euren >
auf den Teller gerutschten Hut mit einem Pudding, traust Schlag
sahne auf ihn herab, richtet ihn fresidig an und versucht ihn dann
zu tranchieren. Das pantomimische Meisterstück aber rst unMeulg
die Rede vor der Gemeinde. Ueber David und Goliath. So klein
ist David; so groß, ist Goliath; so wird die Schleuder gewirbelt;
so elend liegt der böse Riese zu Boden. Jedes weitere. Wort Ware
überflüssig. Nach der Gestikulation benimmt sich Chaplin wie ein
gefeierter Redner vor einem weltlichen Auditorium. Er kennt sich
eben im Leben nicht aus; ein religions- und vaterlandsloser Ge
selle. Darum hat er doch eine Heimat, und jeder, der ihn sieht,
gÄBt sie mit Händen zn greifen
(Der Film läuft in den Frankfurter
Biebevbau-Lichtspielen sind in der Camera.)