Worte von der Straße.
Topfgewächsen besteht. Aber sie wollen die reine, ungemischte Na
tur: Bäume, die fest im Boden stecken, und richtige Laubkronen
über den Tischen. Naturgarten — das Wort muß aus jenen ver
sunkenen Zeiten stammen, in denen die Natur noch weit weg von
Berlin lag. Von der Sehnsucht nach blauem Himmel und Nachti
gallengesang ist es wie mit einem glitzernden Spinngewebe über
zogen.
Die wirkliche Natur in den Naturgärten reicht längst nicht an
die erträumte heran, schmachtet vielmehr in der Gefangenschaft von
Rückfronten und Hinterfassaden. Gewiß, ihre Bäume sind echt, aber
sie decken doch im günstigen Fall nur gerade die Blößen der Haus
wände Zu. Mitunter wird nicht einmal diese Aufgabe bewältigt,
sondern ein paar magere Stämmchen markieren wie auf der
Shakespeare-Bühne das natürliche Wachsen und Weben. In ihren
Blechhülsen, von denen sie zum Schutz gegen Beschädigungen um-
gürtet sind, sehen sie zum Verwechseln den Schirmständern ähnlich,
die, großen Nutzpflanzen gleich, der Erde entsprießen. Daß ober
halb solcher Gartenerzeugnisse statt der Nachtigallen Lautsprecher
und Grammophone ertönen, entspricht durchaus den Gesetzen dieser
Natur, aus der es auch nicht herausschallen darf, wie es in sie
hineinschallt. In einem der ausgesparten Reviere jedenfalls werden
die Gäste herzlich gebeten, zu vorgerückter Stunde unter allen
Wipfeln die Ruhe zu wahren. Der Freiheit des Naturgartenburschen
sind enge Grenzen gezogen.
Da heute alle Berliner in die Natur ausschwärmen, die nicht
von Mauern eingesperrt ist, hat jene Schwärmerei ihr Recht ver
loren, der ein Hinterhausbäumchen zum Walde wurde. (Inzwischen
beginnt schon eine andere, noch kaum erkannte Natur an uns ihre
Verführungskünste zu erproben: die Stadtnatur mit ihren Urwald
straßen, Fabrikmassiven und Dachlabhrinthen.) Ist aber der Natur
garten nicht mehr ein Ort der Sehnsucht, so muß er sich freilich als
eine altjüngferliche Erscheinung enthüllen. Nur an dem Wort, das
ihn benennt, ist noch etwas von dem Duft hängen geblieben, den
einst sein Gezweig und sein Blätterwerk ausströmten. Als eine
kleine rührende Sprachruine ragt es ins Wochenende der Gegen
wart,
Zurückbleiben?!
Eins, zwei Sekunden vor der Abfahrt eines jeden Stadtbahn
Zuges erschallt "auf den größeren Stationen der'Ruf: „Zurück
bleiben!" Er wird nicht etwa von einem sichtbaren Beamten aus
gestoßen, sondern bricht geheimnisvoll aus dem AeLher herein. Ein
Ruf ohne Ursprung, eine überirdische Warnung. Daß sie trotz ihrer
ungewissen Herkunft nicht von einem Engel stammt, beweist der
Ton, in dem sie erteilt wird. Sein rauher militärischer Klang ver
wandelt die zerstreuten Publikumsgruppen in eine geschlossene
Schützengrabenkompagnie, die dem Befehl eines weit hinten im
Etappenquartier befindlichen Obergenerals untersteht. Das kann gut
werden im nächsten Krieg, wenn zu den leibhaft anwesenden Kom
mandos noch die drahtlosen kommen. Aus welchen Zweckmäßigkeits
gründen immer man neuerdings das „Zurückbleiben!" durch den
Lautsprecher übermittelt: die mechanisierte Sendung des Mahn-
worts entstellt seinen Sinn. Wenn der Stationsbeamte am Zug
entlang brüllt, redet er die verspätete Hast unmittelbar an. Der
Untergeneral dorrn Mikrophon dagegen spricht buchstäblich in die
Luft, gibt ein Signal, das allen und daher niemand gilt. Denn
die geschulte Berliner Bevölkerung benötigt es nicht, und die un
geübten Fahrgäste können es seiner Leilnahmslosen Allgemeinheit
wegen erst recht nicht im Augenblick auf sich persönlich beziehen.
Eher staunen sie darüber, daß ein gespenstischer Papagei im Glas
gewölbe sitzt, und tun vor Schreck das Verkehrte. Dieser Laut
sprecherspaß ist ein dröhnendes Zeichen jener Lei uns heimischen
Organisationswut, die aus den begrenzten menschlichen Gegenden
immer wieder in die unmenschlichen abirrt. Wird sich aber das
Publikum nicht allmählich an die lustige Warnung gewöhnen? Man
sollte es lieber daran gewöhnen, nicht gegängelt zu werden, sonst
bleibt es auf das fortgesetzte Kommando: „Zurückbleiben!" hin
wirklich zurück. - S. Kracauer.
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eman^ipation ivirä erst mit äer LmanLipation äes
NenseLsn am 2is1 sein, 8. Lraeausr.
Berlin, Anfang Juli.
Rücksichtslos. j
An den Schaufenstern mancher Berliner Läden kleben Wichen,
die das Publikum davon benachrichtigen, daß wegen Geschäftsauf
gabe oder aus anderen landläufigen Gründen die Preise „rücksichts
los herabgesetzt" worden sind. Wie verbreitet, groß und selbstver
ständlich muß die Rücksichtslosigkeit sein, wenn sie so weit getrieben
wird, daß sie sich gleichsam aus Versehen in ihr Gegenteil verkehrt.
Denn rücksichtslos setzt man doch gemeinhin höchstens die Preise
herauf. Hier werden sie reduziert, und cS läge auf der Hand, ihre
Ermäßigung mit der Rücksichtnahme auf die Kundschaft zu recht
fertigen. Aber ehe man sich dazu entschließt, den Schein eines rück
sichtsvollen Benehmens zu wahren, leitet man lieber die Zuvor
kommenheit aus irgendeiner Rücksichtslosigkeit ab. Das Publikum
hielte auch vielleicht den Preisabschlag für eine Falle, wäre nicht
ausdrücklich betont, daß er ein Kampf bis aufs Messer ist. Ein!
Sprachschlendrian, der die unfreundliche Herkunft vieler Freund
lichkeiten aufdeckt. Seine Komik besteht darin, daß er das Wort
rücksichtslos veranlaßt, MtterseM durch dir UM der Kerah-
gesetzten Preise zu schlendern, ohne ihm einen greifbaren Wider
sacher zu bieten. Man weiß nicht recht: will es besagen, daß sich
der Geschäftsinhaber mit dem Ellenbogen selber beiseite schiebt,
oder bezieht es sich auf die Preise. Wahrscheinlicher ist, daß es sich
aus Zerstreutheit gegen diese richtet. Die Preise möchten sich wie
bisher aufrecht erhalten, werden aber unnachsichtig zu Fall gebracht.
Brutalität um jeden Preis: nach ihrem Vorbild sollte sich auch
anderswo die eiserne Rücksichtslosigkeit zur goldenen übersteigern.
So ist unsere Steuerpolitik bei weitem nicht rücksichtslos genug, und
von den Hitlerleuten etwa wäre zu fordern, daß sie sich wenigstens
auf der Straße rücksichtslos eines gesitteten Betragens befleißigten.
Naturgarten.
In den asphaltierten weltstädtischen Verkehrsstraßen Preisen
viele Restaurants mit Riesenlettern die Herrlichkeit ihres „Natur
gartens" an. Immer wieder begegnet man dieser Wortverbindung,
die offenbar das Mißtrauen der Berliner beschwichtigen soll. Was
hülfe ihnen auch die Ankündigung eines einfachen Gartens, dem
die Dreingabe der Natur fehlte? Es könnte ein künstlicher sein,
ZiM!, der aus transMtMen WuMiere^ KtaketMäunen