Skip to main content

Full text: H:Kracauer, Siegfried/01.09/Klebemappe 1930 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

Ueöer den Umgang mit Hieren 
S. Kracauer. 
mit der künstlichen Kinderei. 
Wenn man schon Filmexpeditionen ausrüstet: müssen sie immer 
nur zu den Primitiven oder den Tieren führen? Man sollte lieber 
an die vereinzelten Bildreportagen anknüpfen, in denen versucht 
worden ist, die Menschen über ihre menschlichen oder unmenschlichen 
Verhältnisse zu unterrichten. Es gibt noch viel zu kurbeln in 
Deutschland. 
Anläßlich eines Jagdfilm es. 
Berlin, im September. 
Das Bedürfnis, sich von Tieren ansehen zu lassen, ist Lei unZ 
neuerdings zur Sucht geworden. Ein bekanntes Verlagsunterneh 
men führt im Inseratenteil seiner Zeitungen dem Publikum 
immer wieder Tiere vor, die das eine oder andere Erzeugnis des 
Verlags bewundern müssen. Die Tiere wechseln von Zeit zu Zeit, 
aber das Tierreich ist groß. Es ganz auszuschöpfen, scheinen sich 
die illustrierten Zeitungen zum Ziel gesetzt zu haben, und daß es 
eine Mlmwochenschau gäbe, in der keine Tiere Vorkommen, ist 
völlig unmöglich. Meistens Lauchen sie zwischen einer Explosion und 
einem Sportfest oder einem Sportfest und einer Explosion auf. 
Nicht genug damit: auch die Expeditionsfilme haben sich in der 
jüngsten Vergangenheit stark vermehrt, und handeln sie nicht von 
primitiven Völkern, so nehmen sie doch bestimmt exotische Tiere 
aufs Korn. Um allen Ansprüchen zu genügen^ werden übrigens 
diese in der Regel mit jenen Zusammengemixt. 
Erst dieser Tage ist wieder (im Ufa-Pavillon am Nollendorf- 
Platz) ein solcher Film angelaufen. Er nennt sich: „A uf Tiger 
jagd in Indien" und schildert den Verlauf eines Jagdfeld 
zuges. Als ob es nicht wichtigere Dinge in Indien zu schildern 
gäbe! Dort gehen folgenschwere revolutionäre Umwälzungen vor 
sich, dort finden Tag für Tag Ereignisse statt, die ein würdiger 
Gegenstand für unbestochene Bildberichte wären. Vielleicht könnten 
uns diese Berichte die Augen öffnen. Aber den Ulmproduzenten ist 
mehr daran gelegen, daß uns die Augen verschlossen bleiben, und so 
werden statt der bevölkerten Städte die menschenleeren Dschungel 
gezeigt und statt der Eingeborenenmassen lauter Elefanten,, Tiger 
und besondere Nashornsorten. Und fehlen auch die Gewehre nicht, 
so richten sie sich doch nur gegen das Getier. Dabei ist der Film 
trotz vieler schöner Photos noch nicht einmal gut ausgemacht, 
sondern ein Flickwerk, das aus dem einzigen Grunde, weil jeder 
Film heute ein Tonfilm sein muß, mit allerhand Geräuschen und 
echtem Raubtiergebrüll aus Stellingen beschickt worden ist. 
Ich hätte seiner kaum ausführlich gedacht, wenn er nicht in 
mehr als einer Hinsicht exemplarisch wäre. Er wird von einer 
Conference durchzogen, die Herr Hagenbeck besorgt. Manchmal hört 
man Herrn Hagenbeck nur, manchmal sieht man ihn auch in Groß 
aufnahme auf einem bequemen Stuhl sitzen. Bezeichnend ist nun 
die Art, in der er die Tiere dem Publikum schmackhaft macht. 
Sie soll humoristisch sein und wirkt kindisch. Wenn etwa ein weib 
licher Elefant erscheint, nennt ihn Herr Hagenbeck unverzüglich 
die Frau Mama. Oder er zieht Vergleiche zwischen menschlichen 
und tierischen Familien, die von jener peinlichen Harmlosigkeit sind, 
zu der sich Erwachsene oft im Verkehr mit Kindern verpflichtet 
glauben. Nicht einmal in den Zoologiebüchern der Schuljugend 
finden sich Beschreibungen, die so wissentlich naiv sind. Ich bin 
weit davon entfernt, Herrn Hagenbeck daraus einen Vorwurf zu 
machen. Er schlägt nur den läppischen Ton an, in dem gegenwärtig 
überhaupt von den Tieren gesprochen wird. Heißt es zum Beispiel 
in einer Filmwochenschau: „Babys bei der Wäsche", so darf man 
sicher sein, daß riesige Dickhäuter mit Wasser begossen werden. Was 
beweist dieser Ton? Er beweist, daß sich die Lust an den netten 
und niedlichen Tieren aus der Infantilität erklärt — einer In 
fantilität, die entweder in gewissen Bevölkerungsschichten vorhan 
den ist ode; ihnen doch angezüchtet werden soll. Man will nicht 
den Blick auf unsere soziale Lage richten, will verhindern, daß sich 
Erkenntnisse durchsetzen, die eine gefährliche Unruhe erzeugen — 
und so entwickeln sich reife Menschen ins infantile Stadium zu 
rück. Das Wesen, das aus den Tieren gemacht wird, ist ein Merk 
mal der Flucht. 
Es zeigt zugleich ein Beharren an In dem Jagdfilm spielt sich 
wiederholt die folgende Szene ab. Die Jäger nähern sich dem 
Großwild, Flintenläufe fahren in die Bildfläche, Schüsse knallen, 
und danach erscheint sofort der Kadaver, von dem in einigen Fällen 
ausdrücklich gesagt wird, daß er ein prachtvolles Museumsstück sei 
Daß Tiere gejagt werden, mag in der Aktion der Jagd selber zu 
verstehen sein. Hier aber wird die Jagd zur kaltblütig gekurbelten 
Bildfolge, die mit schlechtem, unnachdenklichem Zynismus den 
Rausch des Lötens verrät. Das Beharren des Menschen im mytho 
logischen Zustand, das so oft den Kriegen Nahrung gegeben hat — 
diese Filmaufnahmen preisen es unverhüllt. Und die verstockte 
Naturbefangenheit, deren sie sich annehmen, verträgt sich durchaus 
makellosen bigun maebt sie tur Rauntperson äer! 
..beiäsn Büeber: „Das 8 aus am B 1 u ll" unä: ' 
..Die Msille Lräbe" in äsnen äis Verbreebsn 
Mie Oleiebungen böberen Oraäes konstruiert siuä. 
äie äer DeRktiv mit äer vlegant äes genialen Va 
tbematikers löst. „Die MSille Rräbe" ist einer ä-r 
spannbnästen Detektivromane, äis ieb seit langen, 
gelesen babe. Einmal äarum. Msil sieb äis 8nuren 
äer Untat in ibm tur kunstvollen Usbsimsebrikt 
verseblingsn, lum anäsrn äarum. Msil Oetbrvn diese 
Uebsimsebrikt von ^nkang bis tu vnäe mstboäiseb 
äeebikkriert. Der blutige vebler ist allenkalls. äall 
üetbrvn sins glüeKMbe Ube käbrt: MO äoeb Detek 
tive grunäsattlieb niebt verbeiratet sein äir sn. 
^Venigstens Mirä äsr 8ebaä6n äaäureb Mieäer balb- 
Megs gutgemaebt. äall äie unsrlaubts Brau Mübr-mä 
äsr Rsarbsitung äes Dalles auk äem Rontinent Meilt 
Lr. 
2sitlLllK sekisll SS auüsr äsn Lüeksrii von 
vVMses ksms Liiäsrsn OsEtivromsus mskr M 
LULssssluckts velsktiv- 
^orvs Etookksabar nickt allem ckis Verbrecher son- 
äis konkurriSEcksn Detektivs rur Ztrseks 
ssorsckt, unck überall, in cksr Oskksntlicbksit cker 
^annbote soMobl MIO in äsr ^.bgSZebieäenbsit äsr 
oortimentsbuebbaM erbliekte man imme? nur 
äis glembsn Ränäe, auk äsrsn gskäbrlieb buntbr Um- 
senMMLsits äsr Nanu mit äer langen Zigarre ab 
gebildet nar. Ls Mar eine Zeit Her Ubbe. Denn 
tcsnut mau ein Rueb von V^allaee, so kennt mau sis 
uaussu alle, äa ibrs Batsr uuä Untaten, ibre Hel- 
Uon unä Reläenbraute ein an äsr 2um VerMeobseln 
abnbob sinä. 
Innvisobsn baben siob. rum Rubin äer Oattung 
unä lum Ulüek äsr Vsser, versobieäens neue Lri- 
minatromans bsrvorgev agt. äis sieb keinesMegs 
Kebüobtsrn benebmen. sonäern ebenkalls ärsi Kark 
basten unä mit ibrsn grellen ^ullenssit6n äsn 
LQbrmsnäsn Dassaäen äsr MaUaee-Lanäe uner- 
Zobroeken äis 8tirn bieten. Rreilieb versterbt sieb 
unter äem glanzvollen Ritsl: „Lriminalroman" eins 
Ksngs von Lontsibanäs, äie sieb sebon auk äsn 
ersten Blieb bin als LobmuggelMare entbüllt. Da 
man absr in äisssn Regionen msmliob Mabiäos ist, 
Ei ieb es mit äsr Miksttenkrags niobt so genau 
nsbmen. leb stelle nur lest, äaü äis bsiäsn Lüebsr- 
.Mis rote Nssss" von V. Milliams unä: 
„Das vsrseblosssns Bueb" von B U. 
Raekarä aus äsr Lsris äss ^monssta-Verlags 
(Usiu^i^ unä U^isn) — äsr l^ams äss Verlags vran^t 
vor äsn Inbaltsn äsr Mebsr ^is sins seb^srs Ua- 
MLLtuortisrs. Sinter äsr ein Vsrbrsebsn xssebebsn z 
ist — x^an2 Ls^öbniiebs ^bsntsursrromans sinä. 
äsren Lsnsationen niebts mit äsnsn von Oonan Uovls 
gemein babsn. vas sinä äis stoÜbslaäsnsn ^Vsrbs, 
äis man in seiner rsiksrsn äuKsnä vsrseblan^ ^.ueb 
äsr Roman: .,8ebnsll2UL UsninLra ä—8 s - 
V L 8 t 0 v 0 l" äss Russen u. Vorisso^v (UsorL 
Mller Verlas Nünebsn) verliebtet auk isne Lrre- 
^UNLSN, äis aus äsn sebarken Deäubtionen sebtsr 
Lriminalromans aukstsi^en. ^.ber so unsr^isbis: sein 
MoräiaH ist, so tssselnä sinä seine ÜebiläerunKSn 
russiseber 2ustänäe aus äsr Zeit äer vsrvmbrlo^tsn 
Rinäsrboräsn. , Obne Z^sikel bat BorissoM stnas 
von einem Uiebtsr. Unä lsbsn seine Bolillstsn, 
8mtlsl unä Irrenbäuslsr aueb niebt in äer Rasbolni- 
bo^v-^tmosnbäre, äis lu bannen vieUsiobt bsabsieb- 
ti^t -^ar, so sinä sie äoob ^anl bestimmten blima- 
tiseben Vsrbältnisssn untsr^vorien. äereu Uauvtbenn- 
lsieben äis säaubbakt gestaltete 8ebvÄe ist. 
Unter« unä Obsr^vslt: bsiäe sinä bsute viel vsr- 
traebter unä unäurebäringUebsr als in äsr ^era äes 
glorrsieben 8bsrloeb Uolmss. 8is übersebnsiäen sieb. 
sie üiellen insinanäsr, unä o,kt ^vsill man niebt reebt, 
^vas oben. Mas unten ist. vis Autoren von vsteb- 
tivromanen baben es äabsr sebMsrer als ie unä 
müssen, lum minässten tbeorstiseb, bssonäers gs- 
Mitlt sein. Kit äsr Zeit gegangen ist U. V. 
Rumpkk, äsi» sieb in seinem Lueb: .,v ie vür - 
stin V o l e s e u^ (sbenkalls Usorg Küiler Verlag) 
eins ganl gesebiebt ausgeblügelte Uoebstavlsige- 
sobiebte Zusammen reimt. 8ie reiebt von bleavel bis 
Löln unä lallt ein kein gesponnenes UsMebe von 
Uaunereisn äureb einen Detektiv aüklössn. äer aUer- 
äings äis Dääen niebt äurebaus in äer Uanä bat. 
Die sigentlieben Ksisterästebtivs sinä sbsn immer 
noeb in vnglanä lu Hause, unä s« ist ein Vertierst 
äss genannten ^monesta-Verlags, äaü er äas 
äeutsebe Bublibum mit einigen neuen bekannt maebt. 
8ie betätigsn sieb in I. I. 0 onningtons ge- 
sebeitem Ruob: ,,D er Kann obne ^.ntlill"; 
in Vll. 8. Kastsrmans „2 V 0", einen psvebo- 
logiseb interessanten Rsiüsr: im: ,,K o r ä naeb 
äsr Ubr" von Rukus Ling. äsm es nur äas ää- 
monisebs W'eib 2U ssbr angetan bat. Ibnsn allen 
überlegen ist aber unstreitig Obewt ^.ntbonv 
Uetbrvn. äer obne jeäs Uebertreibung als äer MÜr- 
äigs blaebkabr äer grollen klassisoben Detektive an- 
gesnroeben Meräen äark. Lr ist niebt nur ein voll 
kommener Uentlsman. sonäern auob eine vollkom 
mene Intelligent: äabei noeb sarkastiseb unä tazüsr 
Mis Oiä. Bb. Kaeäonalä. äer 8ebönksr äieser
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.