Ueöer den Umgang mit Hieren
S. Kracauer.
mit der künstlichen Kinderei.
Wenn man schon Filmexpeditionen ausrüstet: müssen sie immer
nur zu den Primitiven oder den Tieren führen? Man sollte lieber
an die vereinzelten Bildreportagen anknüpfen, in denen versucht
worden ist, die Menschen über ihre menschlichen oder unmenschlichen
Verhältnisse zu unterrichten. Es gibt noch viel zu kurbeln in
Deutschland.
Anläßlich eines Jagdfilm es.
Berlin, im September.
Das Bedürfnis, sich von Tieren ansehen zu lassen, ist Lei unZ
neuerdings zur Sucht geworden. Ein bekanntes Verlagsunterneh
men führt im Inseratenteil seiner Zeitungen dem Publikum
immer wieder Tiere vor, die das eine oder andere Erzeugnis des
Verlags bewundern müssen. Die Tiere wechseln von Zeit zu Zeit,
aber das Tierreich ist groß. Es ganz auszuschöpfen, scheinen sich
die illustrierten Zeitungen zum Ziel gesetzt zu haben, und daß es
eine Mlmwochenschau gäbe, in der keine Tiere Vorkommen, ist
völlig unmöglich. Meistens Lauchen sie zwischen einer Explosion und
einem Sportfest oder einem Sportfest und einer Explosion auf.
Nicht genug damit: auch die Expeditionsfilme haben sich in der
jüngsten Vergangenheit stark vermehrt, und handeln sie nicht von
primitiven Völkern, so nehmen sie doch bestimmt exotische Tiere
aufs Korn. Um allen Ansprüchen zu genügen^ werden übrigens
diese in der Regel mit jenen Zusammengemixt.
Erst dieser Tage ist wieder (im Ufa-Pavillon am Nollendorf-
Platz) ein solcher Film angelaufen. Er nennt sich: „A uf Tiger
jagd in Indien" und schildert den Verlauf eines Jagdfeld
zuges. Als ob es nicht wichtigere Dinge in Indien zu schildern
gäbe! Dort gehen folgenschwere revolutionäre Umwälzungen vor
sich, dort finden Tag für Tag Ereignisse statt, die ein würdiger
Gegenstand für unbestochene Bildberichte wären. Vielleicht könnten
uns diese Berichte die Augen öffnen. Aber den Ulmproduzenten ist
mehr daran gelegen, daß uns die Augen verschlossen bleiben, und so
werden statt der bevölkerten Städte die menschenleeren Dschungel
gezeigt und statt der Eingeborenenmassen lauter Elefanten,, Tiger
und besondere Nashornsorten. Und fehlen auch die Gewehre nicht,
so richten sie sich doch nur gegen das Getier. Dabei ist der Film
trotz vieler schöner Photos noch nicht einmal gut ausgemacht,
sondern ein Flickwerk, das aus dem einzigen Grunde, weil jeder
Film heute ein Tonfilm sein muß, mit allerhand Geräuschen und
echtem Raubtiergebrüll aus Stellingen beschickt worden ist.
Ich hätte seiner kaum ausführlich gedacht, wenn er nicht in
mehr als einer Hinsicht exemplarisch wäre. Er wird von einer
Conference durchzogen, die Herr Hagenbeck besorgt. Manchmal hört
man Herrn Hagenbeck nur, manchmal sieht man ihn auch in Groß
aufnahme auf einem bequemen Stuhl sitzen. Bezeichnend ist nun
die Art, in der er die Tiere dem Publikum schmackhaft macht.
Sie soll humoristisch sein und wirkt kindisch. Wenn etwa ein weib
licher Elefant erscheint, nennt ihn Herr Hagenbeck unverzüglich
die Frau Mama. Oder er zieht Vergleiche zwischen menschlichen
und tierischen Familien, die von jener peinlichen Harmlosigkeit sind,
zu der sich Erwachsene oft im Verkehr mit Kindern verpflichtet
glauben. Nicht einmal in den Zoologiebüchern der Schuljugend
finden sich Beschreibungen, die so wissentlich naiv sind. Ich bin
weit davon entfernt, Herrn Hagenbeck daraus einen Vorwurf zu
machen. Er schlägt nur den läppischen Ton an, in dem gegenwärtig
überhaupt von den Tieren gesprochen wird. Heißt es zum Beispiel
in einer Filmwochenschau: „Babys bei der Wäsche", so darf man
sicher sein, daß riesige Dickhäuter mit Wasser begossen werden. Was
beweist dieser Ton? Er beweist, daß sich die Lust an den netten
und niedlichen Tieren aus der Infantilität erklärt — einer In
fantilität, die entweder in gewissen Bevölkerungsschichten vorhan
den ist ode; ihnen doch angezüchtet werden soll. Man will nicht
den Blick auf unsere soziale Lage richten, will verhindern, daß sich
Erkenntnisse durchsetzen, die eine gefährliche Unruhe erzeugen —
und so entwickeln sich reife Menschen ins infantile Stadium zu
rück. Das Wesen, das aus den Tieren gemacht wird, ist ein Merk
mal der Flucht.
Es zeigt zugleich ein Beharren an In dem Jagdfilm spielt sich
wiederholt die folgende Szene ab. Die Jäger nähern sich dem
Großwild, Flintenläufe fahren in die Bildfläche, Schüsse knallen,
und danach erscheint sofort der Kadaver, von dem in einigen Fällen
ausdrücklich gesagt wird, daß er ein prachtvolles Museumsstück sei
Daß Tiere gejagt werden, mag in der Aktion der Jagd selber zu
verstehen sein. Hier aber wird die Jagd zur kaltblütig gekurbelten
Bildfolge, die mit schlechtem, unnachdenklichem Zynismus den
Rausch des Lötens verrät. Das Beharren des Menschen im mytho
logischen Zustand, das so oft den Kriegen Nahrung gegeben hat —
diese Filmaufnahmen preisen es unverhüllt. Und die verstockte
Naturbefangenheit, deren sie sich annehmen, verträgt sich durchaus
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Rinäsrboräsn. , Obne Z^sikel bat BorissoM stnas
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Unter« unä Obsr^vslt: bsiäe sinä bsute viel vsr-
traebter unä unäurebäringUebsr als in äsr ^era äes
glorrsieben 8bsrloeb Uolmss. 8is übersebnsiäen sieb.
sie üiellen insinanäsr, unä o,kt ^vsill man niebt reebt,
^vas oben. Mas unten ist. vis Autoren von vsteb-
tivromanen baben es äabsr sebMsrer als ie unä
müssen, lum minässten tbeorstiseb, bssonäers gs-
Mitlt sein. Kit äsr Zeit gegangen ist U. V.
Rumpkk, äsi» sieb in seinem Lueb: .,v ie vür -
stin V o l e s e u^ (sbenkalls Usorg Küiler Verlag)
eins ganl gesebiebt ausgeblügelte Uoebstavlsige-
sobiebte Zusammen reimt. 8ie reiebt von bleavel bis
Löln unä lallt ein kein gesponnenes UsMebe von
Uaunereisn äureb einen Detektiv aüklössn. äer aUer-
äings äis Dääen niebt äurebaus in äer Uanä bat.
Die sigentlieben Ksisterästebtivs sinä sbsn immer
noeb in vnglanä lu Hause, unä s« ist ein Vertierst
äss genannten ^monesta-Verlags, äaü er äas
äeutsebe Bublibum mit einigen neuen bekannt maebt.
8ie betätigsn sieb in I. I. 0 onningtons ge-
sebeitem Ruob: ,,D er Kann obne ^.ntlill";
in Vll. 8. Kastsrmans „2 V 0", einen psvebo-
logiseb interessanten Rsiüsr: im: ,,K o r ä naeb
äsr Ubr" von Rukus Ling. äsm es nur äas ää-
monisebs W'eib 2U ssbr angetan bat. Ibnsn allen
überlegen ist aber unstreitig Obewt ^.ntbonv
Uetbrvn. äer obne jeäs Uebertreibung als äer MÜr-
äigs blaebkabr äer grollen klassisoben Detektive an-
gesnroeben Meräen äark. Lr ist niebt nur ein voll
kommener Uentlsman. sonäern auob eine vollkom
mene Intelligent: äabei noeb sarkastiseb unä tazüsr
Mis Oiä. Bb. Kaeäonalä. äer 8ebönksr äieser