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Full text: H:Kracauer, Siegfried/01.09/Klebemappe 1930 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

Marseille ist klein. Marseille ist groll. Line ?ro- 
vinrstadt. Die V^eU. 
In der Lrübe um künk Dbr trekken mehrere Lern- 
rüge aus der 8chneir und aus Deutschland ein. 
auf dem ganzen Personenkreis. Eine Art Anschauungsunterricht 
über die Zustände in einem dürftigen Weltstadtviertel. Manche 
Aufnahmen unterhalten sogar. ! 
Eugen Felber hat recht daran getan, die Regie auf Stim 
mung und psychologische Kleinmalerei zu stellen. Mit der Unter 
streichung von Kollektivwirkungen etwa wäre er doch nicht durchge 
drungen. Er nutzt die Straßengeräusche aus und versteht sich auf 
Pausen. Alle diese von früher her bewährten Mittel genügen frei 
lich nicht, um die Leere der realistischen Bilderflucht zu tilgen, 
machen sie vielmehr erst recht deutlich. Vielleicht hätte man noch 
ein wenig schnöder vorgehen sollen. Das Lokalkolorit hält die Mitte 
zwischen dem New Yorker Osten und dem Berliner Norden. — Die 
Inszenierung wird durch das ausgezeichnete Bühnenbild von Wal- 
ther Dinse unterstützt. Seine Backsteinfassade mit dem peinlichen 
Zahnfries und den gußeisernen Schnörkeln der Treppengitter ist 
ein echtes Gleichnis der kleinbürgerlichen Hölle. 
DCa-rsoLUo 
V^äkrenä dleapel eins 8iaät mit einem Haken ist, 
bestimmt cler blaken Marseilles ckie Ltackt. Der 
alte Ilaken Lkr Lilck, äer neue ibr lieben. 
Der alte Ulaken: ein rechteckiges dlaturbassin, 
um ckas sieb ckas blenckencke Amphitheater Mar 
seilles aukbaut. ^.uk ihn als äen Fluchtpunkt aller 
Perspektiven sind ckie Xircken ausgericktet, ihm 
äie noch unbeäeckten Ilügel ruge^vanät, sollen, 
Uotorbarksn und ?inassen küllen äie 8ai, ^.n 
ihrer okkensn 8eite kükrt äer Iransboräeur über 
sie kin^veg, äer äie Verbindung mischen äen 
blkern hsrstellt. Diese riesige Konstruktion mit 
äer 8cb^ebekahre, äsn Drahtseilen, äen Lisen- 
gerippen unä äsn altmoäischen bkauschen ist ein 
^unäernerk vergangener lechnik. Der ganre 
^asserplatr ist vom ?ark des ?asteur-Instituts 
aus mit einem einzigen Nick 2U umkassen. V^er 
sich gegen -^bend, et^va an Lord eines der klei 
nen Dampker, die den Verkehr rum Lhateau 
d'Ik vermitteln, auk ihn rube^vegt, genieÜt krei- 
lieh ein nock groüartigeres 8chauspiel. Lr er- 
käbrt im wahren, ^vie allmählich hinter dem kei 
nen biligrannetr des l'ransbordeurs die 8tadt 
terrassenkörmig aus dem Orund unrähliger 8egel 
ansteigt. Ihre Llausermassen stehen hell in der 
kukt, und reckts aus der Höhe blitrt I^otre-Dame 
de 1a Oarde. 
Dangst dient der alte Haken nicht mehr dem gro 
llen Verkehr. Die OLeandampker legen am (Zuai 
de la doliette und den benachbarten Kais an, 
die sich in weitem Logen hinriehen. Dort bekin- 
den sich die Oebaude der Lchikkahrtsgessllschak- 
ten, reihen sich die krönten der Dagerhäuser ein 
tönig aneinander. Dort erhebt sich auch die mo 
numentale Kathedrale, die selber den Lindruck 
eines Lagerhauses kür ungezählte Letermassen 
erweckt. 8chikksirenen pkeiken, Laxis rasen an, 
-^us^vandererkamilien mit Kisten und Kasten 
Hocken in der okkenen Halle. Neugierige um- 
drängen den Dampkersteg. In den neuerdings be 
liebten Lilmen, die sich mit« dem Mädchenhandel 
bekassen, kehren solche 8renen von der doliette 
immer nieder. Der unausgesetzte Kreislauk der 
Reisenden, die täglich landen und abkahren, 
durchblutet die 8tadt. 
Hans Albers Don Juan. In einem Film der Alß- 
mannia - Lichtspiele "Ja, ja, die Frauen...") mimt 
Hans Albers das ^üßgenie, den Abgott der Mädchen. Aber, 
seine Unwiderstehlichkeit besteht nur in Unausstehlichkeit. Wenn 
man ihn das Monokel einklemmen und Umarmungen verabreichen 
sieht, bittet man Harry Liedtke im stillen manches Unrecht ab. 
Sollte ein solches küssendes Ekel wirklich Sympathien einflösen? 
Die Verfertiger des Films sind jedenfalls davon überzeugt. Es 
erübrigt sich, das Machwerk näher zu charakterisieren, das nicht 
nur läppisch ist, sondern auch von falschen Details strotzt. Raea. 
Herr Taube, der nichts dazu kann, daß er eine dumm kon 
struierte Arbeiterfigur spielen muß, hat seinen großen Augenblick 
nach der Mordtat. Von den Polizisten und der Menge umdrängt, 
spricht er mit feiner Tochter. Spricht er mit ihr? Die Sprache ist 
so zerbrächen wie das Gesicht, wie die ganze Gestalt. Man fühlt: 
das scheinhafte Ich hat sich aufgelöst, die harte Kruste ist, zu spät, 
explodiert. Seiner Partnerin Lilly Kann glückt das Gemisch aus 
Gedrücktheit und vitaler Sehnsucht, ohne daß sie die Rolle ganz 
auszuwattieren vermöchte. Elaire Winter als beider Tochter: 
eine reizende Erscheinung, die richtige Blume im Kehricht. Sie gibt 
junge Unschuld; das Entsetzen über den Word meistert sie w 
Mit Frau E i n z i g s drastisch-vulgären Tönen und Gebärden 
wird niemand so leicht wetteifern können. (Unnachahmlich führt sie 
den Hund spazieren.) Ein berückender Fruchteisitaliener ist Herr 
I m p e k o v e n, durchaus italionissirno, mit neapolitanischem 
Dialekt. Die kleine Szene von Herrn Verhornen und Frau 
Menz ist eine Solonummer für sich; er ein Eastendlucki, sie völlig 
beschwipst. Sybil Rares, die durch ihre Stimme wirkt, macht 
Wenigstens an einer Stelle die sonst verschleierte Innerlichkeit des 
allzu herben jüdischen Mädchens transparent. Herr Arie ist ihr 
sensibler Bruder. An charakteristischen Episodenfiquren wären noch 
zu nennen: Herr Biberti, Herr Engels, Herr K a t s ch,'Frau 
Obermeye r, Hilde Marin Kraus. 8. Krämer. 
Flieger gibt. Der Schwiegersohn muß unter allen 
ein Seemann sein. Natürlich wird der Kapitän zuletzt 
eines besseren belehrt. Der Film, der in der N e u e n st 
buhn e lauft, hat groteske Züge und endigt mit einem Verbrecher- 
Ler^ netter Kerl ist der Mowie^ 
d veesr o h nd i eerrs di ered R eon l d l e dee i rneasuc M h a i u n s i a a nd t e u re r n is fil t men 
beobachteter, scharf montierter amerikanischer 
PolrZerfrlm. Er spielt in dem durch sein Verbrecherleben 
mternatwnal bekannten Chicago. Detektive und Revolverhelden, 
?^be arnd Polizei sind ineinandex verfilzt — ein unsichtbarer 
Kneg ber dem man beinahe vergißt, um was es geht, so sehr ent 
arten yre Kampfe zum Sport. Auch noch in anderer Hinsicht be- 
geben srch oie Hüter der Gerechtigkeit aufs Niveau der Gegenpartei 
herab und entwerten damit ihre höhere Sache. Sie stellen nämlich 
Z^hbre an, deren Barbarei in einem zivilisierten Staat nicht 
geduldet werden, sollten, und unterziehen di- gefangenen Verbrecher 
unmenschllchen Quälereien. Auge um Auge, Zahn um Zahn, so 
tautet hrer die Parole. Da die Rache kein primitiver Gegenscklag ist 
sondern auf Grund wohlüberlegten Handelns erfolgt, ist ihr Voll- 
zuxp ziemlich widerwärtig. Bleibt die Spannung, die in der Tat 
darrt der Regie Roland Wests der eines Wallace-Romans nicht 
Mchsteht Sie wird durch die äußerst geschickte Exposition erzielt, 
Äb aus lauter blitzartig aufspringenden Fragmenten besteht, deren 
Smn sich erst nach und nach erhellt,- sie ist die Konseguenz raffi- 
merter Parallelführungen und kunstreicher Verzögerungen: Ihren 
Höhepunkts jener SZenenreihe, in der ein PolM- 
spitzel entlarvt wird. Der reizende Bursche hat die ganze Bande 
erngewlckelt und glaubt ihrer schon sicher zu sein. Mit einem Male 
erfolgt in seiner Abwesenheit die Enthüllung. Die Minuten bis zu 
semem Wiedereintritt sind nervenzerreißend. Eine splendide Aüs- 
stattung trägt zur schlagkräftigen Wirkung bei. Pompös ist vor 
allem das weltstädtische Vergnügungsetablissement, das den Ver- 
brcchern als Hauptquartier dient. Unter den Darstellern tritt außer 
dem erwähnten Spitzel Regis T oomeys nur Ehester Morris 
hervor Er verkörpert den Verbrecherttzp, dem man das Verbrechen 
mcht glaubt. Em netter, wohlgefälliger Jüngling, der höchstens in 
Menen Augenblrcken seine düstere Natur preisgibt. — Der Film 
laust in den Ufa-Lichtspielen im Schwan.
	        
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