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Metadata: H:Kracauer, Siegfried/01.10/Klebemappe 1931 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

Lichter der Großstadt. 
Z u r d e u t s ch L n u r aufs ü.h ru n g d e Cch apPtu f dL m K.f 
- '- ^-Berlin,-'Ende'März^ü^ 
„Lichter der Großstadt — eine Folge der-MMchstM-PantA- 
minren^ Chaplin beweist in ihnen von neuem,'- LäßPer die We- 
bärdensprache auf eine Weise zu reden verstcht, -Äe..jhM. ge- 
Drochene Wort zum Schädling macht. Wehr, noch;- er-e rf i n^d e t 
Gesten und mimische Situationen, durch die eine H 
sich sprachlich nur schwer umschreiben läßt, mit einem Schlag den 
Kindern und Erwachsenen aller Völker verständlich wird. 
Einstein hat dem Künstler in Berlin seine Photographie mit der 
Unterschrift: „Charlie Chaplin, dem Nationalökonomen" geschenkt, 
-Ob Chaplin sich viel mit Nationalökonomie beschäftigt hat, weiß 
sich nicht. Aber aus seinen Filmen weiß jeder, daß er ein Freund 
der Schwächeren, der SchlechtweggekommeM und ' mit gutem 
Herzen und scharfem Auge unsere gesellschaftliche Wi 
mißt. Als ein rechter Mensch versucht er sich in ihr zu behaupten, 
und die einzelne Pantomime stellt nichts weiter dar als .eine solche 
Begegnung zwischen ihm und der unrichtigen Welt. 
Ich will auf gut Glück eitrige Szenen aus dem neuen Film 
herausgreifen, die belegen, bis Zu welchem Grade das M 
Sprachschöpfertum Chaplins einem exemplarischen menschlichen 
Grunde entwächst. Gleich am Anfang zeigt er sich auf einem .eben 
enthüllten Denkmal, das dem „Frieden und Wohlstand" des Vol^ 
lles gewidmet ist. Man muß dieses voluminöse Henkmas gesehen , 
haben und den in seinen Stemmassen verlorenen kleinen Vaga 
bunden, dem Noch dazu das Riesenschwert einer der drei Friedens 
figuren die Hose zerschlitzt! Eine komischere Travestie auf M kon 
ventionelle Heuchelei ist kaum je ersonnen worden, und wenn 
Gelächter zu Löten vermag, so wird das durch Liese Episode ent 
fesselte rwch ganze Denkmalsdynast^ 
Eine unvergleichlich schöne Verdichtung, wie sie nur den größten 
Humoristen unter den Romanciers gelang, ist auch der exzentrische 
Millionär, der im Suff Charlie als seinen Freund umarmt, und 
im nüchternen Zustand ihn immer wiede^ ward 
drastischer versinnlicht worden, daß das durch den bloßen Reichtum 
ermöglichte Regiment eines der Willkür ist? Nebenbei bemerkt, 
parodiert diese geschlossens Mimische Figur Zugleich das Prohch 
bitionsgesetz, denn es bedarf ja stets erst des Alkohols, um aus dem 
Millionär einen Menschen Zu machen. 
Daß einer, ist er schon Mensch, die irdischen Güter nicht Zum 
Fetisch emporsteigern wird, lehrt die geistreiche Szene mit dem 
Zigarrenstummel. Charlie steht vor dem Rolls Royce, den ihm sein 
trunkener Gönner verehrt hat- und sehnt sich nach etwas Rauch- 
Larem. Begehrlich folgt er einem M mit dm Blicken, der ge- 
.Menschen, als ein Million^ Und auch er benimmt sich 
ihr gegenüber so ungezwungen, als habe sein Stock eine Elfenbein 
krücke und als sei überhaupt sein Inkognito schon gelüstet. Der 
Tag weicht wieder Nr Na nachdem die Blinde durch seine Bei 
hilfe sehend geworden ist. Sie erblickt ihn irr seinem schäbigen 
Aufzug und ist blinder, als sie es je Zuvor war. Der Welt Ver 
fällen,, der verzerrten Welt, wendet sie sich von ihm ab, wahrend 
er mit einem Mienenspiel, das zu den erschütterndsten Leistungen 
seiner Kunst gehört, bittend, gläubig, aufmunLernd, ängstlich, hoff- 
rmngslos um fM 
Es dürfte nicht gax so schwer sM Schwächen in 
zu entdecken. Die GesamthandluW ist dünner als die im „Gold 
rausch" und enthält wohl auch die eine oder andere taube und 
sentimentale Stelle. Die Musik, für die Chaplin verantwortlich 
zeichnet, gefällt sich mitunter in Imitationen der sichtbaren Vor-, 
gange. Schließlich wird hie und da vom Kapital gezehrt und ein 
Effekt heraufgeholt, der bereits früher ausgewertet worden war. 
eine M die zu der angMchen Aeuß^ 
stimmt, daß er in semen kommenden Filmen den Vagabunden- 
..typus preisgeben wolle' Aber diese Ausstellung Die sich höchstens 
im Vergleich mit anderen, bereits klassisch gewordenen Werkem 
großen Künstlers aufdrängen, schränken die Helle, den Sinn und 
die komische Gewallt der neuen Pantomime nW im mindesten ein, 
JkMe-Mrtrifft vielleicht sogar jene Werke in einer bestimmten 
Hinsicht: daß sie sich nämlich beinahe' tiefer als der Zirkusfilm mit- 
den Schwierigkeiten und der Trübsal unserer menschlichen Gesell 
schaft eingelassen hat,. S. KraenUer.aa 
Mßfrvh M Zigarre AM Der Mann wirft.spater W Zigarre 
foM.CMchlM Charlie ihm rmch, entreißt einem Bettler, 
der etwas früher zur Stelle war, den schäbch 
und lenkt dann, , wollüstig paffend, den Prunkwagen Zurück. Der 
StümMel als Ziel für den Rolls-Royce — so kommt doch dieM 
wieder" in Ordnuntz. a" 
Jagn die Pfeifszene, die überdies dem Tonfilm Zu hohen Ehren 
verhiW Charlie nimmt als Gast- des Millionärs an einer sus- 
MlasMen Gesellschaft teil und verschluckt dabei aus Versehen ein 
Pfeifchen. Jm ffeM Augenblick soll, , wie es bei Soireen üblich 
ist, ein GesangMortrag vonsLattsn gehen. Alls Damen und Herren 
- klatschten begeistert, nur Charlie muß in einem fort pfLifeu -Die. 
WesMchastist indigniert und er selber untröstliche was kann 
' er tun gegen daszwangsläunge innere Pfeifchen? Wie Sr, mitten 
im Pfeifen, durch ein bedauerndes Achselzucken oder gar Durch 
MontL M auszudrücken sich beWhL^.-Haß'.'nicht 
eigentlich er, sondern nur das Pfeifchen die Schuld an der Exung 
trägt: das ist von einer schlechterdings unwiderstehlichen Komik. 
Die "Reihe der Episoden, die allesamt das Mißverhältnis 
zwischen dem Vagabunden betreffen, der ein Mensch ist, und der 
Welt, die^ oft unmenschlich ist, könnte noch lang fortgesetzt werden. 
. Sie - liegen.. keineswegs durchweg in der . gleichen Dimension. 
Chaplin, der au Dickens geschulte Erzähler, weiß sehr wohl, daß 
mitunter zur Entspannung Spaß eingeschaltet werden muß, und 
macht von harM gern Gebrauch. Dann wieder 
taucht er in ^n' Abgrund, dem das Komische erst entquillt, und 
legt ihn freu Am nachhaltigsten in der Haüptfäbel des Films, 
die selber nicht mehe als eine Episode ist. Ihr Inhalt ist seine 
Liebe Zu einem blinden Blumenmädchen. Solange das Mädchen 
nichts sieht,, erscheint er ihr wie er ist: als. der wunderbarste- aller
	        
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