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Metadata: H:Kracauer, Siegfried/01.10/Klebemappe 1931 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

worden ist. 
S. Kraeauer 
N 
S. Kracaurr. 
stände Zu 
schon seit 
So wichtig es ist, eine Darstellerin dem Film wiederzugswinnen, 
die Zu seinem Aufbau entscheidend beigetragen hat: ich schreibe 
diese Zeilen nicht um ihretwillen allein. Mindestens ebensoviel 
liegt mir 
p- -d 
daran, die Aufmerksamkeit auf die unzulänglichen Zu 
lenken, durch die das Schicksal der großen Künstlerin 
langem bedingt 
-äE.sl... r»V Fi alsh v "unck 
knackn ckor ller 
„Der wahre Jakob" oder „Drei Lage Mittelarrest" auf miß 
geleitete Instinkte spekulieren, in der allerMtersien Sphäre Zu 
Hause sind und in öden ProvinZstädten sich schon deshalb durch 
setzen muffen, weil es dort keine anderen Zerstreuungen gibt - 
die Erfahrung lehrt, daß der Verleih, der im geschäftlichen Inter 
esse von sich aus die Art und die Qualität der Filme bestimmen 
Zu sollen glaubt, damit in Wahrheit gegen sein geschäftliches 
Interesse handelt und aus einem Irrtum in den anderen fällt. 
Viele Schwierigkeiten in der Filmindustrie haben ihren Grund 
einfach in, der Einbildung von Agenten und Kaufleuten, Kunst 
sachverständige und Publikumssorscher Zu sein. Daß sie es nicht 
sind, schändet sie keineswegs; daß sie es dennoch sein wallen, 
beweist ihre kommerzielle Urüüchtigkeit. In Wirklichkeit stehen sie 
vielfach — zahlreiche Filme erhärten diese Lhfe — auf der 
niedersten Stufe des PrMikumsßfchmacks, und schon der Philosoph 
Georg Simmel hat doch die. Tatsache evident gemacht, daß das 
Durchschnittsniveau immer etwas Äer der unteren Grenze liege. 
Man sollte die Philosophen in praktischer Hinsicht nicht so ver 
achten. Es ist immerhin ein kleiner Trost, daß sich die ünkaüf- 
männische Hyöris der Branche- zu rächen beginnt. Sie muß MS 
wieder erleben, daß sie Zu ihren: eigenen Schaden Fehlprognoftu 
stellt, und die Klagen aus der Provinz über die Belieferung mit 
schlechter Firmware mehren sich jetzt. Um ganz von den Protesten 
des prachtvollea Berliner Kinopublikums gegen die 'häufige Be? 
lästigung durch untaugliche Fabrikate Zu schweigen— lärmenden 
Kundgebungen, denen es allerdings nicht Zu gelingen scheint, die 
Branche aus ihrem narkotischen Schlaf zu wecken und zu sich 
selber zu bringen. 
In den Fragen der Qualität — ich muß mich hier serder 
dieses scheußlichen Wortes bedienen — verhalten sich dir eigent 
lichen Her st alle r s i r m e n kaum minder lsienhaft und fan- 
tastisch^ wie der Verleih. Das laßt sich gerade im Falle Asta 
Nielsen exemplarisch belegen. Man stelle sich vor, was diese Schau 
spielerin sich herausnmrml: sie verlangt die Manuskripts zu lesen, 
ehe sie Zu spielen beginnt, und wagt es nicht nur, schlechten Dreh 
büchern kritisch Zu begegnen, sondern lehnt auch die Beteiligung an 
solchen Elaboraten ab. Kurzum, sie. legt ein noch durch Offenheit 
verschlimmertes Betragen an den Tag, dem sie selber die Haupt 
schuld daran beimißt, daß sie in ProduzentenkreiM unbeliebt ist. 
Viele Regisseure, die durch die Willfährigkeit ihres Künstler« 
Völkchens verwohnt find, bezeichnen sie als schwierig, und die Ufa 
l^L es nicht für nötig befunden, sie mit richtigen Aufträge« Zu 
beehren. Ich finde, diese Einstellung der -Producenten und 
ihres Anhangs durchaus unprodnkt.iv ist. Sie brauchen 
meinetwegen nichts von Kunst Zu verstehen, aber sie müßten im« 
stände sein, ihren Nutzwert einzukalkulieren und rein aus Zwecke 
mäßiMLsgründen so verfahren, wie ein fortgeschrittener In 
dustrieller, der wiMchs Künstler mit Aufgaben betraut. Die Tat 
sache, daß die großen Asta Nielsens Zuletzt ein gutes 
Geschäft gewesen find, scheint von der Filmindustrie längst ver 
gessen worden Zu sein. Was sind das für Unternehmer, die lieber 
blindlings ihrer SelbstüberM nachgsben, statt dem Unter 
nehmen die Zu seinem Gedeihen notwendigen ausübenden Künstler 
und Experten zu verpflichten! Wenn das Publikum heute immer 
unlustiger die Kinos besucht, so wird es Zum guten Teil durch 
Produzenten zuruckge scheucht, deren fachmännisches Wissen erstaun 
lich gering ist. 
Vor kurzem hat Asta Nielsen ihre Mitwirkung an einem Ton 
film abgesagt, der nach ihrem alten stummen Film: „Dirnen» 
tragodie" hergestellt werden sollte. Auf diesen aus künstlerischen 
Bedenken erfolgten Entschluß hin sind ihr Zweihundert bis 
dreihundert Briefe Zugegangrn, in denen ihr lauter . Un 
bekannte erklären, daß sie nicht das Recht' habe, sich aus der 
Öffentlichkeit Zurückzuzichen, daß ihr Dasein dem Film gehöre 
usw. Wird die Branche solchen Zuschriften das entnehmen können, 
worauf es ankomE Wird sie endlich, einsehen lernen, daß sie 
wie in diesem Falle, so fortwährend und beinahe prinzipiell wider 
ihre eigenen Interessen verstößt? Ich enthalte mich der Ver 
mutungen und füge nur noch hinzu, daß Asta Nielsen voller Pläne 
steckt. Vor allem hat sie einen Stoff bereit, der nach meiner 
Meinung und der anderer Kenner ein vorzügliches Filmsujet 
abgäbs. und sogar vielleicht neue Tonmontagen .erforderlich 
machte. Es ist an der Zeit, mrt dem bei uns beliebten Verfahren 
Zu brechen, das den Hauptakzent auf die Dialogs legt, und durch 
eine Bevorzugung der stummen Partien für eine größere Jnter« 
Nationalität des Tonfilms Zu sorgen... 
Genemkmustkdrrektor 
vor dem Arbeitsgericht. 
h Berlin, im April. 
Das Arbeitsgericht ist gewöhnlich nicht der Treffpunkt 
der höheren KunstwelL. Dort klagen sonst Gekündigte auf Aus 
zahlung ihres Restgehalts oder einer Abfindung, Angestellte be 
schweren sich über die Zeugnisse oder eine unbillige Eingruppicrung. 
Reisende streiten sich mit ihren Firmen wegen der Spesen und 
Provisionen herum. Ein sehr prosaischer Ort, an dem in der Regel 
nicht die Künstlerehre in Frage steht, sondern ein Sammelsurium 
von Kleinigkeiten, die allerdings für viele Menschen Existenznot 
wendigkeiten bedeute»!. Wenn irgendwo, so werden an diesem Ort 
die Dessous unseres Wirtschaftslebens enthüllt. 
In das Einerlei der Bagatellen, das dem mechanisierten Ar 
beitsprozeß entspricht, fährt Klemperers Klage gegen 
den preußischen Fiskus wie ein Komet herein. Die letzte 
Verhandlung in dieser außergewöhnlichen Angelegenheit war denn 
auch beinahe eine Sondervorstellung zu nennen. Schon das Publi 
kum 'glich dem bei Premieren: eine Unzahl von Journalisten; 
kunstbegeisterte Damen; fachmännisch interessierte Herren mit 
Musikerköpfen. Kurzum, das Tribunal wurde Zur Szene, die man 
nach den neuesten TheaterprinZipien fortwährend ummontierte. 
Bank auf Bank mußte in den zuerst vorgesehenen kleinen Sitzungs 
saal geschleppt werden, um ine SitzLsdürfnisse der immer starker 
Zuströmenden Öffentlichkeit zu befriedigen. Dann zog die ganze 
Versammlung mit allen Requisiten in einen größeren Saal um, 
in dem bei offenem Vorhang auch noch manche Verwandlungen 
stattfanden. 
Held der Szene war unbestritten Generalmusikdirektor Klem- 
perer selbst. Das heißt, er ist nicht eigentlich ein schlichter „Gene 
ralmusikdirektor", sondern „amtierender Generalmusik 
direktor in vollem Umfang". Um die praktische Aus 
wertung dieser gewaltigen Titulatur geht bekanntlich sein Streit 
mit dem Fiskus. Wird sie ihm bei seiner etwaigen „TranZferie« 
rung" zur Lindenoper eine übergeordnete Position eintragen, odep 
ist sie doch zu ohnmächtig, um ihn vor der bloßen Koordinierung 
zu retten? Das eben ist die Frage. 
Die jüngste, zur Klärung dieses Problems angesetzte Verhand 
lung war ein Schauspiel, das von fern an den „Lasso" erinnerte. 
Wenigstens trat der als Partei vernommene Generalintendant 
Tietjen, dem klagenden Künstler wie ein neuer Antonio gegen 
über. Er interpretierte mit der Diskretion des Weltmannes und 
der Behutsamkeit des hohen Beamten Punkt für Punkt des mit 
Klemperer geschlossenen Vertrags und Nachtragsvertrags; klärte 
auf, was „OperndirekLor" und was „in vollem Umfangt zu be 
deuten habe; verwunderte sich gemäßigt darüber, daß die Gegen 
partei nach längerer freundschaftlicher Zusammenarbeit so plötzlich 
den Rechtsstandpunkt eingenommen, habe; erkannte die besondere 
AMLMM KleMe zur Leitung eines sozialen KunstM 
wie der Krolloper freimütig an. Hierin traf er sich mitMimsterial- 
rat Pros, Ksstenberg, der zu Beginn der Beweisaufnahme 
die musikalische Persönlichkeit des Generalmusikdirektors pries, 
aber genau so wie Herr Tretjen bestritt, daß der problematischen 
Titulatur eine rnagische Kraft innewohne. Das Wort „amtierend" 
ist nach ihm keineswegs eine Zauberformel, sondern nur eins 
technische Einschaltung zum Zwecke der finanziellen Gleichberech 
tigung Klemperers mit Gensmlmufldikrektor Kleiber, der sich zu 
dem in seinem Vertrag ausbedungen hat, -daß ihm kein anderer 
Generalmusikdirektor übergeordnet werden darf. Noch läuft dieser 
Vertrag, und da es einstweilen Generälfeldmarschälle der Musik 
nicht gibt, ist die Entscheidung sehr schwierig. 
In das Dickicht der Verträge und NachtragZvertrage brach 
Klemperer mit einem Temperament ein, das in vollem Umfang 
amtierte und vow Gerichtsvorsttzenden, der nicht tue Machtvollkom 
menheiten des Fürsten im „Lasso" besitzt, mitunter zart eingeschränkt 
werden mußte. Eine Demonstration, die in Augenblicken ästheti 
scher VerlorenheiL geradezu musikalisch wirkte: diese Folge pracht 
voller Dissonanzen zwischen der Direktheit des selbstvewM 
Künstlers und dem mehr mittelbaren Wesen der beamteten Herren. 
Womit nicht gesagt sein soll, daß Klemperer der vertrackten Ein 
richtungen unserer Welt unkundig sei und nicht auch viMeM seine 
kleine Freude daran habe, Entladungen der Leidenschaft fornM- 
recht zu Ziselieren. Zwar, er braust auf. „Durch die Art der mir 
Zuteil gewordenen Behandlung ist in mir jeder Funke von Vertrauen 
zum preußischen Fiskus erloschen", führt aber doch etwas später 
einen Mozartbrief an, gedenkt beiläufig des baldigen Antritts 
seiner Amerikareise und erwägt eine Sekunde lang auf charmante 
Weise und beinahe verspielt einen von: geplagten Vorsitzenden ge 
schickt eingfädelten ersten Verg^ um ihn hinterher 
sofort emphatisch zu verwerfen. Immer ist er der Künstler, der sein 
Recht in einer ihm fremden Umgebung erkämpfen möchte; immer 
auch der Kämpfer, der sich als Künstler gibt. 
Es war ein großer Lag fürs Arbeitsgericht. Ein Gastspiel, 
das sogar vielleicht besser ins alte Gebäude auf der Prinz Albrecht 
straße mit seinen theatralischen TreppE gepaßt hätte 
als in das seit kurzem bezogene Kriegsministerium, dessen Inneres, 
nebenbei bemerkt, nett und anspruchslos hergerichtet worden ist.
	        
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