Preisgabe ich, nebenbei bemerkt, keineswegs die moralische Absicht
verbinde, das Lob der Bescheidenheit zu verkünden.
Die Zerstörungssucht/chie zur Zeit so gang und gäbe ist, daß
sie für Reklamezwecke ausgebeutet werden kann, vertragt sich
Merkwürdig gut mit einem geradezu kolonialen Aufbauwillen. Ge
bietet diese großartige Stadt über Versührungskünste, so gewiß
nicht über die, die sie selber für Verführungen halt. Aber sie übt
andere aus, die sehr wirksam sind, und einer ihrer Hauptreize'be-
steht zweifellos darin, daß sie jenseits ihrer Großspurigkeit und
je^es Phrasenschwalls mit stummer Verbissenheit um ein ge
räumiges Dasein ringt. Für Melancholie ist Berlin ein schlechtes
Pflaster.
Den Lebensmut der Stadt bezeugt der Alexanderplatz
auf drastische Weise. Im Zusammenhang mit der vor kurzem er
folgten Eröffnung der Strecke nach Friedrichsfelde ist nun auch
sein dritter Untergrundbahnhof dem Verkehr übergeben worden^
Das Gesamtbild dieser Anlagen muß jeden überwältigen, der noch
Kind genug ist, um sich an Schienen, Bahnen und hübschen tech
nischen Tricks zu erfreuen. Die drei Bahnhöfe, die über- und
nebeneinander liegen, bilden etwa ein geheimnisvolles Ge-
winkel, sondern wirken gewissermaßen wie ein blitzblankes Mo
dell ihrer selbst, ein Modell, das von einem Liebhaber in Stun
den der Muße mit allen möglichen Schikanen für die Enkel an
gefertigt worden ist. Rolltreppen, die man immerzu hinauf und
hinabfahren möchte,. verbinden die verschiedenen Geschosse mit
einander, gewöhnliche Treppen nehmen die Passanten auf, die
wider Erwarten nicht rollen, und ein breiter Gang gestattet dem
Publikum nicht nur den Uebergang von Station zu Station, son
dern Zwingt es durch seine Verkaufsläden sogar Zum Verweilen.
Das heißt, einstweilen stehen d'ie Räumlichkeiten zu beiden Seiten
noch leer, aber eines Tages werden ihre Auslagen ebenso schön
erglitzern wie die der Metro-Passage unterhalb der klare
Die Pariser Bahnhöfe sind allerdings, wenn man will, abgrün
diger als die Berliner, und gleichen diese modernen Badezimmern,
so jene altertümlichen Verließen; was nicht besagen soll, daß sis
unpraktischer eingerichtet seien» Im Gegenteil, ihre Organi
sation ist vielleicht klarer als unsere gerühmte . . . Auch der über
irdische Teil des Alexanderplatzes befindet sich mitten im Auf
bau. Neben dem Stadtbahnhof ersteht das Bürohaus von Peter
Behrens, und an anderen Ecken wachsen wieder andere Stahl-
und Eisenbetongerippe in die Höhe. Dazwischen fegt der Wind
über Bretterböden und durch Baulücken. Und noch etwas ganz
Unwahrscheinliches versteckt sich dazwischen: ein abgeschiedenes
Stück Welt.
Ich meine den Georgenkirchplatz. Man erreicht ihn über einen
Vohlengang, der an Verschalungen vorbeiführt. Die häßliche Back
steinkirche, die schon leichte Patina angesetzt hat, wird von
klassizistischen Kleinstadthäusern umstanden, denen niemand ihre
enge Beziehung zu Untergrundbahnen anmerkt Das träumt noch
von Postkutschen und kann nicht mehr mit. Muß dieses ahnungs
lose Idyll einmal den Anforderungen des weltstädtischen Ver
kehrs weichen, wie man sagt, so wird es hoffentlich nicht mit
einem Knockout ausgerottet werden wie jetzt angeblich die
Preise. S. Kracauey,
Drei Dichter weniger.
Lr Berlin, im Januar.
Nach Hermann Hesse find jetzt wieder drei Mitglieder der
Dichterakademie zurückgetreten: Wilhelm Schäfer, E.
Guido Kolbenheyer und Emil Strauß. Der Grund
ist folgender: Gelegentlich der letzten Hauptversammlung war von
verschiedenen Mitgliedern, vor allem den auswärtigen, der Antrag
gestellt worden, daß Beschlüsse nur in Hauptversammlungen gefaßt
werden dürften. Man fand vermutlich, daß die Berliner Gruppe
durch ihre Anwesenheit nr der Reichshauptstadt bevorrechtet sei,
und wollte den übrigen Mitgliedern die gleichen. Chancen ver-
Wafren. Der Antrag ging durch. Um die Erledigung der laufenden
Nrbenen nicht zu erschweren, wurde ihm die Bestimmung beigefügt,,
daß in dringenden Fällen Beschlüsse von den Berliner Mitgliedern
ohne vorheriges Befragen der Auswärtigen gefaßt werden könnten.
Trotz dieses Kautschukparagraphen brach sich aber in Berlin bald
dre Ueberzeugung durch, daß diese neue Geschäftsordnung unhalt
bar sei. So bat man denn die Mitglieder im Reich, mit der Auf
hebung des ganzen Beschlusses einverstanden zu sein. Sie erfolgte
ohne nennenswerten Widerspruch. Ihre Wirkung ist das Aus
scheiden der drei genannten Akademiemitglieder.
So erfreulich der Drang nach Aktivität ist, dessen Stauung
offenbar zu den Rücktritten geführt hat: die Frage taucht auf, wohin
er sich denn nach der Meinung der manifestierenden Dichter hätte
X. -
entladen sollen. Um die in Berlin zu leistenden Kleinarbeiten wird
es sich wohl nicht handeln. Weder ist die Beratung des Kultus-
ministeriumA durch Hauptversammlungsheschlüsse zu erreichen, noch
die Veranstaltung von Vorträgen in der Universität. Auch wäre
es Lei eiligen Aktionen zu umständlich, immer erst die Zustimmung
der Auswärtigen einzuholen. Was aber die Akademie in Berlin
tatsächlich macht, sind in der Hauptsache solche mehr verwaltungs
technischen Dinge.
Woher also rührt in Wirklichkeit die Unzufriedenheit der zurück
getretenen Dichter? Glauben sie sich benachteiligt? Oder tragen sie
sich mit Plänen, die der Akademie endlich einen Inhalt zu schenken
vermöchten und die sie sich vergeblich durchzubringen bemühten?
Wir andern wünschten ja ebenfalls, daß die Akademie zusehends
ihre Daseinsberechtigung bewiese. Man munkelt hier, daß bei dem
ernen oder anderen die abweichende politische Gesinnung den eigent
lichen Anstoß zum Rücktritt gegeben hätte. Wie dem auch sei: wir
sind begierig darauf, die wahren Gründe des Ausscheidens kennen
zu lernen, und warten auf die Erklärungen der drei Dichter, dene>
gewiß ein Gott zu sa^en gab, was sie leiden.
Wärmehallen.
Von S. Kracauer.
Berlin, im Januar.
Die Natur in ihrer Güte behandelt alle Menschen trotz ihres
ungleichen Einkommens gleich, und so müssen bei sinkender Tem
peratur auch die Armen frieren. Da wir nicht die segensreiche Ein
richtung des Winterschlafs kennen, sind jetzt vor allem die aus dem
Arbeitsprozeß ausgeschalteten Personen in eine schwierige Lage
versetzt. Sie empfinden bittere Kälte, ohne die Mittel zu ihrer
Abhilfer zu haben. Um die gröbste leibliche Not zu lindern, unter
halten die verschiedenen Berliner Stadtbezirke und auch private
Wohltäter Wärmehallen, die von Oktober bis April in Be
trieb sind. Der Gedanke an ihr Vorhandensein mag gerade denen
zum Tröst gereichen, die in Gegenden mit Zentralheizung woh
nen. Uebrigens funktionieren nicht einmal alle Zentralheizungen
richtig; was vermutlich mit dem Zwang zum Sparen und der
allgemeinen Verarmung zusammenhängt. Zum Glück werden wir
in Bälde ein prächtiges Rundfunkhaus besitzen.
*
In der Acke r straß e liegt die große Wärmehalle des Wohl
fahrtsamts Mitte, die jedermann ohne Ausweis betreten kann.
Ursprünglich war sie ein Depot, in dem statt der Menschen Tram
bahnen aufbewahrt wurden. Man sieht es dem tiefen Raum heute
noch an. Er hat Oberlicht und enthält lauter sachliche Stützen —
eine fachmännische Jnnenkonstruktion, die der Gleise bedürfte, um
ganz vollkommen zu sein.
Wo einst die Wagen geputzt wurden, wimmelt es jetzt von
Menschen, die schon lange nicht mehr geblinkt haben. Trübe und
Armut sind bis auf weiteres Geschwister. Wieviele Leute sich hier
täglich versammeln? „Ungefähr 1800 bis 2500", bedeutet mir der
Hallenleiter, ein wohlmeinender Mann, der sein Stammpublikum
kennt und mit den Besuchern anscheinend auf gute, Art fertig
wird. Sie stehen — junge Burschen, Männer und Greise — in
Gruppen zusammen, sitzen wie in den Arbeitsnachweisen auf
Wartesaalbänken und genießen die Wärme, die eine Voraussetzung
nackten Lebens ist, als besondere Wohltat. Gespendet wird sie
von einem in der Mitte des Raums untergebrachten Ofen, dessen
Rohr sich beflissen an den Stützen vorbeizieht und rein durch seine
unermeßliche Ausdehnung den Hauptzweck der Halle versinnlicht.
Die Ueberdeutlichkeit der Wärmevorrichtung ruft mir jene Ofen
anlage ins Gedächtnis zurück, die wir während der Militärzeit in
unserem Mannschaftsraum dazu benutzten, um dünne Kartoffel
scheiben zu rösten. An die Kasernen erinnern nicht zuletzt auch die
Aborte, denen die Türen fehlen, weil man es sonst, wie mein
Führer erklärt, vor Geklapper nicht aushalten könnte. In dieser
vielbenutzten Oertlichkeit waltet ein Schuhputzer seines Amtes.
Eine andere Stube, die an die Halle grenzt, ist der Arbeitsraum
des Friseurs. Sein Schönheitssalon unterscheidet sich von denen
im Westen nicht nur durch die billigen Preise — Rasieren 10 Pfen
nige, Haarschneiden 30 Pfennige —, sondern auch durch den Um-