sich auch dem nur lexikalisch geschulten Betrachter auf — sind die
Meisten Kartenspiele Mikrokosmen. Eine Welt wird in ihnen
auf kleinstem Formst zusammengedrängt. Sie dienen den Göt
tern und Mschichtsherosn zum Stelldichein oder beherbergen Sze
nerien aus dem prostmen Leben des Balls, das sich unter Eicheln
lustig ergeht. Später wecken sie zum Sammelort allegorischer
Aanderfiguren, inventarisieren Redensarten, wie: „Mein Prozes
hat einen guten Fortgang", oder: „Der Schein betrigt", oder:
„Ein Narr macht Welle*, und bemühen sich noch in der Mitte
des 19. Jahrhunderts um vollständig« Ueberblick« über das Jagd
leben, die fünf Weltteile und die italienischen und napoleonischen
Kriegs. Von jeher sind beim Kartenspiel die Elemente der jeweils
gültigen West auf gut Glück durcheinandergemischt worden, und
vielleicht ist es überhaupt die entscheidend« Funktion des Spiels,
das Gesetz dieser unserer Welt immer wieder autzuheben und sich
einem sickeren unbekqnnten anzuvertrauen. Ursprünglich mögen
Glück nick Prophetie zusammengegangen sein.
Ich bemerke schließlich noch, daß im Konversationslexikon ver
schiedene Grundwerke über das Kartenspiel angeführt sind.
Von he» Spielkarten zu den alten Landkarten ist zum
mindesten räumlich nicht weit. Sie sind im Warenhaus
Wertheim ausgestellt — «ine schöne Schau, hie im 16. Jahr
hundert auhebt und bis zum 18. reicht. „Das 18. Jahrhundert",
so heißt es lapidar i» meiner Quelle, einem reizend gedruckten
Weilchen: ,,Alt« Karten*, das Wertheim als Leitfaden für
Sammler und Liebhaber herausgeüracht hat, „wird von andere»
Gedanken beherrscht als dem Geist der Entdecker und Kolonisa
toren. Die künstlerisch« Qualität verschwindet. Einige Ansätze
zeigen matte und wertlose Kopien früherer Arbeiten. Auch an
eMem Wissen verwischt sich manches."
Kurzum, der Leitfaden für Sammler und Liebhaber scheint vom
18. Jahrhundert nichts wissen zu wollen, und so folg« ich ihm
einfach und lass« mich zurückleiten zu der Weltkarte des Fernando
Verteilt aus dem Jahre 156S, zu de Jode, Mercatar, Jansson
und Blaeu. Ihr« kosmographischen Studien sind prachtvolle Kunst-
Alle Spiel- und FandkarLen.
Zwei Ausstellungen.
Air Berlin, im April.
W« erste sicher LeMMgie Erwähnung der Spielkarten in
Deutschland stammt, wie ich dem Konversationslexikon entnehme,
aus dem 14. Jahrhundert. Das Konversationslexikon ist ein unge-
«ri« nützlicher Werk. Es unterrichtet uns Wer Gegenstände, von
denen, wir nichts zu wissen brauchen, und ermöglicht uns, so Zu
tun, als ob wir doch etwas Wer sie wüßten. Vomusgosetzt, daß
wir klug, genug sind, die Quelle unserer plötzlichen Kenntnisse zu
verschweigen. .
Ich bin es nicht, und räume daher außer dem verstohlenen
Gebrauch des öffentlichen Lexikons bereitwillig «in, daß ich als Dilet
tant die Ausstellung alter Spielkarten besucht habe,
die zur Zeit in der Berliner Kunstgewerbest^
thek gezeigt wird. Der Dilettant hat den Fachmännern gegenüber
eine, große Unbefangenheit voraus Verfügt man nur Wer sie allein,
so kann man natürlich nicht viele Aussagen machen. Immerhin
glaube ich mich zu der Feststellung berechtigt, daß dies« Spislkarten-
Kollektion, die mit Proben aus der Früh,zeit beginnt, herrliche Bei
spiele alter Kunstübung enthält. Um nicht als gar Zu »«historisch
zu gelten, trage ich hier nach, daß mein Konversationslexikon zu
der Ansicht neigt, die Kartenspiels seien bei uns wahrscheinlich von
den Sarazenen eingeführt worden. Eins Hypothese, auf die ich mich
fest verlasse, da die anders Behauptung des Lexikons, daß die ersten
Karten gemalt worden seien, durch die Ausstellung selber bestätigt
wird. In der Tat, ein österreichisches Kartenspiel aus dein Jahre
1510 ist auf Pergament handgemalt und muß ein kostbares Besitz
tum gewesen sein. Holz- und Kupferstiche beherrschen in der Folge
zeit den engen Kartenraum. Unter den Künstlern, die ihn mit
Kompositionen füllen, taucht auch ein Unbekannter auf, der einfach:
„Meister der Spielkarten* genannt wird und mit einer wunder
vollen Reihergrupps vertreten ist, die m Dürers Gräserstudien auf
'und ab stolzieren könnte. Meister der Spielkarten: niemand weiß,
roas dereinst von ihm übrig bleibt und worauf sich sein Nachruhm
gründen chag/Auch die Gräfin v. Zennison-Valofol hat gewiß
nicht geahnt, daß man noch nach weit über hundert' Jahren ihre
Kunstfertigkeit anerkennen wird, Sie hat uns einen von Cotta her-
ausgegebsnen Kartenalmanach hinterlassen, der mit Figuren im
Zeitgeschmack ausgestattet ist und die kahlen Kartenzeichen auf
sinnige Weise konkretisiert. So findet sich auf der Treffsechseckrte
ein Arrangement auZ sechs kleinen Nsgerlein. Dergleichen ist um
1800 üblich gewesen, und wie Schippe sich in «ins Mönchskutte
verwandelt, so Eckstein in ein Diwanklssen und Coeur ins Gesäß
eines seine Notdurft verrichtenden Kindes. Der Witz dieser Kom
positionen hat darin bestanden, die Figuren so anznocknrn, daß
die Zeichen ungezwungen den richtigen Platz auf der Kartensläche
sinnchmsn.
Kis in die bürgerliche Aera hinein — diese Beobachtung drängt
Mtter, deren Länder und Kontinente noch kaum an Geographie
erinnern, sondern eher an Wiedergaben einer nur geahnten bizarren
Welt. Aus ihren vier Ecken blasen die Winde, ihren Meeresfloren
entsteigen Walrosse, und an ihren Modern kämpfen Bogenschützen
mit Löwen. Es ist nicht recht scheuer an diesem durch viele Karten
vergegenwärtigten Zwischenakt, an dem himmlische und irdische
TopogWphts miteinander verschmelzen.
Die Entdeckung Amerikas und der anderen fremden
Landstriche hat den Eifer der Kartenkünstler beflügelt. Sie tragen
neue Konturen ins Gradnetz ein und gleichen unseren sozialistischen
Utopisten, dis das Bild der kommende» klassenlosen Gesellschaft
vorauskonstrüieren wollen, auch darin, daß sie Irrtümer begchen,
die dem rückwärts gewandten Blick als rührend erscheinen. Gin
. großer Südkontinent kann sich lange behaupten; Japan muß dicht
an Mexiko rücken; Kalifornien wird durch ein Paar Federstrichs
vom amerikanischen Festland getrennt und gilt noch ewig als
Insel. Irrtümer, die in einer Zeit gang und gäbe sind, in der
schon New Aork auf den Karten auftaucht. Aber was für ein
New Dort! Ein Märchsndorf aus der Kinderstube mit einer Wind-"
Mühle, einer Kirche, einer Stadthertzergs und lauter Puppenhäus-
chen, deren Dächer zinnoberrot angepinselt sind. Wenn einmal eine
Ausstellung moderner Landkarten Veranstalter werden sollte, wird
der dazugehörige Leldfoden für Sammler und Liebhaber dieses
Spielzeugörtchen sicher nur zu dem Zweck erwähnen, um die Fort
schritts unserer Zivilisation desto nachdrücklicher zu rühmen.
Wie «in bewußter Abschied von E»n Darstellungen der alten
Kartographen, die in einem anderen Raum als dem WsnM tzrr
Hause gewesen sind, mutet eine Karte aus dem Jahre 1779 an;
die „Charte von dem Quelle der Wünsche und den Ländern, welche
dessen Ströme durchstießen, zum Besten derer entworfen, welche
Wünsche zum Neuen Jahre bedürfen. Sie ist in dem Weü: „Der
Quell der Wünsche" enthalten, das die Breitkopfische Buchhand
lung in Leipzig heraurgegsbsn hat, und verzeichnet bis auf den
Kilometer genau die Lage aller jener Landschaften, Städte und
Weiler, nach denen dis Menschen sich sehnen. Da ist das große
Land der Ehre, in dem sich der Wald des Verdienstes und die
Orts Tittelkauf und Stolzsnhausen befinden; da ist das Land der
Ruhe, das dem Fremdenverkehr lockend- Ziele wie Gleichmuts
und Friedenthal bietet; da fehlt zuletzt nicht das glückliche Länd-
chsn, ein kleiner Binnenstaat, der Freudenfest, auch Wonnestadt
birgt. Ich Habs die Wunfchkarts nach der Lange und Breite durch,
messen, ohne auf eine Gegend gestoßen zu sein,in der ich mich dauernd
ansiedeln möchte, Sie ist allerdings 10 Iah« vor dem Ausöruch
der französischen Revolution erschiene», die neue Karten und
Wünsche erforderlich geumchr hat.
Es wird, auch so bald mit ihnen Wn Ende nehmen.