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Kostspieliger Weltfrieden.
Der gigantische Film: „Ende der Welt" von Abel
Gance mutet gar nicht französisch an. Ein monströses Werk, das
eher ein Nachfahre von „Metcopolis" zu sein scheint. Allerdings hat
dieser ältere Lang-Film seinerzeit in Paris gut gefallen, And über
haupt haben die Franzosen genau so ihren Kitsch wie wir den
unsrigen Nur die Vorliebe für unproportionierte Riesenmaße ist
drüben neu.
Durch Weltuntergang zum Weltfrieden: so
lautet, auf ihre kürzeste Fassung gebracht, die These des Films.
Oder anders.ausgedrückt: erst muß ein Komet die Erde bedrohen,
ehe der Friedenswille der Völker sich durchsetzen kann. Ich finde,
daß der Weltfriede durch dieses himmlische Eingreifen denn doch
zu teuer erkauft ist, und zöge irdische Methoden zu seiner Verwirk
lichung vor. Wären sie von Abel Gance berücksichtigt worden, so
. hätte er aber weder sein Prunkschauspiel herstellen noch einen so
gegenstandslosen Idealismus entfalten können. Träger dieses
Idealismus ist ein Astronom, der unter Berufung auf die nahende
Weltzerstörung gegen die Kriegsparteien kämpft und die Friedens-
Neue Iitme.
ILs* Berlin, im Mai.
Unterwelt.
Die Unterwelt blüht nicht nur in Chicago, sie ist auch in Berlin
in Mode gekommen. Bei uns haben die Ringvereine den Fremden
verkehr gewissermaßen in eigene Regie übernommen. Der Verein
„Jmmertreu" verunstaltet Feste, Zu denen er lithographierte Ein
ladungskarten verschickt, und läßt sich das Vergnügen, bei ihm zu
Gast zu sein, teuer bezahlen. Wozu erst einbrechen, wenn man be
quemer zu Geld kommen kann? Ich nehme an, daß die Snobs aus
dem Berliner Westen bei solchen Gelegenheiten ein ähnliches Gru
seln überläuft wie früher bei den Piscatorpremieren. Waren sie dort
mitten in der Scheinrevolution, so sind sie hier im „Milieu", das
noch dazu echt ist. Die Bürger werden heute von allen Mächten an
gezogen, die jenseits der bürgerlichen Grenze stehen. Nur weiß ich
nicht, ob die zunehmende Popularität der Ringvereinsfeste ein
Zeichen für die Verbürgerlichung der Verbrecherorganisationen
oder für das Schwinden des Eigentumsbegriffs ist.
Die Filmindustrie beutet neuerdings das Interesse des großen
Publikums an den Vorgängen in der Unterwelt aus. Ihnen ist vor
allem der jetzt uraufgeführte Fritz Lang-Film der Nero: „M"
gewidmet. Er ist das artistische Glanzstück eines außerordentlich be
fähigten Regisseurs. Von den „Nibelungen" über „Metropolis" zu
einem weltstädtischen Polizeifilm mit allen möglichen Schikanen
und Sensationen — ein langer Weg, dessen Richtungssinn durch
aus zu rechtfertigen ist. Denn das Hemd ist uns näher als der Rock,
und ein Massenmörder betrifft uns in dieser Zeit mehr als etwa
Hagen. Allerdings gibt Lang den Mythos nur preis, um auch das
aktuelle Geschehen zu mythologisieren.
„Eine Stadt sucht einen Mörder. Zwei ganz verschiedene Men
schengruppen, Kriminalpolizei und Unterweltorganisationen, fahn
den nach seiner Spur und finden ihn . . Der in diesen knappen
Sätzen des Programms zusammengefaßte Inhalt ist unter Beteili
gung Thea v. Harbous von einem Kollektiv hergestellt worden, das
sämtliche Wirkungschancen haarscharf ausklügelt und berücksich
tigt. Man liebt heute Tatsachenberichte: also sind dem Film lauter
Tatsachen zugrunde gelegt — polizeilicher Erkennungsdienst, Er
regung des Publikums, falsche Selbstbezichtigungen, Razzien usw.
— die in blendenden Reportagen verarbeitet werden. Man disku
tiert in der Öffentlichkeit leidenschaftlich gewisse Paragraphen und
Tendenzen: der Film pirscht sich an sie heran und beantwortet sie
klugerweise nicht. Was hat es auf sich mit der Standesehre von
Verbrechern? Soll ein Kindermörder, der wie Kürten sein Unwesen
treibt, hingerichtet oder nur eingesperrt werden? Das Kollektiv stellt
diese und andere Probleme gleichsam zur Schau. Und da man nicht
gerne ohne eine Belehrung entlassen wird, ermähnt es durch den
Film das Publikum, die auf der Straße gefährdeten Kinder zu
schützen und überhaupt für die Verhütung von Verbrechen M sorgen, j
Mit einem riesigen Aufwand und doch zugleich rationell wie
nur der erfahrenste Fachmann hat Lang diese Spiel- und Repor
tagehandlung in Szene gesetzt. Die Virtuosität seiner Arran
gements ist unter allen Umständen zu bewundern. Wie er das
angstvolle Warten der Mutter auf ihr Töchterchen steigert; wie er
das Grauen vergegenwärtigt, das den Mörder umgibt — ich
denke an die Szene, in der er seinem kleinen Opfer einen Ballon
kaust, an sein Pfeifen, an seine kurze Rast hinter der Laube eines
VorstadtcaseZ —; wie überhaupt das In einund erspiel von Poli
zei, Presse,. Str^ und Bettlerorgani ¬
sation bewältigt wird: das ist filmisch gekonnt, fein detailliert,
ohne in Kleinkrämerei auszuarten, und mit starker Hand Zu
sammengebaut. Das Bedürfnis, allen alles zu geben, hat freilich
doch Zu Breiten geführt. Manche an sich instruktiven Passagen er
müden, wie geschickt immer sie eingebaut sind, und im Streben
nach UeberdeutlichkeiL quellen auch verschiedene Abschnitte viel zu
kraß und stilfremd heraus. Man könnte streichen. Dem Tonfilm
bringt Lang nichts Neues; es sei denn, daß er sich weitgehend die
optische Freizügigkeit wahrt, gut auskalkulierte Uebergänge macht
und die Figuren mitunter von ihren Worten trennt. Aber im
ganzen überwiegen die Dialoge.
Die bereits erwähnte Tendenz zur Mythologisie-
rung erzielt schwelgerische Effekte, die nur leider nicht die sach
lich geforderten sind. Es scheint, als könne Lang von den Nibe
lungen nicht lassen; jedenfalls verfolgt ihn die grdße Oper mit
ihren Apotheosen bis in den kriminalistischen, Stoff hinein. Er
hätte seinen Vorwurf in einem Sinne zu Ende führen sollen, der
unserer sozialen Wirklichkeit entspricht. SLaMessen biegt er von
ihr ab und heroisiert das Verbrechertum. Um pompöser Massen-
auftritte willen muß dieses auf der Suche nach dem Kindsmörder
ein riesiges Bürohaus bei Nacht und Nebel durchwühlen und
dann Wer den Erwischten zu Gericht sitzen. Das sieht so großartig
aus, ist aber unwahr und tilgt den Nutzwert der vorangegangenen
Reportagen. Immer wieder diese Fassadenkultur, diese wilhel
minische Pracht. Wenn Lang es über sich brächte, die Bramarbas
gelüste zu unterdrücken, führen er und wir besser.
Der in ein exakt umrissenes Schauspielermilieu eingestellte Peter
Lorre ist ein unheimlicher Mörder. Formlose Sanftmut ver
wandelt sich in fürchterliche Besessenheit, erschlaffte und bestialische
Zuge wechseln miteinander. Schade, daß ein outrierter Gebrauch
von rollenden Augen gemacht wird und das Mimische im Schluß
akt zu stark unterstrichen ist.
Montmartre-Singspiel.
Rens Clair ist in Gefahr, ein Publikumsliebling zu wer-
Sem zweiter, in Berlin begeistert aufgenommener Großfilm:
„Die Million" zeigt gefällige Dinge, die niemand in Un-
v^setzen. Die Fabel: Ein junger Maler, der inmitten eines
Kunstlervolkchens aus Murgers Boheme hoch unter den Dächern
von Paris Haustz wird von einem Gläubigerchor gehetzt, entdeckt
' aber gerade im Augenblick der Verzweiflung, daß er in der Lotterie
eine Million gewonnen hat. Nur steckt das Los in einem Rock, der
von seiner Freundin verschenkt worden ist. Es beginnt ein komisches
Hindernisrennen aller Beteiligten mit Eifersuchtseinlagen, Kon
kurrenzkämpfen und polizeilichen Intermezzi nach dem herum
irrenden Glücksrock. Erst ganz am Schluß findet das Los zu seinem
Inhaber zurück.
Ich habe den Inhalt angedeutetz um auf das Entgleiten Clairs
in die H a rml o s i gke iL des Vaudeville aufmerksam zu machen.
Noch „8ous les toitg äe karis" enthielt wehmütige Satire und
Motive, die unverkennbar den Geist der Avantgarde verrieten. Hier
spürt man kaum etwas von Kritik, und sei sie auch mittelbar, von
Outsidertum und Fremdheit. Atelierluft, Gläubiger und Grisetten:
das alles zusammen ergibt eine etwas verschollene Umwelt, die
durch die Jagd nach der Million nur verfestigt wird. Rein stofflich
betrachtet geht uns der Budenzauber nichts an, und ob es sich
bei solchen Farcen um Künstler oder Prinzen handelt -- roman
tische Spielzeugfiguren sind beide.
Mit Spielzeug kann man sich immerhin unterhalten, zumal
wenn es anmutig ist. Rene Clair versteht sich auf Schick. Er baut
die Methoden aus, die er schon früher angewandt hat, und gibt
überhaupt eine Menge praktisch verwertbarer Anregungen. Ent
scheidend ist sein Verhältnis zur Sprache. Die Vorherrschaft der
Sprache wird gebrochen, und an ihre Stelle tritt eine breite
rhythmische Bewegung von Bild- und Tongruppen, deren Zug
seinerseits dem Wort den Platz anweist. So werden die Dialoge auf
ein Minimum eingeschränkt — ein Verfahren, das nicht nur den
Tonfilm erst zum Film macht und jeden Vergleich mit dem Theater
zurückdrängt, sondern auch die Jnternationalität wieder anöahnt,
die einst dem stummen Film zukam. In ihrem Interesse hat Clair
ferner mit außerordentlicher Virtuosität kurze Szenen einmontiert,
in denen zwei Sprecher, die sich der jeweiligen Landessprache be
dienen können, den Gang der Handlung fortlaufend erläutern. Aller
dings benutzt er zur Ausschaltung des Wortes Mittel, deren Ein
seitigkeit bedenklich ist. Um von der musikalischen Untermalung ab-
zusehen, reiht er Schlager aneinander und verfällt, wo er nur kann,
ins Operetten hafte. Wie es scheint, ist die Verniedlichung
auch formal gefordert. Aber ein Künstler wie Clair müßte imstande
sein, den Dialog auszutreiben, ohne dabei auf den Abweg kunst
gewerblicher Arabesken zu geraten.
Nur in einer einzigen wundervollen Szene erreicht er seinen Ur
sprung. Es ist die Szene in der großen Oper: eine vollendete
Satire auf entleertes Pathos. Während im Vorderplan eine zentner
schwere Sopranistin und ein Tenor, die sich beide am liebsten die
Augen auskratzen mochten, süße Arien ausschwitzen, Lauert hinten
im Kulissengebüsch der junge Maler mit seiner Freundin dem Rock
auf, der gerade im Besitz des Heldensängers ist. Papierblütenblätter
rieseln auf die Paare nieder, die Papprosen duften, und das Publi
kum schmilzt dahin. Selten ist der alte Opernstil scharmanter ironi
siert worden als durch die Konfrontation des tenoralen Edel-
glanzes: nicht mit der Nüchternheit des Millionenjägers, sondern
mit einem Kunststil, der die Welten des Sängers und des Malers
umspannt.