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Wohnungen zu repräsentieren, gehorchen nicht so sehr der Not als
der Mode und ersetzen den Mangel an Ornamenten durch den
Aplomb ihres Auftretens. Sie benehmen sich ungeziert, gewiß;
aber auf eine Art, die sämtlichen Menschen gleich verraten soll, wie
kunstreich sie eigentlich sind. Ihre Schlichtheit vollzieht sich unter
Schnaufen, ihre Glätte hat nur die Absicht, großartig zu wirken,
und ihr reduziertes Wesen wünscht als kostbar zu gelten. Da sind
simple Schlafzimmerschränke, die es fertig bringen, wie unein
nehmbare Festungen zu erscheinen; Betten aus gemasertem Holz,
in denen zu ruhen das Prestige der Schläfer zweifellos beträchtlich
erhöht; Schreibtische, die sonst nichts weiter besitzen als ihre Pro
portionen und doch schon jetzt auf die Vornehmheit ihres künftigen
Inhabers zu schließen erlauben. Kurzum, alle diese Möbelstücke,
seien sie nun anonymes Firmenprodukt oder modern-Persönlicher
Architektenentwurf, sind vom verzehrenden Ehrgeiz beseelt, der
geforderten Einfachheit zum Trotz den Schein der Wohlsituiertheit
zu wahren. Nur nicht die Armut sich anmerken lassen, ist ihre De
vise. Und so verschaffen sie sich eine blinkende Politur, machen eckige
Gebärden von besonderer Ausdruckskraft oder vollführen gehobene
Schwünge — lauter Mittel, die ihr soziales Ansehen zu mehren be
stimmt sind. Ein bedachtes Arrangement sucht gewöhnlich den er
sehnten Effekt noch zu steigern. Locker hingeschaukelte Stahlmöbel
gruppen erzeugen den Eindruck sorgloser Privateleganz, und viele
Eß- oder Schlafzimmergarnituren könnten in Filmateliers ver
wandt werden, um die Illusion von Eß- oder Schlafzimmern zu
erwecken. Sie sind innenarchitektonische Ereignisse, denen sich nichts
hinzufügen oder abnehmen läßt, und bereits so komplett, daß Men
schen in ihnen nur störten.
Unstreitig wohnt es sich in diesen Zimmereinrichtungen be
deutend angenehmer als in den ehemaligen Greuelkabinetten, von
denen sie sich durch ihre offen eingestandene Zweckmäßigkeit und
durch einen gewissen Schmiß unterscheiden, wie er Leuten eigen
Möek von heute.
Berlin, im Junr.
Beim Besuch der „S o w o" — das ist die vom Verlag Rudolf
Mosse verunstaltete Ausstellung: „So wohne alle Tage" am
Reichskanzlerplatz — bin ich einem gemeinsamen Zug vieler mo
derner bürgerlicher Zimmereinrichtungen auf die Spur gekommen.
Ich bemerke vorweg, daß die Ausstellung reizend aufgemacht ist.
Sie verspottet durchtrieben die Auswüchse der neuen Sachlichkeit,
die eigentlich Einschrumpfungen sind, indem sie eine Raumkompo
sition zeigt, deren Dürftigkeit schlechterdings nicht mehr unter
boten werden kann. Und außerdem führt sie zwei Zimmer aus der
Elternzeit vor, wahre Schreckensträume von Zimmern, die ver
sehentlich im Hellen Tag stehengeblieben sind. Ja, so ist es gewesen.
Neben der Bronzestatue des gepanzerten Ritters hat das gold-
geränderte Album gelegen, und aus dem Abzugsgraben zwischen
der Sofaherberge und der Renaiffancefassade des Büfettschlosses
sind Prunkvasen in den Stuckhimmel gewachsen. Wie man auf den
Freitreppen alter Paläste immer noch das Rauschen von Schleppen
zu vernehmen glaubt, so hört man inmitten dieses warmen Seelen-
labyrinths der Etageren, Lüster und Deckchen die Hausschuhe
schlürfen.
Die Zimmereinrichtungen, die ich meine — sie füllen bei wei
tem die meisten Ausstellungsräume — sind von jenen verschollenen
Vorkriegsinterieurs spürbar abgerückt. Man hat inzwischen gelernt,
auf abgenutzte Ornamente zu verzichten und überhaupt gradlinig
schlicht zu sein. Entscheidende Gründe dieser Selbstbeschränkung sind
die veränderten Produktionsmethoden und die materielle Not, die
zur Vereinfachung umständlicher Formen und zur Serienfabrika
tion zwingt; wozu der Ueberdruß an vergangener Ueppigkeit ge
kommen sein mag. Nicht zu verkennen, daß die Mehrzahl der Zim
mereinrichtungen dem Zeitbedürfnis eifrig zu antworten trachtet.
Weder stopft man heute soviel Mobiliar wie früher in den Raum,
noch macht man aus den Möbelstücken empfindsame Schauobjekte,
die am liebsten jede Zweckbestimmung verleugneten. Im Gegenteil,
die Nüchternheit steht hoch im Rang, und ein Kleiderschrank will
wirklich ein Kleiderschrank sein.
So wäre alles in Ordnung? Keineswegs. Denn diese neuzeit-
Uchen Zimmergegenstände, die dazu ausersehen sind, in bürgerlichen
BauausMmrg im Osten.
Berlin, im Junr.
In der Köpenicker Straße, die aus der Unendlichkeit
schnurgerade in die Unendlichkeit läuft, liegt an einer Stelle da
zwischen ein Häuserkomplex, der einen der trübseligsten Höfe um
schließt. Einen Hof, der aus einem Dickens-Roman stammen könnte,
so innig verbündet sich in ihm großstädtische Armut mit Alteriüm-
lichkeit. Es gibt Hinterhöfe, die durch ihre moderne Sachlichkeit
trostlos stimmen; dieser ist eine Ruine. Frühindustrielle Backstein
mauern begrenzen ihn, und aus einem seitlichen Reparaturschuppm
quellen verjährte Autos und Motorräder hervor, die einst bessere
Tage gesehen haben. Trüb schleicht er an ihnen vorbei, und es
ist, als zöge er sich immer ttefer in das Gewesene zurück. Kaum
kann der Himmel ihm folgen, aber zahllose kahle Fenster blicken
ihm nach und begleiten ihn bis zuletzt.
Das Gebäude, das seinen Abschluß bildet, enthielt im Erd
geschoß früher eine Knopffabrik. Wahrscheinlich sind alle Knöpfe,
die hier fabriziert wurden, längst abgerissen. Die verlassenen Raume,
die an Manufakturen aus der Zeit Zolas erinnern, kommen jetzt
einer proletarischen Bauausstellung zugute. Sie ist
von einer Gruppe jüngerer Ingenieure und Architekten verunstaltet
worden, die sich Zu einem „Kollektiv für sozialistisches Bauen"
Zusammengetan haben, und will das Gegenstück zur Ausstellung in
den Messehallen sein.
Propagandistisch wirksam Hergerichtetes Anschauungsmaterial
bedeckt die getünchten Wände. Es besteht aus Schriftsätzen,
Ziffern und Photos und verfolgt selbstverständlich nur die eine
Tendenz: für das herrschende Wohnungselend die gegenwärtige
Wirtschaftsordnung verantwortlich zu machen und hinzuweisen auf
die besseren Zustände in Rußland. Ein Verfahren, das viel zu
summarisch ist, um nicht auch zu schiefen Ergebnissen Zu führen,
aber doch einige sonst weniger beachtete Tatsachen voll belichtet.
So wird etwa der nationalsozialistische Vorschlag Zur Lösung der
Wohnungsfrage treffend gekennzeichnet und abgetan. Das Haupt
gewicht liegt begreiflicherweise auf der Illustration und Kritik der
proletarischen Wohnverhältnisse. Die gewaltige Zahl der in Unter
miete wohnenden Familien tritt wie ein Ankläger der Zahl leerer
Großwohnungen gegenüber; Bilder architektonischer ZrllemilieuZ
vereinigen sich unter dem Titel: ,Zeder einmal in Berlin!", der
in seiner üblichen Bedeutung lockendere Ziele verheißt; Prostitution
und Verbrechen erscheinen in sinnfälligen Verkörperungen und
denunzieren die internationale Wohnungsnot als ihren Erzeugen
Verzweifelte Arbeitslose und Exmittierte greifen mitunter
Zur Selbsthilfe, deren groteske Improvisationen ebenfalls festge
halten werden. „Vor den Toren Berlins", so heißt eine Photo
montage, die alles andere eher als idyllische Weekend-Häuschen
umfaßt. Sie vergegenwärtigt HMenwohnungen an Schuttablade
plätzen; ramponierte Autos, die als Lauben dienen; Unterkunft^
räume aus Eierklstem Lauter Tatbestandsaufnahmen, die eine nicht
unwichtige Ergänzung der großen Bau-Ausstellung sind.
Den Zustandsschilderungen folgt eine materialistische Betrach
tung des Städtebaus. An Hand von Beispielen aus der
Antike, dem Mittelalter und der absolutistischen Aera wird Zu
zeigen versucht, daß der Aufbau der historischen Städte durch die
jeweiligen Produktionsverhältnisse und die mit ihnen im Einklang
befindlichen sozialen Schichtungen 'bedingt gewesen ist. Der Ueber-
gang zur künftigen Stadt ist von hier aus nicht schwer zu
finden. Die Prinzipien, nach denen die Gemeinschaft der Aus
steller bei ihrer Errichtung zu verfahren gedenkt, stimmen im großen
und ganzen mit den Richtlinien überein, die Ernst May kürzlich
in seinem Berliner Vortrag entwickelte. Ansehung eines syste
matisch zu erweiternden MinimalMolM für jede Familie,
warenmäßige Fabrikation der Wohnungstypen und Herstellung
einer günstigen Beziehung zwischen Produktionsstätte und Wohn
viertel: das ungefähr sind die Grundzüge des Programms.
Wer die offizielle Schau im Westen besucht, sollte diese östliche
nicht versäumen. Sie hat in einer Umwelt Wurzel geschlagen,
die selber wie ein Demonstrationsmodell anmutet. Und sie schärft,
gerade ihrer Einseitigkeit wegen, den Blick für gewisse Planungen
und Bestrebungen, deren unaufhaltsames Wachstum auch in man
chen Räumen der Messehallen deutlich zu spüren ist.
S. Kraeauer.