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Sendekalion.
I. Das Haus / S» Kraesuerr
Wer dem neuen Berlrner Rundfunkhau s Auge in
Auge gegenübersteht — es befindet sich an der NlasurenMee, dicht
beim Funkturm und den Ausstellungshallen wird beinahe ge
waltsam dazu genötigt, die erstaunlich raschen Erfolge des deutschen
Rundfunkwesens zu Überschlagen. Aus unscheinbaren privaten An
fängen hat es sich in Kürze zu einer allgemein sanktionierten Ein
richtung entwickelt, die nicht mehr aus der Öffentlichkeit wegzu-
denken ist; aus provisorischen Behausungen beginnt es in riesige
Bauten überzusiedeln, die repräsentieren möchten. So wichtig die
Frage nach den Gründen und dem Sinn dieses unerhörten
Triumphzuges wäre — ich habe nicht die Absicht, sie gerade bei der
Einweihung des Hauses von Poelzig zu stellen. Denn ihre Be
antwortung reichte weit über den gegebenen Anlaß hinaus und
führte mitten in die Erörterung unserer sozialen und geistigen. Ge-
samtsituation. Dergleichen hat seine Zeit Inzwischen lassen sich
vielleicht aus der Betrachtung des Hauses an der Masurenallee
einige Aufschlüsse gewinnen, die nicht nur das Architektonische be
treffen.
Der große symmetrische Komplex, der die Verwaltungsräume
der Reichs-Rundfunkgesellschaft, der Deutschen Welle und der Ber
liner Funk-Stunde umfaßt, ist außerordentlich zweckmäßig und
übersichtich gegliedert; wofür übrigens schon die Tatsache spricht,
daß sein Grundriß wie der jeder guten Raumlosung den Reiz eines
schönen Ornaments besitzt Er hat ungefähr die Gestalt eines Drei
ecks, dessen größte Seite die Haupifront bildet. Die beiden anderen
Seiten sind leicht geschwungen. Pon dem unmittelbar hinter der
Frontmitte gelegenen Lichthof strahlen die drei Sendesäle der Funk
Stunde mit ihren Probesälen und dem Senderaum der Deutschen
Welle fächerförmig nach den geschwungenen Rundbauten aus eins
Anordnung, durch die nicht nur der Schutz der Rämne gegen den
Straßenlärm, sondern auch ihre bequeme Zugänglichkeit von allen
Perwaltungsstellen erreicht wird. Die Außenteile der Dreiecksaulage
beherbergen unter anderem Vortragszimmer, den Sitzungssaal der
Reichs-Rundfunk-Gesellschaft, die Räume des Rundfunk-Kom
missariats und einen Saal für das zukünftige Rundfunkmuseum.
Ferner ist im Souterrain eine Schwemme für die Künstler und ober-
^Llb des MiLLelsaales ein Dachgarten vorgesehen, an den sich ein
Angestelltenkasino schließt. Die Fürsorglichkeit wird bis zu vier
Hotelzimmern voraetriebem in denen die auf der Durchreise
„1914."
Lr Berli«, im Fansar.
Die Spannung, mit der viele dem Film: „1914" entgegen»
sahen, ist, wie die heutige Premiere im Tauentzien-Palap bewies,
nickt gerechtfertigt gewesen. Ohne mich auf die politische Bedeu
tung dieses Erzeugnisses einzulassen, die an anderer Stelle unseres
Blattes behandelt worden ist, stelle ich nur fest: daß es weder
den Manuskriptverfassern noch dem Regisseur Richard Oswald
gelungen ist, mit filmischen Mitteln die Mächte zu bannen deren
Zugriff oder auch deren Ohnmacht zu den Kriegsentscheidungen
führten. „Die letzten Tage vor dem Weltbrand" heißt der Unter
titel des FilmS. In der Tat: er veranschaulicht lediglich das
Unwesen der historischen Figurinen, die in zwölfter Stunde zu
sichtbaren Exponenten des großen Krastespiels wurden. Waren
selbst alle ihre Gespräche, ihre Unterhandlungen und Telegramme
aktenmäßig beglaubigt - ein Teil der Szenenfolge ist es keines
wegs, sondern Stilisierung oder seelischer Schmuck —> so enthielte
der Film dock nicht die geschichtliche Wahrheit, da er viele schwer
wiegende Tatsachen mitzuteilen verabsäumt, aus denen sich dre
KabinettsbeWüsse und Ministerintrigen erst erklären. Er ist eine
Kombination nach der Art, wie man sie früher in den Schul»
lesebüchern fand. Und die Episoden, die er vergegenwärtigt, sind
nichts weiter als ein Gespensterreigen. Richtige Gespenster sind
schaurig; diese schablonierten nur leer.
Die ungenügenden Absichten haben eine mangelhafte künstle
rische Ausführung zur Folge. Nach ein Paar Meter Bethmann-Holl-
weg kommen zwanzig Meter Innenleben deS Zaren und Geschluchzt
der Zarin; und so fort. Eine rasend gewordene Drehbühne, deren
Bilderwirbel wie die Illustration zu einem Text anmutet, den sie
durch ihr zusammenhangloses Ungestüm noch einmal desavouiert.
Es fehlen die montagemäßigen Bindungen zwischen den Auftritten,
es fehlt die überragende optische Einheit, die dem ganzen Film eine
Gestalt verliehe. „Die letzten Tage vor dem Weltbrand" — sehr zu
seinem Nachteil ruft der Titel den eines Meisterwerkes von Pu-
dowkin inS Gedächtnis zurück. Aber das ästhetische Kuddelmuddel
ist nur die Rache für den Dilettantismus, der hier Geschichte zu
verfilmen unternimmt. . „ .
Da sich die Schauspieler in der Hauptsache darauf beschranken
»mflen, gehaltlosen Repräsentationspflichten nachzugehen, läßt sich
nichts über sie sagen. Aus ihrer Menge ragt der Zar Reinhold
Schünzels hervor, dem allerdings schwere psychische Kämpfe abver
langt werden.
befindlichen Rundfunkgäste nach Gefallen näGiger^nägen
^ch schweige von der Fernlüftung, dem Geschick, mit dem die
wH Korridoren umergebracht sind, und anderen
techngchen «chlkanen. Von allgemeinem Interesse ist imwer-
dre Emrichtung der drei Säle. Sie suck in jedem Geschoß
^..schackdamM Gängen umgeben und haben der besseren
- akr-nfchen^ Wirkung wegen eine schwach konische Form. Ueber
den großen Mittelsaal läßt sich einstweilen nichts weiter saaen
als Laß er unermeßliche Dimensionen hat. Sein Ausbau soll
erst erfolgen, wenn noch mehr akustische Erfahrungen vorlieaem
Wahrend der eine der beiden seitlichen Säle, in Putz gehalten ist
besteht der andere durch und durch aus Holz. Das heißt, es bedarf
nur der Drehung seiner verstellbaren Wandbekleidung, um Täfe
lungen aus weißlichem Celotex hervorzuzaubern, die irgend
welchen Schallzwecken dienen. Um alle drei Säle laufen Galerien
und Orgeln gehören zum guten Ton.
Die Ausstattung ist sparsam und streng. Dunkelbraune Keramik
streifen, die mit rabiater Systematik vom Erdboden senkrecht auf
steigen und einander in so Lichten Abständen folgen, Laß^an^sie
umblättern zu können glaubt wie die Seiten eines Buches/ be
stimmen Las Lurch Llauschwarze EiseMinker verdüsterte Gesicht
der 150 Meter langen Fassade. Zum Glück sind die Seitenwände
weniger fanatisch urw begnügen sich mit den Glanzeffekten Heller
Klinker. Im Innern wäre zu verzeichnen: der ebenfalls mit
Keramik bedachte Lichthof, in dem es nichts zu lachen gibt; der
geschäftliche Ernst der Farbtöne in den Fluren; das rein sach
liche Gehaben der Säle, denen auf der Stirn geschrieben steht,
daß sie technisch vollkommen ausgerüstet sind und alles, was
in ihnen schallen kann, darf und will, prompt weiterleiten. Von
Mr Wichtigkeit, Ke im ganzen Dreieck herrscht, heben sich eigent
lich nur die graziösen Beleuchtungskörper der nach den Höfen
zu gelegenen Treppenhäuser ab.
Kurzum ein Bauwerk, das eher drohend als heiter ist und ent
schieden mehr an das Verwaltungsgebäude eines Konzerns als an
eine Stätte geistiger und künstlerischer Leistungen erinnert. Ich
fürchte fast, daß eine Art vom Mißverhältnis zwischen seiner Büro
schwere und den Rundfunkprogrammen besteht und kann auch
nicht umhin, mir bei seinem Anblick das große Warenhaus am
Hermannplatz ins Gedächtnis zurückzurufen, das eine gewaltige
Festung ist, die mit heimlichen Kanonen gespickt zu sein scheint,
statt mit Verkäuferinnen und Waren. Wie lauten denn die Rund
funkprogramme? Sie reden gewiß von so bedeutenden Themen
wie dem gemeinnützigen Wohnungsbau, den Herztönen, dem Ski
sport, dem Arbeitslosenproblem und den Bahnbrechern der Heil
kunde, aber sie bringen auch ebensoviele rein unterhaltende Dar
bietungen: Lustige Abende, Kabarettveranstaltu^ Hörspiele
und Konzerte. Es wäre möglich, daß die Künstler nicht ohne Be
klemmung die Senderäume betreten/ und daß die Musen in der
Umarmung der Verwaltungskorridore ein wenig frösteln.
Fest steht jedenfalls, daß das Gebäude nicht durchaus die
Leistungen repräsentiert, um derentwillen es errichtet wurde.
Auf der anderen Seite erstrebt es unverkennbar eine repräsenta
tive WMung. Was aber stellt es nun eigentlich vor? Ich weiß
es nicht recht. Ich weiß nur das eine, daß es gleich manchen
anderen Gebäuden, die einen bestimmten Inhalt zu formen
hätten, ein Pathos an den T-ag legt, das sich mit diesem Inhalt
nicht deckt, ein gewissermaßen vecselbständigtes Pathos, Las auf
eigene Faust durch die Welt klirrt. Warum so allein und feierlich,
ist, man zu fmgsn versucht.
Im Galle des Rundfunkhauses, dessen großartige Disposition
die Meisterhand Poelzigs verrat, kann, wie ich meine, der Grund
für den Ueberschuß an Würde und gerunzelter Stirn nur darin
liegen, daß die Idee des Gebäudes nicht kräftig genug ist, um
eine ihr angemessene Gestalt Zu ermöglichen. Die Neutralität des
Rundfunks ist ein Kompromiß, der keiner höheren Einheit unter
steht, sofern sich Zwangsweise aus den Machtverhältnissen der
politischen Parteien ergibt. Und so ist seine Fülle oft notge
drungen ein Füllsel endloser Stunden, und seine Buntheit das
Widerspiet zusammmhangsloser Publikumsansprüche. Der Bau
künstler findet sich also der Aufgabe gegenüber, den Gehalt einckr
Institution räumlich darzustellen, die sich trotz ihrer anerkennens
werten Bemühungen um Qualität unter den augenblicklichen
Umstanden kaum einen positiven Gehalt erkämpfen kann. Es bleibt
ihm nichts anderes übrig, als sich von den unzureichenden Stützen
zu emanzipieren und das Fckrmengewand nach freiem Ermessen
ZU schaffen. Auch sonst lassen ja die Inhalte den Architekten häufig
im Stich; was allerdings keine Entschuldigung für die pomp
haften Fassaden ist, denen man gerade in Berlin immer wieder
begegnet .
Aber daff Poelzighaus offenbart nicht nur mittelbar die be ¬
gründete Verschwommenheit der Rund^unkidse, es gibt darüber
hinaus einen wesenllichen Zug des Madiobetrrebs preis. Nicht
aus Willkür ist es so rigoros und ähnelt dem Sitz einer in
dustriellen Zentmlbchörde. Durch sein ganzes Stilgebaren kenn»
zeichnet es höchst genau den Warencharakter der geistigen
Leistungen, die hier vonstatten gehen. Sie werden in den drei
Sälen wie ein beliebiges Fabrikat erzeugt, verpackt und auf draht
losem Weg den Konsumenten ins Haus geliefert. Eben diese ihre
DoppelbedeuLung als Schöpfung und Ware verleiht ihnen jene
Unhermlichkeit, die auch das hervorstechendste Merkmal des neuen
Hauses ist. Wider Willen vielleicht macht es die verborgene Eigen
schaft des Rundfunks sichtbar: ein Großunternehmen Zu sein, das
die Produktion der Forscher, Literaten und Künstler in gebrauchs
fertige Produkte verwandelt.