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Full text: H:Kracauer, Siegfried/01.10/Klebemappe 1931 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

K 5) , 
läßt andere, wie es dem Wesen eines-im Kollektivgedanken ver 
ankerten Filmwerkes gemäß sein mag, durch einen unsichtbaren 
Ansager erläutern. Die Aufgabe kommender Filme wird sein, das 
einstweilen ungeklärte Ineinander von Elementen verschiedenen 
Gehalts zu bereinigen. — Unter den Einzelleistungen ragt die des 
Tatarenjungen Khrla hervor, der den Uebergang von tierischer 
Roheit zum wackeren Helden des Kinderstaates meisterlich voll 
zieht. 
Berlin, im September. 
Der erste, in Berlin begeistert aufgenommene russische Tonfilm: 
„Der Wegins Leben", ein Werk von Nikolai Ekk, schil 
dert jene bereits historisch gewordene Epoche, in der dem Unwesen 
der Horden verwahrloster Kinder ein Ende gemacht wurde. 
Wichtig ist dieser große dokumentarische Bericht nicht nur deshalb, 
weil er wie alle Russenfilme zum Unterschied von den Lei uns üb 
lichen Reportagen bestimmte Ueberzeugungen vermitteln will, son 
dern einer -KskDnW wegen, die er bewußt in den Mittelpunkt rückt. 
Ich denke an die paar Szenen, in denen der Umschlag einer un 
brauchbaren Erziehungsmethode in eine brauchbare dargestellt wird. 
Die Kommission zur Bekämpfung der Verwahrlosten berät darüber, 
was mit den unglückseligen Kindern geschehen soll, und wir sind 
Zeugen ihrer ernsten Debatten. Sie endigen mit der Verwerfung 
sämtlicher Zwangsmittel, als da sind Gefängnisse und Fürsorge 
anstalten; das heißt, man erkennt, daß gegen die jugendliche Ver 
wilderung mit Gewalt nichts auszurichten ist. Diese Aussprache im 
Film festgehalten zu haben, ist ein entscheidendes Verdienst seines 
Verfassers; denn sie beweist, daß der Plan der Kinderkommune, 
den sie schließlich' zeitigt, der engen Fühlungnahme mit den ge 
gebenen Verhältnissen entspringt und nichts etwa irgendeiner senti 
mentalen Schwäche. Weder bestehen in anderen Ländern dieselben 
Schwierigkeiten wie in Rußland, noch auch wären sie vielleicht mit 
Hilfe des dort angewandten Verfahrens zu bewältigen. Darum 
kannte aber doch manche Behörde Lei uns von den Russen lernen, 
daß nur die dialektische Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit zu 
einem produktiven Verhalten ihr gegenüber führt und Zwangs 
erziehung das Heil nicht verbürgt. 
Der Film Zeigt in breiten Bilderfolgen, wie das so richtig ange 
setzte Experiment weiter verläuft. Die Arbeitslosigkeit, der Frühling, 
die Annäherungsversuchs ehemaliger verrotteter Kameraden: all 
diese Ereignisse, die eine Gefahr für die neue Kinderkommune be 
deuten, marschieren eines nach dem andern an und werden, wie es 
sich für ein vorwiegend didaktisches Werk gehört, siegreich über 
wunden. Den Triumph über sie erficht der von der Kindergemeinde 
herausgebildete Kollektivgeist, der die Abirrungen einzelner berich 
tigt und vom Gründer und Lehrer des Kollektivs nicht so sehr ge 
lenkt als jeweils durch einen sanften Druck entbunden wird. Der 
optimistische Glaube an die guten Kräfte der Kommune erinnert 
ein wenig an Rousseau, und daß er nicht ganz stichhaltig ist, wird 
mittelbar durch das stellenweise übertriebene Pathos verraten, das 
offensichtlich dem Glauben und seinen Wundern nachhelfen soll. 
Immerhin macht sich der Film die Sache nicht leicht und bemüht 
sich redlich um den Ausweis der Widerstände. » 
Seinem dokumentarischen Wert steht der künstlerische nach, 
wenn er auch den fast aller hierzulande heimischen Fabrikate über- 
trifft. Um ganz davon abzusehen, daß eine so unzulänglich begrün 
dete Episode wie die des Zerfalls einer Familie eingeschaltet wird 
und die viel zu pompöse Schlußapotheose ideologisch entgleitet: die 
szenischen Bilder halten sich an die bewährten Muster und gehen 
noch keine eigentlich neuen Verbindungen mit dem Ton ein. Be 
rücksichtigt man allerdings, daß die Russen den Tonfilm erst aus- 
zübauen beginnen, so ist dieser Film bereits als ein vorzügliches 
Lehrstück anzusprechen. Er beschränkt die Dialoge, mit Recht ihrer 
Tragkraft nicht trauend, untermalt manche Strecken musikalisch und 
Im Zusammenhang mit dem russischen Experiment produktiver 
Jugendfürsorge möchte ich eines deutschen gedenken, das viel 
unansehnlicher scheint und doch im Augenblick von kaum geringerer 
Bedeutung ist. Es weicht von der russischen Lösung genau so weit 
ab wie unsere Verhältnisse von den dortigen, stimmt aber in dop 
pelter Hinsicht mit ihr überein: einmal darin, daß es auf Grund 
einer echten Situationsanalhse unternommen worden ist, und zum 
andern darin, daß es den Kräften in der Jugend selber vertraut. 
Die vom Berliner Rechtsanwalt Dr. Kurt Beck vor über 
Zwei Jahren aeschasfene Iugendb eratungZstelle beruht 
auf der Einsicht, daß die Jugend der Nachkriegszeit sich den Be 
griffen der Erwachsenen gegenüber verschließt. Eine Tatsache, die 
Zweifellos zutrifft und ihre Teilgründe nicht nur in dem Verhalten 
der Erwachsenen, sondern auch in gesellschaftlichen Mißständen har. 
Die überaus reichhaltige Literatur, die sich mit den fragwürdigen 
Beziehungen zwischen den Generationen befaßt, tragt, nMenbei 
bemerkt, nicht selten zu ihrer weiteren Verwirrung noch dadurch 
bei, daß sie aus einem schlechten Vitalismus heraus die Jugend 
überwertet und das Alter am liebsten zum alten Eisen würfe. Aber 
gleichviel, wie man den Traditionsbruch beurteilt: er ist vorhanden 
und hat schlimme Folgen für viele Jugendliche selber. Die 
schlimmste ist wohl, daß ihr gewiß nicht immer unberechtigtes Miß 
trauen gegen die Erwachsenen sie dazu zwingt, den Existenzkampf 
auf eigene Faust zu führen. Sie sind mit ihrer Unerfahrenheit und 
ihren wirklichen oder eingebildeten Beschwerden allein. Wohin sie 
in dieser Gesellschaft gelangen, haben einige Gerichtsverhandlungen 
der jüngsten Vergangenheit gezeigt. 
Hier setzt nun die praktische Arbeit der Jugendberatungs 
stelle ein. Man kann sie als eine Selbsthilfeorganisation 
der Jugend für die Jugend bezeichnen, denn sie ent 
wächst der Erkenntnis, daß sich die Jugendlichen im allgemeinen 
einem Altersgenossen leichter eröffnen als einem Erwachsenen. In 
Uebereinstimmung mit diesem Grundgedanken, der Zum mindesten 
unter den gegenwärtigen Verhältnissen zutrifft, werden die Klien 
ten in der Beratungsstelle von einem jungen Mann oder einem 
jungen Mädchen empfangen, und können sich, wenn sie wollen, 
unter vier Augen über ihren Fall aussprechen. Die Möglichkeit, 
mit einem gleichaltrigen, freundlich gestimmten Kameraden zu 
reden, soll manchen schon über gewisse Nöte.hinweghelfen. Meistens 
sind allerdings Spezialfragen zu beantworten, Zu deren Erledigung 
der Berater die Jugendlichen an den ebenfalls in der Sprechstunde 
gewöhnlich anwesenden Juristen, an einen Arzt oder eine Aerztin 
verweist. - 
Unter den Besuchern überwiegen, wie nicht anders Zu erwarten 
ist, die jugendlichen Arbeiter, deren Ebancen. sich über äußere 
LlHVVM ML»». 
Kiffe für die Jugend. 
Ein russisches und ein deutsches Beispiel 
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rieb Nanns äie Rrksnntis ikres Oskalts srlsiektsrts« 
In einer köekst versek^ommensn Msiss untsrseksiäet 
äer Autor zviscken einer bersektigten objektiven 
^enäsnz, v^is sis ikm im „von Oarlos" oäer äurck 
Leinriek Rann ver^irklickt zu sein Zckeint, unä 
einer taäslns^srtsn subjektiven, deren Verkörperung 
„atts Mer^e emsr Vorgsöriek 
,§SLrQ^6?r^ oäsr ,-rstroKs^^ KsäarLAssr-r-tttUA 
Rarierkabsrsr seien. Ver Giebel, äen äiese vslinition 
verbreitet^ ist zum Olüek nickt äiekt genug, um äis 
xroblematiseke politiseke Laltung zu verbergen, äsr 
sie entstammt. Xurzum, äas Ruck bistst kaum mekr 
als unäurckärUngens Informationen. Ilebrigens ist es 
in buekteekniseksr vinsickt insokern ein Luriosum, 
als ss äank seines „^poskriptäruekes" an äen 
vurekscklag sinss 8ekr6ibma86kinsQMLnuskripts8 er 
innert. vaL kür meine Lopie verwandte Roklepapisr 
muü sekon reiekliek abgenutzt gemessn sein. 8. L°
	        
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