III.
Die „Tat" kehrt den kritisierten Zuständen den Rücken.
Belangt sie über die Kritik hinausK Vermag sie jene sub
stantielle Wirklichkeit zu bewähren, auf die ihre Grundbegriffe
abzielen?
Diese Fragen sind zu verneinen. Denn die Art und Weise,
in der die Mitarbeiter der „Tat" fortwährend Volk, Staat,
Mythos usw. im Munde führen, beweist bündig, daß es sich
hier weniger um erfahrene Gehalte als um ersehnte handelt.
Die Gehalte werden — das verrät der Gebrauch, der von ihnen
gemacht wird -- nicht vorausgesetzt, sondern gefordert; man
kommt nicht von ihnen her, man möchte zu ihnen hin. Mit
anderen Worten: die Wirklichkeit, die der „Tat" am Herzen
liegt, ist gar nicht vorhanden, es sei denn als Ziel. Nun hat
aber die Rede von Substanzen nur dann einen Sinn, wenn
sie als seiend enthüllt werden. Sie zu proklamieren wie irgend
einen durch die bloße Willensanstrengung zu realisierenden
Plan, heißt eine Forderung aufstellen, der von vornherein der
Stempel der Unerfüllbarkeit aufgedrückt ist. Ein Gehalt existiert
oder existiert nicht. Wer den Begriff von ihm verwendet, ohne
ihn selber zu haben, gewinnt ihn nicht durch den Begriff, zeigt
vielmehr etwas ganz anderes damit an. Dies: daß der Be
griff eine pure Reaktion ist. Alle positiv geladenen Begriffe
der „Tat" sind kaum mehr als Reaktionen auf das negativ ge-
wertete System, das von ihr unter dem Sammelnamen Libera
lismus zusammengefaßt wird. Sie sind recht eigentlich irreal,
das heißt, sie treffen nicht die Realität, die ja bereits existieren
müßte, um rechtmäßig angesprochen werden zu können. Und die
ganze Bedeutung dieser Begriffe erschöpft sich darin, Symptome
einer Gegenbewegung zu sein, die man zweifellos als roman
tisch bezeichnen darf.
Es zeugt von einer gewissen Besonnenheit, daß der Tat
Kreis sich nicht auf das Erscheinen eines Führers verläßt, son
dern für alle Fälle mit den Gestaltungskräften einer geistigen
Elite rechnet, an deren Vorhandensein er glaubt. Die Ver
mutung liegt nahe, daß er vor allem sich selber zu der von ihm
gewünschten Elite zählt, und er ist ja auch wirklich eine Auslese
deutscher Jugend. Immerhin steht er nicht davon ab, den even-^
tuellen Führer schon jetzt zu verherrlichen. „Die Sehnsucht nach
diesem Einzelnen", träumt Zehrer vom Erwarteten, „ist im
Volk seit über einem Jahrzehnt vorhanden. Wir wollen uns
doch nichts vormachen: wenn das erste scharfe, aber gerechte
Kommandowort eines wirklich persönlichen Willens in das
deutsche Volk hineinfahren würde, würde sich dieses Volk for
mieren und zusammenschließen. . . und es würde befreit auf
atmen, weil es den Weg wieder wissen würde." Es wird sicher
nichts von alledem tun, weil und solange sich guter politischer
Wille in der Sehnsucht nach dem Führer entlädt. Dessen Kommen
und Bleiben ist einzig und allein an die richtige und konstruk
tive Erkenntnis der Situation geknüpft, und er verschwindet
wieder, wenn er sich rein auf sein Führertum stützt, ohne die
Situation zu durchschauen (Clemenceau, Lloyd George usw.j.
Statt nun nach Möglichkeit die Bedingung zu realisieren, unter
denen ein Führer überhaupt auftreten kann, glorifiziert Zehrer
im voraus den Führer als solchen. Eine viel verbreiNe Ein-!
erlaubt, daß der Mythos national sein müsse. Auf diese Not
wendigkeit weist unzweideutig die Erklärung hin, daß es die
Aufgabe der Zukunft sei, „eine neue Volksgemeinschaft zu schaf
fen unter dem Mythos einer neuen Nation".
^olk, Staat, Mythos — diese geschlossen zusammenhängen«
den Begriffe meinen eine substantielle Wirklichkeit. Dadurch, daß
,,^at auf sib ausrichtet, ist sie auch zu einer substan
tiellen Kritik an den herrschenden Verhältnissen befähigt ja
sie wendet sich von dem Bestehenden überhaupt nur darum ab,
weil es m wesentlicher Hinsicht unerträglich ist. Der Einfluß
den sich der Tat-Kreis erworben hat, beruht - das scheint mir
EU Zweifel zu dulden - nicht zuletzt auf dieser seiner Zeit
kritik Wie es bei der hier gekennzeichneten Haltung nicht anders
sein kann, trifft sie vor allem die Substanzarmut, die sich unter
dem gegenwärtigen Regime breit macht. Ich lasse dahingestellt
ob man zu ihrem Ausweis gerade von dem Generalnenner der
genannten Begriffe ausgehen müsse oder nicht mindestens
ebenso gut daran täte, von anderen Begriffen, dem der Klasse
etwa, zu starten. Wichtig allein ist zunächst, daß die Tat"
mit Hilfe der von ihr verwandten Kategorien entscheidende Ge
brechen zu diagnostizieren vermag. Und zwar denke ich nicht nur
' an Fried, der höchst gewaltsam freilich die heutigen Zerrformen
kapitalistischen Wirtschaftens in seine Alfresco-Gemälde zwingt,!
sondern auch an Aeußerungen von kleineren Dimensionen, die in
den Kern der Zustände vorstoßen. Sie stellen zum Beispiel
entgegen der vulgären, allzu Optimistischen Meinung den Be
rufsgedanken richtig, entlarven die Mächte, die sich im Schutz
der föderalistischen Kulisse ausleben, und analysieren stimmig
die Situation einiger Parteien. Am tiefsten greift wohl der
immerwährende Protest der „Tat" gegen das ungebundene
Denken. Allerdings schadet sie ihrer eigenen Sache damit, daß
sie häufig entgleist und den Kampf unter falscher Flagge führt.
Wie leichtfertig konstruiert sie die Behauptung, daß es der
jüdischen Intelligenz an konstruktiver Begabung ermangele; wie
hämisch, nichts weiter als hämisch ist der folgende Satz: „Ein
stein, das Reklamegenie der Bescheidenheit, tapert unentwegt
durch diese Welt und kämpft mit der Waffe der Relativitäts
theoriefür Kriegsdienstverweigerung und Zionismus". Zu sol
chen Verfehlungen, die einer ernsten Zeitschrift unwürdig sind,
kommt die andauernde Verwechslung jenes Denkens mit der
„Liberalistischen Vernunft" oder gar der Vernunft schlechthin,
mit der es schon gar nichts gemein hat. Die „Tat"-Sprache,
für die Zehrer im voraus auf mildernde Umstände plädiert,
ist nicht hilflos, sondern ungenau, und nur undeutlich schim
mert durch den von ihr erzeugten Nebel das eigentliche An
griffsziel durch. Es ist die Ratio, die ihren Ursprung ver
leugnet und keine Grenze mehr kennt; zum Unterschied von der
Vernunft im allgemeinen und der „liberalistischen" im beson
deren, die ja schließlich am Humanitätsglauben ihre Stütze
hat. Diese entfesselte Ratio, die auch keineswegs ohne weiteres
als Intellekt angesprochen werden darf, ist so wenig Vernunft,
daß sie vielmehr, einem Naturdämon gleich, das Vernünftige
übermannt. Und gerade die Machtlosigkeit der Vernunft er
laubt ihr, heute so ungezügelt zu walten. Sie, die blinde Ratio,
gibt der Profitgier ihre Transaktionen ein; sie bedingt die Un-
verantwortlichkeit einer gewissen Journaille; sie trägt die Schuld
an der Ueberstürzung des Rationalisterungsprozesses und an
allen jenen Kalküls einer entarteten Wirtschaft, die sämtliche
Faktoren berücksichtigen, nur nicht den Menschen. Wie sie be
sinnungslos eine technische Apparatur geschaffen hat, vor der
wir wie der Zauberlehrling stehen, der die heraufbeschworenen
Elemente nicht bannen kann, so hat sie auch die Bindungen
Zersetzt, die den Zusammenhalt der bisherigen Gesellschaft ge
währleisten. Welche, furchtbaren Folgen der durch sie bewirkte
Zerfall zumal für^die Mittelschichten nach sich zieht, ist in
meinem Buch : „Die Angestellten" darzustellen versucht worden.
Er entsubstantialisiert diese Schichten, die nun nichts mehr
über sich haben als die verbindliche Neutralität des gehaltlosen
Denkens. In seine Stummheit flüchtet sich das schwer er
schütterte ökonomische und soziale System, dem wir zur Zeit
unterstehen.
stellung, die ersichtlich der Abneigung gegen den Parlamentaris
mus der liberalen Demokratie entspringt, aber mcht das ge
ringste bewirkt. Im Gegenteil! Dadurch, daß man ßch m
Hymnen auf den Führer ausgibt, ehe er noch da ist unterlaßt
man es gerade, ihm den Weg zu bereiten, und fallt allenfalls
Abenteurern zur Beute. Die Erwartung des Führers zieht ihn
nicht herbei, sie verhindert sein Nahen. Es zu erleichtern ver
möchte höchstens die stete Frage nach dem, was notwendig zu
geschehen hätte. Und Anwartschaft daraus, als Bild ms Be
wußtsein des Volkes zw treten, hat nicht der erwartete, Andern
erst der erschienene Führer. Das mit einer Gloriole umwobene
Bild Lenins ist Ende und nicht Beginn der Führerlaufbahn, ist
die Folge eines auf Erkenntnis gegründeten Verhaltens.
Auch der Begriff vom Mythos, in dessen Zeichen sich das
neue Staatsvolk bilden soll, ist ein unkräftiger Gegenbegriss.
Der Auflehnung wider den denaturierten Liberalismus ein
förmigen, möchte er an die Stelle der Vernunft, die angeblich
versagt hat, eine wirksamere Macht setzen. Aber der Mythos
läßt sich nicht setzen. Er ist, Bachosen zufolge, „nichts anderes
als die Darstellung der Volkserlebnisse im Lichte des religiösen
Glaubens". Oder wie Carl Albrecht Bernoulli in den Er
läuterungen zu seiner Bachosen-Ausgabe bemerkt: „Mythos
hat Geltung oder nicht Geltung, je nachdem er sich in uns wirk
sam erweist oder nicht. Jedenfalls ,ist' er oder er ,ist nicht gemäß
unserer Gefühlswelt..." Dem widerspricht nur scheinbar die
Rede Mussolinis vor dem Marsch nach Rom, in der er dem
Fascismus das Verdienst zufchreibt, den Mythos der Nation
geschaffen zu haben; wenn auch Carl Schmitt, der diese
Stelle der Rede in seinem Buch: „Die geistesgeWchtliche
Lage des heutigen Parlamentarismus" nicht ohne Sympathie
zitiert, die mit ihr verbundenen Ereignisse „ein Beispiel sür
die irrationale Kraft des nationalen Mythus" nennt. Es wäre
erst noch zu prüfen, bis zu welchem Grade der sogenannte
fascistische Mythos nicht einfach der ideologische Ueberbau be
stimmter materieller und sozialer Verhältnisse ist und ob er
! überhaupt aus eigener irrationaler Kraft bestehen könnte.
Zehrer verrät einmal unfreiwilligerweise selber, wie schwach
das Fundament ist, auf dem das Mythos-Programm des Tat
Kreises ruht. Er sagt vom Kommunismus: „Allerdings darf
man seine Position auch nicht unterschätzen; er besitzt einen
Mythos, der... unabhängig von dem ist, was er an Theorie
enthält und lediglich zur Sammlung der Massen und zur
Machtergreifung dient: das vermeintliche Vorbild Rußlands."
Um ganz von der Frivolität abzusehen, mit der vom Anbeter
des Irrationalen die Beziehung zwischen Theorie und späterer
Praxis, zwischen Parole und Erfüllung vergleichgültigt wird,
so ist hier zu fragen, welchem Umstand der Kommunismus
seinen Mythos verdankt. Antwort: eben der von Zehrer ver
achteten Theorie. Nur kraft ihrer theoretischen Einsichten ist
es den russischen Kommunisten gelungen, aus Rußland das
zu machen, was der Tat-Kreis, nicht aber der Kommunismus
-WA-W-MWhWMÄ MM Mch, wie Carl
Schmitt in feinem erwähnten Buch im Einklang mit Sorel
erklärt, die nationalen Energien den Sieg der russischen Re
volution bedingt haben, so sind doch nicht sie angesprochen
worden, sondern gemeint war und ist der Sozialismus.
Woraus hervorgeht, daß sogar heute noch vielleicht ein Mythos