Zwei Krauen im Aikm.
Berlin, im September.
Greta Garbo.
Da geht man ins Kino, um die Garbo zu sehen, und steht
sie auch — aber in welcher Umgebung! Inmitten eines Unrats
von Peinlichkeiten und erlogenen Gefühlen muß sie erscheinen.
Wenn eine Jndustriefirma Maschinen erzeugt, so ist es in Ord
nung; wenn sie jedoch ihren Kundenkreis zu Tränen rühren will
und sich in dieser Absicht bedeutender Stoffe bemächtigt, so kommen
in der Regel schlimme Dinge heraus; mag auch das Publikum
tatsächlich schluchzen. Der Film: „Mata Hart" übertrifft noch
die Befürchtungen derer, die schon im Gedanken daran, daß man
in Hollywood ein solches Thema bearbeiten könne, von ungünsti
gen ° Vorahnungen geplagt worden sind. Kein Effekt, den uns
Metro-Goldwyn-Mayer diesmal schuldig geblieben wäre; keine
melodramatische Szene, die sich nicht zu Erpressungszwecken un
erträglich lang hinzöge. Der Delinquent am Anfang wird nicht
nur erschossen, sondern zeigt sich auch'noch nach der Hinrichtung
mit gekrümmten Gliedern. Und der Abschied des erblindeten russi
schen Offiziers von Mata Hart ist eine Seelenzuckertorte von
so gewaltigem Umfang, daß ' man sie niemals aufessen kann.
Liebe, Verrat aus Dämonie, Glanz, Jugend, Trauer: all diese
Daseinsformen und Gehalte werden wie irgendein neuentdecktes
Oelfeld vom Spekulantentum skrupellos ausgebeutet, und mit
ihrem puren Sensationswert macht es dann seine sensationellen
Geschäfte.
Man sieht die Garbo, kann sie aber nicht einmal hören. Zu
den Widerwärtigkeiten des Films kommt noch diese hinzu: daß
seinen Darstellern die deutsche Sprache in den Mund gezwängt
wird. Das aus dem Film: „Anna Chnstie". her bekannte dunkle
und rauhe Organ der Garbo mag anfechtbar sein. Doch es ist
ihre Stimme, die einzige, die wirklich zu ihren Gebärden gehört.
Hier verleibt man ihr eine fremde (an sich gar nicht schlecht
klingende) Stimme ein, deren Weichheit durch das Mienenspiel
stets Lügen gestraft wird. Noch fahrlässiger beinahe ist man mit
einem alten General umgesprungen, der seine fatale Rolle im
lyrischen Ton eines jugendlichen Liebhabers herunterdeklanueren
muß. Wann werden diese gedubbten Filme endlich von der Bild
fläche verschwinden? Wenn man nicht eine Version mit deutschen
Schauspielern vorzieht, ist nur das. eine Verfahren richtig: die
Originalsprache beizubehalten und die wichtigsten deutschen T^
in die Bildstreifen hineinzukopieren.
Immerhin sieht man die Garbo. Und sie hat soviel Natur,
die manchmal ganz Kunst wird, daß es ihr an einigen Stellen
gelingt, den elenden Kitsch zum Vergessen zu bringen, in dem
jede andre erstickte. Am Krankenbett des Geliebten und, dann
weiter dem Ende zu ist sie gleichsam allein und vollkommen wirklich.
Die ergreifenden Monologe ihres Gesichts sind in diesen Szenen
beredt genug, um hörbar zu werden, und sogar die erborgte Stimme
bleibt auf der Strecke zurück.
Elisabeth Bergner.
Unmittelbar nach der Garbo ist den Berlinern wieder einmal
Elisabeth Bergner zuteil geworden. Sie hat lange nicht mehr
gespielt. Der für sie hergestellte Film nennt sich übertrieben poe
tisch: „Der träumende Mund" und ist, wie immer, von
Paul Cz inner inszeniert. Zugrunde liegt ihm ein leichthin
ernst gemeintes Boulevavdstück Henry Bernsteins, das durch die
Verfilmung weder vertieft noch, was wünschenswerter 'gewesen
wäre, verflacht worden ist. Denn es ist wirklich nicht einzusehen,
warum die Frau des sympathischen Orchestermuflkers in den Tod
gehen muß. Weil sie plötzlich eine heiße Liebe zu dem berühmten
Violinvirtuosen gefaßt hat, in dem sie auch den Glanz der Welt
gesammelt findet, und nun nicht mehr weiß, zu welchem der beiden
Männer sie fortan gehören soll? Indessen, die gewaltsame Lösung
dieses etwas postumen Konflikts wirkt nur wie eine brüske
Ueberrumpelung und nicht als ein notwendiges Finale, das tra
gisch heißen dürste.
Es ist der Bergner nicht geglückt, die Konstruktion glaubhafter
zu machen. Sie soll die kleine Frau des netten Musikers sein und
zugleich das Weib, das den erfahrenen Virtuosen an sich zu fesseln
vermag. Statt aber dieses aus jener hervorgehen zu lassen, spielt
die Bergner durchweg ein Jungmädchen, das kapriziös auf seinem
etwas kindischen Wesen beharrt. Sie trägt ihre Unreife zur Schau,
sie behandelt die Sprache wie ein Spielzeug, das man mit sich
herumzerrt und manchmal zerbricht. Zugegeben, daß sie diesen
kaum der Pubertät entwachsenen Typus reizend und intelligent
verkörpert. Nur ist die Art, in der sie ihn darstellt, schon fast zur
Manier gediehen, und überdies traut man einem so bewußt ver
niedlichten Geschöpfchen nie und nimmer die Eroberung des ab
gebrühten Geigers zu. Die Anlage der Rolle ist so verfehlt, daß
auch die paar Akzentverschiebungen keinen entscheidenden Einfluß
erlangen. Gewiß, als Pflegerin ihres Mannes mischt die Bergner
wundervoll Ernst und Verzicht, und wenn sie am Hals des Ge-
NealWM Lösung.
Paris^ im September
Aus welchen Gründen man uns in DeutschlmL gerade die
besten französischen (und amerikanischen) Filme vorenthM ist
mir unbekannt. Tatsächlich hat man dem deutschen Publikum
weder: äs 1a luus" übermittelt, eines der reizendsten Kam-
mersplele, dre selb langem gedreht worden sind, noch den Film von
^ean Renoir: „ka ebisuL^. Gerade dieses Werk bei uns
emAuführen, wäre aber sehr nützlich. Denn es ist ein gutes Bet-
Realismus, den der Film im allgemeinen und
der deutsche Frlm im besonderen offenbar nicht aufzubringen wagt.
E?^bgmtellr Der Film verleugnet bei.uns, wie man weiß, die
Wrrklrchkert, wo er nur kann, und ergeht , sich lieber, in'den .aus-
schwerfendsjen Illusionen, als daß - er das Leben richtig. widerzu--
spiegeln versuchte. Und doch gäbe es keine entscheidendere Aufgabe
m Deutschland als die Schürfung des Blicks für die Realität.
Unter seiner Stumpfheit haben wir, nicht zuletzt in politischer Hin
sicht, viel und unnötig zu leiden gehabt.
Die Handlung des Films: „iH edisnns" entwickelt sich wie
folgt:.Ein älterer, mit einer Xanthippe verheirateter Bonhomme,
der in seinen Mußestunden der Malerei huldigt, knüpft eine Be
ziehung mit einer Grisette an, die einen Zuhältertyp zum Freund
.l>ll. Da sie diesem ganz ergeben ist, hilft sie ihm, die Bilder des
Malers heimlich in den Handel zu bringen. Der Coup gelingt,
und der Zuhälter macht sich bald ein Vermögen. Eines Tages
entdeckt der Bonhomme von Maler, daß er elend betrogen worden
ist, seine Arglosigkeit weicht der Verzweiflung, und er ermordet das
Mädchen, das ihn allein noch mit dem Leben verband. Durch eine
Reihe von Zufällen wird nun nicht er, sondern der Freund der
Tat bezichtigt und ins Gefängnis gesetzt. Die Frage ist: zieht man
im Film seine Unschuld ans Tageslicht, oder läßt man ihn für ein
Verbrechen büßen, das er —zufälligerweise — nicht begangen hat?
Ich bin davon überzeugt, daß die üblichen Manuskriptschreiber
die erste Lösung bevorzugt hätten. Und zwar hätten sie aus zwer
Motiven heraus den Zuhälter entlastet und dem Maler den Pro
zeß angedreht. Einmal darum, weil gemäß der bei uns herrschen
den Auffassung der Film das Leben, in dem sich ja manchmal
Justizirrtümer ereignen, nicht demonstrieren, sondern beschönigen
soll. Zum andern darum, weil der für den Mord verantwortlich
gemachte Maler gar noch zum (pseudo-) tragischen Helden an
geschwollen wäre, und ein Film mit einem tragischen Helden nach
der Meinung unserer Filmkonfektionäre mehr Laugt als ein Film,
der das reale Dasein schildert, in dem die tragischen Helden keines
wegs überwiegen. Kurzum, man hätte in hundert gegen eins Fäl-
. len auf Kosten der Lebensechtheit einer billig zu erlangenden
Wahrheit die Ehre gegeben und leichter Hand die sogenannten
höheren Bedürfnisse befriedigt.
Renoir läßt, der Romanvorlage folgend, den Widersinn schein
bar triumphieren. Der Maler schweigt während der Gerichtsver
handlung, er ist zu feig oder zu gelähmt, um sein Verbrechen ein-
zugestehen. Da kein Verdacht auf ihn fällt, wird der Freund des
Mädchens guillotiniert. Dergleichen pflegt zu geschehen. Es gibt
diese Hündinnen, diese, älteren Männer, die mit dem Leben nicht
fertig geworden sind, und diese schurkischen Kerle. Und die Stärke
des Films ist -eben die, daß er sich dem Anblick wirklicher Menschen
und ihrer Handlungen nicht entzieht, sondern ihm standhält; daß
er den Sieg der Ungerechtigkeit offen darstellt, statt ihn zu ver
tuschen. Verherrlicht er etwa die Ungerechtigkeit? Er tut nur nicht
so, als sei sie ohne weiteres aus der Welt zu schaffen, und ver
anschaulicht überdies, auf welch vertrackten, kaum sichtbaren Wegen
das Leben jene Ausgleiche bewerkstelligt, die unserem Gerechtig
keitsbedürfnis annähernd genügen. Dem Film klappt ein Epilog
nach, aus dem hervorgeht, daß der Maler zum Vagabunden herab
gesunken ist, der nicht einmal mehr weiß, daß er einst Maler ge
wesen war. Die Strafe hat ihn mittelbar ereilt, er vegetiert
kläglich dahin. Während in der Mehrzahl der Filme die Gerechtig
keit, entgegen jeder Erfahrung, offene Türen einrennen darf, ist
-sie hier wie in der Wirklichkeit selber nur hinter einer Wand zu
ahnen; das heißt, sie erzeugt sich dadurch, daß sich zwei Ungerech
tigkeiten aufheben.
Am Können fehlt es Lei uns durchaus nicht; wohl aber an
der realistischen Gesinnung, die aus diesem Film spricht. Zu ihr
sollten auch unsere Filme erziehen. Denn die Kraft, das unver
stellte Leben ins Auge zu fassen, ist eine Vorbedingung echten
politischen Handelns. L. Lraeauer.