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Full text: H:Kracauer, Siegfried/01.11/Klebemappe 1932 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

NaüomMemng und Wmerwett. 
Berlin, im Januar. 
Sie entläßt ihn gewissermaßen aus sich, und. das Ziel 
überhaupt. 
ist offenbar die Einheit alles Tönenden 
Zurück. 
Clairs 
ist. Wie kaum ein anderer Regisseur hat'heute Rene Clair die 
Kunstmittel des "Tonfilms in der G^ Er denkt in BWern 
und Tönen, er produziert Ideen, die nirgends sonst Bestand haben 
als eben auf der Leinwand. Der neue Film bedeutet durch die 
Art und Weise, in der er das gesprochene Wort verwendet, wieder 
einen großen Fortschritt. Es ist' keineswegs ausgeschaltet, wird 
aber so eingesetzt, daß man es versteht, auch ohne es zu verstehen. 
Der Wortsinn erklärt nämlich nicht die Situation, sondern um 
gekehrt: diese, die sich rein Vildmäßig erschließt, führt zu dem 
Wortsinn hin. Da so der tönende Film schon beinahe - die inter 
nationale Faßlichkeit des stummen erreicht, ist mit Rocht auf das^ 
Hineinkopieren der deutschen TeKZ verzichtet worden.^ Wie sich von 
selbst verstebt, tritt der Dialoa hinter der musikalischen Illustration 
der Leiden- 
von Robert Lieb 
Der Janmngs-Wm der Ufa: „Stürme 
s ch a f L" ist ein Unterwelfftück aus der Werkstatt 
In seinem neuen Film: „Es Lebe bis Freiheit!^ der 
vor kurzem im Mozartsaal uraufgeführt wurde, entwickelt Renä 
ClaLr die Handlung nicht aus dem Milieu oder aus bestimmten 
Situationen, son^rn umspielt satirisch das Thema der Ratio 
nalisierung. Ein PrMemstück also; aber eines, das sich ein 
wenig leichtfertig mit seinem Problem auseinandersetzt. Eine 
Glanzfabrik im Stil von Le Corbusier ist aufgebaut, in der die 
Arbeiter am laufenden Band Schallplatten fabrizieren, und der 
Witz besteht nun darin, daß das Dasein dieser Arbeiter fortwährend 
mit dem von Gefangenen verglichen wird. Die Persiflage der Me 
chanisierung wäre noch htnzunehmen, stellte nicht Rene Clair dem 
Leben im rationalisierten Betrieb die VagabondagZ als Ideal gegen 
über. Wahrhaftig, die beiden Helden, denen die Aufgabe zufällt, 
das laufende Band aä sksuräum zu führen, sind moderne Eichen- 
Lorffsche Taugenichtse, die auf der Landstraße wandern, im Gras 
lregen und sich unsterblich verlieben. Durch solche romantische Träu 
merei die Rationalisierung aus den Angeln heben zu wollen, heißt 
aber eine ernste Sache gar zu heiter betrachten. Renä Clair hätte, 
wie mir scheint, besser Lamn getan, die Finger von einem Problem 
Zu lassen, das keinen Spaß verträgt. Der einzige Milderungsgrund 
für sein gewagtes Unternehmen ist vielleicht der, daß er als Fran 
zose nicht zu ermessen vermag, wie Lief der mechanisierte Arbeits 
prozeß in unseren Alltag erngreift und wie unbefriedigend daher, 
um nicht Zu sagen verstimmend, dieses poetische Geplänkel auf uns 
wirken muß. Jedenfalls beweist der Film unzweideutig, daß Franko 
reich auch heute noch die Oase Europas ist. 
Immerhin, Rene Clair hat Geist, und an vereinzelten Stellen 
trifft seine uns wenig betreffende Satire ins Schwarze. Vor allem 
dort, wo er drastisch zeigt, daß unter den herrschenden Umständen 
durch die leiseste menschliche Regung der ganze sinnreich ausge 
klügelte Arbeitsvorgang ins Stocken gerät. Einer vergißt einen 
Augenblick, daß er nur eme Teilfuukrisn auszuführen hat: sogleich 
hört das lausende Band auf Zu laufen, eine allgemeine Balgerei 
entsteht, und die schöne mechanische Ordnung verwirrt sich unreck 
Kar» Reizend ist auch der Hohn, mit dem die unbesonnenen Lob 
redner der Rationalisierung bedacht werden. Rene Clair nimmt sie 
Leim Wort und schildert mit einem feinen Lächeln das Leben der. 
durch die vollkommene freigesetzten Arbeiter wie Zm 
ewiges Feriendasein in paradiesischen Farben. 
Überhaupt hält das Spielerische dem Problematischen nicht nur 
Ke Waage, sondern überstrahlt es Zum Glück. In der scharmanten 
Gloffierüng des Spießbürgertums, der Mittelmäßigkeit, der Kon 
ventionen und des QffiZiellm hat dieser Künstler-Regisseur seine 
Stack. Auch jetzt wieder ist er reich an blendenden Bildemfäüen 
solchen Inhalts. Die Gesellschaft beim Generaldirektor, die Feswer- 
sammlung, deren würdige Teilnehmer auf einmal ihre Würde ver 
lieren und die herabftrömenden Geldscheine gierig raffen alle 
diese Szenen sind mir einer wunderbaren Grazie gestaltet. Sie em- 
stofslicht die grobe Körperlichkeit und verwandelt das Geschehen in 
eine Arabeske, die heiter, ironisch und schwerelos dahinschwingt. Es 
ist, als werde ein plumpes Rüffeltier mit einem Zauberstab unge 
rührt und Lanze dann leichtfüßig wie eine Fee. 
Eine Befreiung von der Materie, die nicht Zuletzt der Herr 
schaft über das Material und den technischen Apparat zu danken 
mann und Hans Müller. Die beiden Autoren haben einen Bank 
einbruch, einen Mord, einen Weibsteufel und eine Harrdvoll Ver 
brechermilieu Zu einer Handlung vereinigt, die unbestreitbar rou 
tiniert entwickelt wird. DLan möchte sagen, daß alle Regeln der 
höheren Filmkochkunst bei ihrer Komposition erfolgreich angewandt 
worden seien. Da fehlt keine Würze, und sogar aktuelle Anspie 
lungen auf Bankdrrektoren bleiben nicht aus. Dennoch enträt die 
Fabel der eigentlichen Spannkraft. Sie rechnet mit den altbekann 
ten Wirkungen mittlerer Unterhaltungsromane und setzt , sich über 
dies wieder einmal mit einem viel zu großen Applomb in Szene, 
um nicht am Ende dock) zu enttäuschen. 
Es ist das Verdienst des Regisseurs Robert Sind mak, daß 
trotz des konventionellen Handlungsschemas einige Abschnft e stark 
zu fesseln vermögen. Sisdumk ist zu einem sicheren Könner ge 
worden, der den Stoff durchknetet und vorzüglich montiert. Ge 
glückt ist ihm vor allem die Gestaltung des Verbrecher-Garten 
festes, in dessen Verlauf der Mord erfolgt. Das Tohuwabohu der 
Gäste, die Musik und die Zux Katastrophe drängenden Ereignisse 
greisen lückenlos ineinander, steigern sich und münden m Zwei 
parallelgeführLe AuftriLLs ein: das Feuerwerk und den Kampf der 
beiden Nebenbuhler. Während diese sich am Boden wälzen, zischen 
RaketengarLen zum Nachthimmel empor, die allmählich in zuckende 
LLchtornaments übergehen und zuletzt nicht mehr durch die Luft 
brausen, sondern als Reflexe auf dem Wasser tanzen, in das 
der eine der Gegner von dem andern gestürzt worden ist. 
Auch die Darsteller, auf deren effektvolles Ergreifen man sich 
viel zu sehr verlassen hat, werden im allgemeinen gut gefährd 
Jannings, der nach bewährter Weise Gutmütigkeit und Bru 
talität mischt, findet diesmal ein paar erfreuliche Zwischen^ 
so schattiert er die glänzende Szene in der Fürsorgeanstalt zart 
und verschmitzt. Anna SLen als Dirne muß einen Song 
L !a Marlene zum Besten geben, der ihr längst nicht so gut liegt 
wie die Gebärden der Angst, der Begierde und der Verlogenheit. 
Trude Hesterbergs älteres Tingeltangelmädchm ist restlos ge 
lungen. Franz Nicklisch machte aus dem FürsorgeZögling Willy 
eine bis zum Ende glaubhaft durchgehaltene Figur. 
8.
	        
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