VL- k^K ^ol
Jenen im Sepicmßer.
OLraALElx, im September.
LLsr äs Olsss.
An schömn Tagen fahren Hunderte mit der Zahnradbahn nach
MontenverZ, um das Rer äs Olaes zu betätscheln. Der breite
Metscherfluß gleicht an der Besichttgungsstelle in der Tat einem
alten ausgedienten Raubtier im Zoologischen Garten. Sie nähern
sich ihm mit Halbschuhen und GeLirgsstöcken, ohne es reizen zu
Wunen. Auf den Stöcken ist „Chamonix^ eingebrannt. Berufs
Photographen, die am Eingang des Gletschers zu Diensten stehen,
verwenden ihn als Hintergrund für Gruppenaufnahmen wie
irgendeine gemalte Folie im Atelier. Sein Rücken hat den matten
Glanz eines Parkettfußbodens, der durch die häufige Benutzung
stark abgescheuert ist. Dr ein Teppich fehlt, wird er fast stets nur
mit Führern betreten. Nettere Damen stoßen kleine Schreie aus
und Kinder legen hier den ersten glitschigen Grund für spätere
Erinnerungen. Nach ein paar Schritten macht das Publikum Halt,
Lallt sich inmitten der gezähmten Eiswelt zu einem Knäuel und
blickt zu den Höhen empor, in denen der Gletscher noch frei
strömen darf. Ein Wunder nur, daß es ihn nicht füttert. Sanft
mütig liegt er da, an jenen anderen erinnernd, den Lartarin für
ein künstliches GebWe aus Papiermache hielt.
Montblanc.
Unten im Hotelgarten blühen Dahlien und Begonien, oben-
starrt unentwegt das weiße Montölancrnassiv. Das ganze Tal
liegt ihm zu Füßen und weiß warum. Seine Schneegipfel sind
umworben wie kaum eine schöne Frau, die sich in blendenden
Toiletten zeigt. Jedes Wölkchen möchte man ihnen von der Stirn
wischen. Man blickt auf sie in allen Lebenslagen, ruck selbst wer
einmal nicht blicken wollte, könnte sich ihnen nicht entziehen, denn
sie scheinen in die Zimmer herein. Mit Hilfe von Schwebebahnen
erreicht man Höhepunkte, die auch solche des Daseins sind, da sie
eine noch bessere Aussicht gewähren. Die rotbraunen Wägelchen
der neuen b'unLeulairs auf den Planpraz sind übrigens nette
Dinger: sie brummen wie Schmeißfliegen aus ihrer schrägen Halle?
heraus und nehmen, je höher sie entschweben, immer wehr das
Aussehen von GlücksWerchen an, die Wer die Wälder kmbbeln.
Es gibt drei Arten, um aus den Montblanc selbst zu gelangen.
Besonders verdienstlich ist die seiner Besteigung. Sie wird von
Touristen mit ernsten Gesichtern ausgeführt, deren Eispickel
vor Pflichtbewußtsein heimlich strahlen; heimlich, weil sie zu neu
erschienen, wenn sie noch blank wären. Eispickel dürfen nicht
unmittelbar aus dem Geschäft kommen, wenn sie mit Anskrnd
gebraucht werken sollen. Geringere Mühe als die zweitägige per
sönliche Besteigung macht ersichtlich der Flug Wer den Montblanc,
der gewiß in noch nicht einer Stunde vonstatten geht. Eine
Kleinigkeit. Das Flugzeug fährt niedrig an- Zieht ein paar Spi
ralen, verschwindet für einen Augenblick und läßt bald danach
als Pünktchen die ganze Eismisere unter sich. Am beqmmsten
gelangt man aber unstreitig durch die Zahllosen Teleflope aus er
sehnte Ziel, die überall im Ort aufgestellt sM. Sie sind Geschütze,
die man nur ein wenig richten muß, um mit Lichtgeschwindigkeit
zum Gipfel geschossen zu werden. Eines von ihnen befindet sich
mitten unter den Dahlien und Begonien, und die Faulheit ist
ein doppelter Genuß, wenn in vielfacher Vergrößerung eine
Karmvane sichtbar wird, die auf dem Montblancmasflv Stufe um
Stuft HM.
Spezialt täten.
Welcher innere Zusammmhrng zwischen dem Montblanc und
dem Nougat obwaltet, ist nicht zu ergründen. Die äußere Ähn
lichkeit liegt auf der Hand: auch das Nougat ist fest und weiß,
urü) als stamme es aus den Urzeiten, so Zeichnen sich die ein
gepreßten Früchte auf ihm wie Versteinerungen ab. Daß ein
Mächtiger Trabanten um sich sammelt, die es ihm gleich zu tun
suchen, ist ja auch sonst die Regel. Jedenfalls wächst das Nougat
in Chamonix wild; dank einiger Geschäfte, die sich nahezu aus
schließlich seiner Fabrikation widmen. Meistens hat es die Form
von Stangen, die schroff und eckig wie die Felsennadeln im
Umkreis sind und nach dem Genuß nur Zögernd ihre Süße ent
hüllen; als seien auch sie von dem Ehrgeiz beseelt, sich ihrem
Bezwinger nicht ohne Umschweif zu schenken. In einem Schau
fenster prangt die stolze Masse in Gestalt einer riesigen Birne,
die an eine Mandoline gemahnt und bei AnLruch der Dunkelheit
erleuchtet wird; ein herrliches Nougatglühen klingt dann weit in
die Nacht hinaus. Das Klingen hört niemals auf, demr^üM-
über wird es von den Kuhglocken besorgt. ^Nns Fabrik am Ort
stellt sie her. Sie hängen an Latten und stehen in Reihen auf
den Regalen: ungeheure für Ueberschsen und winzige für die
KMchen Gin Glück, daß sie nicht alle gleichzeitig zu lauten
beginnen. Auch in die kleinste noch sind die Züge ihres künftigen
Trägers einMaviert.
Lass.
Das Gast hat wie jedes andere in Frankreich seine Tischchen
im Freien. Es liegt am Kopfende der hügeligen Hauptstraße, die
schwach der von Lourdes gleicht, nur daß sich keine religiösen
Mzare auf ihr zwischen die profanen mengen, Nach dem Abend
essen bummelt die große Welt über den glänzenden Viertels-
Loulevard und mustert die Kollektionen der Achatschalen, der
Stoffpuppen und der Spinnrädchen aus Elfenbein. Das Geschlecht
dieser Andenkenarttkel währt so ewig wie der Schnee auf dem
Montblanc mL dieselben Schweizerhäuschen, die lang vor dem
Krieg den Kindern als Souvenirs miLgeövacht wuMn, bilden
noch heute ihre Mniaturdörfer. Eine kurze Frist später sind mit
einem Male alle Tischchen besetzt, und Puccini nimmt seinen
Lauf. Auch vergessene Schlager werden neu erweckt; wie überhaupt
in Sommerfrischen die Beliebtheit von Operettenruinen der ver
fallener Burgen kaum nachstchü Unter den täglich wechselnden
Cafegästen erhält sich als fester Kern ein Stammpublikum, das so
regelmäßig wicderkchrt wie das Mufikrepertoin. Es taxiert jede
ungewohnte Erscheinung mit der Peinlichkeit einer Steuerbehörde
ein, die Hinterziehungen wittert. An der Affichenwand gegenüber
halten sich zahlreiche Einheimische auf, die von ihren Stehplätzen
aus kostenlos das Konzert mitgenießen. Um Zehn herum leeren
sich die Tischchen, der Boulevard verwandelt sich in eine gewöhn
liche Straße zurück und im Kasino fängt das Nachtleben an.
0 5SS.
Die Engländer sind in der Ueberzahl. Sie haben auf Bildern
und in Romanen so hübsche Frauen, nur sieht man sie leider
verhältnismäßig selten. Der Trupp weiblicher Boy-Scouts zum
Beispiel, der gerade in Chamonix und Umgebung seine touristischen
Manöver abhält, brauchte gar nicht so energisch aufzutreten, um
sich gegen eingebildete männliche Uebergrisfe zu wehren. Die
Mädchen sind alle in die gleiche blaue Uniform gekleidet, mit;
Signalpfeifchen atn Gurt und einer Fülle von Abzeichen auf den
kriegerischen Aermeln. Daß die Abzeichen das Dienstalter be
deuten, ist unwahrscheinlich, obwohl manche dieser Amazomngirls^
nicht mehr ganz jung sind. In geschlossenen Cadres durchziehen
sie zweireihig den Ort mrd erobern vermutlich in Ermangelung
anderer Objekte die Berge der Alliierten stürmender Hand. Auch
englische Reisegesellschaften in Zivil brechen herein. Ein fixes
Manager weidet sie. Er treibt sie zu den Mahlzeiten züsammeL
und peitscht das Programm der Sehenswürdigkeiten mit ihnen
durch, für dessen Fnnehaltung er verantwortlich ist. Den Morgen
nebel, den er ihnen nicht zerteilen kmn, durchdringen sie über
dies mit ihren OperngMrn, um die Gletscherwelt aus ihm
hervorzuklauben. Denn sie sind erst zufrieden, wenn sie sich davm
überzeugt haben, daß alle Dinge an ihrem Platz stehen: möglichst
an dem, den sie ihnen angewiesen haben. Das scheint in der Regek
der Fall zu sein, da sich kein Ausdruck so oft in englischen Nntem
Haltungen wiederholt wie das »0 Auf ein einziges Ja kowmetz
mindestens zehn dieser affirmativen Wogen, die immer wieder bis
Tonleiter hinauf- und hinabgespült werden. England beherrscht
auch in der Sprache die See.
P. L. M. ;
Eine wunderschöne Einrichtung sind die Autocars der Paris—
Lyom—MMterranee, die unter anderem die Nvuta 6es
Nizza nach Chamonix bestreichen. Täglich treffen sie aus Grenobl^
Annech und Mx-les-Bains ein, und täglich fahren mehrere auD
dem Ort heraus. Bei der Ankunft gleichen sie modernen trojanft
i scheu Pferden, die mit Bewaffneten bis zum Rand gefüllt fintz
Wenigstens fitzen die Insassen so gespannt auf ihren Plätzen, als
ob sie es kaum erwarten könnten, sich in voller Reiserüstung auf
die Ortschaft zu stürzen. Zwar der Augenschein trügt, und es gibt
auch Drückeberger bei Besichtigungen. In der Erinnerung taucht
eine Szene auf, die sich gelegentlich einer Fahrt im FremdenautH
nach Versailles abgespielt hat. Eine ältere Dame streikte damals
als es die Expedition durch das Schloß und die Gärten galt. Giß
blieb einsam in dem großen leeren Wagen zurück, während dis
anderen das KunstgMet überschwemmten. Es war ein heißer Tag,
und sie fächelte sich Lust. Als die Herde sich wieder erschöpft im
Wagen sammelte, thronte sie abgekühlt und unnahbar auf dem niß
verlassenen Sitz. Ein leiser Triumph leuchtete aus ihren Zügen,
und der Führer behandelte sie mit besonderer Achtung- Der An«
blick der P. L. M.-Autocars regt allerdings nicht gerade zu einem
solchen Defaitismus an, wie heroisch immer er sei. Im Gegenteil!
wenn sie prall davonrasieln, sehnt sich der Verweilende ihnen nach;
noch über Annech, Aix-les-BainZ nutz Grenobls hinaus.
RR0A.