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H:Kracauer, Siegfried/01.01/Klebemappe 1921 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

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Bibliographic data

fullscreen: H:Kracauer, Siegfried/01.01/Klebemappe 1921 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

Manuscript

Persistent identifier:
BF00043378
Title:
H:Kracauer, Siegfried/01.01/Klebemappe 1921 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]
Shelfmark:
H:Kracauer, Siegfried/01.01/Klebemappe 1921
Document type:
Manuscript
Collection:
Holdings and special collections
Year of publication:
1921
Copyright:
Deutsches Literaturarchiv Marbach

Full text

er nicht die Verhältnisse, in die er einzugreifen trachtet, unter 
schätzt ihre Eigenkraft und sucht tastend wie ein Blinder ver 
geblich nach einem Punkt, an dem er seinen Hebel ansetzsn 
kann. Indem sein utopischer Glaube ihn teilweise das schon 
als vorhanden annehmen läßt, was doch erst geschaffen werden 
soll, täuscht er ihn über nicht zu beseitigende Hindernisse hin 
weg, raubt ihm das Verständnis für die Beschaffenheit und 
innere Wucht der ihm feindlichen Mächte und macht ihn in 
stinktlos in bezug auf Menschen und Zustände. Seine edlen 
Absichten verkehren sich ihm unter der Hand in ihr Gegen 
teil und die Massen, die vielleicht einen Augenblick von ihm 
fortgerissen worden sind, verketzern ihn bald, niedergezogen von 
ihrem eigenen Schwergewicht. Er erscheint als Phantast und 
erleidet das Martyrium. 
Der reine Realist hinwiederum versinkt in der Wirk 
lichkeit, während er sie politisch zu gestalten meint. Zwar weiß 
er genau Bescheid um die Struktur der Gesellschaft, um die 
ganze Skala menschlicher Eigenschaften und Charaktere und 
um die verschiedenen das Gemeinwesen durchflutenden gei 
stigen Strömungen, aber es fehlen ihm dre Ideen, denen gemäß ! 
die politischen Verhältnisse umzuwandelu sind. Er besitzt tau 
send Fertigkeiten, .ohne sie recht eigentlich anwenden zu können: 
statt den sozialen Organismus nun wirklich aus einem niederen 
in ein höheren Zustand zu überführen, flickt und bastelt er bloß 
an ihm hemm und alles bleibt im großen und ganzen so, wie es 
vorher schon war. So nützliche Dienste er auch etwa als Ere- 
kutor in einem geordneten Staatswesen leisten mag, an führen 
der Stelle und in Zeiten der Krise muß er notwendigerweise 
versagen. Die Welt des Bestehenden hält ihn bei sich fest, er 
dreht sich letzten Endes immer im Kreise und wird zum Macher, 
' wo er Schöpfer sein sollte. 
Die Grundhaltung des echten politischen Führers hat 
weder mit der Haltung des reinen Idealisten noch mit der des 
-einen Realisten etwas gemein, ebensowenig läßt sie sich leicht 
hin als irgend ein Kompromiß zwischen diesen beiden typischen 
Einstellungen, ja nicht einmal als deren Synthese begreifen 
Am deutlichsten tritt sie zunächst vielleicht im Gleichnis zu 
Tage Wenn der große Führer die Gesellschaft umsormt und 
eine nese Ordnung einrichtet, so beschreitet er damit «inen 
Weg, der das Gemeinwesen einer idealen Verfassung näher 
bringt. Ganz an dem Endpunkt dieses Weges verweilt der 
Idealist, der, da er immer um die fernen höchsten Ziel« um- 
schwärmt, die lang« Strecke bis zu ihnen hin nicht zurücklegen 
kann. Der Realist ist an den Anfangspunkt des Weges ge 
bannt, auch er unfähig dazu, ihn zu durchwandern, weil er 
die Richtung nicht kennt, in der er voran dringen soll. Des 
FührM SeÄe dagegen umspannt Anfang WhHW Zugleich, 
fein eigentümlicher Bereich ist der Weg selber, er ist der Mei - > 
st er deSWegs. Wie bietet sich die Welt ihm dar, wie muß 
sie sich ihm darbieten, damit er zu diesem seinem Beruf tauglich 
wird? 
Nun, wenn er wirklich «in politischer Führer ist, so bleiben 
ihm Zwei Sphären immer verschlossen, wenigstens erlebt er sie 
nicht von dem Mittelpunkt seines Wesens aus. Niemals kristal 
lisiert er aus der Fülle der Geschehnisse das zeitlos« utopische 
Ideal an sich heraus, um, wie der eigentliche Idealist, in Sehn 
sucht nach ihm zu entbrennen und es zur alleinigen Richt 
schnur für sein Handeln zu machen. Niemals auch erscheint 
ihm, wie dem Realisten, die politisch-sozial« Wirklichkeit an 
sich als eine nach strengen Gesetzen zusammenhängend« und in 
sich ruhende Mannigfaltigkeit, die keine idealen Forderungen 
aus sich herausgehen läßt. Sein Grunderlebnis ist vielmehr 
eine ganz bestimmte historische Realität, die in einem ganz be 
stimmten Sinn« gestaltet zu werden verlangt. Gegebenes und 
Gefälltes treten für ihn nicht auseinander, um hinterher erst 
künstlich verbunden zu werden, sondern ste verschmelzen sich ihm 
Hon vornherein zu einer unzertrennlichen Einheit, die er als 
ven Drang einer lebendigen und konkreten Zeitwirklichkeit zu 
einem ebenso konkreten Zeitideal hin erlebt. Wie der Bildhauer 
in dem ungefügten Marmorblock bereits die Umrisse einer Ge 
stalt erschaut, die er gerade nur aus diesem einen Block heraus 
meißeln kann, so spürt der wahre Führer mit jeder Faser seines 
Wesens, welchen besonderen Zielen sein Volk unbewußt zu- 
strebt und welche Kräfte zur Stund« erweckt, bezw. gebändigt 
werden müssen, damit das dumpfe Streben Erfüllung findet. 
An einem absoluten Ideal ist ihm genau so wenig gelegen wie 
' an einem absoluten und unveränderlichen Sein; für ihn gibt 
es nur eine Wirklichkeit, die sich von einem individuellen Sein 
zu einem individuellen Sollen bewegt, und er lebt diesen Prozeß 
mit, er ahnt und meistert seine Richtung. Die Ideale, die er 
gewahr wird, schlummern vorgeformt schon in der durch ihn zu 
gestaltenden Welt, und die Welt, die ihm als vorhanden ent- 
gegentritt, hat schon einen eindeutigen Bezug aus die Ideale. 
Die politische Situation, in die er hineinwächst, ist ihm kein 
Zustand, der sich nach freiem Ermessen umwandeln läßt, oder 
dem man sich einfach unterwerfen muß, sondern sie ist ihm, den 
geheimnisvolle Fäden innig mit dem Gemeinschaftsgeist ver 
binden, der Hinweis auf ein bestimmtes Schicksal, als dessen, 
Vollstrecker «r sich fühlt. Wenn der Strom des Geschehens weiter! 
flutet, ändern sich auch die Schicksalsnotwendigkeiten und neu«^ 
Ziel« tauchen am Horizont auf; sie mit nachtwandlerischer 
Treffsicherheit erspähend, gräbt der Führer diesem Strom bald ! 
«in enges Bett, bald räumt er ihm all« Hindernsse beiseit«, erf 
lenkt ihn oder vertraut sich ihm an, wie der Augenblick es M 
ÄttKN Wahrend der JMinkflos« wähnt, es berge jede 
poliüfche Situation unzählige Möglichkeiten in stch, kommt für 
immermur eins einzige Möglichkeit inSetracht, eben 
dreiemge, deren Verwischung in den von ihm voraus- 
EÄ*" ^chickialsweg Aneintreibt. Weder d« utopische 
Realist vermögen seine Taten wi« über- 
W h a N c M ht d« V g e a c n h zs AK H M a e ltun u g nd v d E i/ z v u ic w k ü n rdi L ae t n -n ^en L -e f r te «in« 
- ^mernfchast nienmis unmittelbar erfahren hat, will schnm- 
auf s«m Ideal zueilen und glaubt darum, daß der 
zuruckwercht, wo er doch bloß einen Anlauf nimmt od^ 
A ein Kompromißler ist, wenn er zur Erreichung noch ins 
»Dmckel gehüllter Ziele unerläßliche Zugeständnisse macht 
.D M ie E se E r numg V ekeer h h ä rt l , t n i d f sere s h ic i hnanuisewmaagls t Übae h rn t denn ^ Bann L k Z reuis d A er 
., 
Sichrer.sich eigentlich bewogt und erschrickt darum über die un- 
oegreiflichen und gewaltigen Forderungen, die er stellt. Dem 
einen allzu sehr an der Wirklichkeit hastend, dem andern sich 
s« erhebend leitet der Führer sein Voll 
^deen, dre, wenn sie auch «in Erzeugnis seines Geistes sind 
so doch aus der Wirklichkeit selber hsrvorgeholt zu sein scheinen' 
sich aus 
der von ihm zu verrichtenden Aufgaben. Der 
! poliüfche Führer großen Stils gleicht darin dem Künstler daß 
formlosen Stoff innerlich erschaute Gestalt 
'EkA- Der Stoff aber, an dem er sich betätigt, ist nicht die 
oder irgend ein« Reihe von Vorstellungen, «r Se- 
steht vreunehr aus Gruppen, Vollern, wie aus Sozkalaebilden 
AI von entscheidender Bedeutung für das 
^erstandnis des Führers, daß man ihn als Bewältig« dieses 
Stosses auffaßt. Aus «in« solchen Auffassung 
er-was seine Beziehungen zu den Men- 
-chen anlangt. nicht wie ein« Privatperson mit Privatpersonen 
A Mnschen, auf die stch sein Ein- 
Mß erstreckt, in irgend welcher Hinsicht immer ein Objekt sind, 
da-, geprägt werden muy, daß er überall dort bewußt bandelt 
wo M ihm meist unbewußt folgen. Der praktische Erzieher' 
'7^ ?« ^^vbudung selbständiger Einzelpersonen obliegt, ent- 
umso besser, je schneller «r guten Gk- 
E „der Hand geben darf. Der politische 
. <pchr-Är mdeffen kann, folang« wir noch von der Berwirk- 
tüchung einer mopischen Gemeinschaft weit entfernt sind sö- 
lmM demnach PMck überhaupt notwendig ist, auf MioMatid« 
I Leitung nimmermehr verzichten, da « ja wesentlich zur For 
mung sozialer Ganzheiten, zur Gründung umfassender Ord 
nungen und nicht zur Erziehung Einzelner berufen ist. Der 
Stoff, in dem «r sich auswirkt, find laut« übermdividiMe Ge- 
! bild«, d. h. die Menschen treten ihm M Atome von Mchsen, als 
Glieder von Parteien und Nationen, als Verfechter mächtiger 
Tendenzen entgegen. Er bewegt stch also in einem Bereich, in 
dem «r es kaum je mit dem ausgeprägten Einzelmenschen als 
solchem zu tun hat, in einem Bereich, den eigentlich nur er kraft 
sein« besonderen Intuitionen bewußt beherrscht. Wenn er nun 
den diese politische und soziale Welt erfüllenden Stoff gestalten 
will, so muß « notwendigerweise auch nach den Mitteln grei 
fen, di« «ine solche Gestaltung allererst ermöglichen. Die Grup 
pen aber, in denen die durch ihn zu formenden geistigen Kräfte 
(srziale Ideen, politische Bestrebungen usw.) ihr« Verkörperung 
finden, entfalten sich gleichsam über die Köpfe der ihnen ange 
hörigen Menschen hinweg nach einer ihnen eigentümlichen Logik. 
Um sie zu lenken, sie entzweien und mit einander versöhnen zu 
können, kommt «s deshalb darauf an, sie so zu beeinflussen, wie 
«S dieser ihnen eingeborenen Logik entspricht; unmöglich ihre 
Bewegungen zu leiten, wenn man die Mensche« rein als für 
sich seiend« Individuen begreift und ausschließlich nach der». 
Grundsätzen zu verfahren trachtet, di« für die Beziehungen 
! Mischen den Einzelgliedem ein« Gemeinschaft maßgebend sind. 
ES ließ« stch am Ende zeigen, daß dem währen, die großen 
Schickfälsziel« verfolgenden Führer, allerdings auch nur ihm, 
mitunter erlaubt, oder besser: geboten ist, was im Verkehr vom 
Ich zum Du als verwerflich gilt. Die besondere Natur fein« 
Aufgabe und seines Stoffes kann ihn etwa zur Anwendung 
des technischen Kunstgriffes der Verstellung, zur Demagogie! 
und zu furchtbarer Härte zwingen, sie kann ihm Handlungen! 
aufnötigen, die niemand außer ihm überhaupt zu verantworten 
und zu ertragen vermag. Er handelt dann ab« nicht so als 
Privatmann gegen Einzelmenschen, sondern als Wegbereiter 
feines Volles gegen die Angehörigen von Gruppen und Vor 
kämpfer von Mächten, die das Beschreiten des Von ihm ringe- 
schlagenen Wegs zu verhindern suchen. 
Ahnt man die Tragödie des politischen Führers? Eben 
dies, daß ihm weniger denn sonst irgend einem Menschen ein 
Privatleben gegönnt ist, macht sei« Schicksal aus. Während 
jedem Anderen Bereiche offen stehen, in denen er reine Mensch 
lichkeit entfalten und ohne Neben- und Hintergedanken frei 
M Ausströmen lasse« darfst es für ihn gerade bezeichnend.
	        

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