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H:Kracauer, Siegfried/01.01/Klebemappe 1921 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

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Bibliographic data

fullscreen: H:Kracauer, Siegfried/01.01/Klebemappe 1921 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

Manuscript

Persistent identifier:
BF00043378
Title:
H:Kracauer, Siegfried/01.01/Klebemappe 1921 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]
Shelfmark:
H:Kracauer, Siegfried/01.01/Klebemappe 1921
Document type:
Manuscript
Collection:
Holdings and special collections
Year of publication:
1921
Copyright:
Deutsches Literaturarchiv Marbach

Full text

Ne alle KMuMr MMHMe. 
Als in der Frühe des 3. Juni 1914 mit dem Abbruch der alten 
Brücke begonnen wurde, konnte niemand ahnm, daß ihr Neubau 
dereinst ein wahres Schmerzenskind für Frankfurt werden sollte. 
Frerlich setzten die Schwierigkeiten nicht erst nach Beginn d-r Bau 
tätigkeit, sondern schon erheblich früher ein, hatte es doch langer 
Jahre erregter Kämvfe bedurft, ehe man sich über das ^ Aus 
führung bestimmte Projekt notdürftig einigte. Wer sich noch der 
Baugeschichte erinnert, weiß, daß die im Winter 1911 gefällte Ent 
scheidung deg Preisgerichts über die Wettbewerbsentwürfe zu"N 
Brücken-Ncuüau von Künstlern, Kunstzelehr^n und Publikum heftig 
Kugefochten wurde, daß daraufhin die Träger des ersten Preises, 
'die Architekten FranZ Heöerer und H. v. Hoden ihr Projekt 
einer- Umarbeitung unterzogen, und schließlich gemeinsam mtt 
dem inzwischen verstorbenen hochbegabten Architekten Leon- 
hardt, dem Träger des zweiten Preises, dessen Lösung allgenün 
vor der ihrigen den Vorzug gefunden hatte, auf veränderter Grund 
lage einen KompromißenLwmf schufen, den die Stadtverordneten- 
VersanmÄu'üg, nachdem noch einige Mängel abgeändert worden 
waren, im Dezember 1913 endgültig genehmigte. Die Kriegszeit 
brächte naturgemäß eine weitgehende Verzögerung der baulichen 
Arbeiten mit sich; hinzu kam die mehrfache Überschwemmung der 
Baugruben durch Hochwasser, die weitere Verschleppungen, heroor- 
rief. Bald nach dem Krieg mußte die Tätigkeit ganz eingestellt 
werden und so ist denn heute erst ein geringer Teil des großen 
Weckes vollendet Die Kaimauern sind hochgeführt, ein paar 
Brückenpfeiler ragen über den Wasserspiegel hervor — das ist 
alles Nur der Gedanke, daß hier trotz der Ungunst der Verhält 
nisse früher oder später eine Brücke ersteht, die sich im Einklang - 
mit dem historischen Stadtbild befindet, und kommenden Geschlech 
tern von dem künstlerischen Verantwortungsbewußtsein uns^r 
Zeit Zeugen wird, vermochte bisher immer über drn melancholisch 
stimmenden Anblick der Notbrücke, des Steingerölls, wie überhaupt 
des ganzen unfertigen,, chaotischen Zustandes in jenem einst so an 
heimelnden Mmnwmkol hinwegzuhelfen. 
Wie es scheint, soll uns auch dieser letzte geringe Trost noch 
Genommen werden» In verschwiegenen Amtsstuben des Tiefbau-, 
Muts hat man dem Vernehmen nach im Einverständnis mit der 
BrückenbwckommM Verschwörung angezettelt, die auf nichts 
Geringeres als auf die Ersetzung des ursprünglich geplanten 
Brücken - Neubaues in rotem Sandstein durch eine Brücke in 
Eisenkonstruktion abzielt. Soviel bereits durchgesickert ist, 
liegen mehrere Projekte vor, von denen eines eine reine Eisenbrücke 
Vorsicht, während ein anderes nur den mittleren Teil der 
Drücke in Eisenkonstruktion anmmmt. Zum großen Teil sind es 
sicherlich finanzielle Swlmerigleiten, die Veranlassung zur Ausar 
beitung dieser neuen Projekte gegeben haben. Die ursprünglich über 
Millionen vorveranschlagte Bausumme der Brücke, zu der 
MriZenZ-der Staat IMMO Mk- hetzusteuern^erjtzrschsn hatten 
soll sich unter den gegenwärtigen Verhältnissen etwa um das Fünf 
zehnfache erhöhen und zudem: die recht baufällig gewordene Not 
brücke, die schon heute ansehnliche Reparaturkosten verschlingt, kann 
nur noch einige Jahre hindurch erhalten werden. So denken wohl 
die Behörden am ehesten dadurch über den Berg Zu kommen, daß 
sie der Ausführung der Brücke einfach einen Entwurf zugrunde legen, 
der, wenn er auch nicht gerade allen ästhetischen Ansprüchen Genüge 
leistet, so doch Zum wenigsten den Vorzug verhältnismäßiger Bil 
ligkeit hat. 
Ohne sich dem Schwergewicht materieller Notwendigkeiten 
leichthin Zu verschließen, wird man doch dieses geplante 
Attentat auf das Frankfurter Stadtbild im vor 
aus recht kritisch beurteilen müssen. Zunächst befremdet es eini 
germaßen, daß das Liefbauamt, wenn es schon an die Vorberei 
tung einiger den jetzigen Zeitumständen besser angepaßter Pro 
jekte ging, es offenbar nicht für nötig befunden hat, von Anbe 
ginn an die Architekten hinzuzuziehen, die mit der Bearbeitung 
des ursprünglich genehmigten Entwurfs betraut gewesen waren. 
Da man bisher nur um das Vorhandensein dieser in den Schub 
fächern der Behörde ruhenden Projekte weiß, kann man zu ihrem 
Aussehen noch keine Stellung nehmen. Schon jetzt aber mu^ 
gesagt werden, daß die Behörden infolge der Art und Weise, in 
der sie seit Langem künstlerische Fragen behandeln, es sich selber 
zuzuschreiben haben, wenn heute die Öffentlichkeit, und Zumal 
die Künstler-schaft, gegen ihr eigenmächtiges Vorgehen und dessen 
etwaige Ergebnisse berechtigtes Mißtrauen hegt. Wie liegt denn 
der Fall in Wahrheit? Die Weiterführung des Brückenbaues 
nach dem unter so vielen Mühen Zustande gekommenen Projekt 
der Vorkriegszeit Läßt sich der hohen Kosten halber angeblich 
nicht mehr ermöglichen. Das Bauwerk nun, um das es sich hier 
handelt, ist dazu bestimmt, unserem Stadtbild auf Jahrhunderte 
hinaus seinen Stempel aufzudrücken, und erhebt sich, wie man 
weiß, an einer Stätte von historischer Bedeutung, an die sich für 
jeden Frankfurter Bürger, ja für jeden Deutschen ewig denk 
würdige Erinnerungen knüpfen. Hieße es da nicht viel eher den 
Schwierigkeiten ausweichen als versuchen, über sie Herr Zu 
werden, wenn man sich kurzer Hand dazu entschließen 
wollte, den Main dort, wo einst die alte Brücke stand, durch irgend 
welche Eisenkonstruktionen zu überspannen? Der Gedankf daß 
zwischen den ältesten Teilen Frankfurts und Sachsenhausens eine 
Eisenbrücke sich dehnen solle- macht schaudern, würde doch ein 
derartiger Zweckbau erbarmungslos den ganzen wundersamen 
Dust der Schönheit zerstören, den Natur und Leben der Ver 
gangenheit um jenen Ort gewoben haben. Stellt es sich jetzt als 
notwendMD seinerzeit genehmigte Projekt nmzustoßen, 
Gefetzt, daß einzig Persönlichkeiten der hier geschildertes 
Wesensbeschaffenhelt zur Führerschaft, d. h. zur Gestaltung 
der spezifisch politischen Wirklichkeit auserlesen sind, welch» 
Aufgaben fällen dann dem reinen Realisten und dem reine» 
Idealisten zu? Der Schwerpunkt Beid« liegt, wenn man i« 
diesem Zusammenhang die Berufung des utopischen Mensche» 
zur religiösen Tat außer acht läßt, ersichtlich in der Sphäre des 
Erkennens und nicht, wie ein verblendet« WidismuS 
glaubt, in der des politischen Handelns. Die scheinbar einleuch 
tende Theorie, der zufolge dem geistigen Vortrupp eines Lan 
des ohn« weiteres auch die Befähigung zur Leitung d« StaaE» 
geschäste eignet, ist ein Irrwahn, d« sich zumal in Zeiten des 
Umschwunges als verhängnisvoll erweist. Das hat vor allem 
Goethe tief empfunden, dem häufig genug Mangel an politi 
scher Aktivität zum Vorwurf gemacht worden ist. „Ich Hass» 
alle Pfuscherei wie die Sünde*, so äußert er leidenschaftlich 
erregt zu Eckermann, „besonders aber die Pfuscherei in Staats 
angelegenheiten, woraus für Tausende und Millionen nichts 
als Unheil hervorgeht* Faßt man ab« die beiden Type» 
des extremen Idealisten und Realisten ihrer wahren Bedeutung 
für das politische Leben nach als Erkennende auf, so ist ihre, 
wenn auch vielleicht nur der Idee nach mögliche Verschmelzung 
zugleich ihre höchste Aufgipfelung; d. h. sie vollenden sich, wenn 
sie in der Gestatt des Weisen zusammenklingen, des Weisen, 
der das Seinsollen nicht eher verkündet, als bis « di« Bezirks 
des bloß Seienden durchwandert hat. Seine Misston ist «S, die 
Gesetze der Wirklichkeit zu entschleiern und zugleich die Ideale 
aufzuweisen, denen die Menschheit zustreben muß. Wie er in 
Epochen der Verderbnis die Geister aufrüttelt und die Re 
volution vorbereicet, so wirkt er in anderen Epochen auf die 
einmal entflammten Geister dadurch mäßigend ein, daß er 
ihnen die Schranken zeigt, die ihrer Leidenschaft gezogen 
sind. Ihm als dem Denker liegt es ob, den Führer zu be 
raten, bszw. ihn durch die unsichtbaren Kanäle d« öffentlichen 
Meinung mittelbar zu beeinflussen; er erst «zeugt jenen nach 
Verwirklichung begierigen Gemeinschaftsgeist, der sich dem 
Führer entgegendrängt, um von ihm zur politischen Realität 
gestaltet zu werden. Derart ergänzen sich der Weis« und d«! 
Führer, und wenn nur ein jeder von beiden sich in den ihm 
zugewiesenen Bereichen hält, der eine die letzten Ziele er 
schauend und den Weg ersehnend, der anders den Weg be- 
schreitend und ihn meisternd, so ist damit der Sache Gottes t» 
dieser uMM WW jMM. 
daß fast sein ganzes gelebteS Dasein der Erreichung seiner 
Ziele dient und dienen muß. Sein Tun und Reden, seine 
Freundschaften und Feindschaften: alles wird schließlich Mit 
tel zum Zweck, nichts, bis zur geringsten Geste hinab, geschieht 
unbefangen und absichtslos. So verzehrt und verbrennt er 
sich selber — und nicht nur sich selber allein — in Erfüllung 
seiner Aufgabe und nutzt sich zuletzt ab wie nur irgend ein 
Werkzeug, das man fortwirft, weil es stumpf und untauglich 
geworden ist. Und wenn wenigstens das Werk zur Vollkom 
menheit geriete! Wer dieses Werk ist ein lebendiges Gebilde, 
das niemals ganz gemeistert werden kann. Die Schöpfung des 
Künstlers «HM sich ewig in der Form, die ihr Zeug« der 
spröden Materie aufgepreßt hat, die Schöpfung des Führers 
dagegen entwickelt sich nach ihren eigenen Gesehen zu Gestal 
tungen weit«, die oft genug den ursprünglichen Ideen des 
Führers Widerstreiten. Viel schon, wenn er den Fluß des Ge 
schehens hie und da eindämmt und für eine Wegstrecke weit 
seinen Lauf richtet; irgendwann und irgendwo ist er im üb 
rigen stets zur Rolle des Zuschauers verdammt und muß es 
am Ende nicht selten «leben, daß Kräfte sich seines Werks 
bemächtigen, die dessen eigentlichen Sinn verfälschen. Das von 
ihm Geschaffene bleibt imm« Bruchstück, und wie dieses nie 
vollendbare Fragment sich nun auswächst, ob zum Bösen, ob 
zum Guten, das hängt nicht mehr von ihm ab. Das Verhältnis 
des Führers zu den Menschen und zu seinem Werk «zeugt aber 
in seiner Seele eine Einsanckeit von grauenerregender Tief«. 
Da er seine eigentlichen Pläne und heimlichsten Wünsche nicht 
frei offenbaren darf, und da zur Verwirklichung dieser Pläne 
die Menschen gebraucht und verbraucht, statt mit ihnen zusam 
men zu leben, findet er zwar Anhänger, jedoch keine Gefährten, 
eine unsichtbare Scheidewand trennt ihn von denen selbst, die 
ihm am nächsten stehen. Niemand als er allein ermißt dir 
zwingende Notwendigkeit des großen Spiels, das er wagt, die 
andern, die ihm blindlings folgen, vertrauen bestenfalls seinem 
Stern, sie glauben, wo er zweifelt und zweifeln, wo er weiß 
In diesem ungeheueren leeren Raum um ihn her erlebt er seine 
Enttäuschungen — wer ab« ist reicher als er an Enttäuschun 
gen? — und hadert er mit seinem Volk, das sich von ihm ab- 
kehrt und sich gegen die höhere Einsicht feines Erweckers em 
pört. Sobald er vor die Menschen tritt, ist er ganz Oberfläck 
und keiner von ihm» ahnt auch nur den Jubel und das Schlucht > 
zen dessen, der hinter tausend Masken die Verantwortung für 
ihrer MrSchicksslMfstHnimO.».
	        

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