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H:Kracauer, Siegfried/01.05/Klebemappe 1926 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

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Bibliographic data

fullscreen: H:Kracauer, Siegfried/01.05/Klebemappe 1926 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

Manuscript

Persistent identifier:
BF00043382
Title:
H:Kracauer, Siegfried/01.05/Klebemappe 1926 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]
Shelfmark:
H:Kracauer, Siegfried/01.05/Klebemappe 1926
Document type:
Manuscript
Collection:
Holdings and special collections
Year of publication:
1926
Copyright:
Deutsches Literaturarchiv Marbach

Full text

Fabeln, sie dienen der Abfindung, und wer weiß, ob es nicht 
Berechnung gewesen, daß man ihm gerade Zeitschriften 
solchen Inhalts, noch dazu illustrierte, als Bildungsstosf reichte. 
Jedenfalls empfindet das Klavier stets Bitterkeit, wenn 
es an das Dasein von Flügeln denkt. Dabei ist sein Ehrgeiz 
nicht einmal so verwegen, daß es sich gleich in einen Konzert- § 
flüge; versetzte. Nein, es wollte nur ein Zimmerflügel sein, 
ein Flügel von mittelgroßer Statur, der nicht in der Ecke 
stünde, sondern allgemein geachtet inmitten des Raums. Die 
Einrichtungsgegenstände wären ihm gegenüber zur Höflichkeit 
ungehalten, und in seiner Nähe dürften nur Personen ver 
weilen, die seinem Gefühlsleben mit Achtung begegneten. An 
dem Verständnis dieses keinen Kreises wäre ihm sogar in viel 
höherem Maße als an lärmendem Beifall gelegen, denn den 
reichsten Lohn für seine Darbietungen findet der Künstler zu 
! letzt in sich selber. ? 
Hat das Klavier sich erst von der Wirklichkeit entfernt, 
so kennt es, wie nicht geleugnet werden soll, keine Grenzen 
mehr, sondern erwägt in seinem Innern, daß es auch ein 
Konzertflügel sein könnte, ja, behauptet mit volley Morden, 
daß es nur als Konzertflügel den Platz einnähme, der ihm 
v-on rechtswegen gebührte. Es sieht sich feierlich auf dem - 
Podium stehen, erhobenen Deckels, wie es dem Ernst der 
Stunde entspricht. Auserwählte aller Nationen sind beauftragt, 
seine Eingebungen der lauschenden Menge zu künden; nicht 
selten haben ste sich beschwerlichen Reisen unterzogen, um noch 
rechtzeitig zur Stelle zu sein. Das Klavier erinnert sich daran, 
daß, einer Ueberlieferung zufolge, ein Konzertflügel bei solcher^ 
Gelegenheit einmal wirklich geflogen sei, und malt sich die 
Beseligung aus, die jener Flügel damals empfunden haben 
müsse. Befände es sich selber in dieser Lage, es zöge in 
' weiten Spiralen über der Menge dahin, immer höher, zur 
Decke empor, durch die es am Endg. entschwebte. Kein Tönen 
mehr wäre geboten, durch das Kreisen im Saale allein erfüllte 
es sich... 
Die Folge derartiger seelischer Ausschweifungen sind ge 
wöhnlich lang andauernde Erschöpfungszustände, in denen das 
Klavier nicht das Geringste zu arbeiten vermag. Teilnahms- 
los erduldet es die Vorwürse der Leute, die es des Undanks 
Zeihen; es könnte ihnen entgegnen, daß ste an seiner Ver 
wahrlosung mitschuldig seien, aber Mangel an Selbstvertrauen 
verschlägt ihm die Töne. Dieser Mangel wird noch durch das 
merkwürdige Verhalten der Möbelstücke verstärkt. Sie überlassen 
es mehr und mehr seinem Schicksal, statt es wie früher zum 
Gegenstand ihres Spottes zu machen, der doch, so wohlfeil 
immer er war, eine Art von Gemeinsamkeit zwischen ihnen, 
i schuf — eine Wendung, die vermutlich auf höheren Orts er-f 
tMk BMWW MÄHpWM U AMD M DW -Mt 
Langeweile sich erklärt. Für jenen Umstand zeugte der ver 
bissene Eifer, mit dem sie neuerdings ihre täglichen Pflichten 
erledigen, für diesen das rege Interesse, das sie dem kürzlich 
eingetroffenen Radioapparat entgegenbringen. Aus ihren Ge 
sprächen ist zu erraten, daß sie sich zwar über die Unruhe 
ärgern, die das Drahtgestell stiftet, aber dafür nicht genug 
seinen Fleiß und seine Willigkeit zu rühmen wissen, durch die 
es von der schwarzen Holzkiste vorteilhaft absteche. Der Eß 
tisch fängt begierig die Nachrichten aus Uebersee aus, weil er 
die an ihm geführten Unterhaltungen genau verfolgen möchte, 
und der Stuhl dreht sich aus eigenem Antrieb so hoch er nur 
kann, um in steter Verbindung mit den Antennen zu bleiben. 
In seiner Verzweiflung Nagt das Klavier sich an, daß es 
vielleicht nur aus übertriebenem Zartsinn den an es gestellten 
Ansprüchen nicht genüge und überhaupt im ganzen zu einseitige 
nach innen gerichtet sei. Auf Grund dieser Ueberlegung ge 
langt es zu der Erkenntnis, es müsse sich in Zukunft etwas 
veräußerlichen und nach einer Berührung mit dem wirklichen 
Leben trachten. Sein Pflichtbewußtsein als Klavier läßt den 
Entschluß in ihm reifen, mehr als bisher Zerstreuungen auf- 
zusuchen, die ihm noch am ehesten eine solche Berührung ver 
mitteln dürften. Eine Abends rollt es aus dem Zimmer, nicht 
ohne sich vorher vergewissert zu haben, daß man seine Ab 
wesenheit nicht bemerkt. So sehr es auch die Straßen seit 
jenen Tagen verändert findet, in denen noch Wanderklaviere, 
mit farbigen Bändern geziert, ste fröhlich durchzogen, zu der 
oft gehörten pessimistischen Ansicht, daß ihr Wandel notwendig 
eine Verschlimmerung bedeute, kann es sich schlechterdings nicht 
bekennen. Im Gegenteil, es erbaut sich an dem Gedanken, daß 
der scheinbar planlose Autoverkehr sich in Wahrheit nach ganz 
bestimmten Regeln wie von selber vollzieht, und empfindet 
einen gewissen Stolz dabei, gleich den anderen Passanten ein 
Glied in der Kette zu sein. Ueber der Betrachtung dieser 
höheren Ordnung vergißt es seine eigenen Sorgen und 
klimpert leise so vor sich hin. 
Da sich, wie das Klavier wohl weiß, in manchen Ver 
gnügungsstätten heruntergekommene Kameraden aufzuhalten 
pflegen, die hier ein« nicht unbedenkliche Tätigkeit ausüben 
sollen, schreitet «Z nach einem begreiflichen Zögern zum Besuch 
eines Nachtlokals. Von der Bardame seines zugeklappten 
Deckels wegen mit freundlichem Nicken begrüßt, stellt es sich 
gewohnheitsmäßig in einer der Ecken auf, die jedoch in 
diesem Raum eine größere Wertschätzung zu genießen scheinen 
als die Ecken zuhause. Statt der erwarteten Kameraden trifft 
es freilich nur etliche ihm unbekannte Instrumente an, ameri 
kanische Gäste offenbar, di« durch auffallende Bewegungen 
sein Befremden erregen. Nicht daß es ihnen den Sinn für 
Rhythmus absprechen möchte — aber ihre Gefühle sind von 
tGWY durchaus MUMM, KAU !einM Sorjatz, da» 
Heben kennen W lernen, bemüht «s sich indessen, mit ihnen in 
f Verbindung zu treten und auch seinerseits sich zu eröffnen. 
Die Ausführung dieser Absicht wird unverhofft durch das 
Entgegenkommen einer jungen Tarne begünstigt, die schon seit 
geraumem ihr Bein an das seine schmiegt. Das Unterlassen 
eines Widerstandes ermutigt sie zuletzt dazu, auf eine höchst 
leichtfertige Weiss seinen Deckel hochzuheben und «s zärtlich zu 
betasten. Etwas anderes hat das Klavier garnicht bezweckt. 
Entzückt wendet es sich jenen ausländischen Instrumenten zu;. 
gewisse Themen, der Auseinandersetzung wert, schweben ihm 
vor. 
Schlimmes begibt sich: es versagt. Tonleitern und, 
Gemeinplätze nur, dieselben, mit deren Wiedergabe es sich da 
heim Jahre hindurch hatte begnügen müssen, dringen aus 
seinem allzulange der ÄeuHerung entwöhnten Innern hervor.«' 
Am Ende verwirrt es sich in Gestammel, weil es spürt, wie 
falsch gerade hier alles klingt. 
Enttäuscht, auf schlaffe Saiten gestoßen zu sein, zieht sich 
die junge Dame zurück. Peinlicher ist das Verhalten der Ueber- 
seekschen; sie sind über die Dreistigkeit des Klaviers chokiert 
Mb weigern sich, in ihrer Beschäftigung fortzufahren, ehe ihnen 
nicht Genugtuung wird. Die Bardame, verdrossen darüber, 
daß ihr abgewogenes Nicken vorhin auf falscher Voraus 
setzung beruhte, besiehlt die schleunige Entfernung des Kla 
viers. Sofort wird sein Deckel zugeschlagen. Es fliegt auf 
die Straße. 
Immer höher fliegt es empor, in weiten Spiralen kreist es 
Wer der Menge. Während es, verstörten Gemütes, durch die 
Lüste zu entschweben wähnt, transportieren mitleidige Spazier- 
gäikger, die au? einem zerkratzten Schild seine Privatadresse 
.erkundet haben, das verlassene irdische Gehäuse wieder nach 
Hm Zimmer, dessen Einrichtung nicht zu ihm paßt.
	        

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