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H:Kracauer, Siegfried/01.06/Klebemappe 1927 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

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Bibliographic data

fullscreen: H:Kracauer, Siegfried/01.06/Klebemappe 1927 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

Manuscript

Persistent identifier:
BF00043383
Title:
H:Kracauer, Siegfried/01.06/Klebemappe 1927 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]
Shelfmark:
H:Kracauer, Siegfried/01.06/Klebemappe 1927
Document type:
Manuscript
Collection:
Holdings and special collections
Year of publication:
1927
Copyright:
Deutsches Literaturarchiv Marbach

Full text

xost 
III. 
II. 
r-arstelle, von der man das Wenige behalten hat, das vielleicht 
auch vergessen wird, muß den Eltern geglaubt werden, die eZ 
von der Mutter selbst erfahren zu Haben behaupten. Zeugen 
aussagen sind ungewiß. Am Errde ist auf der Photographie 
gar nicht die Großmutter wiedergegeben, sondern ihre 
Freundin, der sie glich. Mitl-ebende existieren nicht mehr, und 
die Aehnlichkeit? Längst ist das Urbild vermodert. Mit den 
erinnerten Zügen aber hat bis nachgedunkelte Erscheinung so 
wenig gemein, daß die Enkel sich erstaunt dem Zwang' unter 
werfen, in der Photographie der fragmentarisch überlieferten 
Ahnfrau zu begegnen. Nun gut, also die Großmutter, doch in 
Wirklichkeit ist es ein beliebiges junges Mädchen 1864. Das 
Mädchen lächelt in einem fort, immer dasselbe Lächeln, das! 
Lächeln bleibt stehen, ohne noch -auf das Leben Zu weisen, 
aus dem es herausgenommen ist. Nichts hilft die Aehnlich- 
keit mehr. Puppen in Friseurgeschästen lächeln so starr und 
immerwährend. Die Puppe ist nicht von heute, sie konnte im 
Museum mit anderen ihresgleichen in einem Glaskasten stehen, 
der die Aufschrift: „Trachten 1864" trüge. Dort stehen die 
Puppen der historischen Kostüms wegen, und auch die Groß 
mutter auf der Photographie ist ein archäologisches Manne 
quin, das der Veranschaulichung des Zeitkostüms dient. So 
also ging man damals: mit Chignons, um die Taille eng 
geschnürt, in der Krinoline und dem Zuavenjäckchen. Vor den 
Augen der Enkel löst sich die Großmutter in modisch-alt 
modische Einzelheiten auf. Die Enkel lachen über die Tracht, 
die nach der Verflüchtigung ihres Trägers allein den Kampf 
platz behauptet — eine Außendekoration, die stch verselb 
ständigt hat —, sie sind pietätlos, und heute kleiden die jungen 
Mädchen sich anders. Sie lachen und Zugleich überläuft sie ein 
Gruseln. Denn durch die Ornamentik des Kostüms hindurch, 
aus dem die Großmutter verschwand ist, meinen sie einen 
Augenblick der verflossenen Zeit Zu erblicken, der Zeit, die 
ohne Wiederkehr abläuft. Zwar ist die Zeit nicht mit photo 
graphiert wie das Lächeln oder die Chignons, aber die Photo 
graphie selber, so dünkt ihnen, ist eine Darstellung der Zeit. 
Wenn nur die Photographie ihnen Dauer schenkte, erhielten 
sie sich also gar nicht über die bloße Zeit hinaus, vielmehr — 
die Zeit schüfe aus ihnen sich Bilder. 
Das Gedächtnis bezieht weder die totale Raum 
erscheinung noch den totalen Zeitlichen Verlauf eines Tatbe 
standes ein. Im Vergleich mit der Photographie sind seine 
' Aufzeichnungen Lückenhaft. Daß die Großmutter einmal in 
eine böse Geschichte verwickelt war, die man immer wieder 
erzählt, weil man nicht gern von ihr spricht, will vom Stand 
punkts des Photographen nicht viel heißen. Er kennt die ersten 
Fälschen auf ihrem Gesicht, er hat jedes Datum notiert. Das 
Gedächtnis achtet der Daten nicht, es überspringt die Jahre 
oder dehnt den zeitlichen Abstand. Die Auslese der von ihm 
vereinten Züge muß dem Photographen willkürlich dünken. 
Sie mag so und nicht anders getroffen werden, weil Anlagen 
und Zwecke die Verdrängung, Verfälschung und Hervorhebung 
gewisser Teile des Gegenstandes fordern; eine schlechte Un 
endlichkeit von Gründen bestimmt die zu filtrierenden Reste, 
Gleichviel, welcher Szenen sich ein Mensch erinnert: sie 
meinen etwas, das sich auf ihn bezieht, ohne daß er wissen 
müßte, was sie meinen. Im Hinblick auf das für ihn Gemeinte 
werden sie aufgehoben. Sie organisieren stch also nach einem 
Prinzip, das stch von dem der Photographie seinem Wesen 
nach unterscheidet. Die Photographie erfaßt das Gegebene als 
ein räumliches (oder zeitliches) Kontinuum, die Gedächtnis--, 
bilder bewahren es, insofern es etwas meint. Da das Ge 
meinte, in dem nur-räumlichen Zusammenhang so wenig auf- 
geht wie in dem nur-zeitlichen, stehen sie windschief zur Photo 
graphischen Wiedergabe. Erscheinen sie von dieser aus als' 
Fragment — als Fragment aber, weil die Photographie den 
Sinn nicht einbegreift, auf den sie bezogen stnd und auf den 
hingerichtet sie aufhören, Fragment zu sein —, so erscheint, 
die Photographie von ihnen aus als ein Gemenge, das sich 
zum Teil aus Abfällen zusammensetzt. 
Die Bedeutung der Gedächtnisbilder ist an ihren Wahr 
heitsgehalt geknüpft. Solange sie in das unkontrollierte Trieb 
leben eingebunden sind, wohnt ihnen eine dämonische Zwei 
deutigkeit innc; sie sind matt wie Milchglas, durch das kaum 
ein Lichtschimmer dringt. Ihre Transparenz erhöht sich in 
dem Maße, als Erkenntnisse die Vegetation der Seele lichten 
und den Naturzwang begrenzen. Wahrheit finden kann nur 
das freigesehte Bewußtsein, das die Dämonie der Triebe er 
mißt. Die Züge, deren es sich erinnert, stehen in einer Be 
ziehung zu dem als wahr Erkannten, das sich in ihnen kund 
geben oder von ihnen ausgesperrt werden mag. Das Bild, irr 
dem stch jene Züge finden, ist vor allen anderen Gedächtnis 
bildern ausgezeichnet; denn es bewahrt nicht wie sie eine 
Fülle undurchscheinender Erinnerungen, sondern Gehalte, die 
das als wahr Erkannte betreffen. Zu diesem Bilde, das mit 
gutem Recht das letzte heißen darf, müssen stch sämtliche Ge- 
düchtnisbilder reduzieren, da nur in ihm das Unvergeßliche 
dauert. Das letzte Bild eines Menschen ist seine eigentliche 
„Geschichte". Aus ihr fallen alle Merkmale und Be 
stimmungen aus, die sich nicht in einem bedeutenden Sinne zu 
der von dem .freigesetzten Bewußtsein gemeinten Wahrheit ver 
halten. Wie sie von einem Menschen dargestellt wird, hängt 
weder rein von seiner Naturbeschaffenheit noch von dem 
Scheinzusammenhang seiner Individualität ab; also gehen 
nur Bruchstücke dieser Bestände in seine Geschichte ein. Sie 
gleicht einem Monogramm, das den Namen zu einem 
Linienzug verdichtet, der als Ornament Bedeutung hat. Das 
Monogramm des Eckart ist die Treue. Große historische Er 
scheinungen leben in der Legende fort, die, wie naiv immer, 
ihre eigentliche Geschichte bergen möchte. In den echten Mär 
chen hat die Phantasie typische Monogramme ahnungsweise 
I. 
So steht die Filmdiva aus. Sie ist 24 Jahre alt, sie 
steht auf der Titelseite einer illustrierten Zeitung vor dem 
Excelsior-Hotel am Lido. Wir schreiben September. Wer 
durch die Lupe blickte, erkennte den Raster, die Millionen von 
Pünktchen, aus denen die Diva, die Wellen und das Hotel 
bestehen. Aber mit dem Bild ist nicht das Punktnetz gemeint, 
sondern die lebendige Diva am Lido. Zeit: Gegenwart. Der 
Begleittext nennt sie dämonisch; unsere dämonische Diva. 
Trotzdem entbehrt sie nicht eines gewissen Ausdrucks. Die 
Ponny-Frisur, die verführerische Pose des Kopfes und Die 
Zwölf Wimpern rechts und links -- alle von der Kamera gr 
Die Motsgraphie. 
Von Siegfried Kraeaner. 
In der Schlauraffenzeit da ging ich, und sah an einem 
kleinen Seidenfaden hing Rom und der Lateran, und ein 
fußloser Mann der überlief ein schnelles Pferd, und ein 
LiLterscharfeZ Schwert das durchhieb eine Brücke. 
(Grimms Kinder- und Hausmärchen.) 
„Aus der Frühzeit der Freundschaft Goethes und Karl 
Augusts". — „Karl August und die Erfurter Ccadjutor-. 
wähl 1787". — „Besuch eines Böhmen in Jena und Weimar" 
(1818). — „Erinnerungen eines Weimarischen Gymnasiasten" 
(1825 His 1830). — „Ein zeitgenössischer Bericht über die 
eine lückenlose Erscheinung. Jeder erkennt sie entzückt, denn 
jeder hat das Original schon auf der Leinwand gesehen. Sie 
ist so gut getroffen, daß sie mit niemandem verwechselt werden 
kann, wenn sie auch vielleicht nur der Zwölfte Teil eines 
Dutzends von Tillergirls ist. Träumerisch steht sie vor dem 
Excelsior-Hotel, das stch in ihrem Ruhme sonnt, ein Wesen 
aus Fleisch und Blut, unsere dämonische Diva, 24 Jahre, 
am Lido. Wir schreiben September. 
Sah so die Großmutter ausd. Die Photographie, über 
M Jahre alt und schon eins Photographie in modernem 
Sinn, zeigt sie als junges Mädchen von 24. Da Photographien 
Änlich sind, muß auch diese ähnlich gewesen sein. Sie ist in 
Atelier eines Hosphotographen mit Bedacht angefertigt 
worden. Aber fehlte die mündliche Tradition, aus dem Bild 
ließe sich _ die Großmutter nicht rekonstruieren. Die Enkel 
wissen, daß sie in späteren Jahren in einem engen Zimmerchen 
mit dem^BlE auf die Altstadt wohnte, daß sie den Kindern 
Zuliebe, Soldaten auf einer Glasplatte tanzen ließ, sie kennen 
eine böw Geschickte aus Hrem Leben und Zwei beglaubigte 
Aussprüche, die sich von Generation zu Generation ein wenig 
Verändern. Daß die Photographie jene gleiche Großmutter 
Weimarer Goethe-Feier des 7. November 1825". — „Eine 
wiedergefundene Wielandbüste Ludwig Klauers". — „Plan 
eines Goethe-Nationaldenkmals in Weimar". — Das Her 
barium dieser und anderer Untersuchungen sind die Jahr 
bücher der Goethe-Gesellschaft, deren Reihe grundfävlich 
nicht abzuschließen ist. Die Goethe-Phrlologie lächerlich Zu 
machen, die in ihnen ihre Präparate ablegt, wäre um so 
müßiger, als sie von selber das Zeitliche segnet, das sie auf- 
liest; während der Similiglanz der Zahlreichen Monumental 
werke über Goethes Gestalt, Wesen, Persönlichkeit usw. noch 
kaum durchschaut worden ist. Das Prinzip der Goethe-Philo 
logie ist das des hist oristi scheu Denkens, das ungefähr 
gleichzeitig mit der modernen photographischen Technik sich 
durchgesetzt hat. Seine Vertreter — Dilthey etwa — wähnen 
irgend eine Erscheinung rein aus ihrer Genesis erklären Zu 
können, glauben also jedenfalls die geschichtliche Wirklichkeit 
zu greifen, wenn sie die Reihe der Ereignisse in ihrer zeitlichen 
Aufeinanderfolge lückenlos wieder herstellen. Die Photogra 
phie bietet ein Raumkontinuum dar; der Historismus möchte 
das Zeitkontinuum erfüllen. Die vollständige Spiegelung des 
innerzeitlichen Verlaufs birgt nach ihm zugleich den Sinn 
der in der Zeit abgelaufsnen Gehalte. Fehlten in der Dar-- 
stellung Goethes die Zwischenglieder der Erfurter Coadjutor- 
wahl oder der Erinnerungen des Weimarer Gymnasiasten, so 
er .. m .- a - cn k g — elte — es ihr an Wirklichkeit. E De N m K H y js M tW O smmu M K^ A a M M 
UM öle Photographie der-Zeit. Seiner Zeitphotographie ent-! 
wrache ein Ricpenfilm, der die in ihr verbundenen Vorgänge 
allseitig abbildete.
	        

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