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H:Kracauer, Siegfried/01.06/Klebemappe 1927 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

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Bibliographic data

fullscreen: H:Kracauer, Siegfried/01.06/Klebemappe 1927 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

Manuscript

Persistent identifier:
BF00043383
Title:
H:Kracauer, Siegfried/01.06/Klebemappe 1927 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]
Shelfmark:
H:Kracauer, Siegfried/01.06/Klebemappe 1927
Document type:
Manuscript
Collection:
Holdings and special collections
Year of publication:
1927
Copyright:
Deutsches Literaturarchiv Marbach

Full text

in der das Bewußtsein des Menschen von der Natur noch ganz 
umgriffen wird. „Wie die Geschichte der einzelnen Wörter 
stets mit der sinnlich-natürlichen Bedeutung eröffnet und erst 
im weiter« Fortgang der Entwicklung zu abgezogenen, figür 
lichen Anwendungen fortschreitet, wie in der Religion, in der 
Entwicklung des einzelnen Individuums und der Menschheit 
überhaupt derselbe Fortschritt von dem Stoffe und der 
Materie zu Seelischem und Geistigem zu bemerken ist: also 
haben auch die Symbole, in welchen die früheste Menschheit 
ihre Anschauungen von der Natur der sie umgebenden Welt 
niederzulegen gewohnt war, eine rein physisch-materielle Grund 
bedeutung. Die Natur hat, wie die Sprache, so auch die Sym 
bolik auf ihren Schoß genommen." — Der Satz entstammt 
B ach o f e n s Abhandlung über den seilflechtenden Ocnos, in 
der nachgewiesen wird, daß das auf dem Bild dargestellte 
Spinnen und Weben ursprünglich die Tätigkeit der formenden 
Naturkraft bedeutet habe. In dem Maße, als das Bewußt 
sein seiner selbst inne wird und damit die anfängliche „Iden 
tität von Natur und Mensch" (Marx: „Deutsche Ideologie") 
hinschwindet, nimmt das Bild mehr und mehr eine abgezogene, 
immaterielle Bedeutung an. Aber ob sie auch, wie Bachofen 
sich auSdrückt, zur Bezeichnung von „Seelischem und 
Geistigem" fortschreit«: sie ist dem Bild so eingetan, daß sie 
von ihm nicht abzuheben wäre. Auf weite Strecken der Ge 
schichte hin bleiben die bildhaften Darstellungen Symbole. So 
lange der Mensch ihrer bedarf, befindet er sich in einer prak 
tischen Abhängigkeit von den Naturverhältnifsen, die das 
sichtbar-leibliche Meinen des Bewußtseins bedingt. Erst mit 
der zunehmenden Beherrschung der Natur verliert das Bild 
seine symbolische Kraft. Das sich aus der Natur aussondernde 
und ihr gegenübertretende Bewußtsein ist nicht mehr naiv in 
die mythologische Hülle verpuppt: es denkt in Begriffen, die 
freilich in durchaus mythologischer Absicht gebraucht werden 
mögen. Roch ist in gewissen Epochen das Bild nicht ohne 
Macht; die symbolische Darstellung wird zur Allegorie. 
„Diese bedeutet bloß einen allgemeinen Begriff oder eine 
Idee, die von ihr selbst verschieden ist, jene ist die versinnlichts, 
verkörperte Idee selbst", so definiert der alte Creuzer den 
Unterschied beider Bildarten. Auf der Stufe des Symbols ist 
das Gedachte im Bild enthalten; auf der Stufe der 
Allegorie bewahrt und benutzt der Gedanke das Bild, als 
zauderte das Bewußtsein, die Hülle abzuweefen. Der Schema 
tismus ist grob. Genug, wenn er den Wandel der 
Darstellungen veranschaulicht, der das Zeichen für den Aus 
zug des Bewußtseins Es seiner Naturbefangenheit ist. Je 
entschiedener sich doS Bewußtsein im Verlauf des GeschichtS- 
prozesseS von ihr befreit, desto reiner bietet sich ihm sein Natur- 
fmchament dar. Dem, das Gemeinte erschein ihm nicht mehr 
der photographischm Wochenration gar nicht bezweckt. Böte 
sie sich dem Gedächtnis als Stütze an, so müßte das Gedächt 
nis ihre Auswahl bestimmen. Doch die Flut der Photos fegt 
seine Dämme hinweg. So gewaltig ist der Ansturm der Bild 
kollektionen, daß er das vielleicht vorhandene Bewußtsein ent 
scheidender Züge zu vernichten droht. Kunstwerke werden 
durch ihre Reproduktion von diesem Schicksal getroffen. Für 
das vervielfältigte Original gilt der Satz: mitgefangen, mit 
gehangen; statt hinter den Reproduktionen zu erscheinen, neigt 
es dazu, in ihrer Mannigfaltigkeit zu verschwinden und als 
Kunstphotographie weiter zu leben. In den Illustrierten sieht 
das Publikum die Welt, an deren Wahrnehmung es die Illu 
strierten hindern. Das räumliche Kontinuum aus der Perspek 
tive der Kamera überzieht die Raumerscheinung des erkannten 
Gegenstands, die Ähnlichkeit mit ihm verwischt die Konturen 
seiner „Geschichte". Noch niemals hat eine Zeit so wenig über 
sich Bescheid gewußt. Die Einrichtung der Illustrierten ist in 
der Hand der herrschenden Gesellschaft eines der mächtigsten 
Streikmittel gegen die Erkenntnis. Der erfolgreichen Durch 
führung deS Streiks dient nicht zuletzt das bunte Arrangement 
der Bilder. Ihr Nebeneinander schließt systematisch den 
Zusammenhang aus, der dem Bewußtsein sich eröffnet. Die 
„Bildidee" vertreibt dis Idee, das Schneegestöber der Photo 
graphien verrät die Gleichgültigkeit gegen das mit den Sachen 
Gemeinte. So müßte es nicht sein; aber die amerikanischen 
Illustrierten jedenfalls, denen die der andem Länder viel 
fach nacheifern, setzen die Wett mit dem Inbegriff der 
Photographien gleich. Diese Gleichsetzung wird nicht grund 
los vollzogen. Denn die Welt selber hat sich ein »Photo- 
graphiergesicht" zugelegt; sie kann photographiert werden, weil 
sie in dem räumlichen Kontinuum aufzugehen strebt, das sich 
Momentaufnahmen ergibt. Von dem Bruchteil einer Sekunde, 
der zur Belichtung des Gegenstandes genügt, hängt es unter 
Umständen ab, ob ein Sportsmann so berühmt wird, daß ihn 
im Auftrag der Illustrierten die Photographen belichten. Auch 
die Figuren der schönen Mädchen und der jungen Herren sind 
von der Kamera zu erfassen. Daß sie die Welt frißt, ist ein 
Zeichen der Todesfurcht. Die Erinnerung an den Tod, 
der in jedem Gedächtnisbild mitgedacht ist, möchten die Photo 
graphien durch ihre Häufung verbannen. In den illustrierten 
Zeitungen ist die Welt zur photographierbaren Gegenwart ge 
worden und die photographierte Gegenwart ganz verewigt. 
Sie scheint dem Tod entrissen zu sei«; in Wirklichkeit ist sie 
ihm preisgegebsn. 
VII. MMN? 
Die Reihe der bildlichen Darstellungen, deren letzte ge 
schichtliche Stufe die Photographie ist, beginnt mit dem S tz m 
b o l, Es gW «f M ^mturtsSchfige Gemeinschaft" MSck, 
zeigen sich die Rheinhügel als Berge. Durch Lie technische 
Entwicklung sind sie inzwischen zu winzigen Hängen herab 
gesetzt worden, und der Größenwahn jener ergrauten Ansichten 
ist ein wenig lächerlich. 
Das Gespenst ist komisch und furchtbar zugleich. Nicht das 
Lachen nur antwortet der veralteten Photographie. Sie stellt 
das schlechthin Vergangene dar, aber der Abfall war einmal 
Gegenwart. Die Großmutter ist ein Mensch gewesen, und zu 
dem Menschen haben Chignons und Korsett, hat der hohe 
Renaissance-Stuhl mit den gedrehten Säulen gehört. Ein 
Ballast, der nicht niederzog, sondern bedenkenlos mitgenommen 
wurde. Nun geistert das Bild wie die Schloßfrau durch 
die Gegenwart. Nur an Orten, an denen eine schlimme Tat 
begangen worden ist, gehen Spukerscheinungen um. Die Photo 
graphie wird zum Gespenst, weil die Kostümpuppe gelebt hat. 
Durch das Bild ist bewiesen, daß die fremden Attrappen als 
ein selbstverständlicher Zubehör in das Leben einbezogen wor 
den sind. Sie, deren mangelnde Transparenz auf der alten 
Photographie erfahren wird, haben sich mit den durchsichtigen 
Zügen früher unzertrennlich gemischt. Die schlimme Verbin 
dung, die in der Photographie andauert, erweckt den Schauder. 
Er wird auf drastische Weise durch die in dem Pariser Avant 
garde-Kino: „Studio des Ilrsnlinks" vorgeführten Film 
szenen der Vorkriegszeit erzeugt, die das Umgriffensein der im 
Gedächtnisbild aufgespeicherten Züge von einer längst ge 
schwundenen Realität behaupten. Auch die Wiedergabe alter 
Schlager oder die Lektüre einst geschriebener Briefe beschwört 
wie das Photographische Bildnis die zerfallene Einheit neu 
herauf. Diese gespenstische Realität ist unerlöst. Sie besteht 
aus Teilen im Raum, deren Zusammenhang so wenig not 
wendig ist, daß man sich die Teile auch anders angeordnet 
denken könnte. Das hat einmal an uns gehaftet wie unsere 
Haut, und so haftet unser Eigentum noch heute uns an. Wir 
sind in nichts enthalten, und die Photographie sammelt Frag 
mente um ein Nichts. Als die Großmutter vor dem Objektiv 
stand, war sie für eine Sekunde in dem Raumkontinuum zu 
gegen, das dem Objektiv sich darbot. Verewigt worden ist aber 
statt der Großmutter jener Aspekt. Es fröstelt den Betrachter 
alter Photographien. Denn sie veranschaulichen nicht die Er 
kenntnis des Originals, sondern die räumliche Konfiguration 
eines Augenblicks; nicht der Mensch tritt in seiner Photo 
graphie heraus, sondern die Summe dessen, was von ihm ab- 
zuziehen ist. Sie vernichtet ihn, indem sie ihn abbildet, und 
fiele er mit ihr zusammen, so wäre er nicht vorhanden. Eine 
illustrierte Zeitung hatte vor kurzem unter dem Titel: „Das 
Antlitz des berühmten Menschen. So waren sie einst — und so 
find sie heute!' Jugend- und Altersaufnahmen bekannter Per- 
sönlichheiten zusammengestellt. Marx als Jüngling und Marx 
als Zentrumsführer, Hindenburg als Leutnant und unser 
Hindenburg. Die Photographien stehen nebeneinander wie 
statistische Berichte, und weder ist aus dem früherem Bild das 
lpätere zu ahnen, noch aus diesem jenes zu rekonstruieren. 
Daß die optischen Inventarverzeichnisse zusammengehören, wird 
auf Treu und Glauben hinzunehmen sein. Die Züge der Men 
schen sind allein in ihrer „Geschichte" erhalten, 
VI. 
Die Tageszeitungen bebildern immer mehr ihre Textes 
und was wäre ein Magazin ohne Bildmaterial? Der 
schlagende Beweis für die ausgezeichnete Gültigkeit der Photo 
graphie in der Gegenwart wird vor allem durch die Zunahme 
der illustrierten Zeitungen geliefert. In ihnen ver 
sammeln sich von der Filmdiva an sämtliche Erscheinungen, 
die der Kamera und dem Publikum erreichbar sind. Säuglinge 
interessieren die Mütter, junge Herren werden durch Gruppen 
schöner Mädchenbeine gefesselt. Schöne Mädchen erblicken gerne 
Sport- und Bühnengrößen, die am Fallreep des Ozean 
dampfers stehen, wenn sie nach fernen Ländern fahren. In 
den fernen Ländern werden Fnteressenkämpfe ausgefochten. 
Aber nicht auf sie ist das Interesse gerichtet, sondern auf dis 
Städte, die Naturkatastrophen, die Geisteshelden und die 
Politiker. In Genf tagt der Völkerbundskongreß. Er dient 
dazu, die Herren Stresemann und Briand vor dem Hotelein 
gang im Gespräch zu zeigen. Auch die neuen Moden müssen 
verbreitet werden, sonst wissen die schönen Mädchen im 
Sommer nicht, wer sie sind. Die Modeschönheiten nehmen mit 
jungen Herren an mondänen Ereignissen teil, in fernen Län 
dern finden Erdbeben statt, Herr Stresemann sitzt auf einer 
Palmenterrafle, für die Mütter sind unsere Kleinen. 
Die Absicht der illustrierten Zeitungen ist die vollständige 
Wiedergabe der dem Photographischen Apparat zugänglichen 
Welt; sie registrieren den räumlichen Abklatsch der Personen, 
Zustände und Ereignisse aus allen möglichen Perspektiven. 
Ihrem Verfahren entspricht das der Film-Wochenschau; sie 
ist eine Summe von Photographien, während dem eigent 
lichen Film die Photographie nur als Mittel dient. Noch 
niemals hat eine Zeit so gut über sich Bescheid gewußt, wenn 
Bescheid wissen heißt: ein Bild von den Dingen haben, das 
ihnen im Sinne der Photographie ähnlich ist. Als aktuelle 
Photographien beziehen sich die meisten Bilder der Illustrier 
ten auf Gegenstände, die im Original gegeben sind. Die Ab 
bilder sind also grundsätzlich Zeichen, die an das Original er 
innern mögen, das zu erkennen wäre. Die dämonische Diva. 
In Wirklichkeit aber wird der Hinweis auf dw Urbilder von
	        

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