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H:Kracauer, Siegfried/01.07/Klebemappe 1928 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

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Bibliographic data

fullscreen: H:Kracauer, Siegfried/01.07/Klebemappe 1928 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

Manuscript

Persistent identifier:
BF00043384
Title:
H:Kracauer, Siegfried/01.07/Klebemappe 1928 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]
Shelfmark:
H:Kracauer, Siegfried/01.07/Klebemappe 1928
Document type:
Manuscript
Collection:
Holdings and special collections
Year of publication:
1928
Copyright:
Deutsches Literaturarchiv Marbach

Full text

Mraune. 
-»- Der Roman von Hanns HeinA Ewers, nach dem dieser 
Film der Ufa-Lichtspiele gedreht ist, hat es in sich. Sein« 
Heldin ein dämonisches Wesen, das ein berühmter Naturforscher 
auf dem Wege der künstlichen Zeugung erschaffen hat; wobei er 
sich eines Gehenkten und einer Dirne bediente. Kaum ist das Mäd 
chen erwachsen, geht der Spuk los; es stürzt Jünglinge ins Un 
glück brennt durch, dringt in einen Löwenkäfig, macht sämtliche 
Männer verrückt. Zu guter Letzt auch den berühmten Profoessor, der 
sich als hren Vater auszegeben hat; hinter welch« fromme oder 
unfromme Lüge Alraune gelegentlich des Durchblätterns seines 
Tagebuchs kommt. Nachdem er von ihr ruiniert worden ist, läuft 
sie mit seinem Neffen davon. Wahrscheinlich wird er das Schicksal 
des Onkels teilen. So eine Art von Lulu-Ersatz. 
Die etwas falschen Schauer im Text sind von der Ufa und 
ihrem Regisseur Henrik Galeen weidlich ausgenützt worden. 
Galeen hat Sinn für Wirkung und arbeitet geschickt. Er hat die 
Zirkusszenen gut gebaut, kann Spielsäle stellen, bezieht überhaupt 
die Architektur in weitem Umfang ein. Wie er durch die Führung 
des Objektivs eine unheimliche Stimmung erzeugt, wie er die 
Lichtverteilung und Spiegeleffekte sich dienstbar macht — das alles 
ist einwandfrei. Auch vergreift er sich nirgends in der Auswahl 
der Typen. 
Dennoch hat der Film kompositionelle und technische Schwachen. 
In dem Roman mag die Heldin aus dem Tagebuch des Professors 
ihre wahre Herkunft erfahren; im Film wirkt das Tagebuch so 
öde, daß man sich wünschte, sie hätte auf eine andere, jedenfalls 
nicht handschriftlich fixierte Weise das Geheimnis ergründet. Auch 
ist wieder einmal zuviel und zu sichtbar gestellt: die Einleitungs 
szene, in der die Puppe eines Gehenkten gruseln machen soll, wäre 
besser gestrichen worden; und ist es denn wirklich immer nötig, 
winzige Eisenbahnzüge im Modell durch die künstliche Nacht rollen 
zu lassen? Schließlich wird manchmal über dem Auspinseln der 
erotischen Gefühle vergessen, daß es doch weitergehen soll. 
Paul Wegener als Professor: ein Koloß von Mann, dem 
man die kaltblütige Inszenierung jener sonderbaren Zeugung 
glaubt. Sein Gesicht wie aus Erde gestampft. Er scheint kaum zu 
spielen, sondern einfach er selbst zu sein. Der allmähliche Ueber- 
gang aus dem Vater, vor dem das Mädchen sich fürchtet, in den 
begehrlichen Liebenden, den sie zum Irrsinn treibt, ist mit voll 
endeter Sicherheit durchgeführt. Brigitte H e l m s Alraune ist eben 
falls eine ansehnliche Leistung. Ein blutarmes Gesicht, aus dem 
die Haare zurückgekämmt sind: die Augen traurig, Haftlos und leer. 
Etwas Aufsaugendes wohnt ihr inne. Ausgezeichnet die Szene im 
Gesellschaftskleid, in der sie den Pseudovater verführt. Man spürt 
hinter alledem den Regisseur. Hier und da scheint er locker zu 
lassen, dann schimmert unfreiwillig Naivität durch die Vampirhafte 
Außenseite hindurch. — Zu nennen noch: Wolfgang Zilzer, 
der für anständige Jünglinge wie geschaffen ist, und Louis 
Ralphs Zauberkünstler, eine Erscheinung von robuster Zwei 
deutigkeit. — Die Musik begleitet verständnisvoll. kaeL. 
KHaplm. 
Zu seinem Film „Zirkus*. 
Um es vorwegzunehmen: der Zirkusfilm erreicht als Kompo 
sition nicht den Goldrausch. Seine Fabel ist konventioneller, und 
auf kurze Strecken nimmt er seine Zuflucht zu Motiven, die auf 
der Hand liegen, entgleitet er in eine Komik, die nur zum Lachen 
reizt. Nicht die Hauptlinicn der Handlung, sondern die vielen 
Einzelzügc verleihen dem Film Bedeutung. Er ist die Unter 
lage, in die sie einverwoben sind. Das Mosaik, zu dem sie sich 
Zusammensetzen, stellt jene einzigartige Figur dar, die an den 
Namen Chaplin geknüpft ist. Sie besitzt in dem Film eine gewiß 
nickt geringere LeucktkE als im Goldrausch, und wenn sie Ge 
lächter erweckt, so rührt sie zugleich. 
Das Geheimnis dieser Figur tritt in der S p i e g e l k a b i n e t L- 
SZene am reinsten zutage. Chaplin rettet sich auf. dem Rummelplatz 
vor einem Polizisten in das Kabinett, in dem er hundertfach wider 
strahlt. Er weiß nicht mehr: ist er es, der vor den Spiegeln steht, 
oder ist er eine von den vielen Gestalten in den Spiegelkulissen. 
Auch der Polizist, der ihn glücklich eingcholt hat, weiß es nicht. 
Beide werden von den unaufhörlich sich wandelnden Bildern geäfft, 
die Welt ist in Stücke zerrissen, die durcheinander wirbeln, sie 
scheint dem Irrsinn verfallen zu sein. Der Polizist erfährt sie so 
nur im Vexierkabinett, Chaplin dagegen lebt, im Spiegelkabinett 
der Welt. 
* 
Sie ist ihm ein Gaukelspiel der Menschen, Tiere und Dinge, 
in dem er höchstens aus Zufall einmal feste Konturen greift. 
Da er sich in den Erscheinungen und ihren Absichten nicht aus- 
kcnnt, ängstigt er sich vor ihnen allen und sucht sie durch kleine 
Listen sich günstig zu stimmen. Vielleicht ist das Hündchen gefähr 
licher als_ der Löwe: eine Gewähr hat man nie. Nur so viel ist 
das Zirkuspferd mit den beweglichen Ohren-zu den 
todfeinden gehört. Der schlimmste Gegner ist freilich ^der Zirkus 
direktor selber, ein rüder Patron, den Chaplin mit erlesenen 
Schlichen traktiert. Es naht sich wohl auch ein freundliches Ge 
schöpf, ein^Mädchen, aber es ist nicht für ihn. Dicht umstellt ihn 
die Märchenwelt, in der sich die Gegenstände und Lebewesen ver-, 
wirren. 
Die Veziehungslosigkeit, mit der er sie durchwandest, zeigt sich 
Lach süßen hin besonders deutlich in den Clownszenen. Er be 
lustigt nur so lange die Menge, als er gar nicht komisch wirken 
einfach Chaplin LA der sich vor irgendeinem Phantom 
rettet oder die gewöhnlichsten Dinge nicht versteht. Drastischer und 
genauer als durch die unbewußte Erzielung der Komik — sie ist 
als Motiv nicht neu — offenbart sich seine Fremdheit und Hilf 
losigkeit in gewissen Zügen, die beinahe unschön wären, wenn 
sie Lei einem anderen Menschen aufträten. Er erpreßt, nachdem er 
über seinen Wert für den Zirkus aufgeklärt worden ist, von dem 
Zirkusdirektor ein hohes Gehalt. Er benutzt einen auf dem Boden 
liegenden Menschen, der knOck-out geschlagen worden ist,als 
Schemel, um durch ein Zeltloch Zu gucken. Er verhält sich dem 
Löwen gegenüber, der ihn aus Laune in Ruhe läßt, mit prahle 
rischer Großmannssucht. Aber gerade solche Anmaßungen verraten 
unzweideutig seinen Mangel an Selbst-Bewußtsein. Nur ein 
äußerst verwundbarer Mensch, der sich in der Welt nicht zu regen 
versteht, nimmt derartige Anläufe, um sich in ihr zu behaupten. 
Sie brechen in sich zusammen und machen ihn lächerlich. 
* 
Hinter den Masken der Notwehr verbirgt sich die wahre Gestalt, 
die sich immer wieder in kurzen Augenblicken bezeugt: Dieser 
Mensch Chaplin ist gut und zärtlich und hat Achtung vor jeder 
Kreatur. Wie er das Kind anlächelt; wie er sich durch ein Lupfen 
des Hütchens bei dem Huhn bedankt, das ihn mit einem Ei bedacht 
hat. Die Höflichkeit kommt aus seinem Herzen..Auch eignet ihm 
ein wesenhafter Zug der Märchenfiguren: die Naivität. Er kann 
sich totlachen über die albernen Spässe der Clowns, deren Pro 
duktionen das Publikum einschläfern. Dann ist da noch ein sonder 
bares Verhalten, das mehr als irgendein anderes in seinen letzten 
menschlichen Grund weist, aus dem es bricht: daß er vor Freude 
beinahe überschnappt. So war es im „Goldrausch" und früher, 
so ist es auch hier. Auf die vermeintliche Gewißheit hin, daß das 
geliebte Mädchen ihn wiederliebe, schlägt er wie toll um sich, die 
Augen funkeln, er zerspringt in Stücke. Es ist, als habe die Welt 
sich aus dem Spiegelwahnsinn zurückgefunden und er dürfe sein, 
wie er ist. 
Daß er es nicht sein darf, sondern mißverstanden wird von 
einer Umgebung, die er mißversteht, weckt das Gelächter. Es ist 
von jener Art, die auch das Weinen in sich begreift. Denn der 
Humor Chaplins blamiert die sich ernst gebärdende Welt nicht, 
um sie zuletzt unangetastet bestehen Zu lassender enthüllt sie viel 
mehr wie jeder große Humor, zeigt etwas an ihr auf, das sie 
aus den Angeln zu heben vermöchte. Wenn jeder alle Geschöpft 
so höflich begrüßte — wäre sie nicht verändert? Daß sie anders 
sein könnte und doch weiter besteht: bei diesem Blick auf sie mischen 
sich Tränen doppelter Herkunft. Die Mischung entspringt der 
falschen Proportion zwischen der Gewalt der Welt und der ihr 
begegnenden Schwäche. 
' -- — , . .. K^. ' 
Die Komik, es wurde gesagt, verweilt nicht durchweg an dem 
entscheidenden Knotenpunkt. Es ist lustig, wenn Chaplin aus Un 
geschick die Zauberkästen öffnet, denen nun das Geflügel zur Unzeit 
entschwärmt: bestimmend für ihn ist es nicht. Vielleicht wäre es 
auch nicht nötig, daß er bei dem Gang über das Seil von den 
Affen behelligt würde und sich hosenlos zeigte. An diesen Stellen 
verdrängt eine Komik Zweiter Ordnung jene tiefere. Sie wird 
ebenso überschattet in den Partien, in denen Liebe und Eifer 
sucht als die Hauptmotive herrschen; gerade in den Seiltänzer 
sZenen also. Hier klingt eine Verwandtschaft mit dem Bajazzo auf, 
die Chaplin sonst überall meidet und die auch nicht seine Sache 
ist. Von den Höhepunkten aus gesehen ist vor allem der kleine 
Austritt problematisch, in dem er aus Liebeskummer als Clown 
versagt. — In diesem Zusammenhang mag noch erwähnt werden, 
daß der Film nicht so reich und überzeugend aufgemacht ist wie 
„Goldrausch". Die Gegenspieler sind schemenhafter. Der rohe 
Zirkusdirektor ist eine Karikatur und das Mädchen ein Mädchen, 
so lieb es ist. Chaplin müßte sich nicht mit solchen Abbreviaturen 
behelfen. 
Am Ende fährt der Zirkus davon. Chaplin mit Hütchen und 
Stock bleibt allein auf freiem Feld zurück, mitten in der Kreisspur 
der Manege. Er sieht den Wagen nach, sein Gesicht ist alt, wie es 
bisher nie gewesen, alt und vergrämt. Werden die Spiegel je in 
Trümmer gehen? Wird der Spuk je verschwinden? Dann rafft er 
- sich auf und hopst davon, ein Männchen von hinten, komisch an- 
zuschaucn. 
(Bei Gelegenheit der Aufführung des Films im Frankfurter 
G l o r i a p a l a st.) S. Kracauer.
	        

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