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H:Kracauer, Siegfried/01.09/Klebemappe 1930 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

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Bibliographic data

fullscreen: H:Kracauer, Siegfried/01.09/Klebemappe 1930 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

Manuscript

Persistent identifier:
BF00043386
Title:
H:Kracauer, Siegfried/01.09/Klebemappe 1930 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]
Shelfmark:
H:Kracauer, Siegfried/01.09/Klebemappe 1930
Document type:
Manuscript
Collection:
Holdings and special collections
Year of publication:
1930
Copyright:
Deutsches Literaturarchiv Marbach

Full text

stumme Film hätte eine solche Wirklichkeit um so weniger be 
wältigen können, als ihr Lokalkolorit mindestens im selben Maße 
akustisch wie optisch bestimmt ist. Amerikanische Sätze in Neger 
mündern: das sind Naturlaute, sinnvolle melodiöse Katarakte, die 
auch dem etwas bedeuten, der das Amerikanische nicht beherrscht. 
Der Regisseur von „Masse Mensch" und „Die große Parade" hat 
seine glückliche Hand schon damit bewiesen, daß er gerade dieses 
.vorgeformte Material auswertete. Und er hat ihm niemals Gewalt 
angetan, seine realistischen Absichten vielmehr auch dem Ton gegen 
über durchgesetzt. Es wird gesungen, wo gesungen werden muß. 
Geräusche und Sprache werden nirgends herbeigezerrt; sie stellen 
sich ein, sobald die Komposition es verlangt. Man wird, wie ich 
hoffe, bald zu Tonfilmen kommen, in denen die Töne nicht mit 
den Bildern übereinstimmen, sondern, scheinbar unabhängig von 
ihnen, ihre eigenen Kurven beschreiben. Bei Vidor sind sie noch 
synchronisiert und nicht so frei verwandt wie z. B. in dem neueren 
Rene-Claire-Film: „8ou8 los troit8 äe ?ari8". Dafür haben sie 
aber eine Kraft der Aussage, die mehr als nur illustrativ ist. Ich 
denke etwa an die Rufe des verlassenen Mädchens, das in der 
Nacht ihrem Geliebten nacheilt: Klagerufe, die ein selbständiges 
Leben führen — man weiß nicht, ob sie den Bildeindruck ver 
tiefen helfen ,oder ob die Bilder ihnen erst entströmen. Mehr noch: 
der Ton, so nachdrücklich er eingreift, lähmt kaum je die Beweg 
lichkeit der Kamera. Sie wandert wie im stummen Film unge 
hindert umher, und auch die Montage läßt sich keine der Mög 
lichkeiten verkümmern, die von der Mehrzahl unserer Regisseure 
preisgegeben worden sind. Es fehlt nicht an optischen Phantasien, 
wenn die Situation sie fordert (das Solospiel der Hände während 
der religiösen Ekstase). Eine außerordentliche Leistung ist die 
Szenenreihe, in der Zeke seinen Widersacher verfolgt. Durch Was 
serläufe und Wälder hindurch jagt er den Mann. Man hört das 
Plätschern, das Rauschen und Keuchen; man sieht die Undurch- 
dringlichkeit der Laubmassen und der Baumstammheere. Urrd es 
ist, als seien Gewalten niedergestiegen, von denen wir als Kinder 
aus den Sagen wußten. 
Soll ich die einzelnen Darsteller aufzählen? Aber das 
wäre ein Unrecht gegenüber der Leistung des Kollektivs. King Vidor 
hat sich seine Leute aus allen Ecken und Enden zusammengeklaubt, 
die wenigsten waren Schauspieler von Beruf. Ich nenne Daniel 
H. Hahnes, der den Zeke spielt und früher wirklich einmal 
Wanderprediger gewesen ist. Ich nenne vor allem Nina Mae 
McKinneh, die über sämtliche Verführungskünste gebietet, die 
so verderbt wie unschuldig blicken kann und eine große Meisterin 
auf dem Gebiet der Groteskkomik ist. Aber auch die anderen sind 
Stars; obwohl gerade dieses Wort auf niemanden von ihnen an 
gewandt werden dürfte. Woher rührt es, daß sie so spielen können? 
Weil sie sind, was sie spielen. Sie lieben wirklich und sie glauben 
wirklich. Sie sind Menschen. Während man bei unseren Darstellern 
manchmal das Gefühl nicht los wird, daß sie nur spielen, weil sie 
nicht sind. Die Substanz ist geschwunden, die Hast verloren und 
übrig geblieben die Schauspielerei an sich. Wie oft greift sie nicht 
daneben, wenn sie Haß, Eifersucht, Schmerz zu vergegenwärtigen 
hat, übertreibt oder verblaßt zum Schattenbild. Ihr fehlt die Er 
fahrung, die Verbundenheit mit der menschlichen Existenz. Und 
jenes Ineinander von Dirnentum und Reinheit, das zuvor gelebt 
sein muß, um dann den Schein des Lebens zu gewinnen — kaum 
einer unserer Künstler vermöchte es gefüllt wiederzugeben oder 
seine Wiedergabe auch nur zu wagen. 
* 
Man kann, wenn man will, „Hallelüjah" auch als einen 
Kulturfilm bezeichnen. Sicher ist, daß er uns über einen 
fremden Zustand besser aufklärt als die meisten Filme, die Kultur 
filme heißen. Es ist ein weitverbreitetes Vorurteil, daß Original 
aufnahmen das abgebildete Leben mit dokumentarischer Treue 
spiegelten. Gar nichts spiegeln sie, wenn der Photograph nichts 
gesehen hat als die Oberfläche, und auch die nicht einmal richtig. 
Die sogenannten Kulturfilme und Expeditionsfilme sind in der 
Hauptsache geistlose Arrangements langweiliger Bildberichte von 
Leuten, die dann allein etwas zu berichten wissen, wenn sie anders 
wo als Zu Hause sind, und einen Elefanten schon darum für eine 
Sehenswürdigkeit halten, weil er in Indien herumspaziert und 
nicht bet uns. Aber ein Elefant ist noch lange keine Sehenswürdig 
keit. Fremdes Leben ersteht nicht aus einer Summe von Bildern; 
es erscheint nur in seiner bewußten Gestaltung, 
S. Krakauer. 
z-o 
Kleine Signale. 
Berlin, Anfang Oktober. 
Das Personal ist strengangewiesen... 
In einem neu eröffneten kleinen Cafä im Berliner Westen sind 
die Getränkekarten mit dem Satz überschrieben: „DasPersonal 
ist streng angewiesen, jeden Gast zufriedenzu 
stellen." Man traut seinen Augen nicht, aber der Satz prangt 
auf allen Tischen. In Fettdruck. Ein durchaus vorbedachter Satz, 
der wie eine Blendlaterne dunkle Zustände erhellt. 
Sein Inhalt ist eine Vorschrift, die von Rechts wegen über 
flüssig wäre. Jedenfalls kommt ihr ein halbwegs vernünftiger Sinn 
nur unter der Bedingung zu, daß eine höfliche Bedienung keine 
Selbstverständlichkeit ist, sondern eine Dreingabe, mit der niemand 
mehr rechnen darf. Wann aber wird sie zum besonderen Luxus, der 
eigens beigesteuert werden muß? Wenn die Menschen — in diesem 
Falle die Angestellten des Lokals — nicht als Menschen aufgefaßt 
werden, die kraft ihres Menschseins ein richtiges Benehmen ent 
falten. Die Rationalisierung der Wirtschaft hat offenbar die 
Meinung entstehen lassen, daß auch die Menschen zu rationalisieren 
seien. Vielleicht sind ihrer viele wirklich schon zu Apparaten abge-! 
baut worden. Zum mindesten beruht der Wortlaut des Satzes auf 
dieser Ueberzeugung. Mehr noch: er verrät eine völlige Unkenntnis^ 
aller menschlichen Obliegenheiten, die über technische Manipulationen ' 
hinausreichen, kann also selber nur einem Apparat entsprungen 
sein. „Das Personal ist streng angewiesen..." Was zu tun? Höf 
lich zu sein. Unhöflich möchte man Höflichkeit kommandieren, die 
sich auf Kommando nicht einstellt. 
Obwohl die Instruktion des Personals das Publikum nichts 
angeht, wird der Satz doch öffentlich ausgestellt. Er ist also für die 
Gäste bestimmt. Vermutlich soll er ihnen Zureden, getrost zu sein. 
Seid guten Mutes, sagt ihnen der Satz, hier kommt ihr nicht zu 
Unmenschen, wie ihr wahrscheinlich glaubt, sondern zu einem 
Personal, das gezähmt worden ist. Die Plakatierung des Satzes 
bestätigt, was aus seinem Inhalt erschlaffen wurde: daß das unter 
Menschen übliche Verhalten außer Uebung zu kommen droht. Sie 
stempelt zugleich den Gast Zu einem höheren Wesen, das gleichsam 
in der Unterwelt einkehrt. Daß er zum Uebermenschen gemacht 
wird, entspricht der Entmenschlichung des Personals. Es fehlt der 
menschliche Kontakt Zwischen den Menschen, sie sind nur noch die 
Vollstrecker ökonomischer und sozialer Funktionen. Apparate und 
Idole stehen einander hart gegenüber. 
Der Vollständigkeit halber füge ich hinzu, daß das Cafe mit 
dem Satz allen anderen Cafts aufs Haar gleicht. Seine Kellner 
sind Kellner und seine Gäste sind Gäste. 
f Rot - Gelb - Grün. 
An den wichtigsten Straßenkreuzungen in Berlin wird der Ver 
kehr bekanntlich durch bunte Lichtsignale geregelt. Das rote Sperr- 
signal weicht aber nicht gleich dem Grün, das die Straße freigibt, 
sondern verwandelt sich zunächst in ein leuchtendes Gelb. Dieses 
Gelb bezeichnet den Uebergang vom einen entschiedenen Zustand 
in den anderen. Es ermähnt Passanten und Wagenlenker zur Auf 
merksamkeit und befreit sie von allen Ueberlegungen, die der Zwang 
zur Rücksicht auf Menschen und Fuhrwerke bei einem plötzlichen 
Wechsel der Signale erheischte. Durch die Einschaltung des 
Zwischenlichts wird die Rücksichtnahme gewissermaßen objektiviert 
und die Initiative aus den Menschen herausgesetzt. 
Auch in Paris finden sich an einigen Hauptstraßen Lichtsignale. 
Nicht Signale eigentlich, sondern jeweils ein einziges rotes Licht 
zeichen, das Halt gebietet. Erlischt es, so ist die Straße sofort 
wieder dem Verkehr geöffnet. Was völlig fehlt, ist der gelbe Ueber- 
gang. Und dennoch rollen die Wagen sanft dahin, ohne sich gegen 
seitig zu stören, durchkreuzen die Fußgänger Labyrinthe, ohne sich 
je zu verirren. Die Verantwortung ist bei den Menschen geblieben. 
Ich wünschte, daß auch bei uns das gelbe Licht draußen er 
löschte und in die Menschen zurückkehrte. 
S. Krakauer.
	        

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