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H:Kracauer, Siegfried/01.09/Klebemappe 1930 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

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Bibliographic data

fullscreen: H:Kracauer, Siegfried/01.09/Klebemappe 1930 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

Manuscript

Persistent identifier:
BF00043386
Title:
H:Kracauer, Siegfried/01.09/Klebemappe 1930 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]
Shelfmark:
H:Kracauer, Siegfried/01.09/Klebemappe 1930
Document type:
Manuscript
Collection:
Holdings and special collections
Year of publication:
1930
Copyright:
Deutsches Literaturarchiv Marbach

Full text

andern, 
schwebt, 
Jannings. 
Hanns Schwarz hat den im Gloria-Palast angelaufenen Film 
mit singenden Jungfrauenvereinen, Künstlergarderobengeplaus 
südamerikanischen Schönen uüd würziger Landluft bis zum Rande 
gefüllt. Eine provinzielle, routiniert hergestellte Mischung, die 
wohl auch für die Provinz bestimmt sein wird, wie manche Leute 
in Berlin sie sich denken. Zum Glück wirken Hans Moser, Willi 
Präger und Sokoloff als Ehargenfiguren mit. Aber die paar 
ausgezeichneten Zutaten machen noch keine Götterlieblingsspeise. 
Götterliebling. 
ZLr Berlin, im Oktober. 
Zertrümmerte Fensterscheiben. 
Berlin, 14. Oktober. 
Es ist mir wieder einmal so geschehen wie bei vielen früheren 
Krawallen: ich bin zu spät gekommen, ich war nicht dabei. Immer 
wenn ein Tumult ist, ist er wo anders. Ich sehe nicht die Steine, 
sondern die Scherben. Und mir bleibt nur übrig, als ein Friedens- 
Lerichterstatter die Nachlese zu erhalten. 
Die Leipziger Straße, auf der es gestern national 
sozialistisch zugegangen ist, sonnt sich heute um die Mittagsstunde 
im tiefsten Pazifismus. Inmitten zahlloser Passanten, die wie ich 
von der Neugierde hergetrieben werden, schlendere ich an den 
Läden vorbei, den Blick auf die Spiegelscheiben gerichtet. Sie 
spiegeln jetzt nur noch zum Teil. Das große Warenhaus am 
Leipziger Platz zum Beispiel hat von seinem Glanz viel verloren. 
Manche seiner Scheiben sind zu negativen Spinnetzen geworden: 
dort, wo die Spinne zu sitzen Pflegt, gähnt ein kleines Loch, und 
die Fäden sind Sprünge. Andere Scheiben sind überhaupt nicht 
mehr vorhanden, und die künstlichen Pelikane, die hinter der 
einen unter einem schönen Blütenbaum stolz die Auslagen be 
wachten, vertrauern nun ihr Dasein im Freien. Ich gehe weiter 
und bemerke, daß die meisten Geschäfte immer noch aus Glas be 
stehen. Die Steinwürfe scheinen sich nach der Religion gerichtet zu 
haben, denn in der Hauptsache sind die jüdischen Namen getroffen. 
Wenigstens hat sich der Krach ausgezahlt — für die Glaser. 
Sie sind schon eifrig bei der Arbeit und verpassen neue Spiegel 
scheiben, die dann wieder zerschlagen werden können. Ihr Anblick 
erschüttert mich, beweist er doch, daß das Leben sich immer gleich 
lautlos einrenkt. „Vorsicht" steht auf einem Schild geschrieben, das 
die Leute von der Arbeitsstätte der Glaser fernhalten soll, und 
über Nacht gedruckte Aushänge verkünden dem Publikum, daß 
trotz der demolierten' Schaufenster der Laden geöffnet sei. Viele 
Risse sind mit Papierstreifen zugeklebt, zersprungene Glaswelten 
mit Brettern vernagelt worden. Es gibt keinen Aufenthalt, die 
Bedürftigkeit richtet sich sofort wieder häuslich ein. Und sind auch 
Kriege und Revolutionen gewesen; hinterher kommen dann doch 
die Glasermeister, und es ist, als sei gar nichts passiert. 
So sieht es freilich vorerst noch nicht aus. Die Straße ist mit 
Schupotruppen besetzt. Sie partouillieren zu zweit, sie rasseln in 
Wagen vorbei und reiten auf hohen Gäulen. Wenn ein Passant 
sich ansammeln will, um in die Sprünge und Splitter zu starren, 
jagen sie ihn unverzüglich auseinander und ermähnen ihn, weiter- 
zugehen wie das Leben. Wer gerade ihre Gegenwart lockt immer 
von neuem die Menge herbei. Man wittert Sensationen in ihrer 
Nähe, und führt ein Polizist an irgendeinem Kandelaber ein Tele 
phongespräch, das wer weiß wie harmlos ist, so wird das Publi 
kum vom Kandelaber ungezogen wie von einem Magneten. Die 
Schupo hat es wirklich schwer: sie muß nicht nur die Straßen- 
Levölkerung zerstreuen, sondern dient auch zu ihrer Zerstreuung. 
Sogar aus den höchsten Stockwerken blicken kleine Ladenmädchen 
auf sie herab. 
Ich bin noch zum Alexanderplatz gefahren, aber es hat sich 
nirgends etwas ereignet. Das Unglück ist nur, daß stch, sobald ich 
abwesend bin, jederzeit wieder ein Unglück einstellen kann. Und ich 
kann doch nicht überall zugleich sein. 
,S. Kracauer. 
Wie sich die Ufa einen Götterliebling vorstellt, ist unbeschreib 
lich. Ich werde es aber doch beschreiben. Natürlich muß der Lieb 
ling ein Operntenor sein. Einmal, weil ein Tonfilm zu tönen 
hat — gäbe es keine Tenöre, man erfände sie nachträg 
lich um des Tonfilms willen hinzu —; zum andern, 
weil so ein Lohengrin oder Othello auf den Flügeln 
des Gesanges über der traurigen Gegenwart schwebt, 
deren Betrachtung nach der Meinung der Filmindustrie 
den Kinobesuch schädigen könnte. Die Politik verdirbt das Geschäft. 
Da ein Götterliebling alles im Plural haben muß, gönnt ihm 
die Ufa außer den Gesängen vielerlei Weinsorten und Weiber in 
Fülle. Und wo dürste er anders leben als in jenem Wien, das 
zugleich an der Donau und am Rhein liegt und sein goldenes Herz 
genau zwischen Grinzing und Altheidelberg verloren hat; das 
mehr von Heimweh-Schlagern als von Heimwehrschlägern erfüilt 
ist; das Straßenaufläufe nur vor Bühnenausgängen verunstaltet? 
Freilich, nicht in Wien allein; denn auch Amerika hat verbriefte ' 
! Rechte auf den Götterliebling der Ufa. Nach ihrem unerforschlichen 
Ratschluß soll er aber drüben vorübergehend seine Stimme ver 
lieren. Also schickte sie ihn nicht nach U. S. A., wo ein solcher Schick 
salsschlag ungünstig wirkte, sondern nur nach Buenos Aires, wo 
es doch nicht darauf ankommt. Die Pylitik nützt dem Geschäft. 
Armer Iannings, der vom Letzten Mann zum ersten auf 
gerückt ist und vom Blauen Engel zu diesem: „Liebling der 
Götter"! Da prangt er nun als Star am Tonfilmhimmel, der 
gar kein Himmel ist, und soll in einem fort glänzen, um hohe Ge 
winne abzuwerfen. Und wirklich spielt er unverdrossen alles, was 
man ihm auf den Leib geschrieben hat. Säuft, frißt und liebelt; 
reißt den Mund weit auf, damit die Töne ungehindert heraus 
quellen können; melkt fusch die Kühe; plätschert wohlig in jener 
besonderen Humorbrühe, mit der heute vielleicht darum so viele 
Filme bewässert werden, weil sie den kleinen Mittelstand noch 
weiter verdummen hilft. Einmal muß er auch tragisch werden, da 
er bekanntlich eine Tragödie ist, und dann kommt er uns eben tra 
gisch, kurzum er produziert sich total. Das Ergebnis ist keine künst 
lerische Leistung, sondern eine Ausstellung von Kunstfertigkeiten 
und ein Götterliebling, der von allen Götter verlassen ist. Armer
	        

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