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H:Kracauer, Siegfried/01.10/Klebemappe 1931 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

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Bibliographic data

fullscreen: H:Kracauer, Siegfried/01.10/Klebemappe 1931 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]

Manuscript

Persistent identifier:
BF00043387
Title:
H:Kracauer, Siegfried/01.10/Klebemappe 1931 - [Geschlossener Bestand der Mediendokumentation, Nachlass]
Shelfmark:
H:Kracauer, Siegfried/01.10/Klebemappe 1931
Document type:
Manuscript
Collection:
Holdings and special collections
Year of publication:
1931
Copyright:
Deutsches Literaturarchiv Marbach

Full text

Ll 
Berlin, im Juli. 
Wann immer ich in der Schule von der Zerstörung einstiger 
Weltstädte hörte, so schienen mir diese Schreckensereignisse heute 
unmöglich. Mit einem ungläubigen Staunen las ich auch das 
Gedicht von Chider, dem ewig jungen, der nach aber fünfhundert 
Jahren dort, wo früher ein gewaltiges Stadtgebiet sich gedehnt 
hatte, auf verödetes Land stieß. Wie, diese Bahnhöfe, diese Ge 
schäftshäuseralleen, diese ganzen endlosen Steinmassen sollten eines 
Tages nicht mehr bestehen? Ich konnte mir ihre Vergänglichkeit 
nicht ausmalen, hielt Paris, Berlin und London für unverwüst 
lich und zweifelte keinen Augenblick daran, daß jene Kriegszüge 
und Einäscherungen, von denen die Geschichte uns meldet, nur 
noch wie Sagen heraufrauschen. 
Obwohl sie vielleicht wirklich nicht wiederkehren, ist mein Zu 
trauen zum Fortbestand unserer Städte mittlerweile doch ernsthaft 
erschüttert. Zwar werden sie weder von Geschützen noch von Feuers 
brünsten bedroht, aber andere, unheimlichere Gegner sind ihnen 
erwachsen, die ihrer viele inwendig auszuhöhlen beginnen. Gewiß, 
diese Städte sind fest gegründet, scheinen wie ehedem unversehrt 
und weichen nirgends zurück. Und dennoch wütet schon das Verder 
ben in ihnen. Ganze Quartiere siechen dahin, als habe der Tod 
sie gezeichnet, und verwandeln sich, wenn die Krankheit nicht auf- 
zuhalten ist, über kurz oder lang- in Siedlungen für Gespenster. 
Ruinenfelder zwischen Asphaltstraßen — die Geschichte erreicht 
mit immer neuen, nicht vorauszuahnenden Mitteln ihre alten 
Effekte. 
Zur Gräberstätte ist der Berliner Alte Westen geworden. Die 
Mehrzahl seiner Villen und vornehmen Herrschaftshäuser steht 
leer und wird sich vermutlich nie mehr bevölkern. Wie Epitaphien 
reihen sich die Schilder aneinander, auf denen 8- bis 12-Zimmer- 
wohnungen angepriesen sind, und an die verlassenen Mauern 
schmiegt sich zärtlich Gebüsch. Ich stelle mir die Raumverschwen 
dung im Innern dieser Häuser vor, die glänzenden Treppen, die 
Dielen, die weitgeschweiften Mosaikmuster, die Wintergärten und 
Säle. Wunderbare Wohnsitze des Reichtums: vor einigen Jahren 
noch haben sie Wärme ausgestrahlt, die große Welt beherbergt und 
sich unantastbar oberhalb der kleinen behauptet. Jetzt ist ihr Atem 
erloschen und kein Gast kommt die Stufen herauf. Beinahe ist es, 
als wüßten sie selber Bescheid um ihr Los. Müd harren sie in den 
Sommergärten wie alte Geschöpfe, die schon mit den Bäumen 
verwachsen sind und nur mehr Erinnerungen bei sich empfangen. 
Auch weniger eingesessene und minder vornehme Stadtteile 
werden geräumt. So entfernt sich das Hansaviertel langsam aus 
der Gegenwart und dünstet bereits einen leichten Modergeruch 
aus. Es liegt hinter den Stadtbahnwällen wie ein abgestandener 
Teich und enthält Balköne, Erker, Gesimse und dazwischen viel 
Grün. Hier haben sich gute Mittelstandsfamilien zu Hause gefühlt 
und auf die Dauer des Glücks gebaut. Die Wohnungen sind für 
Nachwuchs berechnet, nicht allzu großartig, aber solid. Ka^ 'm 
mehren die Zimmerpracht, Stukkaturen schimmern herab, 
reien täuschen Italien vor, und" eine Loggia holt den 
herein. Das stirbt nächstens trotz des Kindergequakes; wahrend 
die ungeheuren Wohnungen in der Kurfürstendammgegend nicht 
einmal richtig sterben können. Da sie keine Herkunft haben, son 
dern einfach.für beliebige hochzahlende Mieter pompös errichtet 
worden sind, hinterlassen sie nach ihrer Preisgabe nicht die ge 
ringsten Spuren. Uebrig bleiben allenfalls die steilen Marmor- 
Lreppenläufe, die wie Dekorationen im Nichts endigen. 
-i b L i 
Um M Mittagsstunde stehen die Menschen vor einer Filiale 
der Danatbank. Sie staunen das majestätische Portal an, dessen 
wuchtige Quadern die Tür aus Milchglasscheiben umrahmen, und 
versenken sich wieder und wieder in den bekannten Anschlag, der 
die Tür außer Tätigkeit setzt. Warum sie hier stehen, wüßte ver 
mutlich niemand von ihnen zu sagen. Ich nehme an, daß sie die 
metkwürdige Tatsache der geschlossenen Tür sich einprägen wollen. 
Jahrelang ist man durch sie hindurch gegangen, als sei sie gar nicht 
vorhanden, hat unnachdenklich Geldsummen eingezahlt und abge 
hoben, und nun ist sie gegen jede Erwartung zum unüberwind 
lichen Hindernis geworden und bietet den Beschauern ihre schön 
geschliffene Außenseite dar, die zweifellos dem Schöpfergeist eines 
Kunstarchitekten entstammt. Immer neue Gruppen bilden sich vor 
dem Portal, unwiderstehlich angezogen von dieser Stätte, an der 
sich die unsichtbare Katastrophe sichtbar verkörpert. Sie sind dem 
Ort wie durch Magie verfallen, stehen still mit der Zeit und harren 
auf ein Wunder. Aber die Tür öffnet sich nicht. Es ist, als seien 
sie hierher bestellt worden, um Stafettenläufern gleich Gerüchte 
weiterzutragen, die ihnen bestimmt schon entgegeneilen. 
Kritischer Hag. 
Berlin, im Juli. 
Montag morgen in der Depositenlasse einer Großbank, 
die ihre Schalter noch offen hat. Der Raum befindet sich gewisser, 
maßen im Kriegszustand. Er ist, anders als an gewöhnlichen 
Tagen, mit Menschen gefüllt, unter denen sich zahlreiche ältere 
Leute befinden. Witwen, die nicht mehr viel zu erhoffen haben, 
Greise besserer Herkunft, Adelsdamen und pensionierte Beamte: sie 
tauchen aus der Vergangenheit aus, zittern um ihr Erspartes und 
warten. Das Geld ist ausgegangen, aber ein Angestellter versichert, 
daß ein Bote der Bank unterwegs sei. Inzwischen knüpft sich das 
Band jener traurigen Brüderlichkeit, die ein Produkt gemein 
samer, unverschuldeter Not ist. Sie täuschen sich über die Zeit hin 
weg, indem sie ihre Schrecklichkeit bejammern, sie machen sich 
gegenseitig klar, daß man doch das bißchen Geld haben müsse, um 
überhaupt leben zu können. Ein Knäuel von Menschen, die sich 
aneinanderklammern und zu stützen suchen, so gut es im Augen 
blick geht. Wie dankbar sind sie dem geringsten Anlaß, der ihnen 
zu vergessen erlaubt. Zwei Herren betreten den Raum, die Geld 
einzahlen wollen, und diese schlichte Tatsache ruft eine Heiterkeit 
ohnegleichen hervor. Man lacht von Herzen und versieht das er 
staunliche Ereignis mit drolligen Kommentaren: wahrhaftig, die 
Herren kommen vom Mond. Die Stille, die dem Ausbruch folgt, ist 
um so trüber. Endlich trifft der Bankbote mit einem Beutel ein, 
wie ihn die Briesabholer tragen. Werden die mitgsbrachten Scheine 
auch reichen? Die Aufregung, die sich der Leute bemächtigt, ist 
peinigender als die Ungewißheit des Wartens. Ein gewitzter 
Mann, der erst später an die Reihe kommen sollte, drängt sich vor, 
tut vertraulich und erhält ohne Anstand den gewünschten Betrag. 
Das Publikum, empfindlicher gegen Ungerechtigkeiten als ein 
Präzisionsinstrument, murrt über die ihm widerfahrene Benach 
teiligung. Dann werden nach und nach die geforderten Summen 
ausgehändigt. Glückselig nimmt ein verwitterter Handwerker seine 
Ersparnisse in Empfang, die alles in allem 30 Mark betragen. 
„Hier sind Ihre 30000 Mark," sagt der Beamte. 
„Wenn es auch nur 30 Mark sind," erwidert der Inhaber des 
BarvermögenZ, „Bescheidenheit ist auch etwas wert." 
Wahrscheinlich bedeuten ihm jetzt die 30 Mark zuzüglich der 
Bescheidenheit so viel wie anderen die 30000. Nur leider bewertet 
die Welt nicht unsere Tugenden, ob sie nun angeboren seien oder 
erworben. 
Am Abend desselben Tages ist auch Max Schwelt ng auf 
dem Tempelhofer Flugfeld gelandet. Drei Mikrophone sind auf 
gestellt gewesen, die Musik hat gespielt, die Operateure haben ge ¬ 
kurbelt, und Tausende von Menschen habe« dem 
d ° k zugejubelt, als brächte er uns die Erlösung. Am 
Abend desselben Tages. S. Krakauer. 
Gästen in der Konditorei, wie töricht die überstürzten 
Abhebungen seien, zerstreut ihre Sorgen und ermähnt sie zur 
Disziplin. Erne unnennbare Beruhigung strömt von ihm aus wie 
von emem gütigen Onkel, der den Neffen und Nichten vorm 
Sch afsngehen Märchen erzählt. Der Präsident schweigt, und die 
Gaste plaudern weiter. Eine Fliege brummt in der Nische die 
von einem Pärchen ausgefüllt sein müßte. Hinge wirk- 
Leim^^"^ der Ampel, sie klebte längst auf dem süßen 
Abends in einer Konditorei, die so abgetakelt anmutet wie 
ein aufgebauschtes Provinzlokal, obwohl sie nur ein paar Minuten 
vom Mittelpunkt des Amüsierbetriebs entfernt liegt. Auf die fünf 
Minuten kommt es aber hier an. Gäste aus der Nachbarschaft sitzen 
an den Tischen herum, und schließt man die Augen, so glaubt 
man im Nachbild unwillkürlich Fliegenpapier zu erblicken, das 
von den Ampeln herunterhängt. In dieses Stilleben kann kein 
Geräusch der großen Welt dringen. Und doch hockt schon mitten 
unter den verstaubten Konditorwaren das öffentliche Unglück und 
fegt die Privatgespräche fort, die sonst über Tasten und Kuchen 
teller schwirren. Vernimmt man auch nicht die Unterhaltung an 
den Nebentischen - die Mienen sind leicht zu enträtseln, und spür 
bar ziehen Worte, Namen und Befürchtungen, die aus den Nach- 
kriegsjahren noch in aller Erinnerung sind, durch die friedfertigen 
Stuben. Plötzlich entsteigt dem allgemeinen Gesumme über das 
Allgemeine eine Stimme, der anzumerken ist, daß sie die Angst 
beschwichtigen will. Sie gehört dem Präsidenten des Giro- und 
Sparkaffenverbands, der irgendwo ins Mikrophon spricht. Er er-
	        

Hinweis zur Vollständigkeit

Die Blätter 89 und 90 fehlen im Original.

Hinweis zum Volltext

Die OCR-Ergebnisse sind experimentell.

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